Der Londoner High Court (Oberstes Zivilgericht von England und Wales) hat entschieden, dass die Inhaftierung von David Miranda am Flughafen Heathrow im August letzten Jahres rechtmäßig war. Um den tief reaktionären Gehalt des Urteilsspruchs zu ermessen, genügt es, einige der Gründe des Gerichts zu zitieren.
Die von Lord Justice Laws, und den Richtern Ouseley und Openshaw in ihrer Entscheidung vom Mittwoch gewählten Formulierungen haben eine über den Fall, der selbst einen beispiellosen Angriff auf die Pressefreiheit darstellt, weit hinaus gehende Bedeutung. Sie lassen erkennen, dass jeder Gedanke an eine “freie Presse“ geächtet werden soll. Auf der zweifelhaften Grundlage der „Terrorbekämpfung” und der „nationalen Sicherheit” ist niemand vor dem Zugriff des britischen Staates sicher, der entschlossen ist, seine bereits verübten Verbrechen zu verdecken und zukünftige zu legitimieren.
Miranda ist der Partner von Glenn Greenwald, einem ehemaligen Journalisten des Guardian und engem Mitarbeiter von Whistleblower Edward Snowden. Zuvor war er in Berlin mit der Filmemacherin Laura Poitras zusammengetroffen, die Greenwald bei der Aufdeckung der massenhaften Ausspionierung durch die National Security Agency (NSA) und das britische Government Communications Headquarters (GCHQ) half. Er befand sich auf dem Weg nach Brasilien, als er von der Londoner Metropolitan Police für neun Stunden inhaftiert und sein Laptop, sein Handy und verschlüsselte Datenträger aufgrund des Anti-Terrorismus-Gesetzes 2000 beschlagnahmt wurden.
Dieses Gesetz geht auf die Labour-Regierung unter Tony Blair zurück. Es erlaubt der Polizei, jede Person an den Grenzen des Vereinigten Königreichs festzunehmen und ihren Besitz auch ohne den Verdacht einer kriminellen Handlung zu konfiszieren. Mit der Inhaftierung Mirandas wurden die Bestimmungen des Gesetzes erstmals dafür genutzt, journalistisches Material zu beschlagnahmen.
Miranda machte die Rechtswidrigkeit der Maßnahme geltend. Er begründete dies damit, das Gesetz sei unrichtig angewandt worden und das Vorgehen der Polizei stelle einen unverhältnismäßigen Eingriff in sein Recht auf freie Meinungsäußerung dar, wie es in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) statuiert ist.
Der High Court räumte ein, Mirandas Festsetzung habe “einen mittelbaren Eingriff in die Pressefreiheit” dargestellt, entschied aber, dies sei aufgrund der “sehr dringenden” Interessen der nationalen Sicherheit gerechtfertigt.
Die Unterordnung demokratischer Grundrechte unter einen allmächtigen Staat zieht sich wie ein roter Faden durch das Urteil.
Greenwald hatte vorgetragen, es stehe „im Gegensatz zu den Traditionen eines verantwortlichen Journalismus, Material nur deshalb nicht zu publizieren, weil ein Regierungsbeamter erklärt, eine solche Veröffentlichung könne der nationalen Sicherheit schaden,.”
Lord Laws wies dies als “wahr aber trivial” zurück. Er urteilte, soweit Fragen der nationalen Sicherheit betroffen seien, hätten Journalisten keine “verfassungsmäßige Verantwortlichkeit” und könnten das gesamte „Mosaik“ der nachrichtendienstlichen Informationen nicht kennen. Sie seien daher nicht in der Lage, zu beurteilen, ob die Enthüllung gewisser Informationen „Leben oder Sicherheit“ gefährden könne.
Indem er klarstellte, dass nur der Staat dies beurteilen könne, schloss sich der High Court dem Vortrag des britischen Kabinettministers Oliver Robbins, des stellvertretenden nationalen Sicherheitsberaters und der Polizei an.
Im Hinblick auf eine fehlerhafte Anwendung des Terrorism Act stellte das Gericht fest, Miranda sei “kein Journalist” und bei dem“gestohlenen GCHQ-Geheimdienstmaterial, das er bei sich führte“ habe es sich „nicht um journalistisches Material’“ gehandelt, allenfalls „im schwächsten Sinne des Wortes”.
Dies war nur einer von zahlreichen Erwähnungen von “gestohlenem“ Material, die sich in der orwellschen Welt des heutigen Großbritanniens nicht auf das von der NSA/GCHQ illegal gesammelte und gehortete Material, sondern um Snowdens Aufdeckung derartiger Praktiken bezieht.
Soweit die Pressefreiheit und die nationale Sicherheit anbelangt sind, erklärte Laws, dass „in diesem Fall die Waage eindeutig zugunsten der letzteren ausschlägt“.
Der High Court entschied weiter, eine Festnahme und die Beschlagnahme des Besitzes setze nicht voraus, das die Polizei den Betreffenden als Terrorist verdächtige, vielmehr reiche es aus, dass er “ein solcher zu sein scheint”. Nach Richter Ouseley darf ein Polizeibeamter beispielsweise schon aufgrund von „nicht mehr als einer Ahnung oder Intuition“ nach dem Terrorism Act verfahren.
Laws erkannte an, dass der wahre Grund für Mirandas Festnahme darin bestand, “die Natur” des mitgeführten Materials zu ermitteln und “die Auswirkungen seiner Veröffentlichung (oder Weiterveröffentlichung) oder Weiterverbreitung zu neutralisieren”, und dass dies eindeutig unter das Gesetz von 2000 falle.
Die Festnahme Mirandas hatte nichts mit einer “Ahnung” zu tun. Dem High Court wurden Beweise dafür vorgelegt, dass die Sicherheitsdienste sowohl Miranda als auch Greenwald vor der Verhaftung überwacht und die Grenzpolizei über mehrere Tage hinweg dreimal ersucht hatten, die Festnahme Mirandas sicherzustellen. Im letzten Gesuch wird eiskalt festgestellt, dass die geplante Enthüllung des von Miranda mutmaßlich mitgeführten Materials “darauf abzielt, eine Regierung zu beeinflussen, und zum Zwecke der Förderung eines politischen oder ideologischen Anliegens gemacht wird. Es fällt daher unter die Definition von Terrorismus.....“
Die Entscheidung des High Court kriminalisiert praktisch nicht nur den investigativen Journalismus und das Whistleblowing, sondern auch jeden, der derartige Informationen erhält – in diesem Fall den Guardian. Sie bedeutet, dass Sicherheitsdienste, die für die Fälschung von “Informationen” zur Rechtfertigung eines Präventivkrieges gegen den Irak verantwortlich sind und in außerordentliche Überstellungen und Folter verwickelt sind, und die dabei erwischt werden, wie sie massenhafte illegale Überwachung betreiben, jeden von der Polizei festhalten lassen und als “Terrorist“ brandmarken können, der ihre kriminellen Machenschaften aufdecken will.
Ausnahmen gibt es nicht und die Polizei muss ihre Handlungsweise nicht rechtfertigen. Es bedarf allein der Genehmigung durch einen Regierungsminister und die Sicherheitsdienste. Man kann sich weder damit verteidigen, dass man journalistisches Material bei sich führt, noch sich mit Erfolg auf die Meinungsfreiheit berufen.
Lord Laws erklärte, das englische Recht sei ausreichend, und verwarf die Notwendigkeit, die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte heranzuziehen.
Es sollte angemerkt werden, dass es ebenfalls Lord Laws war, der 2004 entschied, dass kein “Prinzip existiert, [das] es dem Kabinettsminister verbietet” sich auf Beweise zu stützen, die im Ausland durch Folter erzielt wurden.
Aus diesem zog Greenwald mit guten Grund den Vergleich zwischen der Behauptung Großbritanniens, die Veröffentlichung der Snowden-Dokumente sei gleichbedeutend mit “Terrorismus” und der Art, wie dasselbe Argument “jetzt vom ägyptischen Militärregime benutzt wird, um Journalisten von Al Jazeera als Terroristen zu verfolgen.”
In Großbritannien wie in Ägypten erkennt die Bourgeoisie, dass ihre Wirtschaftsordnung, die sich auf eine tiefe und wachsende soziale Ungleichheit gründet, nicht überlebensfähig ist und auf massive Opposition der Bevölkerung stößt. Nur einen Tag vor der Entscheidung des High Court im Fall Miranda hatten Studenten der University of Glasgow in Schottland Snowden zum Rektor der Universität gewählt.
Die Begründung des High Court macht deutlich, dass Mirandas Verhaftung kein Missbrauch des Anti-Terror-Gesetzes war. Vielmehr ist das Anti-Terror-Gesetz als ein Instrument staatlicher Einschüchterung entwickelt worden, mit dem Zweck, Krieg gegen demokratische Rechte zu führen und die politische Opposition zu unterdrücken.
Die historischen Bezüge sind weitreichend. Die Gestapo hatte eine solche Macht. Unter dem Deckmantel des “Kriegs gegen den Terrorismus” hat Großbritanniens herrschende Elite ihre eigene Polizeimacht geschafffen, die Nazideutschland in Nichts nachsteht.