Nachdem die Sicherheitsbehörden in München den Amoklauf eines 18-Jährigen vor gut einer Woche für eine riesige Notstands- und Bürgerkriegsübung genutzt hatten, folgte am vergangenen Sonntag ein weiterer massiver Polizeiaufmarsch in Köln gegen eine Türkei-Demonstration.
Unter dem Motto „Ja zur Demokratie. Nein zum Staatsstreich“ hatte die AKP-nahe Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD) zu einer Großkundgebung gegen den versuchten Militärputsch in der Türkei vor zwei Wochen aufgerufen.
Präsident Erdoğan war am 15. Juli während des Putschversuchs nur knapp einem Mordanschlag entgangen. 265 Menschen kamen in der Putschnacht ums Leben. Es gibt Hinweise, dass nicht nur die amerikanische, sondern auch die deutsche Regierung auf das Gelingen des Putsches gesetzt hatte. Seitdem nutzt Erdoğan die Gelegenheit, um seine Gegner in Staat und Armee auszuschalten und seine Macht mit diktatorischen Maßnahmen zu befestigen.
Von Anfang an sprachen sich Politiker aller Parteien gegen die Kölner Kundgebung aus. Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) warnte die Teilnehmer davor, „innenpolitische Spannungen aus der Türkei zu uns nach Deutschland zu tragen“, und sagte der Süddeutschen Zeitung: „Menschen mit anderen politischen Überzeugungen einzuschüchtern, von welcher Seite auch immer, das geht nicht. Und das werden wir auch nicht zulassen.“
Ähnlich appellierte der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel auf seiner Facebook-Seite auf Deutsch und auf Türkisch, man dürfe die gesellschaftliche Spaltung in der Türkei nicht nach Deutschland tragen. Derselbe Gabriel hatte im Frühjahr den Henker von Kairo auf einer Pressekonferenz in der ägyptischen Hauptstadt als „beeindruckenden Präsidenten“ gelobt und ist an einer engen wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit dem ägyptischen Gewaltherrscher General Abdel Fattah al-Sisi interessiert. Doch in Bezug auf die Türkei liegen die deutschen Interessen anders.
CDU-Generalsekretär Peter Tauber sagte der Welt am Sonntag: „Wer der Abwicklung der türkischen Demokratie applaudiert, steht nicht auf dem Boden unseres Grundgesetzes.“ Grünen-Chef Cem Özdemir mahnte vor der Demonstration in der Presse, jede Kundgebung für oder gegen die türkische Führung müsse in Deutschland „auf dem Boden unserer Rechtsordnung“ stattfinden.
Besonders aggressiv äußerte sich die Linkspartei. Sevim Dağdelen, Vertreterin der Linken im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags, forderte von Kanzlerin Merkel „mehr Härte“ gegen Erdoğan und sagte der online-Zeitung n-tv.de am 24. Juli:„Erdoğans Programm ist der Bürgerkrieg … Ich finde, die Bundesregierung muss einen harten Kurs fahren, und das bedeutet: Keinen Cent mehr für den Amoklauf Erdoğans gegen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit … Wir brauchen Sanktionen gegen Erdoğan, ein Einreiseverbot und das Einfrieren seiner Konten.“
In den Medien wurde die Kölner Großkundgebung zur Unterstützung des türkischen Präsidenten als Provokation dargestellt und behauptet, gewalttätige Auseinandersetzungen seien vorprogrammiert. Stadtregierung und Polizei versuchten anfangs die Kundgebung ganz zu verbieten, und setzten schließlich harte Auflagen durch.
Fünf Gegendemonstrationen wurden zugelassen. Die faschistische ProNRW kündigte einen Marsch durch die Kölner Innenstadt unter dem Motto an: „Keine Huldigung für Erdoğan in Deutschland, stoppt den islamistischen Autokraten vom Bosporus“. Ihr Demonstrationszug sollte direkt an der türkischen Kundgebung vorbeiführen und war vom Verwaltungsgericht Köln gegen den Antrag des Polizeipräsidenten genehmigt worden.
Auch die Jusos, Linksjugend, Grüne Jugend und JuLi (d.h. die Parteijugend der SPD, der Linken, der Grünen und der FDP) organisierten eine Kundgebung „für Demokratie und Menschenrechte“ unter dem Motto „ErdoWahn Stoppen“.
Während das Kölner Verwaltungsgericht die provokative Aktion von ProNRW trotz Bedenken der Polizei genehmigte, lehnte es eine Live-Schaltung Erdoğans nach Köln ab. Das führte zu einer heftigen juristischen Auseinandersetzung.
Die Polizei hatte zunächst sowohl die Verwendung von Videowänden, als auch die Übertragung von Reden türkischer Regierungsmitglieder komplett untersagt. Dieses Verbot wurde durch das Verwaltungsgericht insoweit bestätigt, als es die Verwendung von Videowänden auf die Übertragung vor Ort anwesender Redner beschränkte. Dagegen beantragten die Veranstalter beim Bundesverfassungsgericht den Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Samstagabend lehnte dies die 3. Kammer des Ersten Senats einstimmig ab. In der nur zwei Absätze langen Begründung des Bundesverfassungsgerichts heißt es knapp: Eine „Verfassungsbeschwerde in gleicher Sache“ hätte „offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg“. Es sei „nicht ersichtlich, dass die angegriffenen Entscheidungen Grundrechte des Antragstellers verkannt hätten.“
Die türkische Regierung protestierte scharf und warf dem Bundesverfassungsgericht vor, seine Entscheidung verletze das Grundrecht der Rede- und Versammlungsfreiheit. In der Tat hat die Entscheidung der Verfassungsrichter weitreichende Bedeutung. Im Grundgesetz Art. 5 Abs. 1 heißt es: „(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten […] Eine Zensur findet nicht statt.“ Das Redeverbot als Mittel der Zensur ist aus der Nazi-Zeit noch bestens bekannt.
In Sondersendungen und Liveblogs wurde den ganzen Sonntag über den Aufmarsch der Polizei in Köln berichtet. Ein riesiges Polizeikontingent wurde in der Domstadt zusammengezogen. Mehrere Stunden lang war die Deutzer Brücke komplett gesperrt, und an beiden Brückenköpfen standen je ein Wasserwerfer und weitere gepanzerte Fahrzeuge. Im Ganzen waren über 2800 Polizisten im Einsatz, wie die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos) bestätigte. Acht Wasserwerfer und zahlreiche weitere Fahrzeuge, auch der Bundespolizei, waren im Einsatz, und am Himmel kreisten Polizeihubschrauber.
Das gesamte Kundgebungsgelände auf der Deutzer Werft war von allen Seiten von Polizei und mehreren Wasserwerfern umstellt, und auch auf dem Rhein befand sich durchgängig ein Schiff der Wasserschutzpolizei.
Am Ende verlief die Kundgebung der etwa 40.000 Erdoğan-Unterstützer ohne Zwischenfälle und glich eher einem großen Fest, zu dem zahlreiche Familien mit ihren Kindern gekommen waren. Das war vor allem dem besonnenen Vorgehen der türkischen Veranstalter zu danken, die alle Auflagen akzeptierten und am Ende eine schriftliche Grußbotschaft Erdoğans unter großem Beifall vorlasen. Als aus einer Gruppe fanatischer Erdoğan-Anhänger heraus der Ruf nach der „Todesstrafe“ skandiert wurde, geboten die Politiker auf der Bühne dem rasch Einhalt.
Eine Schweigeminute wurde nicht nur für die Opfer des Putschversuchs vom 15.Juli, sondern auch für die Opfer der Terrorangriffe in Paris und Nizza und des Amoklaufs in München abgehalten.
Trotz des friedlichen Verlaufs fordert Oberbürgermeisterin Henriette Reker eine „breite Diskussion“ über die Frage, ob man nicht das Demonstrationsrecht einschränken müsse. Dies hätten „unzählige Briefe, Emails und Anrufe von besorgten Bürgerinnen“ gefordert. „Ich kann die dort formulierten Sorgen sehr gut nachvollziehen und nehme sie sehr ernst“, so die Oberbürgermeisterin. Sie versprach, das Thema aufzugreifen und im Städtetag und anderen Gremien zur Sprache zu bringen.