Bei seinem Auftritt vor einem überfüllten Auditorium der Universität Wisconsin am Dienstag, in der Nacht seines Sieges bei den "Potomac-Vorwahlen" in den Bundesstaaten Maryland, Virginia und Washington, D.C., hielt der Senator aus Illinois und demokratische Präsidentschaftskandidat Barack Obama eine Rede, die wegen ihrer populistischen Demagogie nicht nur in Bezug auf den Krieg im Irak, sondern auch auf die sozialen Bedingungen in Amerika beachtenswert war.
Die Massenversammlung in Wisconsin gehörte zu einer Reihe von Wahlveranstaltungen, die große Menschenmengen und zwar vorwiegend junge Menschen angezogen haben - 20.000 an der Universität von Maryland und 17.000 in Virginia Beach am Vorabend der Vorwahlen vom Dienstag. Auf diesen Veranstaltungen präsentierte sich Obama der Öffentlichkeit mit einem "linken" Gesicht.
Der Senator aus Illinois hat den Instinkt eines Agitators und versucht der Menge zu geben, wovon er glaubt, dass sie es hören will. In Wisconsin stellte er die "Rekord-Profite" von Exxon den steigenden "Preisen an der Zapfsäule" gegenüber und erzielte damit enthusiastischen Beifall. Er sprach von Handelsabkommen, die "die Arbeitsplätze nach Übersee verschiffen und Eltern zwingen, mit ihren Teenagern um einen unterbezahlten Job bei Wal-Mart zu konkurrieren". Und er versprach ein "Präsident zu sein, der den Leuten auf der Straße zuhört und nicht nur der Wall Street; ein Präsident, der nicht nur dann auf der Seite der Arbeiter steht, wenn es gut geht, sondern wenn es schwierig wird".
Als er sich dem Thema Irak zuwandte, erklärte er, dass "unsere Truppen einen Einsatz nach dem anderen absolvieren, in einem Krieg, der niemals hätte zugelassen und niemals hätte geführt werden sollen", und er verhöhnte diejenigen, die "den 11. September benutzen, um Stimmen zu fangen".
Er fuhr fort und sprach von den sich verschlechternden sozialen Bedingungen, mit denen der Durchschnittsamerikaner konfrontiert ist: "Der Vater, der noch vor Morgengrauen zur Arbeit geht und dann in der Nacht wach liegt, weil er sich fragt, wie er die Rechnungen bezahlen soll", "die Frau, die mir erzählt hat, sie arbeitet in der Nacht nach einem vollen Arbeitstag am College und die dennoch die Krankenversicherung für ihre kranke Schwester nicht bezahlen kann", der Pensionär, "der keine Rente bekommt, weil die Firma, für die er sein Leben lang gearbeitet hat, bankrott gegangen ist", und "der Lehrer, der nach der Schule bei Dunkin Donuts arbeitet, nur um über die Runden zu kommen".
Als Antwort versprach er Steuersenkungen für die kleinen Leute, eine Gesundheitsreform, bessere Bezahlung und eine Regierung, die "die Renten verteidigt und nicht die Gratifikationen der Konzernbosse".
In der Diktion von Martin Luther King schloss er seine Rede mit dem Versprechen: "Unsere Träume werden nicht auf die lange Bank geschoben, wir lassen uns unsere Zukunft nicht stehlen, die Zeit für den Wandel ist gekommen."
In diesen Reden gibt es ein Element, das dem Establishment der Demokratischen Partei und seinen Hintermännern in der Wirtschaft scheinbar Grund geben könnte, die Luft anzuhalten. Es könnte der Eindruck entstehen, dass Obamas rhetorische Ausflüge sich auf ein gefährliches Parkett begeben. Schließlich war ja die Demokratische Partei ein unverzichtbarer Partner für die Kriegspolitik der Bush-Regierung im Ausland und für die Politik der gesellschaftlichen Reaktion im Inland.
Diese populistische Vorwahl-Rhetorik ist jedoch nur das eine Gesicht Obamas. Es gibt noch ein anderes, und das ist fest den Wirtschaftskreisen zugewandt, die er öffentlich kritisiert, und die schon Dutzende Millionen Dollar in seinen Wahlkampffond eingezahlt haben.
Am Tag nach den Potomac-Vorwahlen brachte BusinessWeek einen Sonderbericht unter dem Titel "Ist Obama gut für die Wirtschaft?" Zwar gab der Artikel keine direkte Antwort auf die Frage, aber die Haltung des Wirtschaftsmagazins schien ein qualifiziertes "Ja" zu sein, das sich weitgehend auf die privaten Gespräche stützt, die der Senator aus Illinois mit hohen Vertretern der Wall Street und Insidern der Wirtschaftsszene führt, während er gleichzeitig öffentlich für "Wandel" mobilisiert.
Als Obama vergangenen Sonntag von seinem Sieg bei den Wahlversammlungen in Maine erfahren hatte, setzte er sich laut BusinessWeek an seinen Computer und tauschte E-Mails mit Robert Wolf aus, dem Chef von UBS-Anerika und einem seiner wichtigsten "Spendensammler" an der Wall Street, der die Aufgabe hat, Millionenspenden von seinen Multimillionärs-Kollegen zu sammeln, um Obamas "Bewegung" zu finanzieren. Nach Schätzungen des Center for Responsive Politics kommen achtzig Prozent der Obama-Wahlkampagne-Spenden des letzten Jahres aus Wirtschaftskreisen, vorneweg von der Wall Street. Mehr als die Hälfte des Geldes stammt aus Spenden, die sich von 2.300 Dollar aufwärts bewegten.
Neben Wolf steht Obama auch in regelmäßigem Kontakt mit Warren Buffet, dem zweitreichsten Mann Amerikas, dessen Vermögen auf 52 Mrd. Dollar geschätzt wird. Zu seinen führenden Wirtschaftsberatern gehört Austan Goolsbee, Professor an der University of Chicago und prominenter Befürworter der Politik des freien Marktes.
Volcker unterstützt Obama
Die vielleicht bemerkenswerteste Unterstützung, über die sehr wenig berichtet wurde, erhielt Obama letzten Monat von Paul Volcker, der 1979 vom Demokratischen Präsidenten Jimmy Carter zum Vorsitzenden der US-Notenbank ernannt worden war, und fast sieben Jahre lang unter der rechten Republikanischen Regierung von Ronald Reagan die Verantwortung für die Zentralbank trug.
Volcker war für die Einführung der Hochzinspolitik verantwortlich, die von den einflussreichsten Teilen des Finanzkapitals im Namen des Kampfs gegen die Inflation gefordert wurde. Seine Geldpolitik war unauflösbar mit der Offensive gegen die Arbeiterklasse verbunden. Diese begann mit der Entlassung der Fluglotsen und der Zerschlagung des PATCO-Streiks und setzte sich mit der Schließung beträchtlicher Teile der Schlüsselindustrien fort. Sie führte zur schlimmsten Rezession seit der großen Depression der 1930er Jahre. Das Ergebnis dieser Politik war die massive Umverteilung des Reichtums von der Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung hin zu einer kleinen Finanzelite. Dieser Prozess dauert heute noch an.
In einer Erklärung, in der er die Gründe nennt, warum er Obama unterstützt, sagte Volcker, er habe es bisher immer vermieden, sich in die Parteipolitik einzumischen. Er sagte, er sehe sich jetzt nicht "wegen der Unruhe auf den Märkten" veranlasst, sich einzumischen, sondern wegen "der umfassenden Herausforderungen, vor denen unsere Nation im In- und Ausland steht". Er fügte hinzu: "Diese Herausforderungen verlangen nach einer neuen Führung und nach einem frischen Wind." Obamas Führung, schloss er, könne "das notwendige Vertrauen in unsere Vision, unsere Stärke und unsere Vorhaben auf der ganzen Welt wiederherstellen."
Der rechte Kommentator und ehemalige Wirtschaftsberater der Reagan-Regierung Larry Kudlow kommentierte die Unterstützung Volckers für Obama Anfang des Monats. Er erklärte, er habe früher als Redenschreiber für Volcker gearbeitet, und beschrieb ihn als "großen Amerikaner... klassischen Konservativen... und finanzwirtschaftlich sowie geldpolitisch aufrechten Charakter".
Volcker, schrieb Kudlow, "würde ihn niemals aus einer Laune heraus unterstützen. Glaubt mir. Solche politischen Entscheidungen würde er nie treffen." Zum Schluss fragte er: "Wird Volcker der neue Robert Rubin [der Wall Street-Insider, der die Wirtschaftspolitik der Clinton-Regierung lenkte]? Ist es möglich, dass Volcker Obama Unterricht gibt? Ist es möglich, dass Obama vielleicht finanzpolitisch konservativer ist, als ursprünglich angenommen?"
Das sind die wirklichen Beziehungen, die hinter den Kulissen geknüpft werden, während Obama auf offener Bühne seine linken Phrasen drischt. Leute wie Volcker sehen den Senator aus Illinois als nützliches Instrument, um wichtige Veränderungen durchzusetzen. Dabei geht es ihnen nicht darum, die Lebensbedingungen der Mehrheit der arbeitenden Menschen zu verbessern, sondern um die Sicherung der globalen Interessen des amerikanischen Finanzkapitals.
Sie glauben zweifellos, dass Obama, der der erste schwarze amerikanische Präsident wäre, am besten geeignet sei, mit den Gefahren fertig zu werden, die sich aus der anhaltenden Wirtschaftskrise und den wachsenden sozialen Spannungen ergeben. Wer wäre besser in der Lage, noch größere Opfer von der Arbeiterklasse zu fordern - und zwar im Namen der nationalen Einheit und des "Wandels"? Gleichzeitig würde mit ihm der Welt ein frisches Gesicht geboten, was helfen könnte, den US-Imperialismus aus seinen außenpolitischen Debakeln und der von der Bush-Regierung übernommenen weltweiten Isolation zu befreien.
Angesichts dieser Verbindungen zum Big Business verrät Obamas Wahlkampfrhetorik ein Maß an Zynismus und Demagogie, das wahrlich bemerkenswert ist. Seine unablässigen Verheißungen eines Wandels sind nicht an ein radikales Wirtschaftsprogramm gebunden, das die Profitinteressen der riesigen Konzerne und der Wall Street grundsätzlich in Frage stellte.
Im Gegenteil, Obama tritt für eine konservative Haushaltspolitik ein. Er verspricht eine Politik, die auf ein "Steuer finanziertes System" setzt, und betont die Notwendigkeit, Schulden und Defizite zu reduzieren. Angesichts der Tatsache, dass er ein Rekorddefizit von 400 Mrd. Dollar von der Bush-Regierung erben würde, wären Konsolidierungsmaßnahmen die zwangsläufige Folge.
Am Mittwoch besuchte der Kandidat eine General-Motor-Fabrik in Janesville, Wisconsin, und schlug ein so genanntes Arbeitsbeschaffungsprogramm vor mit Investitionen von 210 Mrd. Dollar in Infrastruktur und alternative Energien in einem Zeitraum von über zehn Jahren. Das ist angesichts der tiefen Krise, in der der amerikanische Kapitalismus steckt, weniger als ein Tropfen auf den heißen Stein - und selbst dieser Tropfen würde angesichts das Forderungen, das Defizit zu reduzieren, schnell verdampfen.
Wer nicht über den Kapitalismus sprechen will, der soll eigentlich seinen Mund halten, wenn es um Armut und Arbeitslosigkeit geht. Man kann über keins der beiden ernsthaft reden, ohne sich mit dem Privateigentum an den Produktionsmitteln der Gesellschaft zu beschäftigen, und mit der enormen sozialen Ungleichheit, die es schafft. Die Verteidigung der Arbeitsplätzen und des Lebensstandards, des Rechts auf eine Wohnung, der Gesundheitsversorgung und der Ausbildung für Hunderte von Millionen Amerikaner kann es nur geben, wenn es eine weit gehende Umverteilung des Reichtums von den Superreichen hin zur breiten Masse der arbeitenden Bevölkerung gibt.
Es ist klar, dass Leute wie Wolf, Buffet und Volcker Obama nur unterstützen, weil sie wissen, dass er mit einer solchen Politik nichts zu tun haben will.
Auch in der Frage des Kriegs werden diejenigen, die hoffnungsvoll auf Obama schauen und hoffen, dass er den amerikanischen Militarismus beenden wird, bitter enttäuscht sein. Der Senator aus Illinois hat versprochen, das aufgeblasene amerikanische Militärbudget, das jährlich schätzungsweise 700 Mrd. Dollar verschlingt, nicht zu kürzen, sondern vielmehr zu erhöhen. Er fordert die Aufstockung der Armee um 65.000 Soldaten und der Marineinfanterie um weitere 27.000. Er hat versprochen, "mehr Personal" im "Krieg gegen den Terror" einzusetzen. Der "Krieg gegen den Terror" ist eine von der Bush-Regierung erfundene Rechtfertigung für "Präventivkriege", d.h. für die militärische Aggression, mit der der ölreiche Nahe und Mittlere Osten und Zentralasien unter amerikanische Kontrolle gebracht werden sollen.
Was den Irak angeht, so straft seine Zusicherung, amerikanische Truppen im Irak zu belassen, um "amerikanischer Interessen" zu verteidigen und "Antiterror-Operationen" durchzuführen, seine Versprechen, den Krieg zu beenden, Lügen. Die Formel, "Antiterror-Operationen" durchzuführen, erlaubt es, den Irak mit Zehntausenden US-Soldaten und Marines besetzt zu halten und seine Bevölkerung noch für Jahrzehnte zu unterdrücken.
Insoweit Obamas Rhetorik in der Bevölkerung Hoffnungen weckt - und es gibt Anzeichen, dass sie es tut -, werden diese unvermeidlich enttäuscht werden. Wahrscheinlich wird das nach den Vorwahlen geschehen, wenn Obama mit der Republikanischen Rechten und Fraktionen innerhalb der Demokratischen Partei selbst konfrontiert sein wird, sein Programm näher zu erläutern. Falls er das Weiße Haus im November erobern sollte, wird er eine Regierung leiten, die den Interessen der amerikanischen Oligarchie im In- und Ausland verpflichtet ist.
Diejenigen, die die Hoffnung hegen, dass Obama in den USA progressive gesellschaftliche Veränderungen bringen und den amerikanischen Militarismus nach außen beenden wird, werden feststellen, dass die Demokratische Partei und die Wirtschafts- und Finanzinteressen, die sie vertritt, weder das eine noch das andere zulassen werden.
Diese wichtigen Ziele sind nur mit einem entschiedenen Bruch mit den Demokraten und dem gesamten Zwei-Parteien-System zu erreichen. Sie erfordern die unabhängige Mobilisierung der Arbeiterklasse durch den Aufbau einer sozialistischen Massenbewegung.