Erst wenige Stunden alt war die diesjährige Sicherheitskonferenz in München, da hatte sich bereits gezeigt: Das Motto "Frieden durch Dialog" war nichts mehr als Makulatur. Das Wort von einem "Paukenschlag" machte sogleich die Runde, von einer "Brandrede", sogar von einem "neuen Kalten Krieg" wurde vielerorts gesprochen.
Der russische Präsident Wladimir Putin richtete Angriffe von ungewöhnlicher Schärfe an die Adresse der USA. In einer der härtesten Kritiken überhaupt an der Politik der USA, die bislang öffentlich von Seiten des Führers einer Großmacht vorgebracht wurde, erklärte der russische Präsident, die amerikanische Außenpolitik sei "sehr gefährlich" wegen ihrer "ungezügelten und übermäßigen Anwendung von Gewalt in den internationalen Beziehungen - Gewalt, durch welche die Welt in den Abgrund immer neuer Konflikte gestürzt wird."
Vor einem Publikum, in dem sich unter anderen amerikanischen Vertretern auch der neue US-Verteidigungsminister Robert Gates sowie die Senatoren John McCain und Joseph Lieberman befanden, erklärte Putin, der amerikanische Imperialismus habe seine "nationalen Grenzen in fast allen Bereichen überschritten."
In einer deutlichen Bezugnahme auf das Debakel der Vereinigten Staaten im Irak stellte Putin fest, "unilaterale und ungesetzliche Handlungen" hätten "nicht ein einziges Problem gelöst", sondern seien vielmehr zur "Brutstätte weiterer Konflikte" geworden.
"Wir werden Zeugen zunehmender Missachtung der Prinzipien des internationalen Rechts... Niemand fühlt sich heute mehr sicher, da niemand mehr hinter dem internationalen Recht Schutz suchen kann. Dies wird zum Nährboden eines Wettrüstens und des Verlangens einiger Länder nach Atomwaffen."
In einem Interview mit dem arabischen Fernsehsender al-Dschasira stellte Putin kurz darauf den "Hunderten Menschen," die durch den gestürzten irakischen Diktator Saddam Hussein ums Leben gekommen seien, die Kampfhandlungen im Irak seit 2003 gegenüber - in diesen seien "3000 Amerikaner getötet worden, und die Zahl der getöteten Iraker geht nach verschiedenen Schätzungen in die Hunderdtausende."
In Hinblick auf Washingtons Bemühungen, seine Stellung als einziger Supermacht mit militärischen Mitteln zu festigen, fragte Putin: "Was ist eine unipolare Welt? Wie auch immer wir diesen Begriff beschönigen mögen - er bedeutet ein einziges Machtzentrum, ein einziges Zentrum militärischer Gewalt und einen einzigen Herrn."
Auf Kritik von Seiten Washingtons an der Zunahme autoritärer Herrschaftsformen unter seiner Präsidentschaft, sagte Putin gehässig, die Hegemonie der Vereinigten Staaten habe "mit Demokratie nichts gemeinsam. Ständig versucht man uns die Demokratie zu lehren, doch die Leute, die uns Demokratie lehren wollen, wollen selbst nichts über sie lernen."
Putin warf Washington unverblümt vor, es verfolge eine gegen Russland gerichtete Militärpolitik. Mit Blick auf die geplante Stationierung amerikanischer Abwehrraketen in Polen und Tschechien sagte er: "Man will uns neue Grenzlinien und Mauern aufzwingen", und drohte mit Gegenmaßnahmen: "Wir wissen, dass sie [die USA] an einem Raketenabwehrsystem arbeiten. Und dass damit möglicherweise unsere nuklearen Streitkräfte neutralisiert würden. Russland verfügt aber über Waffen, die das System überwinden können."
Er erinnerte an die Zusicherungen, die im Jahre 1990 der damalige NATO-Generalsekretär Manfred Wörner der noch bestehenden Sowjetunion gegeben habe: Dass von der Nordatlantik-Allianz keine Truppen östlich des deutschen Territoriums stationiert werden würden. "Wo sind diese Garantien geblieben", fragte Putin, da doch in Bulgarien und Rumänien Militärbasen mit jeweils 5.000 Soldaten errichtet würden.
Trotz des unwirschen Tons seiner Kritik betonte ein Sprecher später, in der Rede habe es ihm nicht an einer Konfrontation gelegen, er habe vielmehr "einen Denkanstoß" geben wollen. In Späteren Kommentaren vor der Presse betonte Putin selbst seine persönliche Freundschaft zu US-Präsident Bush, den er als einen "anständigen Kerl" beschrieb.
Kriegsvorbereitungen gegen den Iran
Putins offener Bruch mit den Gepflogenheiten der diplomatischen Sprache, und dies auf dem weltweit angesehensten Forum zu den Themen Verteidigungs- und Sicherheitspolitik, kann nur vor dem Hintergrund der amerikanischen Kriegsvorbereitungen gegen den Iran verstanden werden.
Noch im Dezember letzten Jahres, nach Bush’s Niederlage bei den amerikanischen Zwischenwahlen und der Veröffentlichung des Baker-Hamilton-Berichts, hatte man in Moskau, aber auch in den europäischen Hauptstädten, gehofft, Washington werde zu einem außenpolitischen Kurs zurückkehren, der verstärkt auf internationale Kooperation und Diplomatie, anstatt auf den einseitigen Einsatz militärischer Gewalt setzt. Doch das Gegenteil ist eingetreten. Die USA haben nicht nur die Truppenzahl im Irak erhöht, sondern bereiten einen Militärschlag gegen den Iran vor.
Praktisch täglich richten Teile des US-Establishment neue Vorwürfe an das dortige Regime - zuletzt wurde Teheran angeschuldigt, durch Waffenlieferungen an schiitische Rebellen im benachbarten Irak für den Tod von 170 Soldaten der Besatzungstruppen unter Führung der Amerikaner zu sein. Explizit wurde hierbei der oberste religiöse Führer des Regimes, Ajatollah Ali Chamenei als Urheber genannt.
Dieses Vorgehens erinnert an das Vorfeld des Irakkrieges. Auch damals wurden über Monate hinweg die dreistesten Fälschungen und absurdesten Lügen benutzt, um die schließliche Eroberung des Landes vorzureiten.
In diesem Zusammenhang ist auch die Aufstockung der Truppenstärke im Süden Afghanistans und die von US-Außenministerin Condoleezza Rice angekündigte "Frühjahrsoffensive" gegen die immer erfolgreicher agierenden Taliban-Rebellen zu sehen. Mit nahezu tausend Kilometer Grenze zum Iran stellen die Erweiterung der militärischen Präsenz und die "Bereinigung" des Terrains weitere Schritte in Richtung eines Krieges gegen Teheran dar.
Moskau hat sich zwar wiederholt Forderungen der US gebeugt, Druck auf Teheran auszuüben, damit dieses den aggressiven Diktaten Washingtons in Sachen Nuklearprogramm nachkomme, doch ein amerikanischer Militärschlag gegen den Iran wäre für Russland dennoch ein Alptraum.
Moskau will nicht, dass sich der Iran zu einer einflussreichen Regionalmacht entwickelt, da es fürchtet, ein Machtzuwachs des Mullah-Regimes werde islamistische Kräfte in den russischen Grenzregionen und Zentralasien stärken. Im Laufe seiner Münchener Rede unterstützte Putin daher abermals die Politik der Vereinigten Staaten, zunehmenden Druck auf Teheran wegen dessen Nuklearprogramm auszuüben: "Ich verstehe nicht, warum der Iran nicht in positiver und konstruktiver Weise auf diese Bedenken [gegen das Nuklearprogramm] regiert und damit die Vorschläge des [Chefs der Internationalen Atomenergiebehörde Mohammed] El Baradeis aufgenommen hat."
Mit einem amerikanischen Militärschlag stünden aber höchst gewichtige strategische und Wirtschaftsinteressen auf dem Spiel. Erst im Januar dieses Jahres wurde in Teheran eine Absichtserklärung unterzeichnet, der zufolge der Iran in den kommenden Jahren 83 Passagierflugzeuge aus russischer Produktion zu kaufen gedenkt. Derartig großvolumige Aufträge für die Fertigungsindustrie sind für Russland, das sein derzeit hohes Wirtschaftswachstum nahezu ausschließlich dem Export von Rohstoffen verdankt, von allergrößter Bedeutung.
Auch beim Bau des umstrittenen Atomreaktors in Buschihr kommt Russland die Führungsrolle zu. Unter anderem ist die Lieferung des atomaren Brennstoffs ab diesem März beabsichtigt. Der Reaktor soll bereits im Oktober an das iranische Stromnetz angeschlossen werden.
Mit einem Angriff auf den Iran würde die Einkreisung Russlands, die Washington seit 1991 im Rahmen seiner Weltmachtstrategie systematisch betreibt, faktisch abgeschlossen. Die meisten osteuropäischen Mitglieder des Warschauer Pakts, des von der Sowjetunion dominierten Militärbündnisses der Nachkriegszeit, sind mittlerweile Teil der Nato. In der Ukraine und Georgien sind durch US-gesponserte "Revolutionen" westorientierte Regimes an die Macht gebracht worden. Und auch Afghanistan und Irak sind ehemalige sowjetische Einflussgebiete. Der Iran ist eines der letzten Länder der Region, das nicht unter dem Einfluss Washingtons steht.
Die Offenheit von Putins Rede war Ausdruck der Beunruhigung Moskaus über den amerikanischen Militarismus und die zunehmende Dominanz der atomaren Kapazitäten Washingtons über diejenigen Russlands. Auch schlug sich in ihr ein neues Selbstvertrauen Moskaus auf internationalem Parkett nieder, das sich zum einen auf die Reichtümer gründet, die durch Einkünfte aus dem Öl- und Gashandel in die Staatskasse geflossen sind; zum anderen aber auch auf die Möglichkeit, mittels der ungeheuren Energieressourcen unter seiner Kontrolle politischen Druck auf Verbündete wie Rivalen auszuüben.
Milde Töne aus Europa
Putin war sich zudem bewusst, dass seine Kritik an Washington in Europa auf Resonanz stößt, auch wenn sich die europäischen Regierungen mit offener Kritik an Washington zurückhalten. Während seine Rede bei den amerikanischen Konferenzteilnehmern auf harsche Kritik stieß, waren die europäischen Reaktionen auffallend milde.
Das Weiße Haus zeigte sich in einer Stellungnahme "überrascht und enttäuscht", die Vorwürfe Putins seien "falsch". Der amerikanische Senatsabgeordnete und mögliche republikanische Präsidentschaftskandidat John McCain sagte, er sei "besorgt über die Demokratie" in Russland, das sich entscheiden müsse, ob es sich entweder gegen die Demokratien wenden, oder aber sich westlichen Werten und Regeln anpassen wolle.
US-Verteidigungsminister Robert Gates sagte zwar, gemeinsame Probleme und Herausforderungen müssten "in Partnerschaft mit anderen Ländern einschließlich Russlands" angegangen werden, äußerte aber gleichzeitig die Verwunderung der Vereinigten Staaten, dass Russland "teilweise gegen die internationale Stabilität zu arbeiten" scheine, dies durch "Waffenlieferungen etwa oder die Versuche, Energiequellen als politischen Druckmittel einzusetzen." NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer nannte Putins Äußerungen "enttäuschend".
Die deutsche Regierung bewertete Putins Rede dagegen ausdrücklich nicht als "Rückfall in den Kalten Krieg". Das Treffen in München sei ein bewährter und erprobter Rahmen für eine derart offene Diskussion, sagte ein Regierungssprecher in Berlin.
Der Koordinator der Regierung für die deutsch-russische Zusammenarbeit, Andreas Schockenhoff (CDU), lobte Putin, er habe in seiner Rede zu einer offenen und kritischen Diskussion eingeladen und durchaus konstruktive Angebote gemacht. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Ruprecht Polenz (CDU), sagte, Putin habe berechtigte Sorgen deutlich gemacht. Und der SPD-Verteidigungsexperte Arnold meinte, Putin habe zwar eine Rede jenseits der üblichen diplomatischen Gepflogenheiten gehalten. Ihn störe allerdings zu Recht die Stationierung von Raketen und die Stationierung zusätzlicher US-Soldaten nahe der russischen Grenze.
Der französische Regierungschef Dominique de Villepin und Außenminister Douste Blazy hatten die US-Nahostpolitik schon vor der Münchener Konferenz kritisiert. Sie forderten einen Termin für den Rückzug der US-Truppen aus dem Irak und verlangten die Einbeziehung Irans und Syriens in eine Lösung der Konflikte der Region.
Die deutschen und französischen Regierungen fürchten ebenso wie die russische die Folgen eines amerikanischen Militärschlags gegen Iran. Auch ihnen geht es um massive wirtschaftliche und strategische Interessen. Das Geschäft mit dem Iran blüht - mit staatlicher Unterstützung.
In der ersten Jahreshälfte 2006 wurden Waren im Wert von 2,3 Milliarden Euro in die Islamische Republik exportiert, Tendenz steigend. 2005 bürgte die Bundesregierung mit 5,4 Milliarden Euro für Irangeschäfte. Höher lag nur Italien. Ähnlich liegen die Dinge im Verhältnis des Irans zu Frankreich, seinem nach Deutschland zweitbedeutsamsten Wirtschaftspartner in der Europäischen Union.
Während ihrer Nahost-Reise in der vergangenen Woche betrieb Bundeskanzlerin Angela Merkel eine Diplomatie, die darauf abzielte, für Deutschland und andere Staaten höchst unerwünschte militärische Aktionen der USA gegen den Iran durch das Knüpfen zahlreicher bilateraler Beziehungen zu verhindern. Ein offenes Auftreten gegen den mächtigen Partner wagt man indes in Berlin nicht.
Imperialistische Konflikte
So berechtigt Putins Vorwürfe gegen Washingtons sind, sollte man sie nicht mit einer fortschrittlichen oder gar pazifistischen Kritik an der verbrecherischen Politik der Bush-Administration verwechseln.
Viele Anklagen, die Putin an die USA richtet, könnten ebenso der Politik seines Regimes vorgehalten werden. Allein der zweite Tschetschenienkrieg, der in seine Amtszeit fällt, hat nach unabhängigen Schätzungen Hunderttausende von Menschenleben gefordert - ungefähr ein Viertel der tschetschenischen Bevölkerung.
Die innere Situation in Russland ist vom zunehmenden Rückgriff auf autoritäre Herrschaftsformen und einer sozialen Spaltung gekennzeichnet, die weltweit ihresgleichen sucht. Während der Reichtum einer schmalen Schicht von Oligarchen jeder Beschreibung spottet, kämpft die Masse der einfachen Bevölkerung um die Bestreitung ihres Lebensunterhaltes. In Sachen Pressefreiheit rangiert Russland nach der Liste der Organisation "Reporter ohne Grenzen" auf Rang 147 (von 168), und damit hinter Ländern wie Simbabwe oder dem Sudan.
Putin greift Washington vom Standpunkt der Großmachtinteressen Russlands, d.h. der herrschenden Oligarchenschicht an. Dasselbe gilt für die europäischen Regierungen, die eigene imperialistische Interessen verteidigen. Entsprechend sind ihre Methoden. Sie reagieren auf den Militarismus amerikanischer Prägung, indem sie selbst mit dem Säbel rasseln, aufrüsten und sich international militärisch engagieren.
Am 8. Februar diesen Jahres kündigte der russische Verteidigungsminister Sergej Iwanow eine bedeutende Aufstockung von Russlands Verteidigungsetat an - im Laufe der folgenden acht Jahre sollen zusätzliche 189 Mrd. Dollar zum Ausbau der militärischen Infrastruktur verwendet werden. Unter anderem geht es um eine neue Generation interkontinental einsetzbarer ballistischer Raketen, um neue Atom-U-Boote sowie um Verbesserungen des Radarsystems zur Frühwarnung.
Vor dem russischen Parlament kündigte Iwanow an, dem Militär würden in diesem Jahr mehr ballistische Raketen zur Verfügung gestellt, als in den Jahren zuvor. Auch ließ er das Parlament wissen, es sei die Aufstellung von 34 neuen, mit Tupol-M-Flugkörpern bestückten Raketensilos samt Kontrolleinheiten geplant. Bis zum Jahr 2015 sollten weitere 50 Stück dieser Raketen auf mobilen Abschussgeräten installiert werden.
Diese Versuche des Kreml, sein nukleares Arsenal auszubauen und seine Manövrierfähigkeit zu verbessern, sind durch die Existenz von Washingtons provokativem Raketenabwehrschild motiviert, dessen einzig glaubwürdigen Ziele Russland und China darstellen. Angesichts der immer ausgefeilteren Möglichkeiten Washingtons, Russlands unbewegliche Raketenbatterien zu treffen und unbrauchbar zu machen, versucht Moskau, Mechanismen zur Aufrechterhaltung eines funktionsfähigen Vergeltungspotentials zu entwickeln - der russische Verteidigungshaushalt macht gerade einmal ein Zwanzigstel von dem des Pentagons aus.
Die Lage erinnert immer mehr an den Beginn des letzten Jahrhunderts, als sich die wachsenden Spannungen zwischen den imperialistischen Mächten schließlich im Gemetzel des Ersten Weltkriegs entluden. Ein möglicher Krieg gegen den Iran würde das internationale Machtgefüge völlig über den Haufen werfen. Nicht nur, dass ein solcher Krieg schreckliche Auswirkungen auf das Leben der Bevölkerung der Region hätte - zu seinen unausweichlichen Folgen würden auch direkte Konfrontationen verschiedener Mächte gehören, die dort bedeutsame Interessen hegen.
Der Kampf gegen Imperialismus und Krieg kann nur auf der Grundlage einer internationalen Bewegung der Arbeiterklasse stattfinden. Ihr Ziel muss die Überwindung des kapitalistischen Weltsystems selbst sein, dass - wie schon zuvor in der Geschichte - die Menschheit in die furchtbarsten Abgründe von Krieg und Reaktion zu stürzen droht.