Ausbau von Nord Stream verschärft Spannungen innerhalb der EU

Ende November forderten mehrere osteuropäische EU-Mitglieder die Europäische Kommission in einem Brief auf, das Pipelineprojekt Nord Stream 2 zu stoppen. Nord Stream verläuft durch die Ostsee und liefert russisches Gas direkt nach Deutschland. Die Ausweitung der Pipeline wird von führenden deutschen, österreichischen und französischen Energieunternehmen unterstützt. Insbesondere Polen fürchtet, dass dadurch die Herausbildung einer politischen Achse zwischen Deutschland und Russland gefördert wird.

Das Zustandekommen des Nord-Stream-Projekts, dessen ersten beiden Stränge 2011 in Betrieb gingen, ist maßgeblich auf den ehemaligen deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder zurückzuführen, der seit seinem Rücktritt 2003 im Aufsichtsrat der Nord Stream AG sitzt. Die Pipeline ist nicht nur für Russland wichtig, das in hohem Maße von Energieexporten in die EU abhängig ist, sondern auch für Deutschland, das durch das Projekt zu einer zentralen Drehscheibe für Energie in der EU geworden ist.

Für den Kreml ist der Ausbau um zwei weitere Stränge von großer politischer und wirtschaftlicher Bedeutung. Trotz des Versuchs, die Verbindungen nach Asien auszubauen, kommen die Haupteinnahmen aus dem Öl- und Gasexport immer noch aus Europa. Die Verhandlungen über die Pipeline „Kraft Sibiriens“, die unter anderem Gas nach China liefern soll, sind immer noch nicht abgeschlossen.

Am vergangenen Donnerstag stoppte die russische Regierung außerdem wegen des türkischen Abschusses eines russischen Jets über Syrien den Bau der Pipeline Turkish Stream. Turkish Stream sollte als Ersatz für die Pipeline South Stream dienen, deren Bau Ende 2014 aufgrund massiven politischen und wirtschaftlichen Drucks der EU gestoppt wurde. Die Türkei, gegen die Russland nun umfangreiche Sanktionen verhängt hat, war der letzte wachsende Absatzmarkt für Gazprom in Europa.

Der Ausbau von Nord Stream wurde im Sommer vom russischen Staatskonzern Gazprom angekündigt. Seitdem haben sich die französische Engie (früher GDF Suez), die österreichische OMV, die deutschen Energiekonzerne E.On und Wintershall sowie der britisch-niederländische Konzern Shell dem Projekt angeschlossen. Gazprom hält 50 Prozent an dem Joint Venture und die anderen Unternehmen jeweils 10 Prozent.

Das Projekt hatte vor allem von Seiten Polens von Anfang an heftigen Protest hervorgerufen. Der Deal ist auch deshalb brisant, weil führende westeuropäische Energiekonzerne trotz der offiziellen Sanktionen gegen Russland demonstrativ ein langfristiges Milliardenprojekt mit einem russischen Staatskonzern unterstützen.

Der Ausbau von Nord Stream würde den Anteil von russischem Gas am europäischen Verbrauch konstant halten oder sogar steigern. Zurzeit kommt Russland für rund ein Drittel der europäischen Öl- und Gasimporte auf. Viele EU-Staaten bemühen sich vor allem aus außenpolitischen Gründen, unabhängiger von russischem Gas zu werden.

Nord Stream untergräbt außerdem die Stellung der Ukraine als Transitland für russisches Gas. Derzeit fließt rund die Hälfte der russischen Gaslieferungen in die EU durch die Ukraine. Die Transitgebühren sind für die Ukraine von großer Bedeutung. Laut Premierminister Arsenij Jazenjuk würde die Ukraine durch Nord Stream 2 insgesamt zwei Milliarden US-Dollar jährlich verlieren. Jazenjuk hat die EU-Kommission in den vergangenen Monaten wiederholt aufgefordert, das Projekt zu stoppen.

Am letzten Novemberwochenende haben nun auch Polen, die Slowakei, Ungarn, Estland, Lettland, Litauen und Rumänien die EU-Kommission in einem Brief zum Stopp des Projekts aufgefordert. Griechenland und die Tschechische Republik, die zuerst auch als Unterzeichner des Briefes genannt wurden, haben im Laufe der Woche erklärt, dass sie den Aufruf nicht unterstützen.

Der Brief warnt die EU-Kommission, ihre Haltung zu dem Projekt werde „die Wahrnehmung der gemeinsamen EU Außen- und Sicherheitspolitik unter ihren wichtigsten Verbündeten und traditionellen Partnern“ wesentlich beeinflussen. Es liege „im strategischen Interesse der EU als Ganzer, die Transportroute über die Ukraine beizubehalten, nicht nur vom Standpunkt der Energiesicherheit, sondern auch was die Bewahrung der Stabilität in der osteuropäischen Region betrifft“.

In einer ersten Reaktion erklärte EU-Energiekommissar Miguel Arias Cañete am Donnerstag, die Ukraine sei eine „sichere Transitroute“. Gas solle auch weiterhin über die Ukraine fließen. Ansonsten bekräftigte die Kommission ihre vorherige Stellungnahme, Nord Stream 2 müsse wie jedes Energieprojekt den EU-Gesetzen entsprechen.

An vorderster Front im Kampf gegen das Projekt steht Polen. Der polnische Präsident Andrzej Duda hat Berlin beschuldigt, die legitimen wirtschaftlichen Interessen Polens zu ignorieren und mit dem Ausbau der Pipeline die Einheit der EU in Frage zu stellen. Polen hatte auch schon heftig gegen den ersten Teil des Projekts protestiert, der vor vier Jahren fertig gestellt wurde.

Die USA haben sich zwar bisher eher im Hintergrund gehalten, es gab aber auch kritische Stimmen von Regierungsvertretern. So zitierte die Nachrichtenagentur Reuters einen Mitarbeiter des Energieministeriums mit den Worten, die USA sähen das Projekt mit Unbehagen, weil es Europa stärker in den Einflussbereich Moskaus bringe. Die staatliche russische Nachrichtenagentur Sputnik spekulierte sogar, die US-Regierung stehe hinter dem Brief der osteuropäischen Staaten.

Die herrschenden Kreise Deutschlands sind über die Haltung zu Russland gespalten. Während Teile der Presse gegen Russland hetzen, stellen sich deutsche Großkonzerne zunehmend gegen die Wirtschaftssanktionen. So hat die BASF, der größte Chemiekonzern der Welt, vor einigen Monaten ein milliardenschweres Geschäft mit Gazprom abgeschlossen.

Vize-Kanzler Sigmar Gabriel (SPD) hat sich Ende Oktober in Moskau mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin getroffen und seine Unterstützung für Nord Stream 2 bekundet – was die Bundesregierung als Ganze bisher nicht getan hat. Gabriel betonte, die Kontrolle über das Projekt müsse bei russischen und deutschen Energieagenturen bleiben, damit es „keine Einmischung von außen“ gebe. Damit meinte er offenbar nicht nur Brüssel, sondern auch die USA.

Außenminister Frank-Walter Steinmeier sprach sich ebenfalls für eine Zusammenarbeit mit Russland im Energiebereich aus. In einem Brief an EU-Kommissarin Cecilia Malström, der der Financial Times vorliegt, schlägt der Bundesaußenminister vor, die EU solle „auf Russland zugehen“, indem sie eine Erklärung über Energie und den Schutz von Investitionen unterzeichne. Diese Initiative, heißt es in dem Brief, werde auch von Bundeskanzlerin Angela Merkel unterstützt.

Die russische Regierungszeitung RossiskajaGaseta begrüßte Steinmeiers Brief als deutschen Versuch, „einen Raum offen zu lassen für den Dialog“ mit Russland.

Kurz davor waren trilaterale Verhandlungen zwischen der EU, der Ukraine und Russland über die Auswirkungen des EU-Assoziierungsabkommens mit der Ukraine gescheitert. Dieses Abkommen gliedert die Ukraine weitgehend in den EU-Markt ein. Die Weigerung des damaligen ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch, das Abkommen zu unterzeichnen, hatte im November 2013 die Ereignisse in Gang gesetzt, die zu seiner Absetzung im Februar 2014 führten.

Loading