Am Dienstagmorgen einigten sich die Verhandlungsführer des Volkswagen-Konzerns und der beiden zur Prevent-Gruppe gehörenden Zulieferer Car Trim und ES Autoguss auf die Beilegung ihres Konflikts.
„Die Lieferanten nehmen die Belieferung von Volkswagen kurzfristig wieder auf“, heißt es in einer Erklärung, die VW nach der 19-stündigen Verhandlung veröffentlichte und der sich Prevent anschloss. „Die betroffenen Standorte bereiten demgemäß schrittweise die Wiederaufnahme der Produktion vor.“
Die beide in Sachsen ansässigen Unternehmen hatten in der letzten Woche die Lieferung von Sitzbezügen (Car Trim) und Getriebeteilen (ES Autoguss) an VW gestoppt. Das führte zu Produktionsschwierigkeiten bei den Modellen Golf und Passat. Am Montag waren fast 30.000 Beschäftigte in mehreren VW-Werken von Zwangsurlaub und Kurzarbeit betroffen. Experten schätzen den entstandenen Schaden auf mehr als 100 Millionen Euro.
Grund für den Lieferstopp war die Kündigung einer umfangreichen Entwicklungs-Kooperation von VW und Porsche mit Car Trim bei Sitzbezügen. Nach Angabe der Zulieferer erfolgte die Kündigung, durch die ihnen fest einkalkulierte Aufträge im Wert von fast 500 Millionen Euro entgangen seien, „grund- und fristlos“ in einem zweiseitigen Schreiben. Die beiden Firmen forderten zunächst 55, später 58 Millionen Euro Schadensersatz.
Zwar haben die Konzerne Stillschweigen über die Einzelheiten ihrer Einigung vereinbart, aber vor allem die Süddeutsche Zeitung berichtet ausführlich über den Inhalt der mehrseitigen Vereinbarung. Danach hat VW „große Zugeständnisse“ gemacht.
Wie die Zeitung berichtet, hat VW die Kündigung der umfangreichen Kooperation teilweise rückgängig gemacht. Die Zusammenarbeit mit Car Trim wird wenigstens zur Hälfte umgesetzt. Für bereits entstandene Kosten erhält Car Trim von VW und Porsche einen Ausgleich in Höhe von 13 Millionen Euro. Volkswagen und die beiden Prevent-Tochterfirmen verzichten gegenseitig auf Schadenersatzansprüche und die Zusammenarbeit wird bis mindestens 2022 weitergeführt.
VW hat seinerseits durchgesetzt, dass es in den nächsten sechs Jahren einen zusätzlichen Lieferanten für die Getriebeteile für Golf und andere Modelle beauftragen kann, allerdings nur im Umfang von 20 Prozent. Bislang ist die ES Automobilguss der alleinige Zulieferer für diese Teile. Deshalb hatte der Lieferstopp derart massive Folgen. Für künftige Konflikte wurde eine Schiedsstelle eingerichtet. Sollte Prevent erneut einen Lieferstopp verhängen, hat es sich zu Vertragsstrafen in Millionenhöhe verpflichtet.
Die Süddeutsche Zeitung befürchtet, dass diese Einigung Schule machen werde: „Dass die Prevent-Gruppe sich weitgehend durchgesetzt hat, könnte andere Liefer-Firmen ermutigen, ihre Interessen stärker wahrzunehmen.“
Bislang war die Hierarchie in der Automobilindustrie klar geregelt. Die großen Automobilhersteller diktieren den vielen Zulieferern die Konditionen, obwohl diese inzwischen rund 70 Prozent der rund 5000 Teile eines Fahrzeugs fertigen. Die Zulieferer müssen dabei ständig sinkende Preise und auch den Großteil der Risiken für Entwicklung und Forschung tragen.
Es handelt sich dabei um einen der wichtigsten Mechanismen, um die Löhne zu drücken. Die Prevent-Gruppe, die in Bosnien-Herzegowina entstand, nutzte die niedrigen Löhne in dem kriegszerstörten Land, um zu einem wichtigen Zulieferer des Volkswagenkonzerns aufzusteigen.
„Spottbillige Grundstücke, fünf Jahre lang keine Steuern, schnelle Genehmigungsverfahren für jede zu bauende Fabrikhalle, zügige Zollabfertigung, billige und willige Arbeitskräfte“, schilderte Die Zeit vor einem Jahr die Bedingungen in Goražde, wo Prevent eine Produktionsstätte unterhält.
Und die Westfälische Rundschau hatte bereits 2009 Nihad Imamovic interviewt, den Chef der ASA-Holding, zu der auch der VW-Zulieferer „Prevent“ gehört. Imamovic, der gleichzeitig Präsident der Arbeitgebervereinigung von Bosnien-Herzegowina war, beziffert die monatlichen Durchschnittslöhne in der Privatwirtschaft auf 500 „Konvertierbare Mark”. Die fest an den Kurs des Euro gebunden Währung entspricht einem Wert von etwa 50 Cent. Der durchschnittliche Monatslohn betrug also etwa 250 Euro.
Die bosnische Industriellenfamilie Hastor, der Prevent gehört, stieg so zur reichsten Bosniens auf. Sie hat inzwischen auch in den Banken und andere Sektoren investiert, was ihr im Konflikt mit VW eine gewisse Unabhängigkeit gab. Sie hat nun zwei Töchter in Deutschland genutzt, um dem Diktat von VW entgegenzutreten. So gab Car Trim einen Teil seiner Schadensersatzforderungen an das Unternehmen EA Autoguss weiter, von dem VW als alleiniger Zulieferer für Getriebeteile des Golfs besonders abhängig ist.
Das hat Politik, Medien und auch den Volkswagen-Betriebsrat aufgeschreckt. „Über Nacht stand auf einmal nicht nur ein 200-Milliarden-Konzern Kopf, sondern mit ihm auch viele andere kleine Zulieferbetriebe, die mit in den Streikstrudel hineingerissen wurden“, kommentiert die Süddeutsche Zeitung. Die Politik streite über Kurzarbeitergeld, die Finanzaufsicht Bafin prüfe, ob VW eine Mitteilung für die Börse hätte herausgeben müssen, „und die ersten Volkswirtschaftler spekulieren schon darüber, wie sehr der Zoff zwischen VW und seinen Lieferanten die deutsche Konjunktur abwürgen könnte“.
VW fuhr alle Geschütze auf. Der Weltkonzern versuchte, auf gerichtlichem Wege eine Herausgabe der Teile zu erzwingen und drohte, per Gerichtsvollzieher die benötigten Teile zu beschlagnahmen.
Am Montag schaltete sich auch das Wirtschaftsministerium unter Bundesminister Sigmar Gabriel (SPD) in die Auseinandersetzung ein. „Wir erwarten, dass die beteiligten Unternehmen die ungeklärten Fragen so bald wie möglich lösen“, sagte ein Ministeriumssprecher in Berlin.
Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD), dessen Bundesland mehr als 20 Prozent der VW-Stammaktien hält, drohte vor der Einigung, gegen den widerspenstigen Zulieferer Prevent werde man „auch Zwangsmaßnahmen aufnehmen müssen“.
Nach der Einigung behauptete er, die Beschäftigten seien „in den letzten Tagen Opfer eines Konfliktes geworden, der ohne Not auf ihrem Rücken ausgetragen worden ist“. Erneut kritisierte er das Verhalten der Zulieferer. Sie seien nicht bereit gewesen, den „in unserem Rechtsstaat vorgesehenen Weg einer Klärung vor den Gerichten“ zu gehen. „Dieses Beispiel darf keine Schule machen“, sagte Weil.
Der VW-Gesamtbetriebsratsvorsitzende Bernd Osterloh war schon im Vorfeld die Zulieferer hart angegangen. „Hier läuft ein ganz mieses Spiel des Lieferanten. Das macht uns wütend“, sagte er der Bild-Zeitung. „Viele“ machten sich in Wolfsburg Sorgen, wie es weitergehe. „Wenn man Geschäfte auf dem Rücken der Belegschaften macht, dann ist das rücksichtslos und unsozial. So etwas muss gestoppt werden“, sagte Osterloh.
Das ist dreist. Seit Jahrzehnten machen die großen Autohersteller „Geschäfte auf dem Rücken der Belegschaften“. Es gibt keinen Arbeitsplatzabbau, keine Lohnkürzung, keine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen, unter denen nicht die Unterschrift der IG Metall und ihrer Betriebsräte steht. Das hat gerade bei VW eine lange Tradition. In keinem anderen Unternehmen ist die Zusammenarbeit von Gewerkschaft, Betriebsräten, Politik und Konzernspitzen so eng und institutionalisiert wie dort.
Nun beschwert sich Osterloh, der angebliche Vertreter von weltweit 620.000 Beschäftigten, darüber, dass sich zwei Firmen mit wenigen Hundert Beschäftigten gegen das Diktat des Weltkonzerns Volkswagen wehren. Das wirft ein bezeichnendes Licht auf Osterloh selbst. Denn die Auseinandersetzung der letzten zwei Wochen hat doch vor allem vor Augen geführt, welche Macht selbst wenige Arbeiter in der internationalen Produktionskette hätten, um ihre Interessen zu verteidigen. Doch sie werden von der Gewerkschaft und deren Betriebsräten stets daran gehindert – im Namen der Wettbewerbsfähigkeit der Konzerne und der einzelnen Standorte.
Es ist Zeit, politisch und organisatorisch von dieser nationalen und prokapitalistischen Politik der Gewerkschaften zu brechen. Denn eines hat der Konflikt zwischen VW und Prevent auch gezeigt. Er war Ausdruck und Vorbote der gewaltigen Angriffe, die die Konzerne – allen voran VW nach dem Abgasbetrug – gegen die Belegschaften planen und vorbereiten. Darauf heißt es sich vorzubereiten, unabhängig von IG Metall und Betriebsräten.