Stasi-Methoden beim BND

Bundesnachrichtendienst bespitzelt Journalisten

Der Bundesnachrichtendienst (BND) hat über Jahre hinweg systematisch Journalisten im Inland bespitzelt. Dabei setzte der Auslandsgeheimdienst nicht nur eigene Agenten, sondern auch andere Journalisten ein. Sie beschatteten Kollegen, die über die Arbeit des BND recherchierten, und lieferten bezahlte Berichte an den Geheimdienst. Das Vorgehen des BND ist ein massiver Verstoß gegen die grundgesetzlich geschützte Pressefreiheit. Der BND, dessen Aktivitäten strikt auf die Auslandsaufklärung beschränkt sind, hat seine Kompetenzen zudem massiv überschritten. Das Vorgehen ist von obersten Regierungsstellen angeordnet und abgedeckt worden.

Ein Untersuchungsbericht des ehemaligen Richters am Bundesgerichtshof Gerhard Schäfer, über den unter anderen die Süddeutsche Zeitung berichtete, erhebt schwere Vorwürfe gegen den BND. Auf 170 Seiten, die am vergangenen Mittwoch dem geheim tagenden Parlamentarischen Kontrollgremium (PKG) vorgelegt wurden, listet Schäfer detailliert die seit fast 25 Jahren andauernde Bespitzelung unliebsamer Journalisten auf. Der ehemalige Bundesrichter war im November 2005 vom PKG bestellt worden, um die Beschattung des Publizisten und Redakteurs beim Nachrichtenmagazin Focus, Erich Schmidt-Eenboom, durch den BND aufzuklären.

Schäfers Bericht wirft ein grelles Schlaglicht auf die illegalen Machenschaften des BND, der seine Befugnisse drastisch überschreitet, Verfassungsgrundsätze über Bord wirft und außerhalb jeder Kontrolle steht. Wiederholt bezeichnet Schäfers die Praktiken des Geheimdienstes als "unverhältnismäßig" und "eindeutig rechtswidrig". Er stellt einen eklatanten "Eingriff in die Pressefreiheit" fest.

Die Einzelheiten des Berichts decken ein dichtes Netzwerk von BND-Informanten und Beschattungsaktionen in diversen Redaktionsstuben auf, die an die Praktiken des DDR-Geheimdiensts Stasi erinnern.

So erhielt der ehemalige Focus -Redakteur Wilhelm Di., der unter den Decknamen "Schweiger" und "Dali" geführt wurde, zwischen 1982 und 1998 knapp 653.000 D-Mark für insgesamt 856 Berichte an den BND. Gemeinsam mit Erwin De., Deckname "Bosch", horchte er insbesondere den Focus -Reporter Josef Hufelschulte aus. Die beiden berichteten, mit wem er sich traf, welche Informanten er hatte und welche Dienstreisen er plante. Hufelschulte wurde außerdem von bis zu acht BND-Agenten beschattet, die ihn bis in die Tiefgarage und auf den Wochenmarkt verfolgten. Letzteres war bereits im vergangenen Herbst bekannt geworden.

"Ich bin menschlich zutiefst verletzt", zitiert die Süddeutsche Zeitung das Opfer der Beschattung "Ich habe einfach nur meinen Beruf ausgeübt, ich habe keine Straftat begangen. Aber der BND hat mich bespitzelt, observiert und abgeschöpft, als wäre ich ein Staatsfeind."

Ebenfalls beim Focus angestellt war ein Journalist mit Decknamen "Kempinski". Er sollte für einen Tagessatz von 350 Mark Überläufer aus Journalistenkreisen für den BND vermitteln.

Die illegalen Beschattungsaktionen des BND dauerten mindestens bis zum Herbst 2005. Bis zu diesem Zeitpunkt observierte der BND-Spitzel Uwe M. mit Tarnnamen "Sommer" den Redakteur der Berliner Zeitung Andreas Förster, der einen Bericht über die Beschattung von Schmidt-Eenboom verfasste. "Sommer" soll seit 2002 im Dienst der Pullacher gestanden und mehrere Berichte über Journalisten und Fachbuchautoren verfasst haben.

Es sollen aber auch noch weitere Journalisten auf der Gehaltsliste des im bayerischen Pullach angesiedelten BND stehen.

Direkt vom BND beschattet wurden insbesondere Redakteure des Nachrichtenmagazins Der Spiegel, nachdem das Magazin 1995 über einen vom BND selbst eingefädelten Plutonium-Deal berichtet hatte.

Mit der "Operation Hades" hatte die deutsche Spionagetruppe 1994 Panik schüren und beweisen wollen, dass weltweit mit atomwaffenfähigem Plutonium gehandelt werde. Unmittelbar vor Bundes- und Landtagswahlen sollte auch ein politisch nutzbarer, künstlich erzeugter Fahndungserfolg präsentiert werden. Letztendlich stellte sich jedoch heraus, dass der BND den ganzen Deal selbst veranlasst und 363 Gramm hochgiftiges Plutonium unter Missachtung sämtlicher Sicherheitsvorkehrungen mit einer Passagiermaschine von Moskau nach München gebracht hatte.

In den Akten des BND hat Schäfer nun umfangreiches internes Material aus der Spiegel -Redaktion gefunden bis hin zu Arbeitsverträgen und Abfindungen für ausgeschiedene Mitarbeiter. Selbst für die Gründe des Ausscheidens aus der Redaktion hat sich der BND interessiert. Zu den Opfern gehören neben anderen der Journalist Hans Leyendecker, der 1997 vom Spiegel zur Süddeutschen wechselte, und Spiegel -Chefredakteur Stefan Aust, dessen Freizeitaktivitäten vom BND ausgeforscht wurden.

Ins Visier geriet auch der ehemalige Stern -Redakteur Wolfgang Kracht, der über die Elf-Aquitaine-Affäre recherchierte und zurzeit bei der Süddeutschen Zeitung unter Vertrag steht. Observiert wurden zudem Journalisten vom Hamburger Abendblatt und der Südwest Presse. Im Falle von Schmidt-Eenboom wurden sogar alle Besucher des Publizisten in Sippenhaft genommen und mit observiert.

Es ist zu erwarten, dass die Fälle, die bislang an die Öffentlichkeit gedrungen sind, nur die Spitze des Eisberges darstellen. Schäfer vermerkt in seinem Bericht auch, dass beim BND umfangreiches Material vernichtet worden sei.

Als Auslandsgeheimdienst sind dem BND Aktivitäten im Inland nur unter strengen Auflagen gestattet. Er darf zwar laut BND-Gesetz "zum Schutz seiner Mitarbeiter, Einrichtungen, Gegenstände und Quellen" auch im Inland personenbezogene Daten erheben. Doch das umfasst nur die Überwachung der eigenen Mitarbeiter und keineswegs die dauerhafte Observation von Zeitungsredakteuren, die über den BND berichten. Journalisten stehen zudem wegen der verfassungsrechtlich verbrieften Pressefreiheit unter besonderem gesetzlichen Schutz. Sie dürfen weder vom BND noch vom Verfassungsschutz observiert werden.

Dem BND ging es nicht nur darum, undichte Stellen zu lokalisieren, sondern die Berichterstattung in der Presse zu beeinflussen. Redakteure sollten durch die Beschattungen gezielt eingeschüchtert werden. Außerdem wurden informelle Mitarbeiter der Pullacher Behörde offenbar gezielt mit Informationen versorgt, um positiv über die Arbeit des Auslandsgeheimdienstes zu berichten. Das Ziel des BND bestand darin, die Medien möglichst vollständig zu kontrollieren. Jede unabhängige Berichterstattung sollte nach Möglichkeit im Keim erstickt werden. Diese Praxis wurde von höchster Stelle gedeckt, und es besteht kein Grund zur Annahme, dass sie eingestellt wurde.

Anordnung aus der Spitzenetage

Während seit einigen Tagen fast stündlich neue Enthüllungen über die Spitzel-Affäre ans Tageslicht dringen, schieben sich die zuständigen Politiker gegenseitig die Verantwortung zu oder versuchen, sie auf untergeordnete, ehemalige Beamte abzuwälzen. Die Spitzen waschen derweil ihre Hände in Unschuld, beteuern ihre Unkenntnis und weinen Krokodilstränen über "Fehler", die beim BND gemacht worden seien.

Zwischen Hansjörg Geiger, BND-Präsident von 1996 und 1998, und Wolfgang Schmidbauer, damals Geheimdienstkoordinator im Kanzleramt und heute CDU-Bundestagsabgeordneter, ist ein öffentlicher Streit über die Verantwortung entbrannt.

Beim BND war für die Ausspionierung der Medien offenbar Volker Foertsch zuständig, der seit 1994 die Abteilung leitete, die für die innere Sicherheit des Nachrichtendienstes zuständig ist. Foertsch hatte sich schon 1998 im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens wegen Spionageverdachts zur Überwachung von Journalisten geäußert. Laut Berliner Zeitung, der die Aussageprotokolle vorliegen, bestätigte Foertsch damals, dass er "in Abstimmung mit der Leitung des Dienstes zu einigen Medienvertretern Kontakt" halte. Foertsch habe erklärt: "Ziel dieser Kontakte ist, schädliche Veröffentlichungen zu vermeiden und zu erfahren, woher die jeweiligen Medien ihre Informationen aus dem BND erhalten. In einigen Fällen war dieses Bemühen erfolgreich."

Umstritten ist, auf wessen Weisung hin Foertsch Journalisten für Spitzeltätigkeiten engagierte. Laut Berliner Zeitung handelte er gegen die Anordnung des damaligen BND-Präsidenten Hansjörg Geiger. Dieser soll bei seinem Amtsantritt 1996 angeblich jeglichen Kontakt des Dienstes zu Journalisten untersagt haben. Für die Kooperation mit den Medienvertretern habe sich Foertsch die Genehmigung direkt im Kanzleramt bei Schmidbauer geholt.

Schmidbauer widersprach dieser Darstellung in einer Pressemitteilung und drohte der Berliner Zeitung juristische Schritte an. Er behauptet, Geiger persönlich habe im Dezember 1996 verfügt, "dass ein Journalist von der Abteilung 5 eingesetzt wird, um Abflüsse aus dem BND zu klären". Das Kanzleramt sei über diesen Vorgang nicht informiert worden.

Geiger wiederum dementierte dies mit Nachdruck und behauptete seinerseits, er habe solche Aktionen weder veranlasst noch befürwortet, sondern nur "akzeptiert". Er schob die Verantwortung zurück auf Foertsch und damit indirekt auf Schmidbauer. Foertsch gilt nämlich als Schmidbauers Intimus. Er soll an seinem Chef Geiger vorbei direkten Zugang zum zuständigen Mann im Kanzleramt gehabt haben.

Der Streit zwischen Geiger und Schmidbauer ist auch deshalb brisant, weil Schmidbauer ein enger Vertrauter des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl (CDU) war. Kohl hatte mit Sicherheit ein Interesse daran, dass gewisse Angelegenheiten nicht ans Licht kamen, bei denen auch der BND die Hände mit im Spiel hatte. So bestand immer der Verdacht, dass es sich bei den berüchtigten Schwarzgeldern, über deren Herkunft Kohl beharrlich jede Auskunft verweigerte, um Schmiergelder aus der Elf-Leuna-Affäre handelte.

Hansjörg Geiger seinerseits setzte seine Karriere nach 1998 in der rot-grünen Bundesregierung fort, wo er sieben Jahre lang als Staatssekretär im sozialdemokratisch geführten Justizministerium arbeitete.

Unabhängig davon, ob Geiger oder Schmidbauer verantwortlich sind, muss man davon ausgehen, dass die Bespitzelung von Journalisten von höchster Stelle gedeckt war. Immerhin handelt es sich nicht um eine Lappalie, sondern um einen ernsten Verstoß gegen das BND-Gesetz und einen massiven Eingriff in die Pressefreiheit. Das muss allen Beteiligten bewusst gewesen sein. Es liegt auf der Hand, dass sie sich der Rückendeckung der Bundesregierung versicherten.

Das gilt auch für die Zeit der rot-grünen Bundesregierung. Dass August Hanning, der den BND zwischen 1998 und 2005 leitete, noch im November 2005, unmittelbar nach Bekanntwerden der Überwachung von Schmidt-Eenboom, nichts von der Journalistenbespitzelungen gewusst haben will, ist kaum glaubhaft. Geheimdienstkoordinator und damit zuständig für den BND war damals der Staatsminister im Kanzleramt Frank-Walter Steinmeier (SPD), der inzwischen das Amt des Außenministers bekleidet. Steinmeiers ehemaliger enger Mitarbeiter Ernst Uhrlau wiederum ist im Herbst zum BND-Präsidenten aufgestiegen.

Schäuble verteidigt BND-Praxis

Viele führende Politiker heucheln Empörung über die Bespitzelung von Journalisten. So erklärte Kanzleramtschef Thomas de Maizière, die Pressefreiheit sei eines der höchsten Schutzgüter der Demokratie. "Ich erwarte von den Nachrichtendiensten des Bundes einen besonders sensiblen Umgang mit diesem Gut." Andere gehen in die Gegenoffensive, was erwarten lässt, dass ähnliche Praktiken auch in Zukunft fortgesetzt werden.

Vize-Regierungssprecher Thomas Steg etwa bezeichnete die Machenschaften des BND bloß als "unehrenhafte Infiltrationsversuche" und zweifelte den Bericht Schäfers sogar an, indem er hinzufügte: "Wenn es sie gegeben hat". Er ließ auch keinen Zweifel daran, dass die Große Koalition keinerlei Interesse hat, die Praktiken des BND einer öffentlichen Bewertung zu unterziehen, und verwies auf die Zuständigkeit des geheim tagenden Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKG). Darin wird die CDU durch einen der Hauptverdächtigen, durch Ex-Geheimdienstkoordinator Wolfgang Schmidbauer vertreten.

Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) lobte anlässlich des Festaktes zum 50. Jahrestags der Gründung des BND das große Engagement der BND-Mitarbeiter und erklärte, die Arbeit der Geheimdienste dürfe nicht unter der Arbeit eines Untersuchungsausschusses leiden. "Wir brauchen unsere Nachrichtendienste. Dazu gibt es keine Alternative."

Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) gab sogar Vertrauenserklärungen für die früheren BND-Präsidenten Geiger und Hanning ab. Hanning arbeitet mittlerweile als Staatssekretär in seinem Ministerium. Schäuble verteidigte ausdrücklich das Recht des BND, "mit nachrichtendienstlichen Mitteln Eigensicherung zu betreiben". Der BND dürfe und müsse verhindern, dass mit Material aus einem Hause schwunghafter Handel getrieben werde. Eine "Gefahr für die Pressefreiheit" sah der Innenminister in der massiven Bespitzelung von Journalisten nicht.

Schäubles Äußerungen können nur als Aufforderung verstanden werden, die bisherige Praxis fortzusetzen. Seit Jahren wird die Pressefreiheit in Deutschland mit der Begründung angegriffen, es gelte, die Verbreitung von vertraulichem Behördenmaterial zu verhindern. Obwohl Journalisten das Recht haben, ihre Informanten und Informationen zu schützen, wurden in letzter Zeit hundertfach Redaktionen und Wohnungen von Journalisten durchsucht, um undichte Stellen in Ämtern ausfindig zu machen.

In die Schlagzeilen geriet vor zwei Jahren die Durchsuchung der Zeitschrift Cicero, die in einem Bericht über al Qaida aus einem vertraulichen Papier des Bundeskriminalamts zitiert hatte. Schäubles Amtsvorgänger Otto Schily (SPD) hatte damals den massiven Eingriff in die Pressefreiheit mit den Worten gerechtfertigt: "Der Staat hat einen Anspruch darauf, seine Sphäre zu schützen." Die Pressefreiheit sei keine Freizeichnungsklausel, die Journalisten von der Bindung an das Strafrecht befreie.

Die staatlichen Behörden fühlen sich immer mehr über Recht und Gesetz erhaben. Das gilt erst recht für Geheimdienste wie den BND, die abgeschirmt von der Öffentlichkeit arbeiten. In den letzten Monaten ist bereits herausgekommen, dass der BND den völkerrechtswidrigen Krieg der USA gegen den Irak vor Ort in Bagdad unterstützt hat und dass BND-Beamte mit usbekischen Sicherheitsdiensten zusammenarbeiten und von Geständnissen profitieren, die unter Folter erpresst werden. Die Enthüllungen über die Observation und Einschüchterung von Journalisten zeigen nun, dass der BND auch im Inland nicht vor offenem Rechtsbruch zurückschreckt.

Allein schon die Tatsache, dass die Aufklärung dem hinter verschlossenen Türen tagenden PKG überlassen wird, zeigt, dass die Regierung nicht beabsichtigt, diese Praktiken einzustellen. Derart massive Verletzungen verfassungsmäßiger Rechte gehören vor ein ordentliches Gericht. Die Verantwortlichen müssen strafrechtlich belangt werden.

Siehe auch:
Deutscher Geheimdienst bespitzelte Journalisten und Wissenschaftler
(15. November 2005)
Parlamentarischer Untersuchungsausschuss untersucht BND-Affäre
( 9. März 2006)
BND unterstützte USA im Irakkrieg
( 25. Februar 2006)
Schilys Abschiedsgruß: Ein Angriff auf die Pressefreiheit
( 19. Oktober 2005)
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