Europäische Autokonzerne verlagern Produktion nach Osteuropa und China

Die europäische Autoindustrie nutzt die niedrigen Löhne in Osteuropa systematisch, um das Lohnniveau in ganz Europa zu senken. Sie verlagert die Produktion in wachsendem Tempo nach Osteuropa und China, baut in Westeuropa Arbeitsplätze ab und nutzt dies als Druckmittel, um niedrigere Löhne und schlechtere Arbeitsbedingung zu diktieren.

Derzeit wird etwa ein Fünftel der europäischen Autos in Osteuropa produziert. Laut der Unternehmensberatung Roland Berger betreiben dort insgesamt 15 internationale Autokonzerne zwölf Werke mit einer Gesamtkapazität von jährlich 3 Millionen Fahrzeugen. Die Tendenz ist stark steigend. So stieg die Zahl der produzierten Autos in Rumänien 2013 um 21 Prozent auf 400.000 Autos. Das Land wies damit weltweit die höchste Steigerungsrate auf.

Die Autokonzerne bauen in Polen, der Slowakei, Ungarn und vermehrt auch in China ganze Fabriken. Volkswagen (VW) produziert in Polen vor allem für den Export, in Russland hauptsächlich für den heimischen Markt. Bereits seit 2011 lässt VW die arbeitsintensive Montage aller Autos unterhalb der Golf-Klasse außerhalb Deutschlands erledigen.

Demnächst baut die VW-Tochter Skoda ihr tschechisches Werk in Kvasiny für ein neues Modell aus, wahrscheinlich für einen größeren SUV. Skoda werde auch ein Modell für die spanische VW-Marke Seat herstellen, teilte der VW-Vorstandsvorsitzende Martin Winterkorn mit. Die spanischen Seat-Werke haben im konzerninternen Wettbewerb gegen die tschechischen Werke den entsprechenden Auftrag verloren.

Das Nachfolgemodell des VW-Transporters Crafter wird in Polen gebaut. Als bekannt geworden war, dass die Kooperation von Mercedes und VW bei der Fertigung der baugleichen Transporter Sprinter und Crafter 2016 endet, hatte die IG Metall darauf gehofft, man könne ab diesem Zeitpunkt den Transporter im VW-Werk Hannover fertigen. Das Management vergab den Auftrag jedoch nach Polen. In Wrzesnia bei Posen wird dafür ein neues Werk mit 2.300 Arbeitsplätzen gebaut.

Der zu VW gehörende Audi-Konzern hat seine Produktion in Osteuropa ebenfalls immens ausgebaut. Audi Hungaria ist mit über 10.000 Beschäftigten und einer Produktion von fast 2 Millionen Motoren im letzten Jahr der weltgrößte Motorenproduzent. Der ungarische Audi-Ableger stellt die gesamte Motorenpalette des Mutterkonzerns VW her. Zudem werden im ungarischen Györ der Audi A3 und die Cabrio-Version komplett hergestellt, ohne im Verbund mit einem deutschen Werk zu arbeiten. In Györ sollen bald 125.000 Fahrzeuge jährlich vom Band rollen.

Die General Motors-Tochter Opel produzierte im ungarischen Szentgotthárd letztes Jahr 600.000 Motoren, und plant für rund eine halbe Milliarde Euro eine Kapazitätssteigerung auf 750.000 Stück. Während das Bochumer Werk mit über 3.300 Arbeitern dieses Jahr geschlossen wird, soll das Werk im polnischen Gliwice ausgebaut werden, um die Produktion des Astra-Modells vom Rüsselsheimer Werk zu übernehmen.

Daimler lässt seine Werke in Deutschland, Rumänien und Ungarn zunehmend im „Produktionsverbund“ arbeiten. Dabei wird die Produktion aus den deutschen Fabriken schrittweise in Länder mit weit geringeren Löhnen verlagert.

Seit Anfang 2012 wird die Mercedes-Modellreihe B sowie das Mittelklasse-Coupé CLA komplett im ungarischen Kesckemét von 3.000 Arbeitern gefertigt. Das Werk konkurriert mit dem Werk in Rastatt. Daimler Personalvorstand Wilfried Poth erklärte: „Aus finanzieller Sicht spielt eine Mischkalkulation vom deutschen Stammwerk in Rastatt und dem Werk in Ungarn eine wichtige Rolle.“

Der Konzern beschloss außerdem vor einem Jahr, seine Getriebefabrikation in Rumänien auszubauen. Das Werk in Untertürkheim (Stuttgart) hatte im konzerninternen Wettbewerb gegen den rumänischen Standort die Fertigung von Doppelkupplungsgetrieben verloren, die das deutsche Werk bislang exklusiv produzierte.

Ford Europa produziert seit 2011 nicht nur in Köln Motoren, sondern auch im rumänischen Craiova. Nun konkurrieren beide um das kommende Fiesta-Modell, das seit 1979 im Kölner Werk gebaut wird. Wenn die Kölner Arbeiter dem Druck des Managements und der IG Metall nicht nachgeben und keine schlechtere Bedingungen akzeptieren, wird die Fiesta-Produktion 2017 an das Werk in Rumänien vergeben. In Belgien und England hat Ford schon insgesamt drei Werke geschlossen.

Asiatische und französische Unternehmen wie Hyandai-Kia, Toyota und Suzuki sowie Peugeot-Citroën sind ebenfalls im östlichen Europa vertreten.

Was die Autobauer nach Osteuropa lockt, sind die geringen Rechte und niedrigen Löhne der osteuropäischen Arbeiter. „Eine Arbeitsstunde in Ungarn“, schwärmt Audi-Vorstandschef Rupert Stadler, „kostet rund 13 Euro, in Deutschland – je nach Tätigkeit – zwischen 40 und 52 Euro.“ In Rumänien und Bulgarien dürften die Kosten unter 5 Euro liegen, auf ähnlich tiefem Niveau sind sie in der Ukraine.

Ähnlich verhält es sich mit China. Hier kommt zu den niedrigen Löhnen auch noch ein riesiger Absatzmarkt hinzu. Das Center for Automotive Research (CAR) an der Universität Duisburg Essen schrieb zu Beginn des Jahres: „Das Autojahr 2014 wird durch eine neue Ära eingeleitet.“ Erstmals in der Geschichte seien in China mit 15,87 Millionen mehr PKWs verkauft worden als in den USA mit 15,7 Millionen.

Nimmt man Nutzfahrzeuge hinzu, ist China bereits seit fünf Jahren der größte Fahrzeug-Produzent und Absatzmarkt. Die VW-Marken verkauften beispielsweise 2013 fast jedes dritte Fahrzeug, rund 3,3 Millionen Wagen, in China. Bei der Kernmarke VW war es sogar fast jedes zweite Auto. Die deutschen Autokonzerne erzielen inzwischen knapp die Hälfte ihres gesamten Gewinnes durch die Produktion und den Verkauf in China. VW meldete für 2013 insgesamt 9,1 Milliarden Euro Gewinn (nach Steuern und Zinsen), Daimler 8,7 Milliarden Euro und BMW 5,3 Milliarden Euro.

Die Autohersteller sind seit Jahren damit beschäftigt, in China ihre Produktionskapazitäten zu erhöhen. VW hat im letzten Jahr fünf neue Werke eröffnet, dieses Jahr sollen zwei weitere folgen. In den nächsten fünf Jahren will der Konzern 18,2 Milliarden Euro in China investieren. Die Gesamtinvestition ist die größte in der Geschichte der chinesischen Automobilindustrie.

Auch alle anderen Hersteller zieht es nach China. Der in den letzten Jahren Verlust schreibende Peugeot-Citroën-Konzern, an dem inzwischen über eine Kapitalaufstockung der französische Staat und der chinesische Autobauer Dongfeng beteiligt sind, will Produktion und Absatz in Asien in den nächsten Jahren verdreifachen.

Rund 60 Prozent der in China produzierten Fahrzeuge kommen aus internationalen Autokonzernen. Die Produktion rein chinesischer Automobilkonzerne geht leicht zurück, ihr Anteil an der Gesamtproduktion schrumpft.

Als vorletzte Woche Chinas Staatschef Xi Jinping nach Deutschland kam, kündigten VW und Daimler weitere milliardenschwere Investitionen in China an. Im Beisein von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Xi Jinping unterzeichneten Daimler und sein chinesischer Partner Beijing Automotive (BAIC) in Berlin eine Vereinbarung über den Ausbau der Auto- und Motorenproduktion im Gemeinschaftsunternehmen Beijing Benz (BBAC) in Peking. Beide Seiten investieren gemeinsam eine Milliarde Euro. Daimler-Chef Dieter Zetsche erklärte, am Wachstum des chinesischen Automarkts „wollen wir auch durch den Ausbau der marktnahen Fertigung teilhaben“.

Daimler war im November mit einer Investition von 625 Millionen Euro bei BAIC eingestiegen. Der Mercedes-Hersteller ist der erste ausländische Autobauer mit einem größeren Anteil (12 Prozent) an einem staatlichen chinesischen Autounternehmen. In ihrem Joint Venture in Peking werden die E- und C-Klasse sowie der Geländewagen GLK gebaut, weitere Modelle sollen folgen. Im kommenden Jahr soll die Kapazität mit 200.000 Fahrzeugen mehr als verdoppelt werden.

Als erster ausländischer Konzern hat Daimler in China auch eine Unternehmensanleihe herausgegeben. Wie das Unternehmen Mitte März in Peking berichtete, hat die Anleihe ein Volumen von umgerechnet 60 Millionen Euro und eine Laufzeit von einem Jahr. Daimler-Finanzvorstand Bodo Uebber sagte, die Anleihe sei „auf reges Interesse chinesischer Investoren gestoßen“. Nach Schätzungen der Ratingagentur Standard & Poor's könnte der Anleihen-Markt in China in diesem Jahr auf 13,8 Billionen Dollar anwachsen und damit den in den USA überholen.

Die Autozulieferer führen notgedrungen dieselben Produktionsverlagerungen durch. Einer Prognose der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (PwC) zufolge falle künftig über 80 Prozent des zusätzlichen Komponentenbedarfs allein der deutschen Hersteller im Ausland an.

So hat Bosch ein neues Werk für Sicherheitssysteme im westchinesischen Chengdu gebaut und will dort weitere 100 Millionen Euro investieren. Bis 2018 will Bosch die Produktion von Anlassern und Lichtmaschinen größtenteils von Hildesheim ins ungarische Miskolic verlagern. Während der internationale Autozulieferer Johnson Controls (JC) vor allem in Deutschland Werke schließt oder die Produktion reduziert, befindet sich seit zwei Jahren ein neues Werk direkt neben dem Daimler-Werk in Kecskemét (Ungarn). In China plant Johnson Controls elf neue Werke, der Zulieferer kommt dann auf 68 Werke in China, die direkt um die internationalen Autowerke angesiedelt sind.

Die Autokonzerne streben durch die Ausnutzung der niedrigen Löhne in Osteuropa und China Profitraten von 10 Prozent an. Der Finanzvorstand des österreichischen Zulieferers Magna, Vince Galifi, erklärte: „Wir erwarten steigende operative Renditen, je weiter wir uns nach Osten bewegen.“

Laut dem europäischen Automobilherstellerverband ACEA arbeiten drei Millionen Menschen in Europa direkt bei den Autoherstellern und fast 13 Millionen Menschen im Gesamtsektor, also inklusive der Zulieferindustrie. Ihre Einkommen und Arbeitsplätze sind bedroht, wenn sie sich weiterhin gegen ihre Kollegen in Osteuropa und China ausspielen lassen. Die einzige Antwort auf diese Bedrohung ist die internationale Einheit der Arbeiterklasse.

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