Am 3. September 2016 feierte die Socialist Equality Party in Sri Lanka den 75. Geburtstag ihres Generalsekretärs Wije Dias. Wir veröffentlichen im Folgenden das Grußwort, das der nationale Vorsitzende der SEP in den Vereinigten Staaten, David North, Genossen Dias zugesandt hat.
Lieber Genosse Wije,
wenn sich heute Deine Genossen in Sri Lanka versammeln, um Deinen 75. Geburtstag zu feiern, stehen auch Deine Genossen und Freunde der Socialist Equality Party in den Vereinigten Staaten und aller Sektionen des Internationalen Komitees weltweit an Deiner Seite. Wir empfinden tiefe Anerkennung, Respekt und Dankbarkeit dafür, was Du für die Sache der Vierten Internationale, des Weltsozialismus und der Befreiung der Menschheit von kapitalistischer Ausbeutung, Unterdrückung und Gewalt geleistet hast.
Auch wenn wir heute feiern wollen, kommen wir nicht umhin, auf die Bedeutung Deines Lebens und die historische Epoche, die Deine sozialen Erfahrungen und politischen Entscheidungen bestimmt hat, zurückzuschauen. Du bist im Jahr 1941 geboren – einem Schicksalsjahr mitten im Zweiten Weltkrieg. Der Imperialismus zeigte in schrecklicher Weise, zu welcher Barbarei er fähig ist. Nur etwas mehr als zwei Monate vor Deiner Geburt hatte das nationalsozialistische Regime in Deutschland die Sowjetunion angegriffen. Ende 1941 befanden sich Japan, Großbritannien und die Vereinigten Staaten in einem erbitterten Kampf um die imperialistische Vorherrschaft auf dem asiatischen Kontinent. Während diese Länder um die regionale Macht buhlten, waren die Massen in ganz Asien in Aufruhr. Sie waren nicht bereit, passiv abzuwarten, bis der Krieg entscheiden würde, welche imperialistische Macht zu ihrem neuen Kolonialherrn aufsteigt. Stattdessen strebten sie danach, das gesamte System der kolonialen Unterdrückung zu stürzen.
Doch wie konnte das gelingen? Die unterschiedlichen nationalistischen Führer der asiatischen Bourgeoisie rieten zu Vorsicht und Geduld. Sie fürchteten vor allem, dass die Massenbewegung gegen den Kolonialismus eine sozialistische Richtung nehmen und ihre eigenen Klasseninteressen gefährden könnte. Nirgendwo in Asien hat diese Furcht der herrschenden Klasse einen deutlicheren Ausdruck gefunden als in Indien, wo Gandhis Pazifismus vor allem gegen die revolutionäre Mobilisierung der Arbeiterklasse gerichtet war. Die indischen Stalinisten haben ihrerseits die politische Linie der sowjetischen Bürokratie durchgesetzt und darauf bestanden, dass sich die Arbeiter der Kontrolle der bürgerlichen Kongresspartei unterordnen und nichts unternehmen, was die Interessen des britischen Imperialismus im Krieg gefährden könnte.
In Opposition zum Programm der bürgerlichen Nationalisten und ihrer stalinistischen Verbündeten gab es aber noch eine andere Perspektive für die unterdrückten Massen: das Programm der permanenten Revolution. Im Juli 1939, am Vorabend des Zweiten Weltkriegs, schrieb Leo Trotzki in seinem Brief an die indischen Arbeiter:
„Die indische Bourgeoisie ist zu einem revolutionären Kampf nicht fähig. Sie ist eng mit dem britischen Kapital verbunden und von ihm abhängig. Sie zittert um ihr Eigentum. Sie fürchtet die Massen. Sie sucht um jeden Preis einen Kompromiß mit dem britischen Imperialismus und schläfert die Massen mit Hoffnungen auf eine Reform von oben ein. Führer und Prophet dieser Bourgeoisie ist Gandhi. Ein falscher Führer und ein falscher Prophet! [...]
Das indische Volk muß sein Schicksal von Anfang an von dem des britischen Imperialismus trennen. Unterdrücker und Unterdrückte stehen auf verschiedenen Seiten des Schützengrabens. Keine Hilfe für die Sklavenhalter! Im Gegenteil, man muß die gewaltigen Schwierigkeiten, die der Krieg für alle herrschenden Klassen mit sich bringt, ausnutzen, um ihnen den Todesstoß zu versetzen. So müssen die unterdrückten Klassen und unterdrückten Völker in allen Ländern handeln, unabhängig davon, ob sich die Herren Imperialisten hinter demokratischen oder faschistischen Masken verbergen.
Um eine solche Politik durchzuführen, braucht man eine revolutionäre Partei, die sich auf die Avantgarde des Proletariats stützt. Diese gibt es in Indien noch nicht. Die Vierte Internationale stellt für eine solche Partei ihr Programm, ihre Erfahrungen, ihre Unterstützung bereit. Grundbedingung für eine solche Partei ist die völlige Unabhängigkeit von der imperialistischen Demokratie, von der Zweiten und der Dritten Internationale sowie von der indischen nationalen Bourgeoisie.“ [„Indien vor dem imperialistischen Krieg: Brief an die fortgeschrittenen Arbeiter“, 25. Juli 1939, in: Leo Trotzki, Schriften: Über China, Bd. 2.2, S. 938-47.]
Diese Worte, die Trotzki aus weiter Ferne in Mexiko schrieb, hatten einen großen Einfluss auf dem indischen Subkontinent, besonders in Ceylon. Dort bildeten die Prinzipien in Trotzkis Brief die Grundlage für die politische Orientierung der jungen Führer der neuen Lanka Sama Samaja Party (LSSP). 1942 wurde die LSSP als Sektion der Vierten Internationale anerkannt. Dieser historische Schritt, der in Deinem ersten Lebensjahr erfolgte, legte das Fundament für die politische und intellektuelle Kultur, die einen erheblichen Einfluss auf Dich und eine ganze Generation junger Ceylonesen ausüben sollte, die sich um das Banner der BLPI (Bolshevik Leninist Party of India) und der LSSP scharten.
Wie Du weißt, Genosse Wije, habe ich Dich sehr oft gebeten, von Deinen Erfahrungen in der Jugendbewegung der LSSP in den Schicksalsjahren der frühen 1960er zu berichten. Du hast miterlebt, wie Colvin de Silva und andere mit den revolutionären Prinzipien, die sie einst vertreten hatten, brachen. Der Verrat der LSSP von 1964 mit ihrem Eintritt in die Koalitionsregierung von Bandaranaike war der erste große politische Prüfstein, der Deine politische „Jugendzeit“ beendete. In Opposition zu den älteren Genossen hast Du ihre politische Kapitulation verurteilt und das Banner des wahren Trotzkismus in Sri Lanka hochgehalten.
Die folgenden Jahre waren eine große Herausforderung. Der historische Verrat der LSSP führte zu Desorientierung und Entmutigung. Der Revisionismus der internationalen Pablisten, die 1953 mit dem Trotzkismus gebrochen hatten, begünstigte und legitimierte das Anwachsen des Opportunismus in der LSSP. Nach dem Verrat in Ceylon versuchten die Pablisten jede ernsthafte Analyse des Ereignisses zu blockieren. Die Hauptrolle übernahmen dabei der führende Pablist Ernest Mandel und seine Gefolgschaft in der neu gegründeten LSSP (Revolutionary).
Trotz der schwierigen Bedingungen konnten in diesen Jahren zentrale politische Fragen geklärt werden. Mit der bedeutenden Unterstützung von Wilfried „Spike“ Pereira war das Internationale Komitee der Vierten Internationale (IKVI) in der Lage, Kontakt zu Dir und anderen Mitgliedern der Shakthi-Gruppe, darunter Genossen Ratnayake, Keerthi und Wicks, aufnehmen, die alle nach einem Ausweg aus dem zentristischen Sumpf der LSSP (R) suchten. Natürlich war das ein komplizierter und widersprüchlicher Prozess. Doch der Kampf zwischen 1966 und 1968, in dem Ihr die revolutionären Prinzipien verteidigt und zurückgewonnen habt, mündete schließlich in die Gründung der Revolutionary Communist League (RCL), der Vorgängerin der Socialist Equality Party in Sri Lanka, als Sektion des Internationalen Komitees der Vierten Internationale.
Als Du diese große politische Erfahrung bereits hinter Dir hattest, warst Du immer noch ein junger Mann in Deinen Zwanzigern. Die Herausforderungen, mit denen die RCL konfrontiert war, erlaubten jedoch keine Pause. Immer wieder musste die Parteiführung ihre politische Stärke beweisen. Wenn man all diese Erfahrungen genau aufzeigen würde, hätte man nichts weniger als eine politische Geschichte Sri Lankas, des asiatischen Subkontinents und natürlich der Entwicklung der Vierten Internationale der letzten fünfzig Jahre. Zu den Ereignissen, die einem sofort in den Sinn kommen, gehören: 1) der Aufstand der JVP (Janatha Vimukthi Peramuna) von 1971. Damals verteidigte die RCL – trotz ihrer unüberbrückbaren Differenzen mit dieser maoistischen Organisation und der gleichzeitigen Gefährdung ihrer eigenen Arbeit – die JVP und die Bauernjugend, die unter ihrem Einfluss stand, gegen die brutalen Repressionen der Regierung; 2) die grausame Offensive gegen die sri-lankische Arbeiterklasse nach dem Wahlsieg der United National Party 1977; 3) der Ausbruch des Bürgerkriegs 1983, in dem die RCL als einzige Organisation sowohl gegen die rassistische antitamilische Politik der Regierung als auch gegen das bürgerlich-nationalistische und separatistische Programm der LTTE eintrat; 4) die brutale Kampagne, die die JVP in den späten achtziger Jahren gegen die RCL entfesselte, weil diese in ihrer Opposition gegen den singhalesischen Chauvinismus unbeugsam blieb.
Zwischen 1971 und 1985 musste die RCL diese endlose Folge politischer Krisen unter schwierigen internationalen Bedingungen bewältigen. Die britische Socialist Labour League (SLL), später Workers Revolutionary Party (WRP), entfernte sich immer mehr von den trotzkistischen Prinzipien des Internationalen Komitees. Um es ganz offen zu sagen: Die Führung der WRP unter Healy, Slaughter und Banda hatten die korrekte und vernichtende Kritik von Genossen Keerthi an der opportunistischen Linie der SLL im Jahr 1971 nie vergessen oder verziehen. Mit Unterstützung des politischen Komitees der RCL kritisierte Keerthi scharf, dass die SLL den Einmarsch in Ostpakistan durch die indische Regierung unter Indira Gandhi unterstützt hatte.
Die Workers Revolutionary Party versuchte jeden ernsthaften Meinungsaustausch im Internationalen Komitee zu verhindern. Die Revolutionary Communist League wurde vollkommen darüber im Dunkeln gelassen, welche Kritik die Workers League in den Jahren 1982 bis 1985 an der politischen Linie der WRP aufgebracht hatte. Die WRP-Führung ignorierte meine Forderung, dass die RCL über ein Treffen des IKVI im Februar 1984 informiert und dazu eingeladen werden sollte. Dieses Treffen war einberufen worden, um die Differenzen zwischen der Workers League und der Workers Revolutionary Party zu diskutieren. Healy, Banda und Slaughter haben offensichtlich auf dieses prinzipienlose Manöver zurückgegriffen, weil sie annahmen, dass die RCL-Führung mit der Kritik der Workers League an der Zurückweisung der Theorie der Permanenten Revolution durch die WRP-Führer und an ihren reaktionären Bündnissen mit bürgerlichen Nationalisten unterstützen würde.
Aber der Ausbruch der politischen Krise in der WRP im Jahr 1985 setzte ihrer reaktionären Dominanz im Internationalen Komitee ein Ende.
Das Treffen der IK-Delegierten, das im Oktober 1985 in London stattfand, kennzeichnete den Beginn einer neuen und bedeutenden Phase in der Geschichte der trotzkistischen Bewegung. Mit der Veröffentlichung des Offenen Briefs gegen den Revisionismus von Pablo und Mandel 1953 begann eine Periode, die wir als andauernden Bürgerkrieg in der Vierten Internationale bezeichnet haben. Sie endete 1985, als wir die antitrotzkistischen Kräfte im Internationalen Komitee in die Flucht schlagen konnten.
Im Verlauf der Spaltung mit den Opportunisten der WRP und in der unmittelbaren Zeit danach spielte Keerthi Balasuriya eine kritische und entscheidende Rolle in der Führung des Internationalen Komitees. Seine herausragende Leistung spiegelte die enorme Erfahrung und politische Festigkeit der RCL-Führung und ihrer Kader wider, die das Ergebnis ihres langjährigen Kampfs für den Trotzkismus waren.
Aus diesem Grund konnte die RCL den vorzeitigen und völlig unerwarteten Verlust von Genossen Keerthi im Dezember 1987 überstehen. Sein Tod im Alter von 39 Jahren war ein schrecklicher und tragischer Verlust für die Revolutionary Communist League und das Internationale Komitee. Es zeugt von der ungeheuren politischen Stärke der RCL-Führung, dass sie – inmitten des Bürgerkriegs, unter Angriffen der JVP-Mörder und ständiger Verfolgung durch die Regierung – die Folgen von Keerthis Tod überwinden konnte. Aber es steht außer Frage, dass Du, Genosse Wije, die entscheidende Rolle dabei gespielt hast, die Einheit der Partei zu erhalten, ihre revolutionäre und internationalistische Orientierung zu verteidigen und ihre Arbeit voranzubringen. Kein einziger Genosse in der RCL/SEP oder im Internationalen Komitee würde dem widersprechen.
Über 45 Jahre sind vergangen, seit wir uns zum ersten Mal getroffen haben. In den letzten 30 Jahren haben wir eng zusammengearbeitet. Ich kann meinen tiefen Respekt für Dich – als Genossen und als Menschen – kaum in Worte fassen. Ich bin sicher, dass auch Du Deine Fehler hast, aber ich muss gestehen, dass mir gerade kein einziger in den Sinn kommt. Du warst immer kompromisslos, wenn es um die Verteidigung der marxistischen Prinzipien ging. Als Du eine Haftstrafe absitzen musstest, war sogar der Gefängniswärter von Deiner Hingabe zur sozialistischen Revolution beeindruckt!
In ganz Sri Lanka wirst Du – sogar von Deinen politischen Gegnern – als Mensch von unerschütterlicher revolutionärer Integrität geachtet. Du bist der einzige politische Führer in Sri Lanka, der sowohl in den unterdrückten Schichten der singhalesischen als auch der tamilischen Gemeinschaft geschätzt und bewundert wird. Ihnen ist bewusst, dass die Socialist Equality Party die einzige Kraft ist, die für die Einheit der Arbeiterklasse kämpft und jede Form von rassistischer Spaltung ablehnt. Im Zuge der politischen Kämpfe, die bereits über ein halbes Jahrhundert andauern und mit politischen Schicksalsschlägen, wie dem Verlust Deiner geliebten Frau, Genossin Piyaseeli, verbunden waren, hast Du das Banner der Vierten Internationale stets hochgehalten.
Ohne Zweifel ist dieser Geburtstag ein Meilenstein. Ganz gleich, wie man die Zahlen auch dreht und wendet, 75 ist eine beeindruckende Jahreszahl. Aber mit dem Alter kam noch größere Weisheit. Vor zwei Jahren hast Du den zwei größten Gefahren für Dein langes Leben – Motorrad fahren und Zigaretten rauchen – abgeschworen. Wir haben also allen Grund zur Annahme, dass Du noch viele Jahre an der vordersten Front der Revolution kämpfen wirst.
Für immer Dein Genosse,
David North