Der italienische Regierungschef Silvio Berlusconi hat per Dekret private nächtliche Bürgerpatrouillen autorisiert. Die Regierung legalisiert damit die Attacken von rassistischen und faschistischen Schlägerbanden, die in den vergangenen Wochen und Monaten verstärkt Einwanderer angegriffen haben.
In der Ministerratssitzung vom Freitag, den 20. Februar, erließ Berlusconi ein Eildekret, das es Freiwilligen erlaubt, in organisierten Gruppen auf Streife zu gehen, um verdächtige Individuen aufzuspüren und der Polizei zu melden. Gegenwärtig soll diese Bürgerwehr unbewaffnet sein und mit Spezialhandys Kontakt zur Polizei halten. Weiter sieht das Dekret vor, das Budget des Innenministers um hundert Millionen Euro zu erhöhen und die Polizei bis spätestens April um 2.500 Mann aufzustocken.
Der Verteidigungsminister Ignazio La Russa von der neofaschistischen Alleanza Nazionale erklärte im Anschluss an die Sitzung, das Eildekret über die Bürgerpatrouillen sei im Ministerrat einstimmig angenommen worden. Roberto Maroni, der Innenminister von der rassistischen Lega Nord, erläuterte, die Patrouillen würden jeweils vom Bürgermeister und der Polizeipräfektur organisiert und mit speziellen Funkgeräten ausgestattet. Man wolle mit der Maßnahme "unkontrollierte Selbstjustiz" vermeiden, fügte Maroni hinzu.
Als Vorwand für die offizielle staatliche Sanktion von Bürgerpatrouillen dienen mehrere Fälle von brutalen Vergewaltigungen, zum Beispiel eine an Silvester in Rom und eine weitere in der dritten Januarwoche in der römischen Vorstadt Guidonia, bei der eine Gruppe von Rumänen eine junge Frau vergewaltigten. Diese Vorfälle wurden in den Medien stark thematisiert und dienen als propagandistischer Deckmantel und Rechtfertigung für das Marodieren faschistischer Schlägerbanden, die sich seit Monaten herumtreiben und Einwanderer verprügeln. Ihnen verleiht jetzt die offizielle Autorisierung der Bürgerwehren durch Berlusconi und seine Regierung Auftrieb und Rückendeckung.
Diese Schlägertrupps gehen nicht nur gegen Rumänen und Afrikaner vor, sondern auch gegen Studenten und protestierende Jugendliche. So zum Beispiel bei den Studentenprotesten im vergangenen Herbst. Damals tauchte am 29. Oktober, dem Tag der Verabschiedung der Bildungs-"Reform" im Parlament, ein faschistischer Schlägertrupp auf der Piazza Navona in Rom auf, wo Studenten und Schüler protestierten. Die rechten Schläger trugen Holzknüppel, die in italienische Flaggen eingewickelt waren, und prügelten damit auf die Jugendlichen ein.
Auch in den vergangenen Wochen gab es zahlreiche ähnliche Überfälle. Am 16. Februar wurden vier Rumänen in Rom von einer zwanzigköpfigen Schlägerbande überfallen, zwei der Rumänen wurden krankenhausreif geschlagen. In Guidonia wurde ein rumänisches Geschäft demoliert. Am selben Wochenende kam es zu weiteren Übergriffen in Bologna und Mailand.
In Nettuno bei Rom wurde ein 35-jähriger Inder von drei betrunkenen Italienern überfallen und angezündet. Er kam mit schwersten Verbrennungen in die Intensivstation.
Regierungsmitglieder gießen systematisch Öl ins Feuer, indem sie gegen Muslime und alle "Fremden" hetzen. Als während des Gaza-Kriegs hunderte protestierende Muslime vor dem Mailänder Dom und dem Colosseum in Rom beteten, wurde dies von Politikern und Medien als "islamistische Bedrohung" und Angriff auf die "westlichen Werte" interpretiert.
Als eine Vergewaltigung eindeutig auf den Sohn eines Camorristen von Neapel zurück geführt wurde, wurde diese Nachricht in der Öffentlichkeit unterdrückt. Stattdessen ging das Innenministerium zu Massenabschiebungen über. Roberto Maroni kündigte an, noch in diesem Jahr 500.000 Einwanderer abzuschieben.
Faschistische Tradition
Die staatliche Sanktionierung von Bürgerwehren leitet ein neues Stadium in der Rechtsentwicklung der Regierung Berlusconis ein. Am Kabinettstisch in Rom geben die extrem rechten Parteien, wie die postfaschistische Alleanza Nazionale und die separatistische und offen rassistischen Lega Nord den Ton an. Schon während des Wahlkampfs im vergangenen Frühjahr machte Berlusconi Fremdenfeindlichkeit zum zentralen Thema seines Wahlkampfs. Der Milliardär und Medien-Tycoon bezeichnete Einwanderer und insbesondere Sinti und Roma als Hauptursache für die wirtschaftlichen und sozialen Probleme Italiens.
Kurz nach dem Wahlsieg der Berlusconi-Allianz begannen Polizei und die paramilitärischen Carabinieri mit Razzien gegen Einwanderer. Anfang Mai attackierten Polizeieinheiten ausländische Arbeiter und ihre Familien und organisierten gezielte Festnahmen. Hunderte Einwanderer aus Osteuropa, Albanien, Griechenland, Nordafrika und China wurden festgenommen und einer Vielzahl von Vergehen beschuldigt, unter anderem der illegalen Einreise nach Italien. Hunderte wurden medienwirksam zur Grenze geschafft und ausgewiesen.
Vor den Augen der Öffentlichkeit überfielen Polizei und Sicherheitskräfte in der Hauptstadt ein Roma-Lager unter der Milvio-Brücke am Ufer des Tiber. Seither wurden Roma-Siedlungen systematisch terrorisiert.
Mitte Juli rief Berlusconi den so genannten "Flüchtlingsnotstand" aus und kündigte an, die Zahl der Internierungslager zu verdoppeln. Dazu wurden ausgediente Kasernen im ganzen Land in "Identifikations- und Ausweisungs-Zentren" umgewandelt. Diese Gefängnisse dienen der Umsetzung der neuen Sicherheitsgesetze, denen zufolge Menschen bis zu 18 Monate lang festgehalten werden können und die "illegale Einwanderung" zum Verbrechen erklären.
Anfang September bekannten sich führende Mitglieder der Regierung Berlusconi zum Faschismus. Ausgerechnet anlässlich einer Gedenkfeier für die römischen Widerstandskämpfer vom September 1943 erinnerte Verteidigungsminister Ignazio La Russa an jene Faschisten, die auch nach der offiziellen Kapitulation Roms an der Seite Mussolinis ausharrten.
Ignazio Benito Maria La Russa, dessen zweiter Vorname eine Würdigung seiner Eltern an den faschistischen Diktator Benito Mussolini darstellt, ist Präsident der Alleanza Nazionale, Schwesterpartei von Berlusconis Forza Italia im Bündnis "Volk der Freiheit" (Pdl), und leitet seit Mai als Verteidigungsminister die Umwandlung von ausgedienten Kasernen in Internierungslager. Wie sein Vater war er im neofaschistischen Movimento Sociale Italiano (MSI) aktiv, aus der die heutige Alleanza Nazionale hervorgegangen ist.
Neben ihm sind noch weitere Angehörige der postfaschistischen Alleanza Nazionale in Spitzenpositionen des Landes vorgedrungen: AN-Präsident Gianfranco Fini ist Präsident der Abgeordnetenkammer, und auch der neue Bürgermeister von Rom, Gianni Alemanno, hat eine faschistische Vergangenheit.
Das Dekret zur Legitimierung der Bürgerwehren erinnert unwillkürlich an die Bildung der faschistischen Kampfbünde (Fasci di Combattimento) am Ende des Ersten Weltkriegs. Als Reaktion auf die Kriegsverbrechen organisierten Arbeiter damals Fabrik- und Landbesetzungen. Dagegen bildeten und finanzierten Fabrikanten und Großgrundbesitzer Kampfgruppen, um die Arbeiter zu terrorisieren. 1919 fasste Mussolini die lokalen Gruppen zusammen, und die Squadristi (Schwarzhemden) wurden zum Rückgrat seiner faschistischen Stoßtrupps.
Wirtschaftskrise und Armut
Auch heute stehen die Maßnahmen der italienischen Regierung in direktem Zusammenhang zur Verschärfung der Finanz- und Wirtschaftskrise, die massenhafte Proteste von Arbeitern und Jugendlichen hervorbringt. Am 13. Februar protestierten über eine Million Menschen mit Streiks und Demonstrationen gegen die Berlusconi-Regierung und forderten ein soziales Netz gegen die Auswirkungen der Krise.
Vor allem Lehrer, Staatsbeamte und Metallarbeiter legten die Arbeit nieder. Allein in Rom demonstrierten 700.000 Menschen in drei großen Protestzügen. Erst vor wenigen Wochen, im Herbst und Winter 2008, gingen Jugendliche und Studenten wochenlang gegen die Bildungs- und soziale Misere auf die Straße.
Italien ist das am stärksten verschuldete Land Europas. Die Staatsverschuldung beträgt über 106 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Seit Dezember 2008 hängt die Drohung eines Staatsbankrotts über dem Land.
Mehrere Studien, die das nationale Statistikamt Istat und die Caritas Ende 2008 veröffentlichten, belegen den raschen Anstieg der Armut. Laut Istat ist die Zahl der Familien, deren Einkommen aus Arbeit nur bis zur dritten Monatwoche reicht, von 14,6 auf 15,4 Prozent angestiegen.
Vor allem Familien mit mehreren Kindern, Rentner und Alleinerziehende sind von Armut betroffen. Besonders krass ist die Lage in Süditalien; in Sizilien gibt es mit 29,9 Prozent den höchsten Prozentsatz armer Familien.
Die Empörung in der Bevölkerung kann sich nicht politisch artikulieren, da es so gut wie keine Opposition mehr in Italien gibt. Da Rifondazione Comunista bei den letzten Parlamentswahlen alle Abgeordnetensitze verloren hat, besteht die parlamentarische Opposition hauptsächlich aus der Demokratischen Partei (PD), die jedoch in der tiefsten Krise seit ihrer Gründung vor anderthalb Jahren steckt.
Nach einer bitteren Wahlniederlage auf Sardinien ist der Parteichef der PD, Walter Veltroni, ehemaliges KPI-Mitglied und früherer Bürgermeister von Rom, von allen Funktionen zurückgetreten. An seiner Stelle übernimmt Dario Franceschini, ein ehemaliger gemäßigter Christdemokrat und ein Margherita-Mitglied, das Amt des PD-Parteichefs und Oppositionsführers.
Veltroni hatte schon im Wahlkampf vor einem Jahr dem Rechtskurs von Berlusconi absolut nichts entgegen zu setzen. Hier nur ein Beispiel seiner politischen Haltung zur aktuellen Aufrüstung des Polizeistaats durch die Berlusconi-Regierung. Walter Veltronis verurteilte den Einsatz von Militär im Innern nicht als Bedrohung demokratischer Rechte, sondern als "Verschwendung von Ressourcen ohne Durchschlagskraft". Die Bürgerwehren lehnte er halbherzig ab, forderte aber im gleichen Atemzug mehr Mittel für die Polizei - die ja jetzt bewilligt worden sind.