Französische Nationalversammlung verabschiedet drakonisches Überwachungsgesetz

Am Dienstag verabschiedete die französische Nationalversammlung mit überwältigender Mehrheit ein Geheimdienstgesetz, das die massive Überwachung der Bevölkerung durch die Geheimdienste rückwirkend legalisiert. Dieses reaktionäre und undemokratische Gesetz baut offiziell die Überwachungsinfrastruktur für einen Polizeistaat in Frankreich auf und erlaubt der Regierung, Daten über die ganze Bevölkerung zu sammeln.

Das Gesetz wurde mit 348 zu 86 Stimmen und 42 Enthaltungen angenommen und von allen Parteien des politischen Establishments unterstützt, unter anderem von der Mehrheit der amtierenden Sozialistischen Partei (PS) und der konservativen Union für eine Volksbewegung (UMP). Ein Teil der Abgeordneten von Grünen und Linkspartei stimmten dagegen, da sie sicher waren, dass das Gesetz mit überwiegender Mehrheit angenommen werden würde.

Der Senat soll das Gesetz ab dem 20. Mai prüfen. Es wird erwartet, dass er es genehmigt, bevor sich der Verfassungsrat damit befasst.

Premierminister Manuel Valls (PS) trat persönlich in der Nationalversammlung auf, um den Gesetzesentwurf zu verteidigen. Er gab zu, es sei "äußerst selten, dass ein Premierminister den Vertretern der Nation einen Gesetzentwurf präsentiert“, erklärte jedoch, er tue es, um die "Bedeutung des Gesetzes hervorzuheben."

Während der Parlamentsdebatte letzte Woche versuchte Valls, Abgeordnete einzuschüchtern, die sich kritisch über das Gesetz geäußert hatten. Er erklärte, sie würden sich "weigern, die Republik zu verteidigen" und setzte damit Kritik an dem Gesetzentwurf fast mit Landesverrat gleich. Weiter behauptete er, die Entscheidung für oder gegen das Gesetz würde "diejenigen, denen der Staat etwas bedeutet“, von denjenigen trennen, "bei denen das nicht immer der Fall ist."

Die herrschende Klasse Frankreichs nutzt die Anschläge auf das antiislamische Magazin Charlie Hebdo im Januar aus, um schnellstmöglich weitreichende Maßnahmen durchzusetzen. Der Staat legalisiert mit seiner Unterstützung für das Gesetz Befugnisse, von denen sogar Unterstützer des Gesetzes zugeben, dass sie illegal waren, aber allgemein angewandt wurden. Le Monde schrieb letzten Monat: "Dieser Entwurf, der illegale Methoden legalisiert, welche die Geheimdienste seit vierzig Jahren anwenden und versucht, sie in gewissem Umfang zu kontrollieren, war seit Jahren geplant."

Das bedeutet, die Geheimdienste haben jahrelang die gesamte Bevölkerung mit kriminellen Methoden überwacht, und das Parlament, das selbst den Befehlen der Polizei und der Geheimdienste gehorcht, hat nie Kritik daran geübt. Das Gesetz wird jetzt die gleichen Geheimdienstler decken und ihnen juristische Rückendeckung geben.

Das Gesetz verpflichtet Internetanbieter, die Daten ihrer Kunden in Echtzeit weiterzugeben. Die elektronische Überwachung wird durch die massenhafte Sammlung von Metadaten verschärft. Auch Kameras und Mikrofone können zur Überwachung benutzt werden. Kommunikationen zwischen zwei Menschen in Frankreich oder zwischen Menschen in Frankreich und dem Ausland können aufgezeichnet werden.

Die Daten von Personen, die terroristische Straftaten verübt haben, werden in einer automatisch erstellten landesweiten Justizakte für Verursacher terroristischer Straftaten für zwanzig Jahre, bzw. zehn Jahre bei Minderjährigen, gespeichert. Vollzugsbeamte werden zudem das Recht erhalten, die Techniken anzuwenden, die das Gesetz legalisiert. Damit werden sie zu einem verlängerten Arm der Geheimdienste.

Das Gesetz legalisiert außerdem den Einsatz von IMSI-Cathern „falschen Handymasten“, die es den Behörden ermöglichen, die physischen Bewegungen jedes Handynutzers im Umfeld des Gerätes zu identifizieren und zu orten. Bisher war der Einsatz solcher Geräte nach französischem Recht illegal.

Der Gesetzesentwurf verheimlicht und rechtfertigt illegale Methoden, die durchgeführt wurden, ohne die Bevölkerung darüber zu informieren und verstößt damit gegen geltendes Recht. Wenn die Geheimdienste wissen, dass sie vom Staat beschützt werden, wird sie das nur dazu ermutigen, auch noch die niedrigen Grenzen zu überschreiten, die ihnen das Gesetz angeblich auferlegt.

Tatsächlich erteilt das Gesetz den Geheimdiensten fast unbeschränkte Befugnisse. Die neu zu gründende Nationale Kommission zur Kontrolle der nachrichtendienstlichen Techniken (CNCTR) wird aus sechs Richtern des Staatsrates und des Kassationshofes, drei Abgeordneten und drei Senatoren der Regierung und der Opposition und einem "technischen Experten" bestehen. Dieses Gremium wird die bisher zuständige Nationale Kommission zur Überwachung von Lauschangriffen (CNCIS) ersetzen.

Die CNCTR kann Gutachten ausstellen, um eine gründlichere Überwachung zu genehmigen, aber in dringenden Fällen können operative Leiter oder sogar Agenten der Geheimdienste, mit Erlaubnis des Premierministers, die Formalität überspringen, den Rat der CNCTR einzuholen.

Die CNCTR dient also als pseudodemokratische Tarnung für die Massenüberwachung durch die Geheimdienste.

Die Abstimmung über das Geheimdienstgesetz fand hinter dem Rücken der französischen Bevölkerung statt. Abgesehen von verhaltener Kritik an der Tatsache, dass den Geheimdiensten bedeutende Vollmachten erteilt werden, wurden die immensen politischen Auswirkungen des Gesetzes weder erwähnt noch diskutiert.

Eine der wenigen handfesten Aussagen über das Gesetz kam von dem UMP-Abgeordneten Alain Marsaud, der sich zwar dafür aussprach, aber einräumte: "Dieses Gesetz hat nicht genug Kontrollmechanismen. Es ermöglicht enorme Eingriffe. Wenn es verabschiedet wird, wird unser Leben nicht mehr sein wie davor, weil alles, was wir sagen, überwacht werden wird. Dieses Gesetz könnte die Schaffung einer politischen Polizei ermöglichen, wie wir sie noch nicht erlebt haben."

Das Geheimdienstgesetz wird in der Presse offen mit dem amerikanischen Patriot Act verglichen. Seine Verabschiedung ist eine Warnung an die Arbeiterklasse. Die herrschende Klasse verabschiedet sich von demokratischen Herrschaftsformen. Frankreich reagiert, wie alle großen kapitalistischen Staaten, auf die wachsenden sozialen Gegensätze mit Massenüberwachung und einem umfassenden Angriff auf demokratische Rechte.

Die herrschende Klasse Frankreichs versucht, die illegalen und verfassungswidrigen Methoden umzusetzen, die von der amerikanischen National Security Agency perfektioniert und von Edward Snowden enthüllt wurden. Die NSA überwacht und sammelt, ungehindert von jeder demokratischen Kontrolle, die Kommunikationsdaten der amerikanischen Bevölkerung und von Milliarden Menschen auf der Welt.

Die ungeheure Ausweitung der Befugnisse des Überwachungsapparates ist Teil einer allgemeinen Militarisierung der französischen Gesellschaft. Nach den Terroranschlägen auf Charlie Hebdo im Januar hat der Staat in Frankreich 10.000 Soldaten stationiert.

Die herrschende Klasse Amerikas hat den "Krieg gegen den Terror“, den die Bush-Regierung vor fast fünfzehn Jahren ausgerufen hat, als ideologischen Rahmen für endlose Kriege im Ausland und für die Zerstörung demokratischer Rechte im Inland benutzt. Jetzt eifert ein Land nach dem anderen diesem Vorbild nach.

Am Mittwoch, einen Tag nach der Abstimmung in Frankreich, stimmte das kanadische Unterhaus für ein Antiterrorgesetz, welches dem kanadischen Security Intelligence Service und der Polizei umfangreiche neue Vollmachten erteilt. Unter anderem erlaubt es, Aktivitäten zu unterbinden, die als "Gefahr für die nationale Sicherheit" eingestuft werden, und präventive Verhaftungen vorzunehmen, ohne Anklage zu erheben.

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