Selten zuvor zeigte sich das Ausmaß der Gleichschaltung der deutschen Medien so deutlich wie in den vergangenen Tagen. Es ist mittlerweile über eine Woche her, seit das Studierendenparlament der Humboldt-Universität eine Resolution zur Verteidigung von „Münkler-Watch“ verabschiedet hat. Trotzdem erschien kein einziger Artikel in den bürgerlichen Medien, der darüber berichtet hätte.
An einem Mangel an Information kann es nicht liegen. Bereits zu Beginn der Woche hatten die International Youth and Students for Social Equality (IYSSE) eine Pressemitteilung an alle bekannten Zeitungen, Rundfunk- und Fernsehanstalten sowie Presseagenturen verschickt, die darüber informierte, dass sich „die Abgeordneten [...] mit überwältigender Mehrheit hinter einen Antrag der IYSSE gestellt [haben], der Angriffe auf die Gruppe 'Münkler-Watch' verurteilt“. Sie machten auch auf den ausführlichen Bericht der Parlamentssitzung aufmerksam, der bereits am Samstag auf der World Socialist Web Site erschienen war.
Am Mittwoch veröffentlichte schließlich der RefRat, die studentische Selbstverwaltung der HU, die verabschiedete Resolution im Wortlaut.
Das kollektive Schweigen der Medien ist umso beachtlicher, wenn man sich das Ausmaß der Medienkampagne vergegenwärtigt, die zuvor gefahren wurde. Über Wochen verging kaum ein Tag, an dem nicht zumindest ein Artikel in einer führenden Tages- oder Wochenzeitung erschien, der gegen „Münkler Watch“ und die IYSSE hetzte und mit allen Mitteln versuchte, die rechten und militaristischen Standpunkte der Humboldt-Professoren Herfried Münkler und Jörg Baberowski gegen studentische Kritik zu verteidigen.
Wo sind auf einmal all die Schreiberlinge, die wütende Hasstiraden und absurde Behauptungen verbreiteten, die alles in den Schatten stellten, was man seit der Hetze der Springer-Presse gegen die Studentenrevolte von 1968 erlebt hat?
Wo ist z.B. Friederike Haupt, die in einem Beitrag für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung die kritischen Studierenden mit „Bombendrohungen und Mordaufrufen“ in Verbindung brachte? Wo ist Jens Bisky, der Sohn des früheren Linksparteivorsitzenden Lothar Bisky, der in einem Kommentar für die Süddeutsche Zeitung „Münkler Watch“ mit Pegida verglich?
Wo ist die angeblich liberale Zeit, die Münkler selbst eine Plattform gab, um seine Kritiker mit Nazis und Antisemiten zu vergleichen? Wo ist der Tagesspiegel, der unkommentiert Baberowskis Forderung wiedergab, „die Universität müsse solchen 'Spinnern' Hausverbot erteilen und Strafanzeige gegen sie stellen“? Und wo ist die Berliner Zeitung, die eine Kolumne des HU-Präsidenten Jan-Hendrik Olbertz abdruckte, die ernsthaft argumentierte, dass die Bedrohung der Meinungsfreiheit heute nicht mehr von einem autoritären Staat, sondern von den Studierenden ausgehe?
Und was ist eigentlich mit Jürgen Kaube, mittlerweile Mitherausgeber der FAZ, der die Medienkampagne Ende 2014 mit einem heftigen Angriff auf die Partei für Soziale Gleichheit (PSG) eröffnete?
Es steht außer Zweifel, dass Kaube und Co. die Ereignisse am 11. Juni genau verfolgt haben. Der letzte Propagandaartikel erschien exakt einen Tag vor der Abstimmung unter dem Titel „Angriff aus dem Nichts“ in der Frankfurter Rundschau. Eine gewisse Elena Müller, die sonst mit Vorliebe zu Themen wie „Hochzeitsplanungen“, „Liebe und Heirat“ und „Schöner Duschen“ schreibt, verdreht dort die Fakten, arbeitet mit falschen Unterstellungen und sagt nichts zum Inhalt der Auseinandersetzung. Aber etwas hat sie offenbar genau recherchiert: „Die International Youth and Students for Social Equality (IYSSE), eine Organisation, die für den Kampf gegen den Kapitalismus mobilisieren will, hat kürzlich eine Resolution zur Verteidigung von „Münkler-Watch“ ins Studierendenparlament der HU eingebracht.“
Seitdem herrscht Schweigen im Blätterwald. Wie ist das zu erklären?
Die Medienkampagne verfolgte das Ziel, ein Klima der Einschüchterung zu erzeugen, um jede inhaltliche Kritik an den Positionen Münklers und Baberowskis zu kriminalisieren und zu unterdrücken. Doch dieser Plan ist nicht aufgegangen. Die IYSSE haben systematisch darüber informiert, wie die beiden Humboldt-Professoren mit Unterstützung der Universitätsleitung daran arbeiten, die historischen Verbrechen des deutschen Imperialismus im Ersten und Zweiten Weltkrieg zu relativieren, um die Rückkehr Deutschlands zu einer aggressiven Außenpolitik zu rechtfertigen.
Zur Überraschung der Medien ist diese politische Arbeit der IYSSE nun auf große Resonanz gestoßen. Die gewählte Vertretung der über 33.000 Studierenden an der wohl bekanntesten deutschen Universität ist dem Versuch, kritische Studierende einzuschüchtern und zu verleumden, entgegengetreten. Die verabschiedete Resolution weist dabei nicht nur die Hetze gegen „Münkler Watch“ und die IYSSE zurück, sondern stellt sich gegen die geschichtsrevisionistischen und militaristischen Positionen der beiden Professoren. Ausdrücklich fordert das Studierendenparlament „sich politisch zu äußern, Herrschaft zu hinterfragen und vor allem in Bezug auf die Lehrinhalte an einer Universität Tendenzen der Verharmlosung der menschenverachtenden deutschen Geschichte entgegenzutreten“.
Das Schweigen der Medien hat tiefere politische und soziale Ursachen. Die führenden Schreiber und Kommentatoren, die die inhaltliche Linie in den Redaktionsstuben vorgeben, pflegen genauso enge Verbindungen zur Regierung, zum Militär, zu den Geheimdiensten und zu außenpolitischen Thinktanks wie Baberowski und Münkler selbst. Sie verstehen die Resolution als das was sie ist: nicht nur eine Kampfansage an Münkler und Baberowski, sondern ein schwerer Rückschlag für die herrschende Elite und ihr Ziel, Deutschland wieder als außenpolitische Großmacht zu etablieren und den Widerstand in der Bevölkerung gegen Militarismus und Krieg zu brechen.
Die Medien haben dabei von Anfang an eine zentrale Rolle gespielt. Sie waren (wie auch Professoren der HU) im Jahr 2013 an der Ausarbeitung des Strategiepapiers „Neue Macht – Neue Verantwortung“ beteiligt, das gewissermaßen die Blaupause für die außenpolitische Wende liefert, die von Bundespräsident Gauck und der Bundesregierung auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2014 verkündet wurde und seither in die Tat umgesetzt wird.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Das Papier, das die Grundlage für die Reden von Bundespräsident Gauck, Außenminister Steinmeier und Verteidigungsministerin von der Leyen bildete, fordert unter anderem, dass Deutschland „künftig öfter und entschiedener führen“ müsse, um als „Handels- und Exportnation“ seine wirtschaftlichen und geostrategischen Interessen weltweit zu verteidigen. „Aufwendige und längerfristige militärische Einsätze“ müssten dabei Teil „einer pragmatischen deutschen Sicherheitspolitik“ sein.
In vielen Artikeln hat die WSWS aufgezeigt, wie sich die deutschen Leitmedien im vergangenen Jahr, darunter die Süddeutsche Zeitung, die Frankfurter Allgemeine Zeitung, der Spiegel und die Zeit in offene Propagandainstrumente für Krieg und Militarismus verwandelt haben. Nahezu täglich bombardierten sie ihre Leserschaft mit Forderung nach militärischer Aufrüstung, einem aggressiveren Vorgehen gegenüber Russland und Rufen nach mehr deutscher Führung in Europa und weltweit.
Gleichzeitig unterstützten sie die ideologische Propagandaoffensive Münklers und Baberowskis, die zum Ziel hatte, Deutschlands Verantwortung für den Ausbruch des Ersten Weltkriegs zu relativieren und die Kontinuität der deutschen Kriegsziele im Ersten und im Zweiten Weltkrieg zu leugnen.
Münkler selbst machte gleich zu Beginn des Jahres in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung deutlich, welche reaktionären politischen Ziele mit den Geschichtsrevisionen verbunden sind.
Unter dem Titel „Herfried Münkler über Schuld“ beklagte der Professor: „Wir neigen außenpolitisch zu dem Gedanken: Weil wir historisch schuldig sind, müssen, ja dürfen wir außenpolitisch nirgendwo mitmachen“. In Bezug auf den Ersten Weltkrieg bezeichnete er die deutsche Schuld als „eine Legende“, die deutsche Enthaltung im Nato-Krieg gegen Libyen 2011 als ein „außenpolitisches Desaster“.
Nur einen Monat später veröffentlichte der Spiegel den berüchtigten Artikel „Der Wandel der Vergangenheit“ in dem sich Baberowski als Parteigänger des Nazi-Apologeten Ernst Nolte outet. „Nolte wurde Unrecht getan. Er hatte historisch recht“, verteidigte Baberowski den Mann, der mit seinen Thesen in den 1980ern den Historikerstreit ausgelöst hatte und heute in neonazistischen Kreisen verkehrt sowie Hitler als Befreier bezeichnet. Wie Nolte verharmloste Baberowski Hitler und erklärte: „Hitler war kein Psychopath, er war nicht grausam. Er wollte nicht, dass an seinem Tisch über die Judenvernichtung geredet wird“.
Monatelang habe die Medien diejenigen angegriffen und denunziert, die diese Tendenzen der Verharmlosung der Verbrechen des deutschen Imperialismus aufgezeigt haben. Ihr Schweigen entlarvt nun vollends, dass sie ein elementarer Bestandteil dieser Geschichtsrevision im Dienste des Militarismus sind.