GDL gibt politischem Druck nach und würgt Lokführerstreik ab

Eine kritische Bewertung der Tarifeinigung

Nach nahezu einem Jahr Tarifstreit scheint sich die Lokführergewerkschaft GDL endgültig mit der Bahn AG geeinigt zu haben. Eigentlich hatte die GDL zu einem unbefristeten Streik ab Anfang dieser Woche aufgerufen, der bundesweit den Nah-, Fern- und Güterverkehr lahm gelegt hätte. In Berlin wäre auch die S-Bahn betroffen gewesen, was einen Komplettausfall des gesamten Nahverkehrs bedeutet hätte. Die seit Tagen streikenden Bus- und U-Bahnfahrer, die mit ihren Lohnforderungen beim rot-roten Senat auf taube Ohren stoßen, waren über diese Ausdehnung der Streikfront höchst erfreut.

Doch dann kam es anders.

Am späten Sonntagnachmittag gaben GDL-Chef Manfred Schell und Bahnchef Hartmut Mehdorn auf einer Pressekonferenz im Bahn-Tower am Potsdamer Platz sichtlich erleichtert bekannt, man habe den Streik in letzter Sekunde abwenden können. Vorausgegangen waren drei Tage andauernde, geheime Verhandlungen, bei denen Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) im Auftrag der Großen Koalition die Strippen zog.

Bereits Anfang Februar hatte die GDL einen Entgeltvertrag unterschrieben, der eine Lohnerhöhung von bis zu elf Prozent bis 1. September 2008 vorsieht, außerdem eine Einmalzahlung von 800 Euro und eine Arbeitszeitverkürzung um eine Stunde auf 40 Wochenarbeitsstunden ab Februar 2009. Die GDL-Führung hatte sich mit einem Bruchteil der ursprünglich geforderten 31 Prozent zufrieden gegeben. Außerdem hatte sie darauf verzichtet, das Zugbegleitungspersonal (ZUB) mit einzubeziehen.

Schon damals hatten GDL-Chef Schell und Bahn-Chef Mehdorn von Einigung gesprochen. Man müsse sich jetzt nur noch über Einzelheiten eines so genannten Grundlagentarifvertrags verständigen, dies solle bis Anfang März geschehen, hatte es geheißen. Doch dann versuchten der Bahnvorstand und die Bahngewerkschaft Transnet, die Mehdorn als seine Hausgewerkschaft handhabt, die GDL zur Unterzeichnung eines Grundlagentarifvertrags zu zwingen, der einer Unterwerfung unter die Tarifgemeinschaft von Transnet und GDBA gleich gekommen wäre.

Selbst der frühere Vermittler im Bahn-Tarifkonflikt Heiner Geißler (CDU) sprach sich gegen diesen Erpressungsversuch aus und warnte, man solle die GDL nicht zwingen, ihr "eigenes Todesurteil" zu unterschreiben.

Trotzdem beharrte der Bahnvorstand darauf. Er machte seine Unterschrift unter den vereinbarten Tarifvertrag davon abhängig, dass die GDL die Knebelparagraphen des Grundlagentarifvertrags unterschreibt. Obwohl die GDL bereits sehr weitgehende Zugeständnisse gemacht hatte, die bei ihrer Basis auf helle Empörung stießen, hielt der Bahnvorstand am Ziel fest, die Lokführer völlig in die Knie zu zwingen und jegliche Eigenständigkeit der GDL zu verhindern.

Erst als die GDL dann zu einem unbefristeten und flächendeckenden Streik für diese Woche aufrief, besann sich der Bahnvorstand eines Besseren. Nicht jedoch ohne den erneuten Versuch unternommen zu haben, den angekündigten Vollstreik juristisch verbieten zu lassen.

Angesichts des Berliner Verkehrsarbeiterstreiks und der Warnstreiks im öffentlichen Dienst, die in vollem Gange waren, hatten Vertreter der Bundesregierung und der anderen Gewerkschaften dem Bahnvorstand und der GDL klar gemacht, dass ein weiterer Streik unerwünscht sei und unter allen Umständen verhindert werden müsse. Unter diesem politischen Druck knickte der GDL-Vorstand endgültig ein, blies den Streik ab und stimmte einem faulen Kompromiss zu.

Mit der Entscheidung, den angekündigten Streik in letzter Minute abzusagen, fiel die GDL den streikenden Berliner Verkehrsarbeitern in den Rücken. Sie machte damit deutlich, dass sie ebenso wenig wie Transnet und Verdi bereit ist, konsequent gegen den Bahnvorstand und die hinter ihm stehende Bundesregierung anzukämpfen. Darüber hinaus hat die GDL-Führung sowohl in der Frage der Eigenständigkeit wie auch der Lohnerhöhung so weitgehende Zugeständnisse gemacht, dass von der ursprünglichen Forderung buchstäblich nichts übrig blieb.

Folgendes ist bisher über den Inhalt von Tarifvertrag und Grundlagentarifvertrag bekannt:

Die GDL und die Tarifgemeinschaft aus Transnet und GDBA müssen gegenseitig ihre Tarifverträge anerkennen.

Die GDL vertritt nur die Lokführer, und selbst diese nicht alle. Die GDL verzichtet zum Beispiel darauf, die 3.000 Lokrangierführer und die Disponenten zu vertreten. Für alle anderen Berufsgruppen sind allein Transnet und GDBA zuständig. Die GDL lässt hiermit Tausende von Mitgliedern vor allem beim Fahrpersonal im Regen stehen. Für sie alle gilt der neue Lokführertarifvertrag nicht, obwohl sie dafür mit großem Einsatz gekämpft und sich viel davon versprochen haben.

Die GDL hat sich sogar verpflichtet, bis 2014 nicht auf weitere Berufsgruppen zuzugehen.

Das einzige Zugeständnis, das der Bahnvorstand machte, besteht darin, dass die GDL auch für neue Lokführer, die über die Zeitarbeitsfirma der Bahn eingestellt werden, und Lokführer in ausgegliederten Bahnunternehmen Tarifverhandlungen führen darf.

Ein spezieller Kooperationsvertrag mit den beiden anderen Gewerkschaften, der die GDL wieder ins Tarifkartell einbinden soll, wurde zwar nicht vereinbart. Dafür wurde aber eine so genannte "Redaktionsgruppe" gebildet, die die künftige Zusammenarbeit der drei Bahngewerkschaften vereinbaren soll. Fest steht, dass die künftigen Tarifforderungen unter allen dreien abgestimmt werden und die separat verhandelten Tarifverträge gegenseitig anerkannt werden müssen. Auf die Frage, was passiert, wenn Transnet eine Forderung der GDL ablehnt oder einen GDL-Tarifvertrag nicht anerkennt, hat bisher keine der beiden Seiten geantwortet.

Das bisher Bekannte lässt nur den Schluss zu, dass die Eigenständigkeit der GDL mit der Verpflichtung erkauft wurde, sich künftig im Rahmen von Transnet und GDBA zu bewegen. Dann hätte die GDL aber auch in der Tarifgemeinschaft bleiben können.

Der eigentliche Lokführertarifvertrag, der nun zum 1. März rückwirkend in Kraft tritt, haben wir bereits in früheren Artikeln bewertet. (siehe: http://www.wsws.org/de/2008/jan2008/bahn-j17.shtml)

Von den einst geforderten 31 Prozent ist nur ein Bruchteil übrig geblieben. Je nach Eingruppierung erhalten die meisten Lokführer voraussichtlich im Schnitt nur 4,5 bis 7 Prozent mehr Lohn im Zeitraum von 18 Monaten. So entfallen in Zukunft monatliche Zulagen und werden in die zweistufige Lohnerhöhung von 11 Prozent eingerechnet. Dass die 800 Euro Einmalzahlung für die acht Monate von Anfang Juli 2007 bis Ende Februar 2008 nur ein Trostpflaster darstellt, versteht sich von selbst.

Stimmen von Lokführern

Viele Lokführer und GDL-Mitglieder anderer Berufsgruppen der Bahn lehnen den Abschluss entschieden ab und verlangen eine Urabstimmung, um ihn zurückweisen zu können. Hier einige Stimmen aus einem Internet-Forum von Bahnbeschäftigten kurz nach dem Abschluss.

Ein Lokführer aus Osnabrück:

" Der Streik ist ja nun abgeblasen. Laut Presse hat die Bahn mit den Gewerkschaften einen Kompromiss ausgehandelt. Was bedeutet das denn nun? Von Seiten der GDL hört man ja nur, dass alles o.k. ist, und man mit dem Vertrag gut leben kann. In welchen Punkten hat die GDL denn nachgegeben?

Komisch, die GDL hat unterschrieben, die Bahn unterschreibt, der Lokführer-Tarifvertrag (LfTV) tritt rückwirkend zum 01. März in Kraft. Wann soll dann eigentlich die zweite Urabstimmung stattfinden? Einige Mitglieder sind über den ausgehandelten Vertrag verärgert. Sollen die Mitglieder also doch übergangen werden?"

Ein anderer Lokführer empört sich über die Tatsache, dass die 3.000 Lokrangierführer künftig von Transnet vertreten werden sollen.

"Da ist also schon der erste Pferdefuß!!!! Ich könnt gerade mal ... Wenn wir es nicht mal schaffen alle Lokführer in den Vertrag zu bekommen, wie sollen wir denn dann das ganze Zugpersonal jemals mit rein bekommen?"

Ein anderer:

"Na Klasse! Da weiß ich nun Bescheid und werde mich entsprechend verhalten. Besten Dank an die Verhandlungsführer. Da wird die GDL wohl die eine oder andere Mitgliedskarte zurückbekommen."

Ein Lokrangierführer aus Leipzig:

"Na vielen Dank! Bin ich also jetzt Lokführer 2. Klasse. Um an Arbeitskampfmaßnahmen teilzunehmen waren wir gut genug. Wir haben, wie alle anderen auch, Geldeinbußen hingenommen, wurden vom Arbeitgeber agitiert und sind bei der Stange geblieben. Für was? Transnet-Lokführer, die nichts, aber auch gar nichts getan haben, kommen in den Genuss des LfTV, ich nicht. Bin ich nicht würdig, nur weil bei mir das Nachwort ‚Rangierdienst’ steht und nicht ‚Strecke’?

Was, bitte schön, soll ich dann in einer ‚Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer’, die mich gar nicht als Lokführer eingruppieren kann? Meine Entscheidung dazu steht fest!"

Ein S-Bahner aus München:

"Alle anderen Regelungen, die mir wichtig waren: Pausen, Arbeitszeit und Ruhetage...alles dahin!"

Ein Zugbegleiter aus Hannover:

"Nun ist es raus. Wie ich es gesagt habe. O.k., ‚nur’ bis 2014. Man verpflichtet sich also 6 Jahre lang keine Verhandlungen für die Mitglieder zu führen, die nicht Streckenlokführer sind. Nehmt es mir nicht übel, aber damit hat man sich deutlich vom FPTV (Fahrpersonal-Tarifvertrag) entfernt.

...glaubt allen Ernstes jemand, dass durch diese Kapitulation jetzt noch Scharen überlaufen, wie es zum Beispiel von Mai bis August der Fall war?"

Ein Triebfahrzeugführer aus Berlin-Lichtenberg

"Wir sind letztes Jahr aufgebrochen, um das gesamte Fahrpersonal unter der Knute eines Herrn Hansen wegzuholen. Es ging bei weitem um mehr als ein paar Prozentpunkte. Es ging um Verbesserungen bei der Arbeitszeit, um Gerechtigkeit in der Arbeitszeit den anderen Beschäftigten gegenüber, die nicht unter dem Fahrpersonalfaktor zu leiden haben. Es ging um so viel.

Das Ergebnis ist nicht einmal ein Bruchstück. Im Gegenteil, mit etwas schnödem Mammon, von dem nun ausschließlich die Streckenlokfüher was sehen (nicht falsch verstehen, ich gönne es Euch), erkauft der Bahnvorstand die Schwächung seiner gefürchtetsten Gewerkschaft."

Siehe auch:
Unterstützt die Lokführer gegen die deutsche Bahn AG!
(10.Oktober 2007)
Lokführer brauchen eine neue Perspektive
( 3. Oktober 2007)
Kapitulation auf Raten: Lokführer-Gewerkschaft stimmt Teilkompromiss zu
( 5. September 2007)
Die Streikbrecherrolle von Transnet und DGB wird aggressiver
( 1. August 2007)
Lokführer-Streik: Eine Frage der politischen Perspektive
( 19.Juli 2007)
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