Zwei Monate vor der Abgeordnetenhauswahl vom 18. September wenden sich immer mehr Berliner von der regierenden „Großen Koalition“ ab, die für Massenarmut, Wohnungsnot, Korruption und bürokratische Arroganz gegenüber Flüchtlingen, Arbeitslosen und allen Arbeitern der Stadt steht. Laut jüngsten Umfragen unterstützen nur noch 40 Prozent der Wähler die beiden Senatsparteien – 21 Prozent die SPD und 19 Prozent die CDU. Der Senat reagiert darauf mit einem massiven Law-and-Order-Wahlkampf.
Das ist der Hintergrund der heftigen Auseinandersetzungen in Friedrichshain-Kreuzberg, die am vergangenen Wochenende bundesweit Schlagzeilen machten. Sie wurden von Innensenator Frank Henkel (CDU) und der ihm unterstellten Polizei gezielt und, wie sich inzwischen herausstellte, rechtswidrig provoziert.
Mehr als tausend Polizisten, darunter Bundespolizisten und Beamte aus anderen Bundesländern, gingen in Bürgerkriegsmontur gegen rund 1800 Demonstranten vor, die gegen die teilweise Räumung des Hauses Rigaer Straße 94 am 22. Juni und gegen die permanenten Polizeischikanen, die die Anwohner seitdem erleiden müssen, protestierten.
Nach bisherigen Berichten gab es zahlreiche Verletzte auf beiden Seiten, darunter nach Polizeiangaben 123 Polizisten. 86 Demonstranten wurden verhaftet und über 100 Strafverfahren eingeleitet.
Hauseigentümer ist einer der berüchtigten Berliner Miethaie, der Immobilienfonds „Lafone Investment Limited“ mit Sitz in der Steueroase Britische Jungferninseln. Er versucht seit langem, die Bewohner des Hauses Rigaer Straße 94 zu vertreiben, und arbeitet dabei eng mit der Polizei zusammen.
Immer wieder kam es in und um das Haus, das Anfang der 90er Jahre besetzt worden war, inzwischen aber größtenteils von Bewohnern mit Mietverträgen belegt ist, zu Unruhen und Polizeiattacken. Ende 2015 erklärte die Polizei die Rigaer Straße und angrenzende Gebiete auf Grund angeblich gehäufter politisch motivierter Straftaten zu einem „kriminalitätsbelasteten Ort“ bzw. Gefahrengebiet nach dem Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetz (ASOG).
Seitdem patrouillieren permanent Polizeistreifen in dem Viertel, führen willkürliche Personenkontrollen durch und kontrollieren die Taschen. Am 13. Januar stürmten Hunderte Polizisten das Wohnprojekt „Rigaer 94“ unter dem Vorwand, Jugendliche seien in das Haus geflüchtet, nachdem sie einen Polizisten angegriffen hätten. Sie durchkämmten das Haus von oben bis unten, beschlagnahmten Computer, Fahrräder und andere Gegenstände und verhafteten Bewohner.
Am 22. Juni rückten schließlich mehrere Hundertschaften Polizei an, um das Erdgeschoss des Hauses im Auftrag der Hauseigentümer zu räumen – rechtswidrig, wie gestern das Berliner Landgericht feststellte. Danach hatte der Hauseigentümer weder einen Räumungstitel vorgelegt noch einen Gerichtsvollzieher bei der Vollstreckung mitgebracht. Die Nutzungsrechte des Klägers, des Freundesvereins der im Erdgeschoss befindlichen Szenekneipe „Kadterschmiede“, wurden vom Gericht bestätigt.
Die Begründung des Eigentümers, er habe das Erdgeschoss für die Belegung mit syrischen Flüchtlingen frei räumen wollen, wiesen die Bewohner zurück: „Wir werden uns nicht gegeneinander ausspielen lassen, sind solidarisch mit allen Geflüchteten und kämpfen für selbstverwaltete Räume, für alle, überall“, heißt es in einer Pressemitteilung. Auch die Flüchtlingsinitiative „Moabit hilft“ wies diese Behauptung als zynischen Vorwand zurück.
Die wiederholten Polizeiaktionen in Friedrichshain-Kreuzberg werden vordergründig mit dem Verdacht auf Straftaten und mit dem radikalen Wortgeklingel anarchistischer Kreise begründet. In Wirklichkeit verfolgen sie jedoch eine gezielte Politik: Sie sollen das politische Klima in der Hauptstadt aufheizen und nach rechts rücken sowie den Aufbau autoritärer Strukturen rechtfertigen.
Straßenschlachten mit anarchistischen Gruppen sind in Berlin nicht neu. Sie werden seit geraumer Zeit genutzt, um die Polizeiaufrüstung zu rechtfertigen. Dabei findet ein regelrechtes Wechselspiel zwischen Polizei und Anarcho-Aktivisten statt. Die Polizei nutzt die politische Beschränktheit der anarchistischen Gruppen und steuert nicht selten ihr Vorgehen – indirekt durch Provokationen und direkt durch Informanten und Spitzel.
Erst Anfang Juli berichtete die Berliner Zeitung über die Festnahme von Marcel G., der an der Serie von Autobrandstiftungen nach der Räumungsaktion vom 22. Juni beteiligt war. Er stamme aus der rechten Szene und habe offenbar mit der Polizei zusammengearbeitet, so der Bericht.
Die jüngste Straßenschlacht trägt sehr deutlich das Merkmal einer gezielten Inszenierung durch den Innensenat. Wie das Gerichtsurteil zur Teilräumung vom 22. Juni zeigt, war nicht nur die Räumung illegal, sondern auch der Einsatz von 300 Polizisten, den Henkel als Begleitschutz des Hauseigentümers veranlasst hatte. Diese rechtswidrige Aktion war dann überhaupt erst der Anlass für die Protestdemonstration am vergangenen Wochenende. Daher drängt sich die Vermutung auf, dass der Innensenat die massive und gewaltsame Auseinandersetzung mit der Polizei bei dieser Kundgebung von Anfang an so gewollt hat.
Eine üble Rolle bei dieser inszenierten „Gewaltorgie“ (Henkel) spielen die Medien. Bundesweit überboten sie sich schon am Sonntag mit reißerischen Berichten über die Polizeiaktion und die verletzten Polizisten.
FAZ-Korrespondent Markus Wehner schrieb unter dem Titel „Schwarzer Juli“, die „Linksextremen“ wollten „Berlin ins Chaos stürzen“, und seine Kollegin Regina Mönch kommentierte, der Senat bringe dem „Linksterrorismus“ zu viel Nachsicht entgegen. Der Spiegel klagte über die „Konzeptlosigkeit“ der Berliner Politik, die „beim Kampf gegen die Gewalt“ versagt habe. Auch der Bayernkurier meldete sich zu Wort und sprach vom „linken Sommer-Terror“.
Bundesweit stimmten führende Politiker in die Law-and-Order-Kampagne ein. Bundeskanzlerin Merkel forderte die uneingeschränkte Anerkennung des „Gewaltmonopols des Staates“. Bundesinnenminister Thomas de Maizière erklärte in der Berliner Zeitung: „Was jetzt dort an Härte nötig ist, das wird von mir voll unterstützt.“ Und CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer verlangte mehr Härte gegen „Staatsfeinde“.
Die Eskalation von Polizeigewalt und die faktische Verhängung des Ausnahmezustands in einem Stadtteil zielen darauf ab, Anhänger der AfD zu umwerben und eine Rechtsregierung vorzubereiten, um den wachsenden sozialen Widerstand der Berliner Bevölkerung zu unterdrücken.
Innensenator Henkel ist im April sogar nach China gereist, um sich über die dort praktizierten polizeistaatliche Methoden zu informieren; und Justizsenator Heilmann (CDU) setzt mit der Berufung des AfD-Vorstandsmitglieds Reusch zum Leitenden Oberstaatsanwalt auf einen stramm rechten Kurs der Justiz.