Die Auseinandersetzung um die griechischen Staatschulden kennzeichnet eine neue Stufe der internationalen Wirtschaftkrise, die 2008 mit dem Bankrott der US-Investmentbank Lehman Brothers begann und eine weltweite Rezession auslöste. Die Regierungen haben auf die Lehman-Pleite reagiert, indem sie Billionen auf die Konten der maroden Banken überwiesen, um einen vollständigen finanziellen Kollaps zu vermeiden. Nun gehen sie dazu über, die gewaltigen Kosten für die Bankenrettung auf die Arbeiterklasse abzuwälzen.
Ihr Versuch, den Lebensstandard der Arbeiter um Generationen zurückzuschrauben, muss zu einem enormen Aufschwung des Klassenkampfs in Europa und in aller Welt führen. Die Kreditrating-Agentur Moodys schrieb am 15. März in einem Bericht: Um das Vertrauen großer globaler Investoren zu erhalten, müssten Regierungen "zwangsläufig fiskalische Anpassungen in einem Ausmaß ergreifen, das in einigen Fällen den sozialen Zusammenhalt auf die Probe stellen" werde. Die Aussage war in einem Bericht von Moodys enthalten, der vor einem gefährlich hohen Schuldenniveau der Vereinigten Staaten warnte.
Griechenland haben sie ausgewählt, um ein Exempel für die gesamte europäische Arbeiterklasse zu statuieren. Das Land am Mittelmeer, dessen Wirtschaftsleistung kaum mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts der Europäischen Union ausmacht, bot sich aufgrund seiner ökonomischen Schwäche und hohen Verschuldung dafür an.
Das Signal gab der Chef der Europäischen Zentralbank (EZB) Jean-Claude Trichet, als er am 3. Dezember das Ende der außerordentlichen Maßnahmen zur erhöhten Liquiditätsversorgung der Banken ankündigte. Zuvor hatte die EZB über 500 Milliarden Euro in die Banken gepumpt. Diese verliehen das Geld ohne eigenes Risiko an Regierungen und Unternehmen weiter. Wenige Tage später begannen die Rating-Agenturen, die Schulden Griechenlands, Portugals und Spaniens herunterzustufen und Darlehen zurückzuhalten. Ihr Ziel war, wie die Financial Times schrieb, "Griechenland zu einem Sparprogramm nach irischem Vorbild zu zwingen". In Irland hatte die Regierung bereits im März ein drastisches Sparpaket beschlossen und im Dezember gegen eine Streik- und Protestwelle in Kraft gesetzt.
Nun trieben die internationalen Anleger die Zinsen für griechische Staatsanleihen in die Höhe und spekulierten gegen den Euro. Gleichzeitig gaben sich Emissäre aus Brüssel, Berlin und Paris in Athen die Klinke in die Hand und drängten die griechische Regierung zu drastischen Einschnitten bei den Staatsausgaben. Die gleichen europäischen Regierungen, die ihren Banken 2008 von einen Tag auf den anderen Hunderte Milliarden Euro zuschusterten, verlangten jetzt , dass Griechenland keinen Cent Unterstützung erhalte und den Haushalt auf Kosten der Arbeiterklasse saniere.
Dabei stützten sie sich auf die feige Zusammenarbeit der griechischen Regierung. Der im Oktober 2009 gewählte Ministerpräsident Giorgos Papandreou ließ seine zynischen Wahlversprechen umgehend fallen. Er hatte versprochen, "die ungeheure Konzentration der Macht zu beenden, die große Ungleichheiten hervorgebracht hat". Er forderte Unternehmer und Gewerkschaften auf, über die Kürzungen zu verhandeln, die den Arbeitern aufgezwungen werden sollten.
Als im Januar die Kreditkosten auch für die sozialdemokratischen Regierungen von José Luis Zapatero in Spanien und José Sócrates in Portugal stiegen, arbeiteten auch sie Pläne für die Senkung von Löhnen, Renten und für Einschnitte im öffentlichen Dienst aus.
Im Februar reiste Papandreou durch europäische Hauptstädte, während ein möglicher Bailout Griechenlands durch die EU oder den internationalen Währungsfond diskutiert wurde. Er versicherte Politikern und Bankern, Athen werde ihre Forderungen erfüllen. Am 16. Februar wiesen die EU-Finanzminister die griechische Regierung an, der EU und der EZB regelmäßig über die Entscheidungen des griechischen Parlaments und den Fortschritt bei der Umsetzung ihres Sparprogramms zu berichten.
Am 5. März verabschiedete Athen ein weiteres Sparprogramm. Es senkt die öffentlichen Gehälter um zehn Prozent, friert die Renten ein, erhöht die Mehrwertsteuer von 19 auf 21 Prozent und vergrößert die Abgaben auf Benzin, Zigaretten und Alkohol, um die Staatsausgaben um 4,8 Milliarden Euro zu senken. Dabei ist höchst fragwürdig, ob die beschlossenen Maßnahmen zu einer langfristigen Reduzierung der Staatsverschuldung führen werden. "Sie könnten, verrückt genug, das Erreichen des Defizit-Ziels nur noch schwieriger machen", kommentierte die britische Financial Times. "Solange es keine wundersame Verbesserung im Außenhandel gibt, muss der Entzug von so viel öffentlicher Nachfrage in so kurzer Zeit die griechische Wirtschaft in die Rezession werfen und die Steuereinnahmen verringern."
Europaweite Angriffe auf die Arbeiterklasse
Die Finanzoligarchie will nicht nur Sozialausgaben kürzen und Haushaltsdefizite abbauen, sondern auch austesten, ob sie den Widerstand der Arbeiterklasse brechen kann. Le Monde schrieb über Griechenland: "Die Finanzkreise fürchten, die Regierung könnte dem sozialen Druck nachgeben." In ganz Europa sind Arbeiter von Kürzungsprogrammen bedroht. Wenn sie Widerstand leisten, drohen die Banken mit einer Kreditklemme.
Das irische Sparpaket dient als Muster für alle anderen. Seine Kernpunkte sind die Senkung der Gehälter im öffentlichen Dienst um zwölf bis 22 Prozent, die Kürzung der Sozialausgaben um vier Prozent sowie die Anhebung der Benzinsteuern und der Gesundheitskosten.
Die portugiesische Regierung plant einen dreijährigen Lohnstopp, Abstriche bei den Renten, drastische Haushaltskürzungen und die Privatisierung der verbliebenen staatlichen Firmen, um das Defizit bis 2013 von 9,3 auf drei Prozent zu senken.
Die spanische Regierung will dasselbe Ziel durch Haushaltskürzungen von fünfzig Milliarden Euro, einen Einstellungsstopp im öffentlichen Dienst und eine Erhöhung der Mehrwertsteuer erreichen.
Die französische Regierung hat im Februar ein dreijähriges Sparprogramm vorgelegt, um das Haushaltsdefizit durch Ausgabenkürzungen von hundert Milliarden Euro von 8,2 auf drei Prozent zu reduzieren.
Deutschland hat die Auswirkungen der Wirtschaftskrise bisher weitgehend durch staatlich subventionierte Kurzarbeit aufgefangen. Umso stärker wird sich die Krise dieses Jahr bemerkbar machen. Die Bundesbank rechnet damit, dass das Haushaltsdefizit 2010 fünf Prozent des BIP erreichen wird. Berlin plant, die Ausgaben jedes Jahr um zehn Prozent zu senken. Weil die Militärausgaben und der Schuldendienst steigen, können die Einsparungen nur durch Sozialkürzungen erreicht werden.
Die Rolle der Europäischen Union
Unter dem Druck der Wirtschaftkrise zeigt sich der reaktionäre Charakter der Europäischen Union. Die Bürokraten in Brüssel strafen die hohlen Phrasen über die europäische "soziale Marktwirtschaft" Lügen und erweisen sich unmittelbar als Werkzeug der Hochfinanz.
Nationale Spannungen und die Spekulation gegen verschuldete Länder der Eurozone stellen den Euro und die EU selbst in Frage. Einige Ökonomen schlagen vor, Griechenland solle die Währungsunion verlassen. Die Regierung könne die Krise dann mittels einer Abwertung der Drachme auf die Bevölkerung abwälzen. Andere treten für den Abschied Deutschlands aus der Währungsunion ein, das sich auf diese Weise von den schwächsten Ländern abkoppeln könnte.
Deutschland, das die Ausdehnung der EU lange Zeit mit hohen Beiträgen unterstützt hat, weil es von ihr wirtschaftlich am stärksten profitierte, hat sich nun am vehementesten gegen jegliche Finanzhilfe für Griechenland ausgesprochen. Mit einer Arroganz, wie man sie seit dem Fall des Nazi-Regimes nicht mehr gehört hat, diffamieren deutsche Medien die Griechen pauschal als korrupt und arbeitsscheu. In Griechenland heizen nationalistische Kreise ihrerseits antideutsche Stimmungen an, um von der eigenen Verantwortung für die Angriffe auf die Arbeiterklasse abzulenken.
"Der Euro sollte Europa in ein goldenes Zeitalter führen: Wachstum, Arbeitsplätze, Wohlstand schaffen", fasst die Süddeutsche Zeitung entsprechende Stimmungen zusammen. "Zwölf Jahre nach der Entscheidung über den Abschied von der deutschen Währung zeigt sich: Die Versprechen haben sich nicht erfüllt. ... Europa droht im Schuldenschlamm zu versinken. Die Währungsunion ist weiter entfernt von einer politischen Union denn je - im Gegenteil: Sie treibt Europa auseinander."
Weil die Banken Maßnahmen verlangen, die von der überwiegenden Bevölkerungsmehrheit abgelehnt werden, denken Teile der europäischen Bourgeoisie darüber nach, ob sie auf demokratische Herrschaftsformen verzichten sollten. Es sei daran erinnert, dass noch vor 35 Jahren alle drei von den Banken ins Visier genommenen Länder autoritäre Regimes hatten. Von 1967 bis 1974 herrschte in Griechenland eine brutale Militärjunta, die von der Nato unterstützt wurde. In Portugal wurde die 1926 an die Macht gelangte faschistische Diktatur erst 1974 gestürzt, und in Spanien wurde die faschistische Diktatur erst 1975, nach Francos Tod und 36 Jahre nach dem Ende des spanischen Bürgerkriegs, von einer bürgerlichen Demokratie nach westeuropäischem Muster abgelöst.
Die Offensive der Arbeiterklasse und die Rolle der Gewerkschaften
Die Arbeiterklasse hat auf die europaweite Sparpolitik mit Streiks in zahlreichen Ländern geantwortet . In Griechenland beteiligten sich am 24. Februar zwei Millionen Arbeiter an einem landesweiten Streik. Bei einer Einwohnerzahl von elf Millionen ist das ein höherer Prozentsatz als beim Generalstreik vom Mai 1968 in Frankreich. Am 11. März lähmte erneut ein Generalstreik das gesamte Land. Jeden Tag legen Proteste und Streiks Teile der Wirtschaft und des öffentlichen Lebens lahm.
In anderen europäischen Ländern, die ins Visier der Banken geraten sind, gibt es ähnliche Proteste. In Portugal beteiligten sich am 4. März eine halbe Million Arbeiter an einem Streik gegen das Sparprogramm der Regierung. In Spanien protestierten am 23. Februar 200.000 Arbeiter gegen die geplante Erhöhung des Renteneintrittsalters um zwei Jahre.
In der zweiten Februarhälfte zeichnete sich eine europaweite Streikbewegung in der Luftfahrt ab. In Deutschland traten die Piloten der Lufthansa in den Ausstand, in Frankreich streikten die Fluglotsen und in England votierte das Bordpersonal von British Airways mit überwältigender Mehrheit für einen Arbeitskampf.
Diese Kampfmaßnahmen sind ein Anzeichen für die machtvolle Militanz und den Klassenhass gegen die Kürzungen, die sich in der Arbeiterklasse anstauen, auch wenn sie noch ohne politische Führung sind. Der internationale Charakter der Streikwelle unterstreicht die objektive Einheit der Arbeiterinteressen. Die Streiks weiteten sich nicht nur auf ganz Europa aus, sondern kamen auch mit wachsender Kampfbereitschaft der amerikanischen Arbeiterklasse zusammen - besonders zu erwähnen sind die Bildungsproteste am 4. März an der Westküste der Vereinigten Staaten.
Ein Flächenbrand wurde nur vermieden, weil die Gewerkschaften Hals über Kopf den Rückzug antraten und die Streiks ohne Ergebnis abbrachen. Nach der Urabstimmung bei British Airways weigerten sich die Gewerkschaften wochenlang, zum Streik aufzurufen. Die CGT brach Streiks bei den französischen Raffinerien in dem Moment ab, als das Benzin knapp zu werden begann. Tschechische Gewerkschaften sagten einen für den 4. März geplanten Verkehrsstreik ab.
Die Gewerkschaften spalten und sabotieren die Kämpfe der Arbeiter, um die Entstehung einer politischen Bewegung gegen die Sozialkürzungen zu verhindern. "Die Gewerkschaftsverbände und ihre Mitgliedsgewerkschaften haben die Wahl dieser Regierung unterstützt. Wir sind nicht auf Streik aus", gab das Vorstandsmitglied der Gewerkschaften in der Privatwirtschaft GSEE, Statis Anestis, freimütig gegenüber der World Socialist Web Site zu. Anestis betonte, man müsse harte Maßnahmen akzeptieren. "Was man akzeptiert und was man nicht akzeptiert, hängt von der Lage ab, in der man sich befindet. Wenn dir einer ein Messer an den Hals hält, dann ist das eine andere Situation."
Diese Äußerungen treffen den Kern der politischen Lage: Die Gewerkschaften verbünden sich mit den Finanzmärkten gegen die Arbeiter. Die Gewerkschaftsbürokratie, ein Teil der oberen Mittelschicht, sorgt dafür, dass die Arbeiterklasse im Würgegriff der Bourgeoisie gefangen bleibt, und tritt deshalb den Arbeitern zunehmend feindlich gegenüber.
Sie stützt sich auf den Staat, um die Einhaltung von Tarifverträgen zu gewährleisten und ein wirtschaftsfreundliches Umfeld zu schaffen, in dem Unternehmen profitabel arbeiten können. Gleichzeitig verteidigt sie das Privateigentum an den Banken. Wenn die Banken daher drohen, dem Staat den Kredithahn zuzudrehen, bleibt den Arbeitern nach Auffassung der Gewerkschaften nur die Kapitulation. Wenn die Baken außerdem den Kredithahn zudrehen, weil sie Arbeiterproteste fürchten, besteht die Aufgabe "verantwortlicher" Gewerkschaftsführer, die Proteste zu zügeln und "realistische" Vorschläge zu unterbreiten, d.h. Vorschläge, die für die Baken akzeptabel sind.
Die Gewerkschaften spielen in ganz Europa die gleiche Rolle. Die französische CGT arbeitet so eng mit Präsident Nicolas Sarkozy zusammen, dass französische Zeitungen bereits über eine "Allianz Sarkozy-CGT" schreiben. In Deutschland feiert der Vorsitzende der IG Metall, Berthold Huber, seinen 60. Geburtstag im Kanzleramt in Gesellschaft Angela Merkels, von Ministern, Wirtschaftsfunktionären und anderen Gewerkschaftsbossen. Deutlicher könnte man die Verschmelzung von Gewerkschaft, Wirtschaft und Regierung zu einer korporatistischen Einheit nicht zur Schau stellen!
PASOK und der Verrat von SYRIZA
Die Sozialdemokratie heute noch als "links" zu bezeichnen, ergibt selbst im bürgerlichen Sprachgebrauch keinen Sinn. Sie ist eine von vielen rechten Parteien, die wetteifern, wie man die Angriffe auf die Arbeiterklasse am besten durchsetzen kann. In Griechenland war die Ablösung der konservativen Vorgängerregierung durch Papandreou eine Voraussetzung für die Sparmaßnahmen. Sie erleichterte es den Gewerkschaften, das Sparprogramm als alternativlos hinzustellen.
Es gibt viele Anzeichen, dass die Regierungsübernahme von Papandreou breite Unterstützung in der Bourgeoisie hatte und als entscheidend für die Durchsetzung der notwendigen Kürzungen gesehen wurde. Der konservative Regierungschef Kostas Karamanlis hatte deshalb im vergangenen Herbst vorzeitige Neuwahlen ausgerufen, obwohl so gut wie fest stand, dass er die Wahl verlieren würde. Wie erwartet gewann Papandreou die Wahl mit pseudolinker Rhetorik und mit Reformversprechen, die er nach seiner Amtsübernahme sofort fallen ließ.
Papandreous Vorbild ist dabei der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder, der mit seiner rechten Agenda 2010 verheerende Sozialkürzungen durchgesetzt und einen großen Niedriglohnsektor geschaffen hat. Auch Tony Blair gehört zu seinen Vorbildern, dessen Kürzungspolitik die Labour Party zum Liebling der Banken der City of London gemacht hat. Dieses Muster durchzieht die sozialdemokratischen Parteien in ganz Europa.
Das Haupthindernis, das es den Arbeitern erschwert, aus der Zwangsjacke des gewerkschaftlichen und sozialdemokratischen Reformismus auszubrechen, ist eine Schicht ex-linker Parteien wie SYRIZA in Griechenland, Die Linke in Deutschland und die Neue Antikapitalistische Partei (NPA) in Frankreich. Sie rekrutieren sich aus Schichten des Staatsapparats und besser gestellten Berufsgruppen mit stalinistischem oder pablistischem Hintergrund. Sie blicken auf eine jahrzehntelange Erfahrung zurück, wie die Arbeiterklasse an die bestehenden Bürokratien gefesselt wird. Trotz ihrer begrenzten Wahlerfolge spielen sie für die bürgerliche Politik eine unverzichtbare Rolle.
Diese Gruppen schüren die falsche Hoffnung, dass die Sozialdemokratie mittels eintägiger Streiks unter der Führung der Gewerkschaften dazu gebracht werden könne, von ihrem Kurs abzuweichen. Der Vorsitzende von SYRIZA, Alexis Tsipras, gratulierte Papandreou telefonisch zu seinem Wahlsieg. Inzwischen hat er eine verbale 180-Grad-Wende hingelegt. Er verurteilte die Kürzungen Papandreous kürzlich als "unfair, brutal und kriminell". Aber dann erklärte er, die Papandreou-Regierung habe "ihre sozialistische Ideologie aufgegeben", und forderte einen gemeinsamen Kampf mit den Gewerkschaften.
Solche Aussagen unterstreichen die Unaufrichtigkeit von Tsipras’ kleinbürgerlicher Politik. Die Darstellung, dass ein Vasall der Banken wie Papandreou eine "sozialistische Ideologie" habe, die er aufgeben könnte, ist eine groteske Lüge. Das gleiche gilt für die Behauptung, die Gewerkschaften hätten ernsthaft die Absicht, einen wirklichen Kampf zu führen.
Die Rolle der kleinbürgerlichen "Linken" in Europa
Solche Positionen sind in der europäischen Ex-Linken allerdings weit verbreitet. Vor den Verhandlungen zwischen Sarkozy und der CGT am 15. Februar über die Rentenkürzung appellierte NPA-Führer Olivier Besancenot öffentlich an die stalinistische Vorsitzende der KPF, Marie-Georges Buffet, und an die Vorsitzende der Sozialistischen Partei, Martine Aubry, die Renten zu verteidigen. Aubry hatte gerade vorher eine Heraufsetzung des Rentenalters gefordert!
In Spanien sagte der Sprecher der Vereinigten Linken (IU), Adolfo Barrena, er hoffe, Zapatero werde sich wieder nach links bewegen. Er unterstützte die Demonstrationen der Gewerkschaft UGT gegen Rentenkürzungen, während der Sprecher der UGT, Julián Loriz, klar machte, dass er Zapateros Kürzungen nicht prinzipiell ablehne. Er beschwerte sich lediglich, dass sie "zu einem unpassenden Moment kommen und auf unpassende Weise durchgesetzt werden".
Diese Parteien hüten sich zwar vor allzu offenen Formulierungen, aber sie akzeptieren, dass Kürzungen notwendig seien. Gemeinsam sind sie der Meinung, auch eine abgespeckte Version des Sozialstaats sei noch überlebensfähig. Die Bourgeoisie müsse nur davon überzeugt werden, zur Politik des leichten Geldes zurückzukehren, die sie vor der Schuldenkrise betrieben hatte. Gleichzeitig werden eine Reform der EU, höhere Ausgaben der EU und die politische Kontrolle der Europäischen Zentralbank gefordert.
Im Januar 2010 schlug Tsipras in einer Rede im Vorsitzendenrat der Europäischen Linken in Berlin einen " Pakt für soziale Gerechtigkeit, Solidarität und Nachhaltigkeit gegen diesen verrückten Stabilitätspakt" vor; außerdem "die politische Kontrolle der Europäischen Zentralbank, die Möglichkeit für Mitgliedsstaaten, direkt Kredite aufzunehmen und die Aufnahme von Eurobonds...und die Stärkung des europäischen Haushalts, um der fehlenden Solidarität entgegenzuwirken".
Vergangenes Jahr schrieb François Sabado von der NPA noch unverblümter: "Europa könnte der Rahmen für eine keynesianische Bailout-Politik sein. Aber die Politik der EU ist Beleg dafür, dass die herrschenden Klassen unfähig zu einer solchen Politik sind... Sie lehnen neue Finanzregeln und eine effektive Kontrolle der Kreditmärkte ab, die notwendig wäre, um die wirtschaftliche Aktivität wieder in Gang zu bringen." Sabado forderte das "Ende der Unabhängigkeit der EZB".
Solche Vorschläge sind wirr und reaktionär. Solange die Produktion nicht anzieht, führt das Gelddrucken zur Rettung von Banken oder zur Finanzierung begrenzter Sozialleistungen durch Inflation letztlich zur Verarmung der Arbeiter. Vor allem gehen diese Vorschläge der zentralen Frage aus dem Weg: Können Arbeiter ihren Lebensstandard verteidigen, ohne die Kontrolle über die Banken, über die Produktion und über die Staatsmacht zu übernehmen? Die Ex-Linken versuchen, als "Radikale" und "Antikapitalisten" zu posieren, ohne die Gretchenfrage, für oder gegen den revolutionären Sozialismus, zu beantworten.
Diese Parteien sind in Wirklichkeit bereit, in bürgerliche Regierungen einzutreten und eine Politik gegen die Arbeiterklasse mitzutragen. Eine wichtige Erfahrung in dieser Hinsicht war der Kurs von Rifondazione Comunista in Italien, die von 2006 bis 2008 Teil der Prodi-Regierung war und die entscheidenden Stimmen für die Rentenkürzungen und die Truppenentsendung nach Afghanistan bereitstellten. Die Ex-Linke ist bestenfalls noch der linke Flügel der Banken.
Für ein sozialistisches Programm
Das Finanzkapital und die Sozialdemokratie können die Kürzungen nicht deshalb durchsetzen, weil sie so stark sind, sondern weil die Arbeiterklasse keine Partei hat. Die breite Opposition ist politisch verwirrt und wird von den Lügen der Gewerkschaften und der Ex-Linken paralysiert. Der Kampf gegen die Pläne der Bourgeoisie, Europa zu verarmen, erfordert einen Bruch mit dem Stalinismus und Opportunismus.
Die Ex-Linken umgeben den Sozialismus mit einem Schleier aus Lügen, um die Arbeiter von ihrem eigenen politischen Erbe abzuschneiden. Das Internationale Komitee der Vierten Internationale schlägt folgende Forderungen für eine sozialistische Opposition gegen Sozialkürzungen vor:
· Keine Entlassungen, kein Verlust der Kaufkraft!
Die Behauptung des Finanzkapitals und seiner sozialdemokratischen und ex-linken Agenten, es sei kein Geld da, ist eine Lüge. Die Arbeiterklasse wird seit Jahrzehnten durch Sparpolitik und Deindustrialisierung ausgeplündert. Der gesellschaftliche Reichtum darf nicht den Profitinteressen des Kapitals dienen, sondern den sozialen Bedürfnissen der Arbeiter.
· Enteignet die Banken!
Die elementarsten Interessen der Arbeiterklasse erfordern eine öffentliche Kontrolle der Banken. Privatbanken ruinieren nach Belieben ganze Länder, verknappen das Geld, um die Zinsen entsprechend ihren politischen Bedürfnissen hochzutreiben, finanzieren die Industrie nicht ausreichend und drängen im Namen der "Wettbewerbsfähigkeit" darauf, den Lebensstandard weltweit ständig nach unten zu treiben. Damit sie ihre Funktion, Produktion und Handel zu finanzieren, wieder erfüllt, muss die Finanzindustrie dem privaten Zugriff entzogen und der Kontrolle der Arbeiter unterstellt werden.
· Kein Vertrauen in die Ex-Linken. Für revolutionären Sozialismus!
Das Prinzip des Privateigentums an den Machthebeln der Wirtschaft ist überholt. Darin zeigt sich die Notwendigkeit des Sozialismus. Aber solange die Arbeiter nicht mit der Sozialdemokratie, den Gewerkschaften und ihren ex-linken Anhängseln brechen, bleiben sie dem Diktat der Banken unterworfen. Der Kampf um die Macht erfordert den Aufbau revolutionärer, sozialistischer Parteien. Die Enteignung der Banken und der Großindustrie dient den Interessen der Massen nur, wenn auch die Staatsmacht in den Händen der Arbeiterklasse liegt. Arbeiter dürfen einer Regierung des Finanzkapitals genauso wenig vertrauen wie einzelnen Oligarchen.
· Für die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa!
Wachsende Spannungen in Europa und die Furcht vor einem möglichen Zusammenbruch des Euro unterstreichen den Bankrott des EU-Projekts. Es droht die Balkanisierung Europas, die einen Handelskrieg zwischen europäischen Handelsblöcken und schließlich einen heißen Krieg vorbereiten würde. Europäische Arbeiter müssen den internationalen Kampf für die Vereinigten Arbeiterstaaten von Europa aufnehmen, als Schritt hin zu weltweitem Sozialismus.
· Keinen Pfennig für den Krieg!
Kriege wie jener der Nato in Afghanistan vergiften die politische Atmosphäre und spalten die Arbeiter mit Nationalismus und Hass auf Einwanderer. Neben ständigen Grausamkeiten bedeutet Krieg auch, dass dringend benötigte Mittel nicht für gesellschaftliche Aufgaben zur Verfügung stehen. Die Ablehnung von Krieg ist eine wesentliche Voraussetzung für die Vereinigung der europäischen Arbeiterklasse und die Herstellung von politischer Solidarität zwischen Arbeitern islamischer und westlicher Länder.
Baut das Internationale Komitee der Vierten Internationale auf
Die politische und ökonomische Situation in Europa beleuchtet grell die Krise der Führung der Arbeiterklasse. Gegenwärtig liegt das Schicksal der Arbeiter in den Händen reaktionärer kleinbürgerlicher Organisationen, die bewusst im Interesse der Finanzaristokratie handeln.
Jede dieser alten Organisationen unter der Führung von Ex-Stalinisten, Ex-Sozialisten, Ex-Marxisten, Ex-Radikalen und selbst von Ex-Reformisten handelt als Agent der Konzerne, der Banken und des bürgerlichen Staats. Nicht eine von ihnen ist vom bürgerlichen Staat unabhängig. PASOK, SYRIZA, verschiedene sozialistische Parteien und pseudolinke Organisationen, wie die NPA in Frankreich, sind politisch bis auf die Knochen korrupt.
Diese Tendenzen Opportunisten zu nennen, wäre schon fast ein Kompliment, weil dieser Begriff einer anderen historischen Epoche angehört. Er bezeichnet die Unterordnung der langfristigen historischen Interessen der Arbeiterklasse unter kurzfristige reformistische Ziele. Typisch für die heutigen Organisationen ist jedoch nicht nur die Ablehnung eines revolutionären Programms, sondern auch die Ablehnung der Verteidigung der elementarsten Bedürfnisse der Arbeiterklasse. Solange die Arbeiterklasse unter der politischen Kontrolle dieser kleinbürgerlichen Organisationen bleibt, kann sie nur Niederlagen erleiden. Sie sind nur die linke Flanke des politischen Establishments im bürgerlichen Staat.
Deshalb ist die dringendste Aufgabe der Arbeiterklasse - in Griechenland, ganz Europa und weltweit -, der Aufbau einer neuen revolutionären Partei auf den Prinzipien des internationalen Sozialismus. Das Internationale Komitee der Vierten Internationale ist die einzige politische Organisation, die darum kämpft, die Arbeiterklasse gegen kapitalistische Ausbeutung, Armut und Krieg zu organisieren und zu vereinen.
Auch heute ist die Arbeiterklasse, ungeachtet all’ ihrer Probleme, auf diesem Planeten die entscheidende revolutionäre Kraft. Die gegenwärtige Weltkrise wird immer mehr Arbeiter in allen Weltregionen in den Kampf gegen den Kapitalismus werfen.
Das IKVI ist überzeugt, dass jetzt eine neue Periode revolutionärer Kämpfe beginnt. Es hat die World Socialist Web Site als politisches Organ geschaffen, um über die Kämpfe der Arbeiterklasse zu berichten, sie zu vereinen und politische Führung zu geben. Das Internationale Komitee verkörpert eine enorme politische Erfahrung, die es in Jahrzehnten des Kampfs zur Verteidigung der Prinzipien des Marxismus und des Trotzkismus erworben hat.
Das IKVI ruft die politisch bewusstesten Arbeiter, Intellektuellen und Jugendlichen auf, für die in diesem Dokument dargelegte Perspektive zu kämpfen und dem IKVI beizutreten.
Um mit der Partei für Soziale Gleichheit und dem Internationalen Komitee der Vierten Internationale in Kontakt zu treten, klicke hier.