Im Mehring Verlag ist „Die Tragödie der chinesischen Revolution“ von Harold Isaacs in der Übersetzung von Gisela Bean erschienen. Das klassische Werk, das der amerikanische Journalist in enger Zusammenarbeit mit Leo Trotzki verfasste und 1938 veröffentlichte, ist damit erstmals auch einer deutschen Leserschaft zugänglich.
Es kann direkt über den Verlag oder den Buchhandel bestellt werden. Wir veröffentlichen hier das Vorwort des Verlags zur deutschen Ausgabe.
Zu diesem Buch
Die zweite chinesische Revolution der Jahre 1925 bis 1927 – die erste hatte 1911/12 die Mandschu-Dynastie gestürzt – zählt zu den prägenden Ereignissen des 20. Jahrhunderts, die bis heute nachwirken. Trotzdem ist sie einem breiteren Publikum so gut wie unbekannt. Grund ist, dass weder die imperialistischen Großmächte, deren Schützling Chiang Kai-shek unter Arbeitern und Bauern ein Blutbad anrichtete, noch die stalinistische Bürokratie in Moskau, die die chinesische Kommunistische Partei in eine Katastrophe trieb, ein Interesse daran hatten, das Geschehen historisch aufzuarbeiten. Auch das Regime Mao Zedongs, das 1949 in der dritten chinesischen Revolution an die Macht gelangte, sah keinen Anlass, seine eigene kompromittierende Vergangenheit einer kritischen Überprüfung zu unterziehen. Dasselbe gilt für seine Erben, die heute die chinesischen Arbeiter ähnlich brutal unterdrücken wie damals Chiang Kai-shek.
Harald Isaacs „Tragödie der chinesischen Revolution“ schließt diese historische Lücke. 1938 erstmals in englischer Sprache veröffentlicht, bleibt das Buch bis heute die wohl beste Darstellung und Analyse der zweiten chinesischen Revolution.
Isaacs ging „als Revolutionär“ an sein Thema heran, wie Leo Trotzki im Vorwort zur englischen Erstausgabe schrieb, das wir auch der deutschen Ausgabe voranstellen. Trotzki erklärt auch, weshalb dies nicht im Widerspruch zu einer gewissenhaften, objektiven Darstellung steht, sondern vielmehr deren Voraussetzung ist.
Der 1910 in New York geborene Isaacs kannte das Land, über das er schrieb, trotz seiner Jugend sehr genau. Nach dem Studium an der Columbia-Universität war er im Alter von 21 Jahren als Journalist nach China gegangen, wo er Teile des Landes bereiste und über fünf Jahre blieb. Die Empörung über die fürchterliche Armut und Unterdrückung, unter der die große Mehrheit der Bevölkerung lebte, brachte ihn in Kontakt mit der Kommunistischen Partei, die im Untergrund operierte. 1932 gründete er in Schanghai die englischsprachige, der Kommunistischen Partei nahestehende Wochenzeitung „The China Forum“.
Aufgrund seiner Beschäftigung mit der chinesischen Geschichte sah Isaacs die Politik der stalinistischen KP zunehmend kritisch. Anfang 1934 brach er mit ihr, schloss sich den chinesischen Trotzkisten an und ging nach Peking, wo er die Arbeit an der „Tragödie der chinesischen Revolution“ begann. Mit Unterstützung einiger Sympathisanten sammelte und übersetzte er dafür hunderte Dokumente, viele aus den versteckten Archiven von Revolutionsteilnehmern.
1935 kehrte Isaacs in die USA zurück. Auf dem Rückweg führte er in Europa Diskussionen mit Leo Trotzki, mit dem er auch anschließend in brieflichem Kontakt blieb. Trotzki verfolgte die Arbeit an Isaacs Buch und gab Anregungen und Änderungsvorschläge. [1] Isaacs interviewte auch Henk Sneevliet (Maring), der sich von 1921 bis 1923 als Vertreter der Komintern in China aufgehalten hatte und jetzt in den Niederlanden die Revolutionär-Sozialistische Partei führte, die den Aufruf zur Gründung der Vierten Internationale unterstützt hatte. In den USA schloss sich Isaacs der trotzkistischen Bewegung an und schrieb zeitweise für deren Zeitung „Socialist Appeal“.
Das Ergebnis von Isaacs mehrjähriger Arbeit ist sowohl eine minutiöse und lebendige Darstellung der Ereignisse in China als auch eine marxistische Analyse der Geschichte und der Klassenstruktur Chinas und der Rolle der verschiedenen gesellschaftlichen Klassen und politischen Parteien in der Revolution. Sie ist vor allem eine verheerende Anklage gegen die stalinistische Führung der Komintern, die die chinesische Revolution ruinierte, indem sie die Kommunistische Partei zwang, sich der bürgerlichen Guomindang unterzuordnen. Sie sollte als Leitfaden zu den umfangreichen Schriften Leo Trotzkis gelesen werden, die die Politik der Komintern unter der Leitung von Stalin und Bucharin einer scharfen Kritik unterziehen und die Theorie der permanenten Revolution, auf deren Grundlage in Russland die Oktoberrevolution gesiegt hatte, weiterentwickeln.
Harold Isaacs brach im Verlauf des Zweiten Weltkriegs mit seinen revolutionären Überzeugungen und passte sich den antikommunistischen Stimmungen an, die in den USA der Nachkriegszeit vorherrschten. 1951 veröffentlichte er eine revidierte Neuausgabe seines Buches, das er – ohne neue Fakten und Forschungserkenntnisse zu präsentieren – an seine neue Weltsicht anpasste. Die deutsche Übersetzung beruht auf der ersten, unverfälschten Ausgabe von 1938.
Auswirkungen auf die Sowjetunion
Die Niederlage der zweiten chinesischen Revolution hatte Auswirkungen, die weit über China und Ostasien hinaus reichten. In der Sowjetunion markierte sie einen Wendepunkt im Kampf zwischen der Stalin-Fraktion und der Linken Opposition.
Die stalinistischen Angriffe auf Trotzki und die Linke Opposition hatten sich von Anfang an auf die Theorie der permanenten Revolution konzentriert. Sie besagt in Bezug auf Länder mit einer verspäteten bürgerlichen Entwicklung, dass die vollständige Lösung ihrer demokratischen Aufgabe und des Problems ihrer nationalen Befreiung nur möglich sei, wenn die Arbeiterklasse als Führerin der unterdrückten Nation und vor allem ihrer Bauernmassen die Macht ergreife. Sie hatte 1917 die strategische Grundlage der russischen Oktoberrevolution gebildet und war durch diese bestätigt worden.
In China zeigten sich die verheerenden Konsequenzen der Zurückweisung der Theorie der permanenten Revolution. Unter Stalin und Bucharin verfolgte die Kommunistische Internationale einen diametral entgegengesetzten Kurs. Sie beharrte darauf, dass die Führung der Revolution in den Händen der chinesischen Bourgeoisie bleiben müsse, und kopierte damit im Wesentlichen die Politik, die die menschewistischen Gegner der Bolschewiki 1917 verfolgt hatten. Sie schloss ein Bündnis mit der bürgerlichen Guomindang Chiang Kai-sheks, versorgte sie mit politischen Beratern, militärischen Ausbildern und Waffen und zwang die Kommunistische Partei Chinas, innerhalb der Guomindang zu arbeiten und sich ihrer Disziplin zu fügen. Im April 1927 folgte die Katastrophe, vor der Trotzki inständig gewarnt hatte: Chiang Kai-shek wandte sich gegen seine kommunistischen Verbündeten und schlachtete in Shanghai Tausende kommunistische Arbeiter ab. Im Juli folgte ein weiteres Massaker durch die „linke“ Guomindang in Wuhan. Isaac schildert dieses Massaker anschaulich in diesem Buch.
Obwohl er die Hauptverantwortung für die chinesische Niederlage trug, stärkte sie Stalins Herrschaft. Die verheerenden Folgen seiner Politik sowie die Bestätigung von Trotzkis Kritik führten der Linken Opposition mehrere Tausend neue Anhänger zu. Aber die demoralisierende Wirkung der chinesischen Niederlage wog schwerer, wie Trotzki in seiner Autobiografie „Mein Leben“ schrieb:
„Viele junge Genossen glaubten, dass ein so offensichtlicher Bankrott der Stalinschen Politik den Sieg der Opposition näherbringen müsste. In den ersten Tagen nach dem Staatsstreich Chiang Kai-sheks habe ich viele Eimer kalten Wassers über die heißen Köpfe meiner jungen und auch nicht jungen Freunde gießen müssen. Ich versuchte zu beweisen, dass die Opposition sich nicht auf der Niederlage der chinesischen Revolution aufrichten dürfe. Die Bestätigung unserer Prognose werde uns zwar tausend, fünftausend, zehntausend neue Anhänger bringen. Für die Millionen aber sei nicht die Prognose, sondern die Tatsache der Niederschlagung des chinesischen Proletariats von entscheidender Bedeutung. Nach der Niederlage der deutschen Revolution im Jahre 1923, nach dem Zusammenbruch des englischen Generalstreiks von 1926 werde diese neue Niederlage in China die Enttäuschung der Massen in bezug auf die internationale Revolution nur verstärken. Und gerade diese Enttäuschung bilde die psychologische Quelle für die Stalinsche Politik des Nationalreformismus.
Sehr bald schon zeigte es sich, dass wir als Fraktion tatsächlich stärker geworden waren, das heißt ideologisch einheitlicher und zahlenmäßig größer. Die Nabelschnur aber, die uns mit der Macht verbunden hatte, war von dem Schwerte Chiang Kai-sheks durchschnitten worden. Seinem restlos kompromittierten russischen Verbündeten Stalin blieb nichts weiter übrig, als die Niederschlagung der Arbeiter von Shanghai durch die organisatorische Niederschlagung der Opposition zu ergänzen.“ [2]
Im November 1927 wurden Trotzki und andere führende Oppositionelle aus der Kommunistischen Partei ausgeschlossen. Im Januar 1928 wurde Trotzki nach Alma Ata an der chinesischen Grenze, das heutige Almaty, verbannt und ein Jahr später aus der Sowjetunion ausgewiesen.
Auswirkungen auf China
Die Folgen der Tragödie von 1927 prägen China bis heute. Sie veränderten die soziale Zusammensetzung und die politische Orientierung der Kommunistischen Partei. Während einige überlebende Kader, darunter der Gründer und bisherige Vorsitzende Chen Duxiu, die Richtigkeit von Trotzkis Kritik anerkannten und sich der Linken Opposition zuwandten, hatten die Ermordung tausender Kommunisten und der Terror der Guomindang zur Folge, dass die KPCh ihren dominierenden Einfluss in der städtischen Arbeiterklasse fast vollständig verlor. Viele ihrer Kader flohen aufs Land, wo weiterhin Bauernaufstände tobten, und übernahmen die Führung von Bauernarmeen. Laut Peng Shuzhi, einem Gründungsmitglied der KPCh und späteren Führer der Linken Opposition, sank der Anteil der Industriearbeiter unter den Parteimitgliedern von 58 Prozent im Jahr 1927 auf weniger als ein Prozent im Jahr 1931. [3]
Der Aufstieg Mao Zedongs, der 1935 die Führung der Kommunistischen Partei übernahm, fiel mit dieser Veränderung ihrer sozialen Basis zusammen. Mao zählte zum rechten Flügel der Partei und brach nie mit der stalinistischen Politik, die 1927 zu ihrer Niederlage geführt hatte. Sein erklärtes Ziel war nicht die Errichtung der Arbeitermacht, sondern einer, wie er es nannte, „demokratischen Diktatur des Volkes“. Zum Volk zählte er neben der Arbeiterklasse auch die Bauernschaft, das städtische Kleinbürgertum und die nationale Bourgeoise.
Während des Kriegs gegen die japanischen Invasoren, der von 1937 bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs dauerte, vereinbarte Mao eine Einheitsfront mit der Guomindang. Hinter der Front ging der Bürgerkrieg zwischen Chiang Kai-sheks Truppen und Maos Roter Armee allerdings weiter. Nach der Niederlage der Japaner entbrannte er wieder in voller Stärke, bis die Rote Armee 1949 Chiang Kai-shek vom Festland vertrieb und die Volksrepublik China gründete.
Maos Bemühungen, zu einer Übereinkunft mit Chiang Kai-shek zu kommen, waren letztlich am korrupten und verkommenen Charakter der chinesischen Bourgeoisie gescheitert. Zudem ermöglichten eine Reihe besonderer Umstände den Sieg der Roten Armee: die Schwäche der imperialistischen Mächte nach dem Zweiten Weltkrieg – Japan war geschlagen und die USA zögerten, sich auf eine Intervention einzulassen – und die Unterstützung der sowjetischen Armee, die die Mandschurei von der japanischen Besatzung befreit hatte.
Der Arbeiterstaat, der aus der dritten chinesischen Revolution hervorging, hatte von Anfang an einen deformierten Charakter. Anders als die Sowjetunion war er nicht das Ergebnis einer proletarischen Revolution, in der unabhängige Organe der Arbeiterklasse, Sowjets, die Macht ergriffen. Stattdessen eroberte die Rote Armee, die hauptsächlich aus Bauern bestand, die Städte vom Lande her und unterdrückte von Anfang an jede Spur von Arbeiterdemokratie. Die Offizierskaste dieser Armee, die mit der Führung der Kommunistischen Partei identisch war, lieferte eine fertig entwickelte Bürokratie für den neuen Staat, die die Macht straff in ihren Händen hielt.
Trotzki hatte in einem Brief an die chinesische Linke Opposition, der 1932 unter dem Titel „Der Bauernkrieg in China und das Proletariat“ veröffentlicht wurde, aufgrund seiner eigenen Erfahrungen als Oberkommandierender der sowjetischen Roten Armee die Rolle der chinesischen Bauernarmeen analysiert. Er hatte bereits damals gewarnt:
„Die kommandierende Schicht der chinesischen ‚Roten Armee‘ konnte sich zweifellos eine eigene Kommandopsychologie erarbeiten. Wenn eine starke revolutionäre Partei und proletarische Massenorganisationen fehlen, ist eine Kontrolle über die kommandierende Schicht faktisch ausgeschlossen. Kommandeure und Kommissare sind uneingeschränkt Herren der Lage und werden, wenn sie in die Städte einziehen, sehr dazu neigen, auf die Arbeiter herabzusehen. Die Forderungen der Arbeiter werden ihnen nicht selten unzeitgemäß oder unangebracht erscheinen.“ [4]
Das innere Leben der Volksrepublik wurde durch heftige Fraktionskämpfe zwischen verschiedenen Flügeln der herrschenden Bürokratie bestimmt, die die Klassendifferenzierung der chinesischen Gesellschaft widerspiegelten. Verschärft wurden diese Konflikte durch Maos nationalistische Wirtschaftspolitik. Er verherrlichte das, was die eigentliche Schwäche Chinas ausmachte – der fehlende Zugang zur Weltwirtschaft und ihren modernen Technologien – als das spezifisch ‚Sozialistische‘ am chinesischen Weg. Die voluntaristischen Kampagnen, mit denen er die daraus resultierenden Probleme unter ungeheurem Verschleiß menschlicher Arbeitskraft zu überwinden suchte, führten das Land mehrmals an den Rand des wirtschaftlichen Ruins und des Bürgerkriegs.
Die Krisen stärkten den Flügel der Bürokratie, der Chinas Anschluss an die Weltwirtschaft auf kapitalistischer Grundlage anstrebte und schließlich seine reinste Verkörperung in Maos langjährigem Weggefährten Deng Xiaoping fand. Mao selbst leitete in den siebziger Jahren den Kurs auf die kapitalistische Restauration ein, als er US-Präsident Richard Nixon und andere Vertreter des Imperialismus in Peking empfing. Die neue bürgerliche Herrscherschicht, die China in ein gigantisches Ausbeutungsparadies für das globale Kapital verwandelt und sich selbst dabei hemmungslos bereichert hat, ist nahtlos aus der stalinistischen Kommunistischen Partei hervorgegangen und hat sogar deren Namen und Symbole beibehalten.
Die gesellschaftlichen Widersprüche, die heute das bevölkerungsreichste Land der Welt beherrschen, sind ähnlich explosiv wie in den 1920er Jahren, von denen dieses Buch handelt, mit einem Unterschied: Die Arbeiterklasse, die damals einige Hunderttausend Menschen zählte, umfasst heute mehrere hundert Millionen. Der Maoismus hat die Probleme Chinas nicht gelöst, er hat sie nur auf einer höheren Ebene reproduziert. Für das chinesische Proletariat verläuft der einzige Ausweg aus dieser Sackgasse auf dem Weg der permanenten Revolution.
Fußnoten
[1] Ein Teil der Korrespondenz findet sich in deutscher Übersetzung in: Leo Trotzki, Schriften 2. Über China, Band 2.2 (1928-1940), Hamburg 1990
[2] Leo Trotzki, Mein Leben, Berlin 1930‚ S. 514f.
[3] P’eng Shu-tse [Peng Shuzhi], The Chinese Communist Party in Power, New York 1980, S. 130
[4] Leo Trotzki, „Der Bauernkrieg in China und das Proletariat“, in: Schriften 2. Über China, Band 2.2, Hamburg 1990, S. 764.
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