Die Wahl in Argentinien und die Linke Arbeiterfront

Am 25. Oktober fanden in Argentinien Präsidentschafts- und Parlamentswahlen statt. Keiner der Bewerber um die Nachfolge von Amtsinhaberin Cristina Fernandez de Kirchner erreichte die notwendige Mehrheit für einen Sieg gleich im ersten Durchgang.

Der Kandidat der Regierungskoalition Daniel Scioli kam nach Auszählung von 88 Prozent der Stimmen auf 36,0 Prozent, der konservative Mauricio Macri auf 35,1 Prozent. Jetzt wird am 22. November eine Stichwahl zwischen diesen beiden Kandidaten stattfinden. Auf Platz drei kam mit 21 Prozent der Stimmen Sergio Massa, ebenfalls ein peronistischer Kandidat.

In Argentinien muss ein Kandidat 45 Prozent der Stimmen erreichen oder mindestens 40 Prozent sowie zehn Prozentpunkte Vorsprung auf den Zweitplatzierten haben, um in der ersten Runde zu gewinnen. Kirchner darf sich laut Verfassung nicht um eine dritte Amtszeit in Folge bewerben.

Die Wahl fand vor dem Hintergrund eines zusammenbrechenden sozialen Sicherheitsnetzes, von Wirtschaftskrise und Inflation, wachsender Arbeitslosigkeit und eines drohenden Angriffs auf grundlegende medizinische und sozialstaatliche Institutionen statt.

Die Financial Times erklärte letzten Sonntag, die argentinische Wirtschaft befinde sich an einem Wendepunkt. Brasilien wird von einem Rückgang der Rohstoffpreise getroffen, der sich zunehmend auch auf Argentinien auswirkt. Zudem haben amerikanische Geierfonds Argentinien durch eine Klage auf Rückzahlung von 1,3 Milliarden Dollar aus der Schuldenkrise 2001-2002 von den Finanzmärkten der Wall Street abgeschnitten.

Alle Kandidaten vertraten in ihrem Wahlprogramm eine wirtschaftsfreundliche Haltung, um Auslandsinvestitionen anzuziehen, sich auf Kosten der Arbeiter mit den Geierfonds zu einigen und Energiesubventionen und andere Sozialprogramme auszuhöhlen.

Die drei wichtigsten Kandidaten repräsentieren Fraktionen des bürgerlichen Establishments. In der byzantinischen Struktur der argentinischen Politik haben sich seit 80 Jahren abwechselnd die korporatistischen Peronisten, die traditionellen bürgerlichen Radikalen und das Militär in der Regierung abgelöst. Bei jedem dieser Regierungswechsel waren auch die peronistische Gewerkschaftsbürokratie, der Stalinismus und diverse pseudolinke Organisationen beteiligt und haben sich bemüht, eine unabhängige Bewegung der Arbeiterklasse zu verhindern.

Der amtierende „kirchneristische“ Flügel der peronistischen Bewegung, die FPV, ist verbraucht, diskreditiert und bewegt sich nach rechts. Scioli repräsentiert den neoliberalsten Flügel der FPV. Er setzt auf eine Erhöhung der Öl- und Gasförderung, um Argentinien aus der wirtschaftlichen Stagnation zu holen und die Einkünfte der Regierung zu erhöhen. Dazu muss er sich mit der Wall Street einigen und mithilfe der peronistischen Gewerkschaftsbürokratie die Arbeiterklasse disziplinieren, damit sie Sparmaßnahmen akzeptiert.

Unter diesen Bedingungen versuchen die argentinischen Pseudolinken, der herrschenden Klasse ihre Dienste anzudienen.

Eine der Parteien, die zur Wahl am Sonntag antrat, war die Linke Arbeiterfront (Frente de Izquierda y de los Trabajadores, FIT). Sie trat mit 1.500 Kandidaten bei Provinz- und landesweiten Wahlen an. Die FIT ist ein Wahlbündnis und wurde 2011 von mehreren pseudolinken, angeblich trotzkistischen Organisationen gegründet. Ihre wichtigsten Komponenten sind die Sozialistische Arbeiterpartei (Partido de Trabajadores por el Socialismo, PTS), die Arbeiterpartei (Partido Obrero, PO) und die Sozialistische Linke (Izquierda Socialista, IS). Ihre Präsidentschaftskandidaten Nicolás del Caño und Myriam Bregman wurden am 9. August in landesweiten Vorwahlen bestimmt. Beide sind PTS-Mitglieder.

Trotz ihrer linken Worte stellt die FIT keine revolutionäre sozialistische Alternative für die Arbeiterklasse dar. Sie füllt die politische Lücke, die durch den Rechtsruck der amtierenden peronistischen Partei entstanden ist. Wie schon so viele in der Geschichte Lateinamerikas, versucht auch sie, die Interessen der Arbeiterklasse den Anforderungen der nationalen Bourgeoisie unterzuordnen.

Die Organisationen, aus denen die derzeitigen FIT-Mitglieder stammen, waren daran beteiligt, die argentinische Arbeiterklasse in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts politisch zu entwaffnen. Zuerst schürten sie Illusionen in Peron, dann in Fidel Castro, später in die Sandinisten und den Stalinismus. Viele ihrer jungen Anhänger aus der Arbeiterklasse gehörten zu den 30.000 Opfern, die unter der Militärjunta gefoltert und ermordet wurden.

Die PTS und die IS entstanden aus dem Zusammenbruch der Bewegung für den Sozialismus (Movimiento al Socialismo, MAS) nach dem Tod von deren Führer Nahuel Moreno im Jahr 1987. Moreno hatte einmal die Vierte Internationale unterstützt, aber in den 1960ern mit dem Trotzkismus und dem Internationalismus gebrochen. Seither ordnete er die unabhängige Bewegung der Arbeiterklasse bürgerlichen und kleinbürgerlichen Kräften unter: In den 1950ern dem Peronismus, in den 1960ern dem Castroismus, in den 1970ern der Sozialdemokratie, und in den 1980ern dem Stalinismus.

Die PO ist ebenfalls eine nationalistische Tendenz. Ihre Wurzeln liegen in Silvio Frondizis Bewegung der Revolutionären Linken (Movimiento de Izquierda Revolucionaria, MIR-Praxis), die in den 1960er Jahren unter dem Namen Politica Obrera (Politik der Arbeiter) entstand. Frondizi, ein radikaler Soziologe und Bruder des argentinischen Präsidenten Arturo Frondizi von der Radikalen Partei, wurde 1974 von der Todesschwadron Antikommunistische Allianz Argentiniens („Triple-A“) ermordet. Er war ein starker Unterstützer der kubanischen Revolution und befürwortete den „Guevarismus“ als „indoamerikanische“ Form des Marxismus.

Unter dem Einfluss der jugoslawischen, algerischen und kubanischen Revolutionen (vor allem letzterer in den 1960ern) entwickelte sich die Politica Obrera trotz ihrer Kritik an Moreno genauso wie die MAS und die PTS und ordnete die Interessen der Arbeiterklasse dem radikalen Kleinbürgertum unter. Der derzeitige Führer der PO, Jorge Altamira, ist ein Meister darin, die Sprache des revolutionären Sozialismus zu verwenden, um die opportunistischen Bündnisse der PO mit pseudolinken Parteien in Frankreich, Italien, Griechenland und anderen Ländern sowie ihre Mitgliedschaft in der FIT zu rechtfertigen (letztere bezeichnet Altamira als „Einheitsfront“).

Die PO ist offiziell mit der griechischen EEK (Revolutionäre Arbeiterpartei) von Savas Michael-Matsas verbündet. Als sich die britische Workers Revolutionary Party 1985 vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale abspaltete, war die EEK die einzige Sektion, die WRP-Führer Gerry Healy unterstützte. Michael-Matsas lehnte jede Diskussion mit anderen Sektionen des IKVI ab und erklärte, eine „neue Ära der Vierten Internationale“ sei angebrochen. Diese neue Ära äußerte sich schnell in seiner Unterstützung für Michail Gorbatschows Perestroika in der Sowjetunion, die er als Beginn der „politischen Revolution“ feierte. Seither hat Michael-Matsas zwischen Pasok, Syriza und der stalinistischen KKE hin- und her manövriert.

Die Beziehungen zwischen der PO und der EEK liegen weitgehend auf Eis, seit Altamira 2012 in Griechenland eine „Linksregierung“ unter Syriza forderte. Das widersprach dem Kurs der EEK, der darauf hinauslief, Syriza eine „linke“ Fassade zu geben und sich gleichzeitig mit den Maoisten und diversen pseudolinken Gruppen in der Antarsya-Koaliton zu vereinigen.

Die Haltung der PO zu den Ereignissen in Griechenland bietet einen deutlichen Einblick in die Rolle, die sie in Argentinien für die FIT vorbereitet. Sie soll eine ähnliche „Linksregierung“ aufbauen, d.h. eine Regierung der argentinischen Bourgeoisie, deren Aufgabe es sein wird, der Arbeiterklasse die Diktate des internationalen Finanzkapitals aufzuzwingen.

Die FIT ist momentan mit drei Abgeordneten im argentinischen Parlament vertreten, außerdem hat sie in einigen Provinzen Abgeordnete.

Ihr erklärtes Ziel bei der Wahl im Oktober war es, die Zahl der Abgeordneten im nationalen- und in den Provinzparlamenten zu erhöhen. Del Caño forderte am Donnerstag bei einer Kundgebung in Buenos Aires, die FIT zu wählen und mit ihr „neue Abgeordnete“, die „die Achse aller Kämpfe [der Arbeiter, Frauen und Jugendlichen] werden.“ Jede pseudolinke Gruppierung der Welt würde einer solchen hohlen Phrase zustimmen.

Die FIT ist Teil eines internationalen Phänomens: es entstehen Parteien und Koalitionen, welche die Interessen kleinbürgerlicher Schichten vertreten, deren Privilegien wiederum auf dem Kapitalismus und dem Finanzparasitismus beruhen.

Die FIT betont besonders die Herkunft ihrer Kandidaten: Jugendliche, Frauen und Arbeiter aus den diversen Kämpfen, die von der PTS, der IS und der PO bejubelt wurden (u.a. in der Auto-, der Öl- und der Lebensmittelindustrie, im öffentlichen Dienst und bei Teilzeitkräften). Das deckt sich mit ihrer Politik der Konzentration auf sexuelle Orientierung und andere Formen von Identitätspolitik – ein Markenzeichen der pseudolinken Parteien auf der ganzen Welt. Dieser Haltung liegt eine Perspektive zugrunde, die die grundlegende revolutionäre Rolle der Arbeiterklasse in der Gesellschaft ablehnt und die Arbeiterklasse nur auf eine Identitätsgruppe unter anderen reduziert.

Das Programm der FIT stellt den kleinsten gemeinsamen Nenner reformistischer Forderungen dar. Es fordert die Unabhängigkeit der Gewerkschaften, Gewerkschaftsdemokratie und den Ausschluss der Bürokratie, zeigt jedoch keine Anzeichen für eine revolutionäre Strategie zur Machtübernahme durch die Arbeiterklasse.

Da diese Strategie fehlt, ist ihre Forderung nach einer Arbeiterregierung schwammig genug, um Regimes zu unterstützen, die von Parteien wie der griechischen Syriza, der spanischen Podemos oder anderen angeführt werden, um die Krise der Banken zu managen, den Klassenkampf zu regulieren und dabei die Arbeiterklasse den Interessen der bessergestellten Teile des Kleinbürgertums unterzuordnen.

Genau wie Syriza, Podemos, die Neue Antikapitalistische Partei in Frankreich, die deutsche Linkspartei, die italienische Kommunistische Arbeiterpartei und die griechische EEK, ist auch die FIT ein Werkzeug der Kapitalistenklasse. Ihre Aufgabe ist es, der Arbeiterklasse politische Hindernisse für die Lösung der Krise der revolutionären Führung in den Weg zu legen und die Illusion zu schüren, die unlösbare Krise des Kapitalismus könnte mit einem nationalen Reformprogramm überwunden werden.

Eine solche Politik stellt angesichts der derzeitigen Bedingungen eine tödliche Gefahr dar. Der Imperialismus und die argentinische Bourgeoise sind einmal mehr mit einer unlösbaren Wirtschaftskrise konfrontiert, und ihre Antwort wird letzten Endes die Rückkehr einer brutalen Diktatur sein, um die Arbeiterklasse zu atomisieren und ihren Lebensstandard und ihre demokratischen Rechte zu zerstören.

Der Aufbau von revolutionären, internationalistischen Parteien der Arbeiterklasse in Lateinamerika erfordert einen unnachgiebigen Kampf gegen Gruppierungen wie die FIT und ihre pseudolinken Bestandteile. Die entscheidende Aufgabe in Argentinien und weltweit ist der Aufbau einer neuen unabhängigen revolutionären Partei der Arbeiterklasse auf der Grundlage eines sozialistischen und internationalistischen Programms. Das erfordert den Aufbau von Sektionen des Internationalen Komitees der Vierten Internationale.

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