Pseudolinke und Identitätspolitik: RIO solidarisiert sich mit „Gina Lisa“ und wirbt für „Law and Order“

Während die Opposition gegen soziale Ungleichheit und Krieg wächst, treten pseudolinke Organisationen immer aggressiver für verschiedene Formen der „Identitätspolitik“ ein. Ihr Ziel ist es, die Arbeiterklasse zu spalten und unter privilegierten und wohlhabenden Teilen der Mittelschichten Unterstützung für militärische Interventionen und rechte „Law and Order“-Politik zu mobilisieren. Ein Paradebeispiel dafür bietet die Revolutionäre Internationalistische Organisation (RIO), die in Deutschland im Umfeld der Linkspartei und der Gewerkschaften agiert und international Bestandteil der „Trotzkistischen Fraktion – Vierte Internationale“ (FT-CI) ist.

Seit Tagen prangt auf der Website der pseudo-trotzkistischen Gruppierung ein Statement mit dem Titel „Solidarität mit Gina Lisa“, das die Verschärfung des Sexualstrafrechts begrüßt, die der deutsche Bundestag Anfang Juli einstimmig beschlossen hat. „Der einfache Grundsatz ‘Nein heißt Nein’, den wir letztes Mal so laut gerufen haben, wurde im Gesetz verankert. Höchste Zeit. Schon seit langem fordern Feminist*innen das”, heißt es gleich im zweiten Absatz der Erklärung, die unter der Kategorie „Frauen und LGBTI*“ gepostet ist.

Der Fall der „Gina Lisa Lohfink“, mit der sich RIO „solidarisch“ erklärt, wird ähnlich wie die sogenannten „Ereignisse der Silvesternacht in Köln“ von Politik und Medien systematisch benutzt, um die innere Aufrüstung und die Verschärfung des Strafrechts voranzutreiben.

2012 war ein Sexvideo an die Öffentlichkeit gelangt, in dem Lohfink mit zwei Männern Geschlechtsverkehr hat. Sie behauptet, die beiden hätten ihr K.o.-Tropfen eingeflößt und sie vergewaltigt. Lohfink zeigte die beiden Männer an. Doch eine Richterin, die bei der Beweisfindung auf zusätzliches Video- und Fotomaterial zurückgreifen konnte und ein toxikologisches Gutachten erstellen ließ, urteilte, dass sich Lohfink einer Falschaussage schuldig gemacht habe. Sie sprach die beiden Angeklagten frei und verurteilte stattdessen die ehemalige „Germany’s Next Topmodel“-Teilnehmerin wegen Falschverdächtigung der zwei Männer zu einer Geldstrafe in Höhe von 24.000 Euro.

Daraufhin stürzte sich allen voran der deutsche Justizminister Heiko Maas auf den Fall, um die Dringlichkeit seines Vorhabens zu belegen, das Sexualstrafrecht zu verschärfen. „Wenn Täter nicht bestraft werden können, bedeutet das für die Opfer eine zweite bittere Demütigung“, erklärte der SPD-Politiker gegenüber der Bild-Zeitung. Die von ihm angestrengte Reform sei „dringend notwendig, um eklatante Schutzlücken zu schließen”. Täter müssten „konsequent bestraft werden können“. Auch SPD-Familienministerin Manuela Schwesig mischte sich in den Fall ein und erklärte: „‘Nein heißt nein’ muss gelten, ein ‘Hör auf’ ist deutlich.“

Tatsächlich ist der Fall „Gina Lisa“ so dubios, dass man selbst in den bürgerlichen Medien haufenweise Stimmen findet, die Lohfinks Version der Ereignisse in Frage stellen. „In Wahrheit ist im Fall Lohfink nur eines sicher: dass nichts eindeutig ist“, kommentierte jüngst Die Zeit. Wer die Ermittlungsakten lese, müsse „erhebliche Zweifel an der Darstellung bekommen, das Model sei vergewaltigt worden“. „Viele Details“ sprächen „gegen die Version von Lohfink und ihrem Anwalt“. Das „Nein, nein, nein“ könne „sich durchaus auf das Filmen beziehen, nicht auf den Geschlechtsverkehr,“ so die Wochenzeitung.

RIO hält das nicht davon ab, sich an die Spitze der hysterischen „Law and Order“-Kampagne zu stellen, die von der Bundesregierung vorangetrieben und von beiden Oppositionsparteien im Bundestag unterstützt wird. „Wir sind solidarisch mit Gina-Lisa, nicht nur, weil wir denken, dass ihr großes Unrecht geschieht, sondern weil wir damit auch uns und unsere Rechte verteidigen. Unsere Organisation gegen ihre Gewalt!“ heißt es im RIO-Statement.

Tatsächlich hat die von RIO (und dem deutschen Justizminister!) gepriesene Gesetzesnovelle weder etwas mit der Verteidigung von „Rechten“ zu tun, noch ist sie ein Mittel, Frauen vor Gewalt zu schützen. Sie ist Bestandteil einer konzertierten Kampagne in Politik und Medien, ein emotional aufgeladenes Thema zu missbrauchen, um den Staatsapparat zu stärken und insbesondere auch gegen Flüchtlinge vorzugehen. Die World Socialist Web Site hat den reaktionären Inhalt des sogenannten „Nein heißt Nein“-Gesetzes bereits in einem früheren Artikel ausführlich zusammengefasst.

Die Neuregelung des Paragrafen 177 des Strafgesetzbuches sieht u.a. vor, dass sexuelle Handlungen gegen den „erkennbaren Willen einer anderen Person“ von nun an mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft werden können. Das Perfide daran ist, dass es völlig unklar bleibt, wann ein Wille „erkennbar“ ist, wer diese Erkennbarkeit festlegt und ob der Täter ihn erkannt haben muss. Neben der Schaffung eines derartigen Gummiparagrafen, der nicht nur Anzeige und Ermittlung erleichtert, sondern auch richterlicher Willkür Tür und Tor öffnet, weitet das neue Sexualstrafrecht auch Straftatbestände massiv aus.

Ein Zusatz, der noch kurzfristig in das neue Gesetz aufgenommen wurde, erinnert an Sippenhaftung. Nach Paragraf 184 j kann jemand, der „sich an einer Personengruppe beteiligt, die eine andere Person zur Begehung einer Straftat umdrängt“, mit einer Freiheitsstrafe von „bis zu fünf Jahren“ bestraft werden, wenn ein Mitglied der Gruppe ein Sexualdelikt begeht. Außerdem erleichtert die gesetzliche Neuregelung die Abschiebung von straffällig gewordenen Ausländern, ganz unabhängig von der Höhe der verhängten Haftstrafe.

RIO ist sich über die reaktionäre Stoßrichtung des Gesetzes voll bewusst. Es sei „kein Grund zum feiern, denn e[s] wurde mit rassistischen Mitteln durchgesetzt. Gleichzeitig wurden mit ihm Abschiebungen erleichtert,“ heißt es im Statement. Das hält die Gruppierung aber nicht davon ab, sich am Ende ihrer Erklärung erneut ausdrücklich hinter die Gesetzesverschärfung zu stellen: „Ja, wir brauchen bessere Gesetze, um unsere Leben zu erleichtern.“

RIO’s Ruf nach schärferen Gesetzten ist kein Ausrutscher, sondern die gängige Praxis der Gruppe. Bereits am 10. Juni veröffentlichte einer ihrer führenden Vertreter, Wladek Flakin, einen Hetzartikel in der Jungen Welt, der eine härtere Bestrafung des der Vergewaltigung angeklagten US-Studenten Brock Turner forderte. Unter dem Titel „USA: Milde für den Elitestudenten“ geiferte Flakin im Stile eines rechten Hardliners: „Nur sechs Monate Haft nach Sexattacke an Stanford-Universität. Die Öffentlichkeit ist empört.“

Zu Flakins empörter Öffentlichkeit gehört allen voran der US-amerikanische Vizepräsident Joe Biden, der mit einem offiziellen Statement in das laufende Verfahren eingriff und den Richter – trotz der ziemlich nebulösen und widersprüchlichen Faktenlage – ebenfalls beschuldigte, ein zu mildes Urteil gefällt zu haben.

Die World Socialist Web Site sprach sich in einem ausführlichen Artikel gegen die von der Obama-Regierung sanktionierte Hetzkampagne gegen den mit dem Fall betrauten Richter Aaron Persky aus und kommentierte:

„Um es ganz klar zu sagen: Nichts an der Kampagne gegen das Turner-Urteil kann auch nur im Entferntesten als politisch oder gesellschaftlich fortschrittlich bezeichnet werden. Die feministischen Professorinnen an der Stanford University, die die Kampagne gegen Persky losgetreten haben und nach einer härteren Bestrafung Turners schreien, haben sich nicht die Mühe gemacht, über die Folgen ihrer Stellungnahme und ihres Handelns nachzudenken. Die Konzentration auf die ‚Rechte des Opfers‘ – die Vorstellung, dass Strafprozesse nicht dazu da sind, dem Angeklagten ein faires Verfahren zukommen zu lassen, sondern ihn ohne große Umstände zu verurteilen und den Wunsch des Opfers nach Rache zu befriedigen – ist seit Jahrzehnten ein Markenzeichen reaktionärer Rechtstheoretiker.“

Und weiter: „Die Medien und die etablierten Parteien in den USA sind seit Langem darauf spezialisiert, aus Tragödien finanzielles und politisches Kapital zu schlagen. Wenn sich an solchen reaktionären Kampagnen nun Figuren beteiligen, die sich als ‚links‘, ‚feministisch‘ und ‚progressiv‘ bezeichnen, dann zeigt das nur, welche Desorientierung in diesen Kreisen herrscht.“

Im Falle von RIO handelt es sich weniger um „Desorientierung“, sondern um eine bewusste Rechtswende auf der Grundlage von Identitätspolitik. RIO’s hysterische Kampagne für mehr „Härte“ gegen vermeintliche Sexualstraftäter in einem de facto Bündnis mit reaktionären Politikern wie Biden in den USA und Maas in Deutschland steht in direktem Zusammenhang mit der weltweiten Zuspitzung des Klassenkampfs. Wie die etablierten Vertreter der Bourgeoisie spüren auch ihre pseudolinken Anhängsel, dass die Kriegs- und Kürzungspolitik in Zukunft nur mit einem „starken Staat“ gegen den wachsenden Widerstand in der Arbeiterklasse durchgesetzt werden kann.

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