Nach dem Seitenwechsel von Gewerkschaftschef Hansen:

Neue Abbaupläne und Gewerkschaft im Aufruhr

Am Freitag letzter Woche winkte der Bundestag mit den Stimmen der SPD-CDU-Koalition sowie der FDP die Teilprivatisierung der Bundesbahn durch. 24,9 Prozent des bisher vollständig im Staatsbesitz befindlichen Unternehmens sollen am 5. November an die Börse gehen.

Das betrifft zunächst nur die eigens zu diesem Zweck gegründete Bahntochter DB Mobility Logistics (DB ML), in der die Unternehmensbereiche für den Personen- und Güterfernverkehr, den Regional- und Nahverkehr (einschließlich Buslinien und S-Bahnen) sowie bahneigene Serviceunternehmen zusammengefasst sind. Insgesamt umfasst die DB ML drei Viertel der bestehenden Arbeitsplätze bei der Bahn.

Bahnchef Hartmut Mehrdorn hat den Bundestagsbeschluss begrüßt und sich höchst zuversichtlich über die Zukunft des Unternehmens gezeigt, das er jetzt zu einem Global Player ausbauen will.

Experten gehen davon aus, dass der Börsengang nur der erste Schritt ist. Inzwischen zirkuliert ein Vertragsentwurf, der es der DB ML ermöglichen soll, ihrerseits Tochterunternehmen für die Teilprivatisierung freizugeben und Serviceunternehmen ganz zu verkaufen. Der Entwurf des Beteiligungsvertrags zwischen Bund und Bahn enthält offenbar Formulierungen, nach denen Investoren bis zu 49 Prozent der für den Fern- Regional- oder Stadtverkehr zuständigen DB-Töchter erwerben können. Außerdem wird darin der Bahn weitgehend freie Hand gelassen, unrentable Strecken stillzulegen.

Mehdorns neuer Arbeitsdirektor, der bisherige Vorsitzende der Bahngewerkschaft Transnet Norbert Hansen, hatte bereits vor der Abstimmung im Bundestag in einem Interview mit der Bildz eitung verlauten lassen, dass er auch mit 49,9 Prozent Privatisierung einverstanden wäre, solange der Bund die Mehrheit behalte. In dem gleichen Interview unterstrich er, dass er seine neue Rolle hundertprozentig im Interesse des Unternehmens auszufüllen gedenke.

Er kündigte an: "Wir werden bei der Bahn weiter rationalisieren müssen. Und das wird in einigen Bereichen nicht ohne Personalabbau gehen." Er habe bereits als Gewerkschaftschef in der Verwaltung von Transnet Arbeitsplätze abbauen müssen, was kein angenehmer Job sei. Es sei sein Ziel, dabei ohne Kündigungen auszukommen. Vor allem müssten die Bahnbeschäftigten in ihrem Job effizienter und flexibler sein.

Wie er sich Letzteres vorstellt, machte er an dem Beispiel privater regionaler Bahngesellschaften deutlich. Sie zeigten, wie das gehen könne. Bei diesen Gesellschaften (die niedrigere Löhne zahlen) gebe es Lokführer, die nicht nur Züge steuern, sondern "in den Zugabteilen auch einmal aufräumen oder auf einem kleinen Bahnhof mit anpacken".

Mit diesen Ankündigungen hat Hansen nicht nur seinen Nachfolger bei Transnet, Lothar Krauß, in Verlegenheit gebracht, sondern offenbar auch für den Geschmack seines Chefs Mehdorn die Katze zu früh aus dem Sack gelassen. Während Krauß verkündete, er sei "stinksauer", beeilte sich Mehdorn zu erklären, dass es keine Pläne oder Beschlüsse zum Personalabbau gäbe. Richtig sei vielmehr, dass es "im Zuge der Teilprivatisierung bis 2023 keine betriebsbedingten Kündigungen geben wird". Auch die Bundesregierung bestätigte dies umgehend.

Es ist aber festzuhalten, dass es in trauter Eintracht mit Transnet und den übrigen Bahngewerkschaften seit der Umwandlung der Bahn in eine Aktiengesellschaft einen ständigen massiven Arbeitsplatzabbau auch ohne betriebsbedingte Kündigungen gab. Er wurde unter dem Deckmantel von Arbeitssicherheits- oder Beschäftigungspakten durchgeführt. Rationalisierungen, verstärkte Arbeitshetze, Streckenstilllegungen und die Ausdünnung des Verkehrs auf unrentablen Strecken haben seit der Bahnreform 1994 die Belegschaft auf 185.005 halbiert.

Bereits vor dem offiziellen Privatisierungsbeschluss kündigte die Bahn an, sie wolle 30 neue Tochtergesellschaften gründen. In diesen Tochterunternehmen, mit denen die Bahn AG dem Konkurrenzdruck privater Anbieter begegnen will, sollen die Beschäftigten zwar angeblich den gleichen Lohn wie ihre Kollegen im Mutterunternehmen bekommen, sie sollen dafür jedoch länger arbeiten und weniger Urlaub erhalten, was letztlich auf eine Lohnsenkung hinausläuft.

Das Unternehmen DB Regio verteidigt die Pläne, regionale Töchter zu gründen, mit dem Argument, Personalkosten seien ein entscheidender Faktor in der Wettbewerbsfähigkeit. In einer Mitarbeiterinfo der DB Regio NRW heißt es, dass die kalkulierten Personalkosten über die Anpassung von Arbeitszeit und Urlaub erzielt werden könnten.

Ein Beispiel für solche Töchter gibt es bereits: die Heidekrautbahn mit Sitz in Potsdam. Sie hat kürzlich die Ausschreibung für die Strecke zwischen Aachen und Siegen gewonnen. Zurzeit gilt bei ihr noch kein Tariflohn, im Juni will jedoch Transnet mit der Heidekrautbahn in Verhandlungen treten. Die Gewerkschaft hat angekündigt, dass es mit ihr keine "Tarifflucht" geben werde, was der neue Arbeitsdirektor Hansen ursprünglich auch versprochen hatte. Dass sich aber Hansen nicht an sein Versprechen halten und mit dem Hinweis auf den Konkurrenzdruck erhebliche Zugeständnisse verlangen wird, kann man sich nach seinen Äußerungen im Bild zeitungsinterview an fünf Fingern abzählen.

Panik in Transnet

Auch drei Wochen nach dem Wechsel Hansens in den Vorstand der teilprivatisierten Bahn AG gärt es noch immer heftig in der Mitgliedschaft von Transnet. Zahlreiche Mitglieder haben ihren Austritt aus der Gewerkschaft erklärt. Wie viele es sind, wird nicht veröffentlicht.

Das hat vor allem die unteren und ehrenamtlichen Funktionäre alarmiert, die sich verzweifelt bemühen, das Image von Transnet wieder aufzubessern. Auf den Seiten der oppositionellen Gewerkschaftsgruppierung "Bahn von unten" häufen sich die Anträge und Resolutionen von Ortgruppen und Vertrauenspersonen, in denen u. a. ein außerordentlicher Gewerkschaftskongress, der Rücktritt des gesamten Vorstands, eine lückenlose Aufklärung der Vorgänge um Hansens Befürwortung der Privatisierungspläne und sein Ausschluss aus der Gewerkschaft gefordert werden.

Vertrauensleute des Bezirks Nord-Ost fordern einen demokratisch legitimierten Neuanfang der Gewerkschaft. "Die Politik des Co-Managments ist gescheitert", heißt es in ihrem Schreiben. "Der geschäftsführende Vorstand, der den bisherigen Kurs ausdrücklich gutheißt, muss zurücktreten. Die Vorgänge um den Wechsel von Norbert Hansen müssen vollständig aufgeklärt werden." Ähnlich lauten die Proteste aus vielen anderen Regionen.

Scharfe Kritik gibt es auch an der Rolle des Transnet-Vorstands bei der Bahnprivatisierung. Hans-Gerd Öfinger, der Sprecher von "Bahn von unten", die seit acht Jahren gegen die Privatisierung kämpft, klagte: "Die Funktionäre um Hansen haben eine offene Diskussion um die Privatisierung verhindert." Die Bundestagsparteien, (gemeint ist offensichtlich vor allem die SPD) seien mit Hansen einem Blender aufgesessen, der persönliche Ziele verfolgt habe.

Blenden ließen sich aber offensichtlich die Gewerkschaftsfunktionäre selbst. Der Seitenwechsel Hansens, mit dem sie jahrelang eng zusammengearbeitet hatten, ist für sie äußerst peinlich. Der neue Transnetvorsitzende Krauß beeilte sich, gegen das drohende Lohndumping bei der Bahn zumindest verbal in die Offensive zu gehen. Auch die Liberalisierung im öffentlichen Personenverkehr bei der DB Regio lehnte er ab. Da bei Streckenausschreibungen meist nur der günstigste Preis den Ausschlag gebe, seien Fehlentwicklungen vorprogrammiert.

Auch das Transnet-Vorstandsmitglied Karl-Heinz Zimmermann forderte DB Regio auf, von dem Vorhaben der Ausgründungen abzusehen. Die eigenen Konzerntarifverträge dürften nicht mit nicht-tarifgebundenen Töchtern unterlaufen werden. Die Behauptung, dass mit den Konzerntarifverträgen keine Ausschreibung gewonnen werden könne, sei fadenscheinig und falsch. Zimmermann kündigte an, Transnet werde weiterhin für einheitliche Beschäftigungsbedingungen in der ganzen Branche kämpfen. Hieran sollte sich DB Regio beteiligen.

Krauß forderte einen verbindlichen Mindestlohn für die Branche "deutlich über 7,50 Euro" und drohte bei "Tarifflucht" mit Klagen und Streiks. Er will sich dabei mit anderen DGB-Gewerkschaften, vor allem mit der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, zusammenschließen. Er räumte ein, Transnet habe sich in der Vergangenheit zu sehr um den Konkurrenzkampf mit Verdi um Mitglieder der Verkehrsbranche gekümmert. Inzwischen sei man im Gespräch und wolle "gemeinsam dafür sorgen, dass es keine weißen Flecken mehr in der Tariflandschaft" gebe.

Transnet-Mitglieder sollten dies als Warnung verstehen. Die jüngsten Tarifabschlüsse von Verdi - z.B. bei den Berliner Verkehrsbetrieben - zeigen, dass Verdi sich ebenso wie Transnet als Tarifpolizei der Unternehmen versteht. Die beiden Gewerkschaften spielen sich in dieser Hinsicht seit langem die Bälle zu. Als die Lokführer im vergangenen Jahr eine Lohnforderung von 31 Prozent aufstellten, waren sich Verdi und Transnet in ihrer Verurteilung einig und taten alles, um den Streik zu sabotieren. Auch ein Mindestlohn über 7,50 Euro wäre ein Hungerlohn, während Hansen und die übrigen Bahnvorstände Gehälter und Erfolgsprämien in Millionenhöhe einsacken.

"Bahn von unten"

Die Oppositionellen um "Bahn von unten" spielen unter diesen Umständen die Rolle eines linken Feigenblatts. Sie fordern die Rücknahme der Privatisierung und die demokratische Kontrolle des europäischen Verkehrssystems durch Beschäftigte und Bevölkerung. Doch dieses Ziel lässt sich nicht durchsetzen, ohne mit Transnet und ihrer gewerkschaftlichen Perspektive zu brechen - was "Bahn von unten" vehement ablehnt.

Das Co-Management, die enge Zusammenarbeit von Gewerkschaften und Unternehmen, die mit Hansens Wechsel in den Bahnvorstand eine besonders krasse Form angenommen hat, ist nicht nur das Ergebnis der Korruption einzelner Gewerkschaftsführer. Sie ergibt sich direkt aus der gewerkschaftlichen Perspektive, die den Kapitalismus reformieren, aber nicht abschaffen will. Notwendig ist der Aufbau einer politischen Bewegung der Arbeiterklasse, die für eine sozialistische Alternative zum kapitalistischen System kämpft. Gewerkschaftlicher Militanz allein reicht nicht aus, um gegen den sich ständig verschärfenden Druck der Profitwirtschaft angesichts internationaler Finanzkrise und Globalisierung der Produktion anzukämpfen.

Die oppositionellen Gewerkschafter von "Bahn von unten" hatten offenbar bis vor kurzem noch unbeirrbar auf die SPD gesetzt - obwohl diese seit zehn Jahren ununterbrochen den Bundesverkehrsminister stellt und für die Bahnprivatisierung federführend verantwortlich ist.

Nachdem SPD-Chef Kurt Beck am 19. April 2008 auf dem Kongress der SPD-Arbeitnehmervereinigung AFA in Kassel versichert hatte, mehr als eine 24,9-prozentige Privatisierung komme nicht in Frage und der komplette Verbleib der Infrastruktur in Staatshand sei nicht verhandelbar, schöpften sie neue Hoffnung "Gott sei Dank ist der Superhype vorbei, dass alles in privater Hand per se gut und preiswert sei. Wir müssen wieder vernünftig über Daseinsvorsorge reden."

Enttäuscht wurden sie bereits zehn Tage später, als die Große Koalition mit den Stimmen der SPD die Teilprivatisierung der Bahn beschloss. Dennoch gaben sie die Hoffnung nicht auf, durch Druck auf die Regierung die Privatisierung zu verhindern. So heißt es in ihrem Flugblatt zum 1. Mai: "Noch ist keine Bahnaktie verkauft. Wir müssen den Druck auf die Regierenden verstärken, damit sie die Finger von der Kapitalprivatisierung der Bahn lassen."

Auch der Übertritt zur Lokführergewerkschaft GDL, den viele Transnet-Mitglieder erwägen oder bereits vollzogen haben, ist eine Sackgasse. Als die GDL im vorigen Jahr mit einer Forderung nach massiver Lohnerhöhung von 31 Prozent und einem eigenständigen Tarifvertrag antrat, versprachen sich viele Bahnbeschäftigte davon den Beginn einer Offensive gegen die seit Jahren anhaltende Verschlechterung der Arbeitsbedingungen und permanent wachsenden Einkommensverluste. Doch nach acht Monaten beendete die GDL trotz großer Kampfbereitschaft der Mitglieder und Unterstützung in der Bevölkerung den Arbeitskampf. Die GDL-Führung unterschrieb einen Tarifvertrag mit minimalen Lohnerhöhungen, der sich nahtlos in das Tarifgefüge einpasst, das die Bahn AG mit den anderen Bahngewerkschaften ausgehandelt hatte.

Die Bahnbeschäftigten, ganz gleich ob sie der GDL, der Transnet, der christlichen Gewerkschaft GDBA oder keiner Gewerkschaft angehören, können ihren Lebensstandard und ihre Arbeitsbedingungen nur verteidigen, wenn sie mit der beschränkten gewerkschaftlichen Perspektive brechen und sich dem Aufbau einer internationalen sozialistischen Organisation zuwenden.

Siehe auch:
Vom Gewerkschaftsboss zum Personalchef: Der Fall Norbert Hansen
(16. Mai 2008)
SPD öffnet das Tor zur Privatisierung der Bahn
(18. April 2008)
Eine politische Bilanz des Lokführerstreiks
(9. April 2008)
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