Michael Hanekes "Caché"

Den größten Schwierigkeiten aus dem Weg gegangen

"Caché" (Versteckt), Buch und Regie: Michael Haneke

Der österreichische Regisseur Michael Haneke hat sich auf die Darstellung von Vorfällen spezialisiert, die von gesellschaftlicher Entfremdung und Beziehungslosigkeit geprägt sind.

Ein paar kurze Beschreibungen seiner früheren Filme mögen genügen, einen Eindruck von der Ausrichtung seiner Arbeit zu bekommen. In "Der Siebente Kontinent" (1989) führen ein Ehepaar und ihre Tochter ein beschauliches Leben, doch als das Mädchen blind zu werden vorgibt, schließen sich die Eltern in ihrem Haus ein, zerstören all ihre Habe und am Ende sich selbst. In "Der Kopf des Mohren" (1994, Haneke verfasste das Drehbuch, führte aber nicht Regie) verliert ein von dem Zustand der Welt zusehends alarmierter Wissenschaftler den Verstand und macht aus seiner Wohnung, während die Familie abwesend ist, einen völlig autarken Raum, in dem Tiere und Pflanzen unter Kunstlicht gedeihen. "Funny Games" (1997) dreht sich darum, wie ein Ehepaar und ihr Sohn in ihrem Sommerhaus an einem See von zwei eigenartigen jungen Männern gefangengehalten und gefoltert werden.

Haneke (1942 geboren) kommt häufig auf die Kälte der Gesellschaft zu sprechen, auf die "emotionale Vergletscherung in den hochindustrialisierten Ländern", wie er es selbst ausdrückt. Eine entsetzliche Gleichgültigkeit und Distanz trennt im allgemeinen seine Charaktere. Auf intelligente, doch absichtlich kalte Weise waren Hanekes Filme darauf gerichtet, bestimmte Stimmungen der europäischen Mittelklasse in den vergangenen Jahrzehnten auszudrücken - zunehmende Paranoia und gespannte Nervosität, ein Gefühl der Überwältigung durch Ereignisse, vielleicht auch Fremdenfeindlichkeit - ohne jedoch besonders viel Licht auf sie zu werfen.

Die Ablehnung der simplen Herangehensweise gewisser sozial engagierter Filmemacher in der Vergangenheit dient Regisseuren wie Haneke (und er ist einer unter vielen, zumal in Österreich, Deutschland und Frankreich) als Vorwand, sich jeglicher Verantwortung für die Einnahme einer zwingenden oder erkennbaren Haltung zur gegenwärtigen Gesellschaft zu entziehen. In Wirklichkeit handelt es sich bei dieser falschen Objektivität unter dem Motto, "die Zuschauer selber denken zu lassen", um ein Zugeständnis an eine verwirrte und stagnierende politische Atmosphäre.

Nicht eben selten bekundet Haneke Verachtung für seine Figuren (man ist versucht zu sagen: "seine Opfer"), meistenteils gutsituierte Akademiker. Sie werden wie eine Herde bürgerlicher Schafe oder Rindviecher behandelt, die hauptsächlich dafür da sind, an die passenden Stellen der Handlung des Regisseurs getrieben zu werden. Haneke betrachtet seine Protagonisten, denen kein inneres Erleben und keine echte emotionale Unabhängigkeit zugestanden wird, ohne besondere Sympathie. Die Haltung des Regisseurs (und seiner Anhänger) scheint zu sein, dass ihre Misshandlung voll verdient ist.

Weshalb sollte dies so sein? Wenn die Figuren sich schlecht verhalten, dann werden wir gewillt sein, sie zu kritisieren oder zu verurteilen, doch der Regisseur erwartet offenbar von uns, sie von Anfang an nicht leiden zu können, weil sie in gut möblierten Häusern wohnen und neue Autos fahren - verräterische Anzeichen ihrer Selbsttäuschung und ihres falschen Bewusstseins. Das ist ein alberner "Radikalismus", der allzu beliebt ist, besonders in Deutschland. Er bedeutet sehr wenig, außer als Hinweis auf die Kreise, in denen sich die Filmemacher bewegen.

Hanekes verstörende Geschichten enthalten für gewöhnlich unerklärliche, zuweilen schreckenerregende Elemente. Seine Anhänger schreiben das seiner Einsicht in den vermeintlich alptraumhaften Charakter des zeitgenössischen, von anonymen Bürokraten und Unternehmen dominierten Daseins zu. Ist man weniger nachsichtig, kann man zu dem Schluss kommen, dass Haneke zum Teil deswegen zu unerklärlichen Drehungen und Wendungen greift, weil er noch nicht die Mittel gefunden hat, ein gänzlich überzeugendes Drama zu konstruieren. In jedem Fall spricht Haneke offensichtlich die von einem guten Teil Menschen geteilten Ängste an.

In "Caché" findet sich ein bürgerliches Ehepaar (der Mann moderiert ein Fernsehprogramm über Bücher) als Zielscheibe einer einzigartigen Form des ‘Stalking’. Sie erhalten erst lange Videobänder mit Aufnahmen von der Vorderseite ihres Hauses, die direkt von der gegenüberliegenden Straßenseite aufgenommen sind. Dann kommen anonyme Postkarten an: die Zeichnung eines Kindes mit blutigem Mund. Georges (Daniel Auteuil), der Ehemann, hat eine Ahnung, wer dahinter stecken könnte. Während eines Besuchs bei seiner Mutter, die auf dem Land lebt, fragt er nach dem Kind eines Angestellten, das die Familie einmal adoptieren wollte, Majid.

Als nächstes kommt ein Band an mit einer visuellen ‘Wegbeschreibung’ zu einem Flur und einer bestimmten Wohnung. Es handelt sich um Majids Wohnung, doch der Mann, ein ziemliches Wrack, bestreitet, die Videos geschickt zu haben. Georges ist aggressiv und drohend. Er erzählt seiner Frau, dass niemand zu Hause war, doch es taucht ein Band seiner Unterhaltung mit Majid auf. Er gesteht: Majids Eltern verschwanden am 17. Oktober 1961 beim Massaker der Pariser Polizei an Algeriern. Seine Eltern hatten vorgehabt, Majid zu adoptieren, aber er wollte das Kind nicht um sich haben und sorgte dafür, dass es aus dem Haushalt entfernt wurde.

Weitere verstörende und schockierende Ereignisse finden statt. Am Ende zieht sich Georges mit Schlaftabletten in sein Bett zurück.

Zum Dilemma seiner Hauptfigur sagte Haneke einem Interviewer der taz : "Wie verhält man sich, wenn man mit etwas konfrontiert ist, wofür man sich eigentlich verantwortlich zeigen müsste? Mir geht es um solche Strategien, sich von Schuld freizureden. Es ist doch so: Wir alle empfinden uns als wahnsinnig liberal. Wir sind dafür, dass die Ausländergesetze nicht verschärft werden. Aber wenn jemand zu mir kommt und mich fragt, ob ich eine fremde Familie aufnehme, sage auch ich: eigentlich nicht. Das Hemd ist einem näher als der Rock. So feig und so bequem wie ich sind die meisten Leute."

Als erstes ist man geneigt zu sagen: Sprich für dich selbst und nicht für andere. Es handelt sich um eine recht oberflächliche, moralisierende Sichtweise, die nicht sehr weit führt.

Im selben Interview bemerkte Haneke, "Georges müsste seine gesamte Lebensweise in Frage stellen. Aber man wehrt sich ja gegen die Erkenntnis."

Wieder macht der Regisseur einen entscheidenden Fehler. "Georges müsste seine gesamte Lebensweise in Frage stellen." Wieso genau? Er moderiert ein Fernsehprogramm, das sich mit Literatur beschäftigt, er hat Frau und Kind, er lebt in einem angenehmen Haus. Es könnte gut sein, dass jemand wie Georges, ein französischer Kleinbürger, recht selbstzufrieden, vielleicht emotional verschlossen, seine gesamte Lebensweise in Frage stellen sollte, doch der Filmemacher lässt uns nicht genug von diesem Leben sehen, um das zu beurteilen. Er erwartet von uns, dass wir ihn anhand einer allzu simplen ‘radikalen’ Kurzschrift beim Wort nehmen (komfortable Umgebung = hoffnungsloser Bourgeois mit dringendem Bedarf nach ‘Umerziehung’).

Der tatsächliche Inhalt von Georges’ Existenz, von einem schlimmen Zwischenfall als Kind abgesehen, wird uns vorenthalten. Seine Frau (Juliette Binoche) bleibt weitgehend unscheinbar. Wir sollen aus seiner Reaktion auf die Videobänder und Postkarten ziemlich viel schlussfolgern. Tatsächlich viel zu viel. Eine völlig unschuldige Person mag mit Zorn darauf reagieren, dass er gefilmt und seine Familie belästigt wird. Haneke setzt voraus, was er dramatisch und gesellschaftlich zu beweisen hätte. Wir wissen nichts über Georges, doch wird erwartet, dass wir ihm feindlich gesinnt sind. Warum sollte man dem Künstler seine Arbeit abnehmen?

In demselben Interview verbindet Haneke (oder gestattet die Verbindung von) Georges’ Misshandlung Majids - als Sechsjähriger - mit dem Vermächtnis des französischen Kolonialismus! Das ist einfach leichtfertig. Letztes Jahr in Cannes erzählte er Journalisten: "Ich wäre ziemlich unglücklich, wenn der Film auf die algerische Frage reduziert würde. In jedem Land werden Sie die gleiche politische Lage finden. Sie könnten über seinen [Georges’] Charakter reden, der ein paar Pillen nimmt, die Vorhänge zuzieht, sich in sein Bett legt und versucht zu vergessen. Wir tun dasselbe mit der Dritten Welt, wir geben ein paar Millionen Dollar, so dass wir vergessen können."

Das geht an der Sache vorbei. Es suggeriert, dass Kolonialkriege oder das Leiden in der Dritten Welt ihren Grund in individueller Nachlässigkeit oder Niederträchtigkeit haben, nicht in objektiven gesellschaftlichen Prozessen, die sich außerhalb der Kontrolle von Individuen abspielen. Selbstverständlich haben menschliche Wesen die Verantwortung, ihre Welt zu verstehen und darauf zu reagieren, aber sie können dies nur dann in rationaler Weise tun, wenn sie ihren gesetzmäßigen Charakter verstehen. Haneke ist zweifellos aufrichtig und er verurteilt Bush und den französischen Kolonialismus ohne Umschweife, aber seine begrenzten Auffassungen treiben ihn in die Richtung relativ wohlfeilen Fingerweisens.

Der taz sagte er: "Es gibt so eine Art emotionales Gedächtnis für schlechte Taten. Wenn dann durch einen Zufall eine Proust’sche Madeleine auftaucht, dann kommt das wieder hoch. Im Übrigen kann ich ja nicht so tun, als würde ich nicht aus dieser jüdisch-christlichen Tradition kommen. Das Thema Schuld liegt in diesen Breitengraden in der Luft. Deswegen komme ich ja immer auf dieses Thema zurück. Eine der Ausgangsideen für den Film war, jemanden mit etwas zu konfrontieren, das er als Kind verursacht hat. In solchen Fällen ist es besonders bequem, sich herauszureden."

Georges war sechs Jahre alt! Das ist absurd. Die in Algerien und anderswo verübten Gräueltaten werden auf bedenkliche Weise verharmlost, wenn man die Schuldgefühle eines Einzelnen wegen einer unbedachten Grausamkeit im Kindesalter auf dieselbe Stufe stellt wie die anhaltende Verantwortung, die ein moderner imperialistischer Staates für die kriminelle Politik trägt, die er vor Jahrzehnten verfolgt hat. Man fühlt sich ein wenig betreten, darauf hinweisen zu müssen.

Und überhaupt, wieso sollte sich ein Kind so verhalten haben, wie Georges es tat? Wenn es das Ergebnis seines Milieus und seiner Erziehung war, dann sag es. Doch "Caché" zeichnet das Bild von Eltern, die sich für eine ehrbare Sache einsetzen, und einem Kind, das missgünstig darauf reagiert. Wie soll man sich das erklären? War er einfach ein missratener Bengel? Falls dem so ist, so bewegen wir uns zurück zu etwas, was der Ursünde bedenklich nahe kommt.

Man hat leider vor allem das Gefühl, dass die Kindheitsereignisse einen narrativen Kunstgriff darstellen, ein Mittel, um Georges mit etwas zu versehen, dessen er sich schuldig fühlen kann und das eine dürftige Verbindung zum Algerienkrieg und dem Massaker von 1961 herstellt. Doch fügt es sich einfach nicht zusammen, weder psychologisch noch in anderer Hinsicht.

Haneke ist ehrlich in Bezug auf seine Anliegen, aber mit seinem augenscheinlichen Glauben, dass er Kälte mit Kälte, Beziehungslosigkeit mit Beziehungslosigkeit behandeln kann, liegt er falsch. Ohne erhebliches Nachdenken und inneren Kampf, ernsthafte Gesellschaftsanalyse und Mitgefühl für menschliche Schwierigkeiten hält man dem Zuschauer lediglich einen Spiegel vor, der eine Sicht der Welt wiedergibt, die allzu vertraut und allzu unvermittelt ist. Auch hat die Form einen Einfluss auf den Inhalt. Wenn Haneke seine Dramen bewusster ausarbeiten und vertiefen, sie innerlich schlüssig und überzeugend machen würde, dann würde ihn das fast unweigerlich in die Richtung einer realistischeren und tiefgründigeren Einschätzung unserer gegenwärtigen Lage führen.

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