Perspektive

Der Klassenkampf kehrt zurück

25 Jahre lang wurde der Klassenkampf in den USA, Großbritannien und anderen Industrienationen künstlich unterdrückt, doch mittlerweile mehren sich die Anzeichen, dass das nicht mehr lange anhalten wird.

In den letzten Wochen kam es in Frankreich trotz des Notstands, den die rechte Sozialistische Partei ausgerufen hat, zu einer Welle von Streiks und Protesten gegen eine reaktionäre „Reform“ des Arbeitsrechts. In Griechenland kam es zu einem Generalstreik gegen die Sparmaßnahmen der pseudolinken Syriza-Regierung. In Großbritannien streikten Assistenzärzte gegen die Sozialkürzungen, die die Konservativen mit Unterstützung der Labour Party durchgesetzt haben. In Belgien streikten die Fluglotsen, und auch in Indien und China kommt es immer häufiger zu Streiks.

In den USA führen 39.000 Beschäftigte des globalen Telekommunikationsriesen Verizon seit nunmehr sechs Wochen den größten Arbeitskampf seit vielen Jahren. Dies sind zwar bedeutende Anzeichen eines Erwachens des Klassenkampfs im Zentrum des Weltkapitalismus, aber es sind nur die ersten Stadien. Sie fallen zusammen mit einer Serie von Streiks und massiven Krankschreibungen der Lehrer in Detroit und anderen Städten, und einer Welle von Sozialprotesten u.a. gegen die Vergiftung des Trinkwassers in Flint, Michigan, und Protesten gegen Polizeimorde an unbewaffneten Arbeitern und Jugendlichen.

Die Gewerkschaften versuchen, alle diese Kämpfe zu verraten und zu sabotieren. Bei Verizon haben die Communications Workers of America (CWA) und die International Brotherhood of Electrical Workers (IBEW) die streikenden Arbeiter isoliert und nichts gegen die vom Unternehmen finanzierten Streikbrecher unternommen, die auf Streikposten losgehen und von der Polizei eskortiert und beschützt werden.

Stattdessen versuchen sie verzweifelt, den Streik möglichst schnell zu beenden und einen miserablen Tarifvertrag durchzusetzen. Am Donnerstag veröffentlichten 88 Demokratische Kongressabgeordnete, die mit der CWA und der IBEW verbündet sind, einen offenen Brief mit der Aufforderung, den Streik zu beenden.

2015 konnte die Gewerkschaft United Auto Workers nur mit großer Mühe eine Rebellion der Autoarbeiter gegen den faulen Tarifvertrag unterdrücken, den sie mit den Detroiter Autobauern ausgehandelt hatte. Doch trotz aller Anstrengungen der Gewerkschaftsbürokratie kam es im letzten Jahr zu einer bescheidenen, aber merklichen Erhöhung der Streikaktivität.

Das amerikanische Bureau of Labor Statistics (BLS) veröffentlichte im Februar Zahlen, die den Wendepunkt im Klassenkampf in Amerika veranschaulichen. Laut diesen Zahlen hat sich die Zahl der verlorenen Arbeitstage durch größere Arbeitskämpfe 2015 im Vergleich zum Vorjahr um 400 Prozent erhöht. Den Großteil dieser Erhöhung macht der viermonatige Streik von 5.000 Ölarbeitern in den USA in diesem Jahr und die Aussperrung von 2.000 Stahlarbeitern durch das Pittsburgher Unternehmen Allegheny Technologies aus.

Der Verizon-Streik wird die Zahl der ausgefallenen Tage durch Arbeitskämpfe 2016 deutlich erhöhen. Gleichzeitig stehen noch neue Tarifverträge für 573.000 Postbeschäftigte, hunderttausende von staatlichen und öffentlich Beschäftigten und Lehrern, und für hunderttausende von Beschäftigten im Einzelhandel aus.

Die Streikaktivität liegt deutlich unter dem in den 1940ern bis 1980ern üblichen Niveau. Im Jahr 2015 gab es zwölf große Arbeitskämpfe (d.h. mit mehr als 1.000 beteiligten Arbeitern), an denen zusammen 47.000 Arbeiter beteiligt waren. Dies war zwar eine Erhöhung im Vergleich zum Vorjahr, liegt aber deutlich unter dem Rekordwert von 1952. Damals waren 2,7 Millionen Arbeiter an 470 großen Arbeitskämpfen beteiligt.

In den 1980ern verriet die AFL-CIO eine Welle von erbitterten Streiks gegen Massenentlassungen, Lohnsenkungen und gewerkschaftsfeindliche Aktivitäten der Unternehmen. Ihr erster Verrat war die Sabotage des PATCO-Fluglotsenstreiks von 1981 und ihre stillschweigende Unterstützung für die Entlassung von 11.000 Streikenden durch die Regierung Reagan, die dazu noch auf schwarze Listen gesetzt wurden. Danach sank die Zahl der Streiks in den USA auf einen historischen Tiefpunkt. Das Anwachsen sozialer Ungleichheit und der rekordverdächtige Anstieg der Vermögen der Wirtschafts- und Finanzelite waren direkte Folgen des faktischen Verschwindens jeder Form von organisiertem Klassenkampf.

Der Zusammenbruch des Finanzsystems im Jahr 2008 und die darauf folgenden Angriffe auf Arbeitsplätze, Löhne und Sozialprogramme lähmten und desorientierten die Arbeiterklasse. Doch als klar wurde, dass die herrschenden Klassen der Welt die Krise ausnutzen wollten, um die sozialen Errungenschaften der Vergangenheit auszulöschen, und die Arbeiterklasse in die Armut stürzen wollten, begannen die Arbeiter zu erkennen, dass es keine Alternative zu erbitterten Kämpfen gab.

Das Wiederaufleben des Klassenkampfs äußert sich politisch in der Abkehr der Arbeiter von allen offiziellen, von den Gewerkschaften unterstützten „linken“ Parteien: von der Labour Party in Großbritannien, der Sozialistischen Partei in Frankreich, und von der SPD in Deutschland.

In den USA geht die zunehmende Militanz der Arbeiterklasse einher mit dem Beginn einer starken politischen Radikalisierung, die sich anfangs in der breiten Unterstützung für Bernie Sanders äußerte. Seine Behauptung, er sei Sozialist, hat seine Anziehungskraft für Millionen von Arbeitern und Jugendlichen verstärkt, die den Kapitalismus ablehnen und nach einer radikalen Alternative suchen. Sein Wahlkampf ist eine präventive Reaktion auf das Anwachsen des Klassenkampfes und die Gefahr der Entstehung einer unabhängigen politischen und revolutionären Bewegung der Arbeiterklasse. Er verfolgt das Ziel, diese Bewegung in der Demokratischen Partei gefangen zu halten.

Donald Trumps Wahlkampf ist ebenfalls eine präventive Reaktion auf den wachsenden Widerstand der Arbeiterklasse gegen die bestehende wirtschaftliche und politische Lage. Sie zielt darauf ab, diese Bewegung in chauvinistische und nationalistische Kanäle zu lenken und die Bedingungen für einen noch offeneren Einsatz von Gewalt zur Unterdrückung sozialer Spannungen im Inland zu schaffen.

Das Wiederaufleben des Klassenkampfs befindet sich zwar erst im Anfangsstadium, aber es wird sich explosionsartig ausweiten. Es wird angetrieben von der Krise des Weltkapitalismus, der nur Armut, Diktatur und das Grauen eines globalen Atomkriegs anzubieten hat. Alle diese Kämpfe, egal ob es Streiks oder Sozialproteste sind, werfen revolutionäre Fragen und die Frage nach der politischen Macht auf.

Die erste Aufgabe der Arbeiter ist es, aus der Kontrolle der reaktionären pro kapitalistischen Gewerkschaftsbürokratien auszubrechen. Doch wie Leo Trotzki im Gründungsprogramm der Vierten Internationale, dem Übergangsprogramm, erklärte, wird diese Aufgabe durch mächtige objektive Kräfte erleichtert:

„Die Orientierung der Massen wird zum einen durch die objektiven Bedingungen des niedergehenden Kapitalismus, und zum anderen durch die verräterische Politik der alten Arbeiterorganisationen bestimmt. Der erste dieser beiden Faktoren ist natürlich der entscheidende: die Gesetze der Geschichte sind stärker als die bürokratischen Apparate.“

Die dringendste und wichtigste Aufgabe ist der Aufbau einer revolutionären marxistischen Führung, um die diversen Kämpfe zu einem gemeinsamen großen Klassenkampf zu vereinen und ihm eine revolutionäre politische Perspektive zu geben.

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