Laut Voraussagen wird die Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) bei den polnischen Parlamentswahlen vom Sonntag rund ein Drittel der Stimmen gewinnen und damit vor der derzeit regierenden Bürgerplattform (PO) liegen. Es wird erwartet, dass auch eine Reihe kleinerer Parteien teilweise zum ersten Mal ins Parlament einziehen. Darunter befinden sich sowohl ultra-rechte Gruppierungen als auch die Vereinigte Linke (Zajednona Lewica), ein Zusammenschluss von Stalinisten, Grünen und Sozialdemokraten.
Der Zuwachs für die rechtskonservative PiS und kleinere Parteien wie die Vereinigte Linke und Razem (Gemeinsam), eine an SYRIZA orientierte neue pseudo-linke Formation, ist vor allem ein Ergebnis der Ablehnung der PO, die massive Kürzungsmaßnahmen durchgeführt hat. Unter anderem wurden in Polen in den letzten Jahren das Renteneintrittsalter und die Mehrwertsteuer erhöht. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei rund 25 Prozent und 1,4 der 8,9 Millionen Kinder und Jugendlichen unter 24 Jahren wachsen in Armut auf.
Gleichzeitig ist die wachsende politische Instabilität das Ergebnis heftiger Auseinandersetzungen über den zukünftigen innen- und außenpolitischen Kurs. Die gegenwärtige Regierung wurde durch einen Abhörskandal in eine tiefe Krise gestützt, in deren Mittelpunkt die Haltung führender polnischer Politiker zu Polens Verbündeten, insbesondere zu Deutschland und den USA, stand.
Im Rahmen des Skandals, den die PiS vermutlich bewusst angestoßen hatte, kam heraus, dass sich der damalige Außenminister Radosław Sikorski in höchst vulgärer Weise über das Bündnis mit den USA geäußert hatte. Wie das der PiS nahstehende Magazin Wprost enthüllte, hatte Sikorski gesagt, die Allianz zwischen Polen und der USA sei „nichts wert“. Sie sei sogar schädlich, weil sie „ein falsches Gefühl der Sicherheit für Polen“ schaffe. Laut Sikorski werde Polen einen Konflikt „sowohl mit Russland als auch mit Deutschland“ haben und dabei nicht auf die Unterstützung der USA zählen können. Die polnische Regierung wurde daraufhin im Sommer 2015 umgeformt. Mehrere Staatssekretäre und Minister wurden entlassen. Auch Sikorski musste gehen.
Die Ausfälle Sikorskis sind symptomatisch für das außenpolitische Dilemma Polens, das sich als regionale Großmacht etablieren will und innerhalb der EU gegen die Übermacht Frankreichs und vor allem Deutschlands kämpft, wirtschaftlich und außenpolitisch aber auf die Unterstützung der USA und Deutschlands angewiesen ist.
Sowohl die PO wie die PiS nehmen im Ukraine-Konflikt eine extrem aggressive Stellung gegen Russland ein. Die beiden Parteien unterscheiden sich vor allem in ihrer Haltung gegenüber der EU und Deutschland. Während sich Ewa Kopacz, die amtierende Regierungschefin und Spitzenkandidatin der PO, bemüht, ihre Politik trotz wachsender Konflikte mit Berlin mit der EU und Deutschland abzustimmen, tritt die PiS für eine engere Allianz mit den USA und eine verstärkte Unabhängigkeit der polnischen Politik von Brüssel und Berlin ein.
Eine zentraler Streitpunkt zwischen der PiS und der PO ist die Beziehung zu Deutschland. Deutschland ist seit zwei Jahrzehnten der mit Abstand wichtigste Handelspartner Polens. Laut Angaben des Auswärtigen Amts gehen über ein Viertel aller polnischen Exporte nach Deutschland. Deutsche Unternehmen sind auch die wichtigsten Auslandsinvestoren in Polen. Insgesamt belaufen sich die deutschen Investitionen seit 1990 auf 27 Milliarden Euro. Doch trotz der wirtschaftlichen Abhängigkeit Polens von Deutschland sind die politischen Spannungen in den vergangenen Jahren gestiegen.
Die Rückkehr Deutschlands zu einer aggressiven Außenpolitik, die die WSWS in den vergangenen Jahren analysiert hat, wird von den herrschenden Eliten Polens mit Besorgnis gesehen. Dies zeigte sich vor allem in der Ukraine-Krise. Erstens fürchten die herrschenden Kreise eine zu weiche Haltung Deutschlands gegenüber Russland zu Lasten Polens. Zweitens hat Deutschlands tonangebende Rolle in der Ukraine-Politik der EU in Warschau Unbehagen ausgelöst.
Vor allem die PiS hat in den vergangenen zwei Jahren ihre anti-deutsche Rhetorik verstärkt. So bezeichnete Parteichef Jaroslaw Kaczynski in einer Parlamentsdebatte, in der er gegen Flüchtlinge hetzte, die Deutschen als „Todfeinde“ Polens. Er behauptete auch öffentlich, Polen sei nur noch ein „deutsch-russisches Kondominium [Herrschaftsgebiet]“.
Diese Fragen spielten auch in einer TV-Debatte zwischen den beiden Spitzenkandidatinnen Ewa Kopacz (PO) und Beata Szydło (PiS) am Montag eine Rolle, die von fast vier Millionen Zuschauern verfolgt wurde. In der Debatte wehrte sich Kopacz gegen Vorwürfe, ihre Politik habe die Stellung Polens innerhalb der EU geschwächt. Sie wetterte gegen Putin, beschrieb die Ukraine-Krise als „Angriff auf die Souveränität“ der Ukraine durch Russland und betonte, wie wichtig die Solidarität innerhalb der EU in dieser Frage sei.
Szydło entgegnete, die bestehenden Bündnisse seien zwar wichtig, Polen müsse aber auch regionale Allianzen aufbauen und für eine starke Position in Osteuropa kämpfen. Innerhalb der EU nehme Polen nur eine untergeordnete Stellung ein. Als Beispiel nannte sie die Erweiterung der Pipeline Nord Stream, die Gas direkt aus Russland nach Deutschland liefert, die „hinter dem Rücken“ Polens ausgehandelt worden sei.
Szydło sprach sich zwar für den Verbleib in der EU aus, beharrte aber auf mehr Rechten für die polnische Regierung. Sie warf Kopacz vor, sie habe vor der deutschen Bundekanzlerin Merkel kapituliert, weil sie der Aufnahme weniger tausend Flüchtlinge durch Polen zugestimmt hatte.
Andrzej Duda, der im Frühjahr als Kandidat der PiS überraschend zum Präsidenten gewählt wurde, bemüht sich seit Beginn seiner Amtszeit gezielt, in Osteuropa eine neue Allianz unter der Führung Polens aufzubauen und die Aufrüstung der Nato voranzutreiben. Nach seiner Wahl hatte Duda angekündigt, „einen Partnerblock zu gründen, der von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer und zur Adria reicht“. Sein erster Staatsbesuch führte Duda nicht nach Paris oder Berlin, sondern nach Estland.
Konkret diskutiert wird außerdem die Gründung einer gemeinsamen Militärbrigade durch Polen, die Ukraine und Litauen mit dem Namen LITPOLUKRBRIG, die nach Ansicht verschiedener Analysten zum Prototyp für eine gemeinsame Militäreinheit werden könnte. Zudem will Duda eine Vereinigung Ostsee-Schwarzes Meer gründen, an der auch Länder wie die Ukraine und Moldawien teilnehmen können, die noch nicht vollwertige Nato-Mitglieder sind.
Diese Pläne knüpfen an das so genannte Intermarium (Zwischen den Meeren) an, das unter dem diktatorischen Regime von General Józef Piłsudski zwischen den beiden Weltkriegen aufgebaut wurde. Das Intermarium war eine Allianz von rechtsnationalistischen Kräften Polens, der Ukraine, der baltischen Länder und des Kaukasus, die sich zum Ziel setzte, die Sowjetunion zu zerschlagen und an Stelle der Sowjetrepubliken Nationalstaaten zu errichten, die sich an den westlichen imperialistischen Mächten orientieren.
Angesichts des westlichen Vordringens in der Ukraine wird eine Neuauflage des Intermariums auch von Teilen der amerikanischen Bourgeoisie befürwortet.
Auch innenpolitisch betrachtet die PiS das autoritäre Piłsudski-Regime als Vorbild. Führende Mitglieder der Partei treten seit Jahren vehement für eine Verfassungsänderung ein, die die Vollmachten des Präsidenten deutlich stärken (momentan sind die Kompetenzunterschiede zwischen dem Premierminister und dem Präsidenten sehr unklar definiert) und die Bedeutung des Parlaments verringern würde.
Auch die Trennung zwischen Kirche und Staat wollte die PiS in einem Entwurf für eine Verfassungsänderung aus dem Jahr 2010 aufheben. Duda und andere bekannte Vertreter der Partei haben zudem wiederholt ihre Bewunderung für Piłsudski geäußert, unter dessen Regime zehntausende Kommunisten verfolgt und inhaftiert wurden und faschistische Kräfte Aufwind erfuhren.