Joschka Fischer wirbt für den Afghanistankrieg

Die Eskalation des Afghanistankriegs hat die neue Bundesregierung in Bedrängnis gebracht. Aus dem Kanzleramt, dem Außenministerium und der bayrischen Staatskanzlei gelangen völlig widersprüchliche Stellungnahmen an die Öffentlichkeit. Während die CDU-Vorsitzende und Bundeskanzlerin Angela Merkel gemeinsam mit Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) für Ende Januar eine Aufstockung des deutschen Truppenkontingents vorbereitet, hat sich der CSU-Vorsitzende und bayrische Ministerpräsident Horst Seehofer öffentlich gegen eine solche Erhöhung ausgesprochen. Der FDP-Vorsitzende und Außenminister Guido Westerwelle hüllt sich in Schweigen.

Der Grund für diese Kakophonie ist die wachsende Ablehnung des Kriegs durch breite Bevölkerungsschichten. Laut jüngsten ARD-Umfragen sprechen sich 69 Prozent der Befragten für einen möglichst schnellen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan aus, zwölf Prozentpunkte mehr als im September. 77 Prozent sind der Ansicht, sie würden von der Regierung nicht ehrlich über den Afghanistaneinsatz informiert. "Die Regierung kann gar nicht so schnell reagieren, wie die Zustimmung für den Afghanistan-Einsatz sinkt", kommentiert Der Spiegel diese Zahlen.

Die zunehmende Brutalität des Kriegsgeschehens, die Wahlfälschung und Korruption während der Präsidentenwahl, sowie das Massaker von Kundus und die Bemühungen der Regierung, dieses zu vertuschen, haben der bisherigen Regierungspropaganda den Boden entzogen. Kaum jemand glaubt heute noch, dass sich die Bundeswehr in Afghanistan befinde, um Brunnen zu graben, afghanische Frauen zu emanzipieren, die Zivilbevölkerung zu schützen und Demokratie zu fördern. Zu den wahren Kriegszielen will sich die Regierung aber aus guten Gründen nicht äußern.

Unter diesen Umständen hat sich Joschka Fischer zu Wort gemeldet, um den Afghanistaneinsatz zu verteidigen und neu zu rechtfertigen. Als erster und bisher einziger grüner Außenminister (1998-2005) hatte Fischer eine Schlüsselrolle dabei gespielt, das Tabu internationaler Bundeswehreinsätze zu brechen und seine Anhänger für weltweite Kriegseinsätze zu begeistern. Es war Fischer, der die Teilnahme der Bundeswehr am Kosovokrieg mit dem zynischen Argument rechtfertigte, das Erbe des Holocaust verpflichte Deutschland, auf dem Balkan einen angeblichen Völkermord zu verhindern. Auch die Entsendung der Bundeswehr nach Afghanistan fällt in seine Amtszeit.

Bemerkenswert an Fischers jetziger Stellungnahme ist, dass er gar nicht mehr versucht, den Afghanistaneinsatz mit humanitären Gründen zu rechtfertigen. Stattdessen führt er ausschließlich geopolitische Ziele an.

"Bei der Suche nach der Antwort auf die Frage, worum es in Afghanistan tatsächlich geht, wird man die Antwort nicht allein oder vor allem in dem Land selbst finden", schreibt Fischer in einem Beitrag für die Süddeutsche Zeitung. "Afghanistan ist das Schlachtfeld, aber die Ursachen für die Kriege und Bürgerkriege, die seit Mitte der siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts dieses Land verheeren, lagen und liegen jenseits seiner Grenzen."

Nach dem Abzug der sowjetischen Armee aus Afghanistan, so Fischer, habe 1989 "ein Stellvertreterkrieg der Nachbarn um die Macht am Hindukusch" begonnen. Pakistan, unterstützt von Saudi-Arabien, habe "strategische Tiefe gegenüber seinem Erzfeind Indien" gesucht und zu diesem Zweck die Taliban ausgerüstet. Der Iran habe seine Interessen mithilfe der schiitischen Minderheit verteidigt, und die nördlichen Nachbarn (dahinter durch Russland) hätten sich auf die tadschikische Nordallianz und die Usbekenmiliz gestützt.

Mit der Invasion des Irak im März 2003, die Fischer als "Torheit" bezeichnet, habe dann US-Präsident George W. Bush "nicht nur Amerikas militärische Kraft völlig unnötig vergeudet", sondern auch den Iran "in die zentrale Rolle in der gesamten Region befördert". "Wer daher heute eine Antwort auf das afghanische Rätsel sucht", fährt er fort, "wird zuerst und vor allem von der Region her denken müssen: Kann sich der Westen einen Rückzug aus dieser Region erlauben?"

Fischer beantwortet diese Frage mit einem klaren Nein und verlangt für die Fortsetzung des Kriegs ein klar definiertes Ziel: "einen stabilen Status quo in Afghanistan, der verhindert, dass das Land erneut zum Schlachtfeld der regionalen Interessen und zur Basis von al-Qaida wird. Dieses Ziel wird ohne ausreichende militärische Präsenz sowie verbesserte und verstärkte Wiederaufbauleistungen nicht erreichbar sein."

Das ist ein aufschlussreiches Bekenntnis. Um die "Macht am Hindukusch" nicht den Nachbarn zu überlassen, befürwortet der führende Kopf der Grünen die Ausweitung eines Kriegs, der bereits Tausende zivile Opfer gekostet hat und weitere Zehntausende fordern wird. Seine Partei hat er dabei weitgehend hinter sich, auch wenn sich ihre heutigen Sprecher in der Regel etwas vorsichtiger ausdrücken.

Die offensichtliche Frage, weshalb die USA und ihre europäischen Verbündeten die "Macht am Hindukusch" mit größerem Recht beanspruchen können, als die unmittelbaren Nachbarn, beantwortet Fischer nicht. Hier gibt er seine Offenheit auf. Er stellt den Krieg als uneigennützige Intervention der USA und ihrer Verbündeten dar, die nichts weiter beabsichtigten, als Terrorismus, islamistischen Radikalismus, nukleare Bedrohung, regionale Konflikte und den drohenden Zerfall von Staaten zu unterbinden.

Fischer weiß es besser. Als bezahlter Lobbyist des Nabucco-Pipeline-Projekts, mit dem führende europäische Energiekonzerne die Erdgasvorräte Zentralasiens erschließen wollen, steht er an vorderster Front im Kampf um Öl und Gas, der den Krieg in Afghanistan befeuert.

Als ehemaliger Außenminister ist Fischer auch bestens mit den strategischen Vorstellungen Zbginiew Brzezinskis vertraut, der als Sicherheitsberater von US-Präsident Jimmy Carter die Unterstützung für die afghanischen Mudschaheddin in die Wege leitete. In seinem 1997 veröffentlichten Buch "Die einzige Weltmacht" entwickelte Brzezinski die These, der Schlüssel zur Verteidigung der globalen Vormachtstellung der USA im 21. Jahrhundert sei die Kontrolle über Zentralasien. Afghanistan maß er dabei eine zentrale Bedeutung bei.

Für Fischer steht außer Frage, dass der Zugang zu den Bodenschätzen Zentralasiens und die Vorherrschaft des "Westens" in der Region mit allen Mitteln verteidigt werden müssen. Die deutschen und amerikanischen Interessen sind zwar nicht völlig deckungsgleich, aber eine amerikanische Niederlage in Afghanistan würde nicht nur die Autorität der USA unwiderruflich beschädigen, sondern auch die europäischen Mächte in Mitleidenschaft ziehen. Afghanistan dient beiden als "Schachbrett" (Brzezinski), um das aufstrebende China, Indien und Russland in Schach zu halten.

"Die große Frage" ist für Fischer, "ob die USA und ihre europäischen Verbündeten für ein solches Unterfangen noch die Kraft, die Ausdauer und den Weitblick haben." "Man darf daran zweifeln", schreibt er. "Die Alternative dazu wird eine ziemlich chaotische und gefährliche Zukunft in dieser weiten Krisenregion sein."

Ein Blick in die Geschichte lehrt, dass die Kraft und Ausdauer einer kriegführenden Macht davon abhängt, wie weit es ihr gelingt, die innere Opposition in Schranken zu halten und zu unterdrücken. Wichtigste Voraussetzung für die "Ausdauer" der deutschen Armee im Ersten Weltkrieg war der Verrat der SPD, im Zweiten Weltkrieg war es die Zerschlagung der Arbeiterbewegung durch die Nazis. Die USA wiederum verloren den Vietnamkrieg vor allem aufgrund des wachsenden Widerstands im eigenen Land.

Man kann also von Fischer und den Grünen in dieser Hinsicht noch einiges erwarten. Sie haben sich aus Pazifisten in begeisterte Kriegsbefürworter verwandelt. So wie das deutsche Kleinbürgertum vor hundert Jahren für die Flottenpolitik des Kaisers schwärmte, begeistern sie sich heute für den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan. Die Form hat sich geändert, der Inhalt ist derselbe geblieben. Diese Haltung hat ihre unausweichliche Logik. Je stärker sich der Widerstand gegen den Krieg entwickelt, desto offener werden sie dagegen auftreten und dabei auch vor staatlichen Unterdrückungsmaßnahmen nicht zurückschrecken.

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