Josef Joffe wirbt in der jüngsten Ausgabe der Wochenzeitung Die Zeit für einen massiven Krieg im Nahen Osten. Unter der Überschrift „Auch der Menschenrechtskrieg ist ein Krieg“ entwirft er ein Szenario, das auf die gewaltsame militärische Eroberung und jahrzehntelange koloniale Unterjochung der gesamten Region hinausläuft.
Joffe ist gemeinsam mit Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) Herausgeber der Zeit, die sich, so der Eintrag in Wikipedia, „an Zielgruppen mit gehobenem Bildungsstand, traditionell vor allem Akademiker bzw. Bildungsbürger“ wendet.
Er gibt indirekt zu, dass es sich bei den von den Westmächten geförderten syrischen „Rebellen“ um Terroristen und Verbrecher handelt. „Die ‚Guten‘ und die ‚Bösen‘ gruppieren sich zum Vexierbild“, schreibt er. „Wer heute von den einen gemordet und ‚gesäubert‘ wird, nimmt grausame Rache, wenn das Kriegsglück sich dreht.“
Aus diesem Grund will Joffe die Propaganda für einen Krieg gegen Syrien ausschließlich auf die „Schutzverantwortung“ oder „Responsibility to Protect“ (R2P) stützen: „Eindeutig erscheint allein die humanitäre Pflicht, die Schutzverantwortung. Denn in diesem neuen Krieg bluten vor allem die Wehrlosen.“
Im Namen dieser „schreienden moralischen Pflicht“, wie er die Schutzverantwortung an anderer Stelle nennt, schlägt Joffe vor, die ganze Region in Grund und Boden zu bomben und dabei weder vor zivilen Opfern zurückzuschrecken, noch nationale oder zeitliche Grenzen zu respektieren. Er führt damit seine Behauptung, der Krieg diene dem Schutz der Wehrlosen, selbst ad absurdum.
Er stellt ganz offen die Frage: „Wie inhuman darf der Retter sein, während er seine humanitäre Pflicht erfüllt? Wie weit darf die Feuerwehr das Haus zerstören, um den Brand zu löschen?“, um dann deutlich zu machen, dass es für ihn keine Grenze gibt.
„Wer die Assad-Diktatur fällen oder doch lähmen will (oder morgen das Sissi-Regime in Ägypten, das einen Massenaufstand in Blut ertränkt), zerschlage Stromversorgung, Kommunikationsanlagen, Fabriken und Brücken à la Serbien; noch besser: Raffinerien, Benzinlager, Flugplätze und Häfen. Und nimmt, Präzisionswaffen hin oder her, Abertausende von Ziviltoten in Kauf“, schreibt Joffe.
Mit „maßgeschneiderten“ Militärschlägen, wie sie US-Präsident Obama angekündigt hatte, will er sich nicht abfinden. „Derlei Minikrieg“ wäre „nicht das Ende der humanitären Tragödie“. Die Schutzverantwortung fordere „viel, viel mehr“.
Neben einer „No-fly- und No-move-Zone im ganzen Land“ hält Joffe Bodentruppen für unverzichtbar. Damit aber werde „aus dem ‚maßgeschneiderten‘ Krieg ein massiver, auf einer nach oben offenen Zeitskala. So lange, bis das Regime fällt oder nicht mehr morden kann. Dann aber begönne der nächste Krieg, und zwar ebenfalls im Namen der humanitären Pflicht. … Wer um der Menschen willen eingreift, muss bleiben – bereit zur nächsten Intervention. Wer A sagt, muss das ganze Alphabet aufsagen. Die Pflicht hat kein Ablaufdatum.“
Und sollte ihn jemand noch nicht verstanden haben, wiederholt Joffe, das Assad-Regime „und dessen Schützlinge, die Christen, Drusen und Alawiten,“ ließen sich durch einen „Schuss vor den Bug“ nicht abschrecken. „Hinter der Drohung muss der zweite Schuss ins Ruderhaus, der dritte in die Brücke und der vierte unter die Wasserlinie stehen.“
Um einen derart massiven Krieg zu führen, ist eine massive Aufrüstung erforderlich, die auf massiven Widerstand stoßen wird. In diesem Zusammenhang macht Joffe eine verräterische Bemerkung. Nachdem er den Teilabzug westlicher Truppen aus dem Irak und Afghanistan bedauert hat, stellt er die Frage: „Warum gibt der Westen auf, nach all diesen Jahren?“ Seine Antwort: „Weil die Demokratien Kriege nicht durchhalten, wo es nicht um die eigene Haut geht.“
Die Schlussfolgerung aus dieser Antwort ist offensichtlich: Um Kriege zu führen, muss man die Demokratie abschaffen, so wie es die herrschenden Eliten Deutschlands 1933 taten, bevor sie die halbe Welt mit Krieg überzogen. Joffes „Menschenrechtskrieg“ erfordert nicht nur in den eroberten Ländern diktatorische Herrschaftsformen, sondern auch an der Heimatfront.
Joffes Artikel ist der bisherige Höhepunkt zahlreicher Kommentare in deutschen Medien – von der taz über die Zeit und die Süddeutsche bis hin zur Springer-Presse –, die für einen Krieg im Nahen Osten werben. Die WSWS hat mehrfach darüber berichtet. Sie artikulieren die Interessen des deutschen Imperialismus, der unter dem Druck der globalen Wirtschaftskrise und wachsenden sozialen Spannungen nach einer aggressiveren, militärisch untermauerten Außenpolitik verlangt.
In derselben Ausgabe der Zeit, in der Joffe für einen Krieg im Nahen Osten wirbt, beklagt der stellvertretende Chefredakteur Bernd Ulrich die „Strategielosigkeit“ von Bundeskanzlerin Angela Merkel, die stets nur auf Krisen reagiere und laviere, statt eine Strategie zu formulieren. „Ob Europa, Krieg und Frieden oder Energie: Von nun an bewältigt Strategielosigkeit keine Krise mehr, sie erzeugt sie“, folgert Ulrich.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Unter dem zynischen Etikett eines „Menschenrechtskriegs“ propagiert Joffe einen Angriffskrieg, über dessen verbrecherischen Ziele er sich bewusst ist. Er hatte bereits 2003 vehement den Irakkrieg unterstützt, der damals von der deutschen Regierung noch abgelehnt wurde.
Später änderte er seine Haltung mit der Begründung, die Amerikaner hätten „das falsche Schwein geschlachtet“. „Wenn man nach kalten, realpolitischen Gesichtspunkten über den Nahen Osten nachdenkt, dann war das der falsche Krieg zur falschen Zeit gegen den falschen Mann“, sagte er im Oktober 2006 dem Österreichischen Rundfunk. „Denn die wirkliche Bedrohung für amerikanische Interessen in der Region war nicht Saddam Hussein.“ Die wirkliche Bedrohung amerikanischer Interessen war „aus sehr kalter, realpolitischer Sicht gesehen“ der Iran.
„Kalte, realpolitische Gesichtspunkte“ sind auch jetzt wieder die Gründe für den Krieg gegen Syrien. Es geht um die Vorherrschaft im energiereichen und strategisch wichtigen Mittleren Osten. Das Ziel ist dabei nicht nur Syrien, sondern auch der Iran und auf lange Sicht Russland. Joffe verfügt als Mitglied zahlreicher internationaler politischer und akademischer Institutionen und Redaktionsbeiräte über enge Beziehungen zu führenden Kreisen in Deutschland, den USA und Israel und ist sich über diese Hintergründe im Klaren.
Mit seiner aggressiven Kriegspropaganda verstößt er nicht nur gegen die offizielle Zurückhaltung, die in Deutschland wegen der Kriegsverbrechen des Nazi-Regimes lange Zeit offiziell geübt wurde. Er verstößt auch gegen das Völkerrecht, das Grundgesetz und das Strafgesetzbuch, die einen Angriffskrieg unter hohe Strafen stellen.
In den Nürnberger Prozessen waren die Spitzen des Nazi-Regimes verurteilt worden, weil sie einen Angriffskrieg geführt und propagiert hatten. Einer der Hauptanklagepunkte lautete auf Verbrechen gegen den Frieden.
Das fand Eingang ins Grundgesetz, dessen Artikel 26 lautet: „Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen.“ Der dazugehörige Paragraph 80 des Strafgesetzbuchs legt für das Herbeiführen eines Angriffskriegs unter Beteiligung der Bundesrepublik eine lebenslange Freiheitsstrafe oder eine Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren fest.
Da nach allgemeiner Rechtsauffassung auch die Anstiftung zu einem Verbrechen strafbar ist, fällt Joffes Kriegspropaganda in diese Kategorie. Er muss allerdings kaum fürchten, von der Justiz belangt zu werden. Wegen Verstoßes gegen Artikel 26 GG ist die deutsche Justiz noch nie tätig geworden. Der Artikel gehört zu den nicht unmittelbar einklagbaren Normen des Grundgesetzes. Den Kampf gegen Krieg kann nur eine unabhängige Bewegung der Arbeiterklasse führen.