Die World Socialist Web Site veröffentlicht das Dokument „Die historischen und internationalen Grundlagen der Socialist Equality Party (Sri Lanka), das auf dem Gründungskongress in Colombo vom 27. bis 29. Mai 2011 einstimmig angenommen wurde. Es wird in zwölf Teilen erscheinen.
(Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4, Teil 5, Teil 6, Teil 7, Teil 8, Teil 9, Teil 10, Teil 11, Teil 12)
1. Einleitung
1.1. Die Socialist Equality Party ist die srilankische Sektion des Internationalen Komitees der Vierten Internationale (IKVI), der Weltpartei der sozialistischen Revolution, die 1938 von Leo Trotzki gegründet wurde. Das IKVI steht für die Fortführung der politischen und theoretischen Kämpfe von Marx, Engels, Lenin und Trotzki für die politische Unabhängigkeit der Arbeiterklasse. Es ist die einzige Partei, die die Arbeiter der Welt mobilisieren, ausbilden und vereinigen will, um das überlebte kapitalistische System zu stürzen und die Gesellschaft auf sozialistischer Grundlage neu aufzubauen.
1.2. Der Beginn des größten Wirtschaftszusammenbruchs seit der Großen Depression in den 1930er Jahren, der mit dem weltweiten Finanzcrash im Jahr 2008 begann, zeigt, dass der Kapitalismus in eine neue Periode systemischer Krisen eingetreten ist. In allen Ländern versucht die herrschende Klasse, einerseits ihre Stellung gegenüber ihren internationalen Rivalen zu stärken und andererseits der Arbeiterklasse neue Lasten aufzubürden. Ersteres verschärft die weltweiten Spannungen, Konflikte und die Kriegsgefahr, Letzteres heizt den Klassenkampf an und kündigt eine neue Periode revolutionärer Erhebungen an.
1.3. Das Zentrum der weltweiten Krise – die Vereinigten Staaten – ist gleichzeitig auch das Herz des Weltkapitalismus. Der fortgeschrittene Niedergang des amerikanischen Kapitalismus und der Aufstieg neuer Mächte in Asien – besonders Chinas – haben die inner-imperialistischen Rivalitäten dramatisch verschärft. Die verantwortungslosen Versuche der USA, ihren wirtschaftlichen Niedergang durch den Einsatz ihrer Militärmacht auszugleichen, haben bereits mehrere Kriege verursacht, unter anderem in Afghanistan und im Irak. Das Ziel dieser Kriege war die Kontrolle über die rohstoffreichen Regionen Zentralasiens und des Nahen Ostens. Diese Konflikte entstehen aus den grundlegenden Widersprüchen des Profitsystems – dem Widerspruch zwischen der Weltwirtschaft und dem überholten Nationalstaaten-System, sowie zwischen der vergesellschafteten Produktion und dem Privateigentum an den Produktionsmitteln. Die Globalisierung der Produktion hat diese Widersprüche auf die Spitze getrieben.
1.4. Durch den Aufstieg Chinas und, in geringerem Ausmaß, Indiens in den vergangenen zwei Jahrzehnten hat sich der Schwerpunkt der Weltpolitik nach Asien verlagert. Im Jahr 1990 war China die zehntgrößte Wirtschaftsmacht. 2010 ist sie zur zweitgrößten nach den USA aufgestiegen und hat Japan verdrängt. Chinas wachsende Industrie zwingt das Land, große Mengen von Rohstoffen zu importieren, darunter auch Öl und Gas aus dem Nahen Osten und Afrika. China baut eine Hochseeflotte auf, um seine Seehandelsrouten zu sichern, wodurch es in Konkurrenz zu Japan, Indien und vor allem den USA um die Kontrolle über den Indischen Ozean gerät. Alle Teile Asiens, auch Sri Lanka, sind in diese Rivalität verstrickt, die unausweichlich zu einem katastrophalen Konflikt führt. Die ersten beiden Weltkriege wurden größtenteils im Atlantik und Pazifik geführt, der Hauptschauplatz eines neuen Weltkrieges wäre vermutlich der Indische Ozean.
1.5. Asien wird zu einer riesigen Arena nicht nur für Rivalitäten zwischen imperialistischen Mächten, sondern auch für die soziale Revolution werden. Die Expansion der Wirtschaft hat der Arbeiterklasse neue gewaltige Bataillone zugeführt. Allein die städtische Arbeiterklasse Chinas umfasst 400 Millionen Menschen. Außerdem hat sich die soziale Kluft zwischen reich und arm in allen Ländern vergrößert. In China lebt die zweitgrößte Anzahl von Milliardären der Welt, aber auch mindestens 250 Millionen Menschen leben unterhalb der Armutsgrenze. In Indien gibt es unmittelbar neben der größten Armut der Welt ein obszönes Ausmaß an Reichtum. Keiner dieser immensen sozialen Widersprüche kann auf kapitalistischer Grundlage gelöst werden. Seit 2008 hat sich der Lebensstandard auf der Welt stark verschlechtert, da die Regierungen die Kosten der Krise der arbeitenden Bevölkerung aufgehalsen. Das hat in Europa, Tunesien, Ägypten und dem Nahen Osten bereits Millionen in den Kampf geschleudert. Die weitere Verschlechterung wird die Arbeiter in Asien und weltweit dazu treiben, für einen angemessenen Lebensstandard und demokratische Rechte, gegen Militarismus und Krieg zu kämpfen. Diese Kämpfe müssen in eine weltweite Gegenoffensive der Arbeiterklasse gegen das gescheiterte Profitsystem und das veraltete Nationalstaatensystem münden, um diese durch eine weltweite sozialistische Planwirtschaft zu ersetzen.
1.6. Die bittere Lektion des 20. Jahrhunderts ist jedoch, dass die Arbeiterklasse die Macht nicht einfach spontan übernehmen kann. Das erfordert den Aufbau einer revolutionären Führung auf Grundlage der Aneignung aller wichtigen historischen Erfahrungen der Arbeiterklasse. Das Internationale Komitee der Vierten Internationale verkörpert diese Lehren aus dem langen Kampf des Trotzkismus gegen Stalinismus und alle Formen des Opportunismus. Dieses reiche Erbe ist zusammengefasst in Die historischen und internationalen Grundlagen der Socialist Equality Party, die die SEP (USA) angenommen hat. Es ist auch die Grundlage für die politische Arbeit der srilankischen SEP.
2. Die Theorie der Permanenten Revolution
2.1. Von zentraler Bedeutung für eine marxistische, d.h. wissenschaftlich begründete Perspektive ist Leo Trotzkis Theorie der Permanenten Revolution. Das ist eine umfassende Konzeption der sozialistischen Weltrevolution, die für die rückständigen kolonialen und halbkolonialen Länder genauso gilt wie für die fortgeschrittenen. Die Theorie wurde erstmals nach der russischen Revolution von 1905 entwickelt und stand im Gegensatz zur Zwei-Stufen-Theorie der menschewistischen Fraktion der russischen sozialdemokratischen Bewegung. Die Menschewiki behaupteten, Russland müsse zuerst durch eine längere Phase der kapitalistischen Entwicklung gehen, bevor eine sozialistische Revolution möglich werde. Deshalb kamen sie zu dem Schluss, das Proletariat müsse sich mit der liberalen Bourgeoisie verbünden, um die grundlegenden Aufgaben der demokratischen Revolution zu verwirklichen: d.h. die Zerstörung der zaristischen Autokratie und die radikale Umwandlung der Verhältnisse auf dem Land.
2.2. Zusammen mit Lenin demonstrierte Trotzki die organische Unfähigkeit der russischen Bourgeoisie, die vom internationalen Finanzkapital abhängig und an die Großgrundbesitzer gebunden war und den Aufstieg der Arbeiterklasse fürchtete, die demokratischen Aufgaben zu erfüllen. Trotzki und Lenin sahen beide voraus, dass die viele Millionen starke Bauernschaft der natürliche Verbündete des Proletariats gegen die zaristische Autokratie war. Lenins Formel einer „demokratischen Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft“ gab der demokratischen Revolution zwar einen besonders radikalen Charakter, ließ jedoch die Frage der politischen Beziehung zwischen den beiden Klassen offen. Trotz des mutigen Charakters seiner Auffassungen sah Lenin in der demokratischen Diktatur nicht das Instrument für die sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft, sondern ein Mittel für die vollständige Entwicklung des Kapitalismus.
2.3. Trotzki ging mit seinen Schlussfolgerungen weiter. Auf Grundlage der Analyse der gesamten Geschichte vertrat er die Meinung, dass die Bauernschaft unfähig sei, eine unabhängige revolutionäre Rolle zu spielen. Da die Bourgeoisie nicht in der Lage war, ihre demokratischen Aufgaben zu lösen, war es die Aufgabe des Proletariats, an der Spitze der aufständischen Massen die bürgerliche demokratische Revolution durch die Errichtung einer „Diktatur des Proletariats“ zu vollziehen und dabei die Bauernschaft anzuführen. Die wichtigste Bedingung dafür war ein entschlossener und andauernder Kampf der revolutionären Partei für die politische Unabhängigkeit der Arbeiterklasse von allen Fraktionen der Bourgeoisie. Nach der Machtübernahme wäre das Proletariat gezwungen, die revolutionären Aufgaben durch die Methoden seiner eigenen Klasse durchzuführen. Dabei käme es unweigerlich zu tiefen Einschnitten ins Privateigentum an den Produktionsmitteln. Mit anderen Worten, es wäre gezwungen, mit der Neuorganisation der Gesellschaft auf sozialistischer Grundlage zu beginnen, womit ihr Schicksal mit der sozialistischen Revolution in Europa und der Welt verbunden wäre.
2.4. Trotzkis Theorie der Klassendynamik der Russischen Revolution erklärt sich aus der Konzeption der sozialistischen Weltrevolution als integriertem, wenn auch nicht gleichzeitigem Prozess. Die soziale Revolution in Russland könne nicht auf ein Land beschränkt bleiben, sondern sei gezwungen, sich auf die internationale Ebene auszudehnen, um zu überleben. „Die Machteroberung durch das Proletariat schließt die Revolution nicht ab, sondern eröffnet sie nur. Der sozialistische Aufbau ist nur auf der Basis des Klassenkampfes im nationalen und internationalen Maßstabe denkbar. Unter den Bedingungen des entscheidenden Übergewichts kapitalistischer Beziehungen in der Weltarena wird dieser Kampf unvermeidlich zu Explosionen führen, d.h. im Inneren zum Bürgerkrieg und außerhalb der nationalen Grenzen zum revolutionären Krieg. Darin besteht der permanente Charakter der sozialistischen Revolution, ganz unabhängig davon, ob es sich um ein zurückgebliebenes Land handelt, das erst gestern seine demokratische Umwälzung vollzogen hat, oder um ein altes kapitalistisches Land, das eine lange Epoche der Demokratie und des Parlamentarismus durchgemacht hat.“[1]
2.5. Die revolutionären Ereignisse in Russland im Jahr 1917 haben Trotzkis Theorie der Permanenten Revolution in jeder Hinsicht bestätigt. Bei seiner Rückkehr aus dem Exil im April 1917 ging Lenin hart mit den Führern der Bolschewiki – darunter auch Stalin – ins Gericht, weil sie der bürgerlichen Provisorischen Regierung, die sich nach dem Sturz des Zaren im Februar gebildet hatte, kritische Unterstützung gegeben hatten. In seinen Aprilthesen distanzierte Lenin sich von seiner Formel einer demokratischen Diktatur und übernahm den Standpunkt der Permanenten Revolution. Er forderte die Arbeiterklasse auf, Widerstand gegen die Provisorische Regierung zu leisten und durch die Arbeiterräte, die Sowjets, die nach dem Sturz des Zaren entstanden waren, die Macht zu übernehmen. Die Umorientierung Lenins und der Bolschewiki war die Grundlage für die Oktoberrevolution 1917 und die Errichtung der Sowjetregierung, die dem Prozess der sozialistischen Weltrevolution einen starken Anstoß gaben.
2.6. An der chinesischen Revolution von 1925-27 zeigte sich, wie weitsichtig die Theorie der Permanenten Revolution in Ländern mit verspäteter kapitalistischer Entwicklung war, allerdings auf negative und tragische Weise. Schuld an der Niederlage der chinesischen Revolution war vor allem die Sowjetbürokratie unter Führung von Stalin, die durch die andauernde Isolation und Rückständigkeit der Sowjetunion entstanden war und die Macht von der Arbeiterklasse usurpiert hatte. Unter dem Banner des „Sozialismus in einem Land“ verwandelte die stalinistische Bürokratie die Dritte Internationale (Komintern) vom Zentrum der Organisierung der sozialistischen Weltrevolution in ein gefügiges Werkzeug der sowjetischen Außenpolitik und benutzte die kommunistischen Parteien in anderen Ländern für Manöver mit bürgerlichen Parteien und Regierungen. In China griff Stalin auf die menschewistische Zwei-Stufen-Theorie zurück und erklärte, die Unterdrückung durch die imperialistischen Mächte zwinge die chinesische Bourgeoisie, eine revolutionäre Rolle zu spielen. Er befahl der jungen Kommunistischen Partei Chinas (KPCh), sich der bürgerlichen Kuomintang (KMT) unterzuordnen, die er zur Avantgarde der chinesischen Revolution erklärte. Dies führte zu vernichtenden Niederlagen der revolutionären Bewegung – zuerst, im April 1927, in Shanghai durch den KMT-Führer Chiang Kai-Shek, dann, im Juli 1927, durch die Regierung der „linken“ KMT in Wuhan.
2.7. Trotzki und die Linke Opposition, die 1923 gegründet wurde, um gegen die stalinistische Bürokratie zu kämpfen, unterzogen Stalins Politik einer vernichtenden Kritik und bereicherten so die Theorie der Permanenten Revolution. Trotzki hatte heftig für die politische Unabhängigkeit der KPCh von der KMT gekämpft und erklärt, der Imperialismus schweiße die nationale Bourgeoisie nicht mit dem Proletariat, der Bauernschaft und der Intelligenz zu einem revolutionären „Block der vier Klassen“ zusammen, wie Stalin es behauptete. Trotzki schrieb: „...alles, was die unterjochten und niedergehaltenen Massen der Werktätigen aktiviert, drängt die nationale Bourgeoisie Chinas unweigerlich in einen militärischen Block mit dem Imperialismus. Der Klassenkampf zwischen der Bourgeoisie und den Arbeiter- und Bauernmassen wird durch das imperialistische Joch nicht abgeschwächt, sondern verschärft sich bei jedem ernsteren Konflikt bis hin zum blutigen Bürgerkrieg.“[2]
Als die revolutionäre Flut 1927 abebbte, gab Stalin der verstümmelten KPCh den wahnsinnigen Befehl, in Kanton und anderen Städten Aufstände anzuzetteln, die zum Scheitern verurteilt waren. Die Kommune von Kanton sollte als Beweis für Stalins Fähigkeit als Revolutionär zeitgleich mit dem 15. Parteitag der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) stattfinden. Auf dem Parteitag schloss er die Mitglieder Linken Opposition in Massen aus der Partei aus und schickte Trotzki ins Exil.
2.8. Im Verlauf des 20. Jahrhunderts hat die Unterordnung der Arbeiterklasse unter die „progressive“ Bourgeoisie unter dem Banner der Zwei-Stufen-Theorie und dem Block der vier Klassen, immer verheerende Niederlagen zur Folge gehabt. Gleichzeitig führten die Stalinisten und ihre Verteidiger eine gnadenlose Kampagne gegen den Trotzkismus im Allgemeinen und die Theorie der Permanenten Revolution im Besonderen. Doch Trotzkis eindrucksvolle Einsichten von vor einem Jahrhundert sind auch heute noch ein entscheidender Leitfaden für Arbeiter und Jugendliche, die einen revolutionären Weg vorwärts suchen. Nirgendwo wurde der Kampf für die Theorie der Permanenten Revolution so erbittert geführt wie in Sri Lanka. Die reichhaltigen strategischen Erfahrungen des Trotzkismus auf dieser kleinen Insel, die in der SEP verkörpert sind, sind wichtige Lehren für den Aufbau revolutionären Massenparteien in Asien, Afrika, Lateinamerika und in der ganzen Welt.
3. Die Gründung der Lanka Sama Samaja Party
3.1. Die Lanka Sama Samaja Party (LSSP) wurde im Dezember 1935 in Sri Lanka (damals Ceylon) von Mitgliedern von Jugendvereinigungen gegründet, die die beschränkte Verfassungsreform von 1931 ablehnten, durch die ein gewählter Staatsrat geschaffen wurde, der die britische Kolonialverwaltung beraten sollte. Die Jugendvereinigungen waren inspiriert von der Massenbewegung für die Unabhängigkeit in Indien und forderten nicht nur ein Ende der britischen Herrschaft, sondern wandten sich angesichts des Elends, das durch die Große Depression verursacht wurde, auch dem Sozialismus zu.
3.2. Die Jugendligen verankerten sich unter Arbeitern und der armen Landbevölkerung. Sie kämpften gegen die Kontrolle, die A.E. Goonesinha über die Gewerkschaftsbewegung in Colombo hatte. Dabei hatten sie ihren größten Erfolg in dem Streik in den Webereien und Spinnereien in Wellawatte. Goonesinha hatte in den 1920er Jahren bedeutende Gewerkschaftskämpfe geführt, war aber in den 1930er Jahren angesichts der Massenarbeitslosigkeit zum Streikbrecher und Anhänger von Immigrantenfeindlichkeit und antitamilischem Rassismus geworden. 1934 begannen die Jugendvereinigungen eine großangelegte Kampagne, um den Opfern einer Malariaepidemie zu helfen, die, zusammen mit der Unterernährung durch sinkende Einkommen und Missernten zu 100.000 Toten führte.
3.3. Von Anfang an waren in der LSSP verschiedenste Elemente zusammengeschlossen. Sie wurde vor dem Hintergrund wachsender Reaktion in Europa gegründet: 1933 war in Deutschland Hitler an die Macht gekommen; das war das Ergebnis der kriminellen Politik Stalins und der Komintern. Deren ultralinke Position der „dritten Periode“, die sie 1928 angenommen hatte, hatte die deutsche Arbeiterklasse gespalten und gelähmt. Trotzki hatte sich für eine Einheitsfront aus KPD und SPD eingesetzt, statt letztere, wie es die stalinistische Politik tat, als „Sozialfaschisten“ zu brandmarken. Die Taktik der Einheitsfront beruhte auf gemeinsamen Aktionen zum Erreichen konkreter Ziele, ohne dabei politische Programme, Parolen oder Transparente zu vermischen. Ihr Zweck war es, die Stärke der Arbeiterklasse gegen die Nazis und ihre Sturmabteilungen zu mobilisieren und gleichzeitig die Perfidie der SPD-Führung zu enthüllen. Nachdem es in der Komintern nach der Machtergreifung der Nazis keine Kritik an Stalins Politik gab, kam Trotzki zu dem Schluss, dass die Arbeiterklasse eine neue Internationale gründen musste – die Vierte Internationale.
3.4. In der LSSP-Führung gab es eine Schicht brillanter junger Menschen, die in Amerika und Großbritannien studiert hatten. In der intellektuellen Stimmung, die die politischen Umwälzungen in Europa und der Welt hervorriefen, wurden sie stark von Trotzkis Schriften beeinflusst. Der einflussreichste von ihnen war Philip Gunawardena; er hatte in Amerika studiert, bevor er 1928 nach Großbritannien gezogen war. Er schloss sich der britischen KP an, wurde aber ausgeschlossen, da er Stalins Politik in Indien und China kritisierte. Weitere Mitglieder seines Kreises waren Colvin R. de Silva, Leslie Goonewardene, N.M. Perera und Vernon Gunasekere.
3.5. In der LSSP gab es jedoch auch Stalin-Sympathisanten und radikale bürgerliche Nationalisten. Diese gemischte Mitgliedschaft widerspiegelte sich in dem formlosen Programm der Partei. In ihrem Manifest erklärte sie, das grundlegende Ziel sei die Errichtung einer sozialistischen Gesellschaft durch „Verstaatlichung der Produktionsmittel, Verteilung und Austausch von Gütern.“ Es forderte die „Erlangung nationaler Unabhängigkeit“ und die „Abschaffung wirtschaftlicher und politischer Ungleichheit und Unterdrückung, die aus den Unterschieden zwischen Klassen, Herkunft, Kaste, Glauben und Geschlecht erwachsen.“ Aber das Programm wies die LSSP nicht als Partei der Arbeiterklasse aus und formulierte kein revolutionäres Programm für die Errichtung des Sozialismus. Es machte keine Versuche, die Probleme anzugehen, vor denen die internationale Arbeiterklasse stand, vor allem das Anwachsen des Stalinismus und seiner Verrätereien.
3.6. Der Aufstieg der LSSP als radikale, antikoloniale, an den Werktätigen orientierte Partei war ein Ergebnis der wirtschaftlichen Rückständigkeit der srilankischen Kapitalistenklasse und ihrer politischen Unterwürfigkeit unter die Kolonialherrschaft. Selbst im Vergleich mit den indischen Kapitalisten, die in den Textil-, Jute-, Kohle- und Stahlindustrien führend waren, spielten die Kapitalisten in Sri Lanka nur eine geringe wirtschaftliche Rolle. Die Teeplantagen – die dominante und gewinnträchtigste Industrie – waren in britischen Händen. Die wichtigste Transport-Infrastruktur – Hafenanlagen und Bahnlinien – wurde mit britischem Kapital erbaut. Die srilankische Bourgeoisie füllte die weniger gewinnträchtigen Lücken in der kolonialen Wirtschaft. Sie häufte Kapital an, indem sie sich als Diener der Kolonialregierung verdingte. Sie baute Früchte für die Schnapsproduktion an und besaß Kautschuk- und Kokosnussplantagen und Graphitminen.
3.7. Die Politik folgte der Wirtschaft. Der Ceylon National Congress (CNC), der 1919 gegründet wurde, war eine blasse Nachahmung des Indian National Congress (INC), den die indische Bourgeoisie 1885 gegründet hatte. Doch während der INC schon 1907 Selbstverwaltung forderte und nach dem Ersten Weltkrieg zu diesem Ziel Massenkampagnen organisierte, war der CNC nur zu schüchternen Appellen für Verfassungsänderungen imstande. Der CNC hatte weit mehr mit den rückständigen indischen Kommunalorganisationen, wie der Muslim League (gegr. 1907) oder der All India Hindu Mahasabha (gegr. 1915) gemeinsam. Sofern er die britische Herrschaft überhaupt kritisierte, dann nur vom Standpunkt der Wahrung der Privilegien der traditionellen muslimischen und hinduistischen Eliten. Der CNC in Sri Lanka stützte sich auf die Rückkehr des Buddhismus unter den singhalesischen Eliten, die den tamilischen und muslimischen Minderheiten feindselig gegenüberstanden. 1921 zerbrach der CNC an kommunalistischen Streitigkeiten, da sich die Führung weigerte, die Forderung ihres Präsidenten, des bekannten Tamilenführers Ponnambalam Arunachalam nach einer Vertretung der Tamilen anzuerkennen. Die Organisationen der tamilischen und muslimischen Eliten Sri Lankas unterschieden sich nur dadurch vom CNC, dass sie noch unterwürfiger gegenüber der britischen Herrschaft waren.
3.8. Alle Teile der srilankischen Bourgeoisie hatten vor allem Angst davor, dass eine starke, kämpferische Arbeiterklasse entstand. Das Proletariat konzentrierte sich hauptsächlich in den Teeplantagen, auf die tamilischsprachige Arbeiter aus Südindien als Vertragsarbeiter geholt worden waren. Im Jahr 1921 gab es 500.000 Plantagenarbeiter bei einer Gesamtbevölkerung von 4,5 Millionen. In Colombo hatte sich außerdem ein städtisches Proletariat gebildet, vor allem in den Häfen, Eisenbahnwerkstätten und der wachsenden Industrie. In Indien versuchte der INC unter Mohandas Karamchand Gandhi begrenzt und streng kontrolliert die antikolonialen Stimmungen zu nutzen und gesellschaftlich-wirtschaftlichen Missstände der Massen anzuprangern, um die Briten zu Zugeständnissen zu bewegen. Der CNC in Sri Lanka forderte keine Unabhängigkeit von der britischen Herrschaft und führte keine öffentliche Kampagne für politische oder soziale Reformen. Seine organische Feindschaft gegenüber den Massen zeigte sich in seiner erbitterten Gegnerschaft gegen die Einführung des allgemeinen Wahlrechts, das die Donoughmore-Kommission der britischen Regierung im Rahmen der Verfassungsreform von 1931 empfohlen hatte.
3.9. Als sich die Intellektuellen In den 1930er Jahren durch die repressiven Bedingungen in Sri Lanka, die politischen Umwälzungen in Europa und die wachsende Kriegsgefahr radikalisierten, fanden ihre Ansichten im politischen Establishment von Colombo keine Ausdrucksmöglichkeit. Anders als in Indien gab es in Sri Lanka keine Kommunistische Partei. Die einzige Partei, die eine Basis in der Arbeiterklasse hatte, war die Labour Party, die 1928 von dem Gewerkschaftsfunktionär Goonesinha in Colombo unter Schirmherrschaft der britischen Labour Party gegründet wurde. Sie forderte weder die Unabhängigkeit, noch den Sozialismus und war dem Marxismus zutiefst feindselig gesonnen. Daher wurde die LSSP zur politischen Heimat verschiedener Tendenzen – denjenigen, die zum Trotzkismus neigten sowie militanten bürgerlichen Nationalisten und Reformern, für die sozialistische oder gar marxistische Phrasen nur ein notwendiges Mittel waren, um die Massen zu erreichen.
3.10. Aufgrund der extremen Klassenspannungen, die damals in Sri Lanka und weltweit herrschten, wurden die mutigsten und revolutionärsten Elemente, die sich an der Arbeiterklasse orientierten – die sogenannte Trotzkisten- oder T-Gruppe, zu Führern der LSSP erhoben. Colvin R. de Silva wurde der erste Präsident der LSSP, Leslie Goonewardene ihr erster Sekretär. Philip Gunawardena und N.M. Perera wurden im Februar 1936 in den Staatsrat gewählt. Sie nutzten ihre Position, um zu erklären, dass die LSSP sich gegen jede Unterstützung für Großbritannien im drohenden Weltkrieg ausspräche. Die LSSP gewann durch ihre entschlossene Verteidigung von Grundrechten und Lebensbedingungen gegen den brutalen Widerstand von Goonesinha und seinem Gewerkschaftsapparat Rückhalt in der Arbeiterklasse von Colombo. Da die bürgerlichen Parteien nicht einmal begrenzte Sozialreformen oder demokratische Rechte, geschweige denn die Freiheit von der Kolonialherrschaft forderten, und schon gar nicht dafür kämpften, fiel diese Aufgabe den Vertretern des Proletariats zu. Die LSSP setzte erfolgreich eine Reihe kleinerer Reformen durch, darunter Änderungen an dem repressiven System der Dorfobersten, die Benutzung der Landessprachen in den Gerichten und eine Arbeitslosenunterstützung.
3.11. Im Jahr 1937 sponserte die LSSP eine Tournee der bekannten Parteichefin der indischen Congress Socialist Party Kamaladevi Chattopadyaya, die in dem Park Galle Face Green in Colombo vor 35.000 Menschen sprach. Ein junger Australier namens Mark Bracegirdle, Pflanzerlehrling und LSSP-Mitglied, sprach zusammen mit ihr in den Plantagengebieten und prangerte die Ausbeutung der Arbeiter auf den Teeplantagen an. Als die Kolonialverwaltung versuchte, Bracegirdle auszuweisen, kam es zu einer Konfrontation zwischen David und Goliath, der LSSP und der Regierung, von der die ganze Insel erfasst wurde. Angesichts des überwältigenden Widerstandes der Bevölkerung, einem Erlass des Gouverneurs und einem Urteil des Obersten Gerichtshofs gegen die Abschiebung, mussten die Kolonialbehörden nachgeben. Die LSSP gewann dadurch stark an politischem Profil.
3.12. Aber die grundlegendsten Fragen, denen die LSSP gegenüberstand, hatten mit internationalen Ereignissen zu tun. Seit ihrer Gründung 1935 hatte die LSSP nicht öffentlich zu dem Kampf auf Leben und Tod zwischen Trotzki und seinen Mitdenkern gegen den Stalinismus und dem Aufbau der Vierten Internationale Stellung bezogen. Ihre einzige internationale Verbindung war die zur indischen Congress Socialist Party, die 1934 als lose Koalition innerhalb der indischen Kongresspartei gegründet wurde. Allerdings war die LSSP-Führung zwischen 1935 und 1939 immer stärker in Konflikt mit der stalinistischen Komintern geraten und musste sich mit den entscheidenden internationalen Fragen der Periode auseinandersetzen. Die sogenannte T-Gruppe war sehr beunruhigt über die Volksfrontpolitik, die Stalin angeordnet hatte, und die in den dreißiger Jahren zu verheerenden Niederlagen der auf einen Aufstand zusteuernden französischen Streikbewegung und der spanischen Revolution geführt hatte. Die „Volksfront“ war das genaue Gegenteil der Einheitsfront, die Trotzki für Deutschland gefordert hatte. Im Namen des Kampfs gegen den Faschismus und der Verteidigung der Demokratie, schloss man sich in einer gemeinsamen politischen Plattform mit Opportunisten und offen bürgerlichen Parteien zusammen. Dadurch wurde die Arbeiterklasse an Bourgeoisie, Privateigentum und den Staat gefesselt und daran gehindert, unabhängig revolutionär zu handeln. Im Rahmen der Volksfrontpolitik und ihrer Manöver mit den „demokratischen“ Mächten Frankreich und Großbritannien, ließ die Komintern ihre bisherige Forderung nach vollständiger Unabhängigkeit der Kolonien dieser Länder fallen und verriet so die antikoloniale Revolution.
3.13. Im privaten Rahmen lehnte die LSSP-Führung die monströsen Moskauer Schauprozesse ab, die von 1936 bis 1938 gegen die trotzkistische Bewegung gerichtet waren und auch als Vorwand für die systematische Ermordung von hunderttausenden Sozialisten dienten, darunter Führer der Bolschewiki, Kommandanten der Roten Armee, Wissenschaftler und Künstler – die besten Vertreter der Generation, die die Russische Revolution durchgeführt hatte. Die Führung der LSSP war auch stark von Trotzkis grundlegender Analyse des Stalinismus in seinem Buch Verratene Revolution: Was ist die Sowjetunion und wohin treibt sie? beeinflusst, das erstmals 1938 auf Englisch erhältlich war. Der entscheidende Punkt in der Wende der LSSP zum Trotzkismus und der Gründung einer Sektion der Vierten Internationalen in Indien und Sri Lanka war jedoch der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs.
Wird fortgesetzt
Fußnoten
1. Leo Trotzki: Permanente Revolution, Essen1993, S 185
2. Leo Trotzki: Schriften., Bd. 2.1, Über China, S. 179.