Auf Verlangen der USA greift das pakistanische Militär Islamisten an

Die pakistanische Regierung hat eine größere militärische Offensiven gegen islamistische Gruppen in der nordwestlichen Grenzregion (North West Frontiere Province, NWFP) und in den Stammesgebieten unter Bundesverwaltung (Federal Administered Tribal Areas, FATA) angeordnet, die angeblich den Aufruhr gegen die amerikanischen und NATO-Kräfte in Afghanistan über die Grenze hinweg unterstützen. Im vergangenen Monat hatte Premierminister Yousuf Rusa Gilani Washington besucht. Damals verlangte die Bush Regierung die Zerschlagung dieser Gruppen.

Die blutigsten Kämpfe finden im Swat Tal der nordwestlichen Grenzregion statt, einem Gebiet das nur 250 Kilometer von Pakistans Hauptstadt Islamabad entfernt ist. Die Region war früher für ihre Skigebiete bekannt und wurde die "Schweiz Pakistans" genannt. Nun ist sie Schauplatz von Artilleriebombardements und Angriffen schwerer Kampfhubschrauber. Die Truppen der Regierung kämpfen gegen Tausende von Kämpfern der Tehreek-e-Nafa-e-Shariat-e-Mohammadi (TNSM, Bewegung zur Durchsetzung des Islamischen Rechts). Die TNSM wurde von dem inhaftierten Geistlichen Sufi Mohammad gegründet und wird nun von seinem Sohn Maulana Fazlullah geführt. Sie wird gelegentlich auch als die pakistanische Taliban bezeichnet.

Jüngste Schätzungen geben die militärische Stärke der TNSM mit 4.500 bewaffneten Kämpfern an. Die TNSM verfügt über beträchtliche Unterstützung seitens der paschtunischen Bevölkerungsgruppe der wirtschaftlich und sozial kaum entwickelten ländlichen Gebiete der Nordwestlichen Grenzregion. Zeitweise kontrollierte sie über 50 mittlere und kleinere Städte im Swat Tal und brannte anscheinend mehr als 60 Schulen nieder, die weibliche Schüler ausbildeten. Neben ihrer Absicht, das islamische Recht in ganz Pakistan einzuführen, rekrutiert diese Organisation aktiv Kämpfer für den Kampf in Afghanistan gegen die US-geführte Besatzung.

Ein Waffenstillstand zwischen der Regierung und der TNSM fiel im letzten November in sich zusammen. Die bisher nur gelegentlichen Kämpfe haben in diesem Monat dramatisch an Heftigkeit zugenommen, nachdem drei pakistanische Geheimdienstmitarbeiter von Anhängern Fazlullahs getötet wurden. An der Operation sind an die 20.000 Soldaten mit dem Ziel beteiligt, die Islamisten zu zerschlagen und ihre Führung zu töten oder zu verhaften.

Dem pakistanischen Militär zufolge wurden bislang 94 Kämpfer und elf eigene Soldaten getötet. Die TNSM veröffentlichte zu den Gefechten eine anderslautende Presseerklärung. Am Montag behauptete sie, nur neun Kämpfer verloren zu haben und dabei mehr als 70 Regierungssoldaten getötet zu haben.

Khan Nawab, ein Bewohner aus dem Swat Tal, sagte gegenüber CNS News, dass das Militär mit seinen wahllosen Luftangriffen hohe zivile Verluste in Kauf nehme. "Das Militär setzt Kampfhubschrauber ein, um sie [die Islamisten] zu eliminieren", erklärte er, "doch manchmal treffen sie dabei mehr Zivilisten als Taliban. Das macht böses Blut bei der lokalen Bevölkerung und die Regierung sollte dieses Problem ernster nehmen." Der pakistanische Analyst Zia ud Din Yousafzai sagte gegenüber CNS: "Wir stehen praktisch an der Schwelle zum Bürgerkrieg."

Luftangriffe wurden Berichten zufolge gegen die Städte Gut, Peuchar, Namal, Charbagh, Malam Jabba, Mancha, Shah Dheri, Shamozai und Deolai geflogen. Am Mittwoch behauptete das pakistanische Militär, dass Ali Bakht, ein hoher Führer der TNSM, und acht weitere Kämpfer bei einem frühmorgendlichen Angriff von Regierungstruppen auf Deolai getötet worden seien. Die pakistanische Zeitung Dawn berichtete, dass viele lokale Einwohner an der Beerdigung an dem Abend teilgenommen hätten.

Ausdehnung und Heftigkeit der Kämpfe im Swat Tal stehen dabei der Heftigkeit der Kämpfe im benachbarten Afghanistan in nichts nach. Des Weiteren ist der Kampf mit der TNSM im Swat Tal nur eine von unzähligen Fronten eines inzwischen beinahe totalen Kriegs zwischen der pakistanischen Regierung und einer verstärkt Zulauf erhaltenden islamistischen Opposition, die in der paschtunischen Region des Landes verankert ist.

Eine Übersicht über andere Islamisten und Stammeskriegsführer, die sich nun in offener Rebellion gegen Islamabad befinden und den Aufstand in Afghanistan offen unterstützen, gibt einen Einblick in die gewaltigen Probleme, denen sich die pakistanische Regierung wie auch die US- und NATO-Streitkräfte gegenübersehen. Die amerikanischen Streitkräfte befinden sich im Krieg mit Bewegungen, die Unterstützung aus der paschtunischen Bevölkerung der FATA und des NWFP erhalten, und Zehntausende bewaffnete Kämpfer mobilisieren können, darunter zahlreiche Veteranen aus dem Aufstand der 1980er Jahre gegen die sowjetische Besatzung Afghanistans und dem sich anschließenden Bürgerkrieg, der 1996 die Taliban an die Macht brachte.

Baitullah Mehsud, ein 35 jähriger Stammesführer, der beschuldigt wird, die Verantwortung für die Ermordung der ehemaligen pakistanischen Premierministerin Benazir Bhutto zu tragen, kontrolliert große Teile der FATA Regionen Südwasiristan und Nordwasiristan. Seine Bewegung, die Tehreek-e-Taliban Pakistan, verfügt über eine bewaffnete Streitmacht von 20.000 paschtunischen Stammeskriegern.

Mehsud gewährt dem afghanischen Taliban Warlord Jalaluddin Haqqani und Tausenden Guerillas einen sicheren Rückzugsraum. Islamistische Extremisten aus der ganzen Welt - Schätzungen reichen von 500 bis 8.000 - sollen sich ebenfalls in Süd- und Nord Wasiristan befinden und Seite an Seite mit den bewaffneten Kräften Haqqanis und Mehsuds kämpfen. Die FATA Gebiete sind der wahrscheinlichste Aufenthaltsort Osama bin Ladens und der al-Qaida Kämpfer, die die US Invasion Afghanistans im Oktober 2001 überlebten. Seit 2004 starben hunderte pakistanische Soldaten bei mehreren gescheiterten Offensiven, um das Gebiet unter Regierungskontrolle zu bringen.

Das FATA Verwaltungsgebiet Khyber, in welchem die wichtigsten Straßen liegen, die Pakistan mit Afghanistan verbinden, wird vom radikalislamischen Mangal Bagh kontrolliert, der eine Gruppe anführt, die als Lashkar-e-Islam oder auch Armee des Islam bezeichnet wird. Anfang des Jahres behauptete Bagh, er könne 180.000 Kämpfer mobilisieren. Obwohl die wirkliche Zahl weitaus geringer sein dürfte, haben Baghs Kämpfer in den letzten Monaten die Kontrolle über ganze Gebiete der angrenzenden NWFP erringen können. In den Monaten Juni und Juli haben pakistanische Truppen erbitterte Kämpfe austragen müssen, um die Streitkräfte Baghs aus Positionen zu vertreiben, die sie nahe der Provinzhauptstadt Peschawar eingenommen hatten.

Die FATA Verwaltungseinheit Mohmand wird von dem Stammesführer Maulvi Omar Khalid beherrscht, der Berichten zufolge eigene Gerichte und Gefängnisse unterhält. Seine Streitkräfte liefern sich gelegentlich bewaffnete Zusammenstöße mit den Anhängern Mehsuds, obwohl man annimmt, dass sie ebenso die afghanischen Aufständischen unterstützen.

Die FATA Agentur Bajour ist das Zentrum des pakistanischen Islamisten Maulvi Omar, der angeblich den Guerillas des afghanischen Kriegsherren Gulbuddin Hekmatyr ein Rückzugsgebiet bietet. Omar drohte letzten Monat, Krieg gegen die pakistanische Regierung zu führen, wenn diese nicht ihre militärischen Operationen gegen Fazlulluahs TNSM im Swat Tall abbrächen. Von Bajour aus operierende Guerillas sollen im Juli einen Angriff auf eine US Basis im afghanischen Dorf Wanat ausgeführt haben, wobei neun US Soldaten starben und 25 verwundet wurden.

Ein pakistanischer Politiker aus der NWFP, Afrasiab Khattak, gab diesen Monat gegenüber Radio Free Europe an: "Die Situation in unseren Stammesgebieten ist vergleichbar mit der Afghanistans vor dem 11. September. Staatliche Autorität in diesen Regionen existiert praktisch nicht. Militante, die in Pakistan wie auch Afghanistan kämpfen, kontrollieren jetzt dieses Gebiet."

Ausbau und Sicherung von Rückzugsgebieten in Pakistan sind der treibende Faktor hinter dem sich ausweitenden Aufstand in Afghanistan. Die Zahl der Angriffe auf amerikanische und NATO-Truppen belief sich zum 13. Juli auf 3.590, das ist ein Anstieg um 50 Prozent im Vergleich mit dem Vorjahreszeitraum. Zwei Drittel der Angriffe geschahen in neun afghanischen Provinzen, die an Pakistan angrenzen. In diesem Jahr wurden bereits 94 amerikanische Soldaten in Afghanistan getötet, verglichen mit 117 im Gesamtjahr 2007 - was schon die höchste Zahl in diesem Krieg war.

Das Ausmaß des Einflusses islamistischer Parteien und Organisationen in Pakistan ist eine unmittelbare Folge der US Kampagne aus den 1970er Jahren, mithilfe einer islamistischen Gegenoffensive gegen das sowjetisch gestützte säkulare Regime in Afghanistan die UdSSR zu destabilisieren. Der "Paschtunische Gürtel" Pakistans wurde in ein Aufmarschgebiet für islamistische Extremisten aus aller Welt verwandelt, um "Dschihad" (heiligen Krieg) über die Grenze hinweg in Afghanistan zu führen. Die Region wurde mit Waffen und islamistischer Propaganda vollgepumpt. Gleichzeitig wurden das Gebiet und seine Bevölkerung von US-amerikanischer und pakistanischer Regierung in einem Zustand wirtschaftlicher und sozialer Rückständigkeit und Armut gehalten. Die paschtunische Jugend auf beiden Seiten der afghanisch-pakistanischen Grenze wuchs in den letzten dreißig Jahren unter diesen Bedingungen auf, ohne etwas anderes zu kennen.

Die Unterstützung der USA für den radikalen Islam in der Vergangenheit ist verantwortlich dafür, dass extremistische Kriegsherren die Gebiete der FATA kontrollieren, in denen mehr als drei Millionen Menschen leben, und Einfluss auf den größten Teil der NWFP ausüben, in der 21 Millionen leben, darunter mehrere Millionen Flüchtlinge aus Afghanistan. Es ist keine Überraschung, dass diese Elemente breite Unterstützung für einen neuen Dschihad gegen die neokoloniale Besatzung Afghanistans und für ihre Kritik an der pakistanischen Regierung als Marionette Washingtons erhalten.

Die Forderung der USA an die pakistanische Regierung, die Islamisten zu vernichten, bedeutet effektiv, einen jahrelangen Krieg gegen einen beträchtlichen Teil der eigenen Bevölkerung zu führen. Es gibt keine Sicherheit, dass das pakistanische Militär überhaupt in der Lage ist, einen solchen Feldzug durchzuhalten, an dem es schon seit 2004 scheitert. Große Teile der 600.000 Mann starken Freiwilligen Armee bestehen zudem aus ethnischen Paschtunen, die aus der FATA und der NWFP rekrutiert wurden. Bestenfalls werden sie nur widerwillig an der Bombardierung und Unterdrückung ihrer eigenen Leute teilnehmen, sie sind aber auch eine potentielle Quelle von offener Meuterei und Rebellion gegen die Regierung.

Washingtons 2001 begonnener imperialistischer Versuch, in Afghanistan einen Marionettenstaat zu schaffen, führte in eine vollständige Katastrophe. Weit davon entfernt, den USA die Kontrolle über die Bodenschätze in Zentralasien zu verschaffen, entfachten sie einen Aufstand, der nicht eher ruhen wird, bis die ausländischen Truppen das Land verlassen haben, und der nun Pakistan, einst der wichtigste Verbündete der USA in der Region, an den Rand des Bürgerkriegs treibt.

Siehe auch:
Mord an Bhutto erhöht Gefahr einer US-Intervention in Pakistan
(2. Januar 2008)
80 Tote bei Raketenangriff auf Koranschule in Pakistan
( 3. November 2006)
Washington setzt neue pakistanische Regierung unter Druck
( 29. März 2008)
Pakistans Militär und Justiz fordern Musharrafs Rücktritt
( 6. Februar 2008)
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