Wir veröffentlichen heute den einleitenden Bericht, den der Chefredakteur der World Socialist Web Site David North anlässlich der Internationalen Redaktionskonferenz vom 22. bis 27. Januar 2006 im australischen Sydney gehalten hat. Es handelt sich um den ersten Beitrag einer Vortragsreihe, die von führenden Mitgliedern der WSWS-Redaktion und Delegierten aus den Sektionen des Internationalen Komitees der Vierten Internationalen im Rahmen der Konferenz gehalten wurde und die wir in den kommenden Tagen und Wochen veröffentlichen werden.
Im Namen des Internationalen Komitees der Vierten Internationale begrüße ich euch zur Eröffnungssitzung der Internationalen Redaktionskonferenz der World Socialist Web Site. Lasst mich gleich zu Anfang feststellen, dass dieses Treffen einen anderen Charakter hat als die Internationale Schule, die im vergangenen August in Michigan stattfand. Die Vorträge, die im August gehalten wurden, waren einer Untersuchung der historischen Grundlagen der Vierten Internationale gewidmet und konzentrierten sich auf die ersten Jahrzehnte des zwanzigsten Jahrhunderts.
Im Laufe der kommenden Woche wird der Fokus eher auf der Gegenwart als auf der Vergangenheit liegen, eher auf der zeitgenössischen Politik als auf der Geschichte. Im August haben wir die historischen Erfahrungen betrachtet, aus denen heraus die Vierte Internationale entstanden ist; die kommenden Tage widmen wir einer Analyse der gegenwärtigen politischen Situation und klären die Perspektive, auf der die Arbeit der World Socialist Web Site beruht.
Jeder ernsthafte Versuch einer politischen Prognose und einer Einschätzung des Potenzials, das die bestehende politische Situation birgt, muss seinen Ausgangspunkt in einem präzisen und akkuraten Verständnis der historischen Entwicklung des globalen kapitalistischen Systems haben.
Die Analyse der historischen Entwicklung des Kapitalismus muss die folgende wesentliche Frage beantworten: Befindet sich der Kapitalismus als Weltwirtschaftssystem in einer Aufwärtsbewegung und hat seinen Höhepunkt noch nicht erreicht, oder befindet er sich im Niedergang und steht vielleicht sogar kurz vor dem Abgrund?
Die Antwort, die wir auf diese Frage geben, hat notgedrungen äußerst weit reichende Konsequenzen, und zwar nicht nur in Hinblick auf die Bestimmung unserer praktischen Aufgaben sondern ebenso für die gesamte theoretische und programmatische Orientierung unserer Bewegung. Nicht der subjektive Wunsch nach sozialer Revolution bestimmt unsere Analyse der historischen Bedingungen des globalen kapitalistischen Systems. Vielmehr muss sich die revolutionäre Perspektive auf eine wissenschaftlich begründete Einschätzung der objektiven Tendenzen in der sozioökonomischen Entwicklung gründen. Getrennt von den notwendigen objektiven sozioökonomischen Voraussetzungen ist eine revolutionäre Perspektive nichts weiter als ein utopisches Konstrukt.
Wie verstehen wir demnach die gegenwärtige Phase in der historischen Entwicklung des Kapitalismus? Betrachten wir zwei Konzeptionen, die im unversöhnlichen Gegensatz zueinander stehen. Die marxistische Position lautet, wie wir wissen, dass sich das kapitalistische Weltsystem im Stadium der fortgeschrittenen Krise befindet - dass der Ausbruch des Ersten Weltkriegs im Jahre 1914, auf den 1917 die Russische Revolution folgte, einen grundlegenden Wendpunkt in der Weltgeschichte darstellte. Die Erschütterungen in den drei Jahrzehnten zwischen dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs und dem Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 zeigten, dass der Kapitalismus keine fortschrittliche historische Aufgabe mehr zu erfüllen hatte und dass die objektiven Voraussetzungen für eine sozialistische Umwandlung der Weltwirtschaft gegeben waren. Dass der Kapitalismus die Krise jener Jahrzehnte überlebte, war zu einem sehr großen Teil das Ergebnis des Scheiterns und des Verrats von Seiten der Führung der Massenparteien und -organisationen der Arbeiterklasse, allen voran der sozialdemokratischen und kommunistischen Parteien und der Gewerkschaften. Ohne ihren Verrat wäre die erneute Stabilisierung des Weltkapitalismus nach dem Zweiten Weltkrieg - die vor allem auf den damals noch beträchtlichen Ressourcen der Vereinigten Staaten beruhte - nicht möglich gewesen. Tatsächlich existierte trotz der Nachkriegsstabilisierung weiterhin eine weltweite antikapitalistische und antiimperialistische Opposition der Arbeiterklasse und der unterdrückten Massen in den ehemaligen Kolonialgebieten, doch ihr revolutionäres Potenzial wurde von den alten bürokratischen Organisationen unterdrückt.
Schließlich machten die Verrätereien und die Niederlagen in den Massenkämpfen der 1960-er und 1970-er Jahre den Weg für eine kapitalistische Gegenoffensive frei. Die wirtschaftlichen Prozesse und technologischen Veränderungen, die die beispiellose globale Integration des kapitalistischen Systems möglich machten, zerstörten die alten Arbeiterorganisationen, die sich auf eine nationalen Perspektive und Politik stützten. Der Zusammenbruch des stalinistischen Systems in der Sowjetunion und in Osteuropa - das sich auf ein bankrottes, antimarxistisches Programm des nationalistischen Pseudosozialismus stüzte - war das Ergebnis dieses Prozesses.
Trotz der schnellen territorialen Ausdehnung des Kapitalismus in den 1990-er Jahren ist die historische Krise weiterhin vorhanden und hat sich noch verschärft. Die Prozesse der Globalisierung, die sich für die alten Arbeiterorganisationen als tödlich erwiesen, ließen die Widersprüche zwischen dem global integriertem Charakter des Kapitalismus als Weltwirtschaftssystem und der Nationalstaatenstruktur, in der der Kapitalismus historisch entstanden ist und der er nicht entkommen kann, in bislang ungekanntem Maße steigen. Der seinem Wesen nach unlösbare Charakter dieses Widerspruchs - oder zumindest seine "Unlösbarkeit" auf irgendeiner fortschrittlichen Basis - drückt sich täglich in der wachsenden Unordnung und Gewalt aus, die die gegenwärtige Weltlage kennzeichnet. Eine neue Periode revolutionärer Unruhen hat begonnen. Das ist in Kürze die marxistische Analyse.
Was ist die alternative Perspektive? Betrachten wir die folgende Gegenhypothese:
Was die Marxisten, um Leo Trotzkis ausdrucksstarke Sprache zu benutzen, den "Todeskampf des Kapitalismus" nannten, war vielmehr Teil seiner gewalttätigen und lang andauernden Geburtswehen. Die verschiedenen sozialistischen und revolutionären Experimente des zwanzigsten Jahrhunderts waren nicht nur verfrüht sondern vor allem utopisch. Die Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts sollte verstanden werden als die Geschichte vom Kapitalismus, der alle Hindernisse überwand, so dass schließlich der Markt als das überlegende System der Wirtschaftsorganisation triumphierte. Der Zusammenbruch der Sowjetunion und die Hinwendung Chinas zur Marktpolitik markieren die Höhepunkte dieser Entwicklung. In diesem Jahrzehnt und mit großer Wahrscheinlichkeit auch im kommenden werden wir die rasche Ausdehnung des Kapitalismus in ganz Asien erleben. Das wichtigste Element dieses Prozesses ist die Entwicklung Chinas und Indiens zu reifen und stabilen kapitalistischen Weltmächten.
Wenn diese Hypothese korrekt ist, können wir weiterhin annehmen, dass der Kapitalismus in etwa zwanzig Jahren - in Übereinstimmung mit dem Paradigma von W.W. Rostow - sein "Takeoff"-Stadium in Afrika und dem Nahen Osten erleben wird. Länder wie Nigeria, Angola, Südafrika, Ägypten, Marokko und Algerien (und/oder vielleicht auch andere) werden ein explosives Wirtschaftswachstum erfahren. Im nächsten halben Jahrhundert - vielleicht gerade rechtzeitig zum akademischen Rückblick am 200. Jahrestag der Veröffentlichung von Karl Marx’ und Friedrich Engels’ Kommunistischem Manifest im Jahre 2047 (in nur 41 Jahren) - wird der globale Triumph des Kapitalismus vollendet und verewigt sein.
Bietet diese Hypothese eine realistische Grundlage, um gegenwärtige globale Prozesse zu verstehen? Wenn sie es täte, bliebe kaum etwas von der revolutionären marxistischen Perspektive übrig. Wir müssten deshalb unsere Besorgnis über die Lebensbedingungen der Arbeiterklasse nicht aufgeben. Tatsächlich gäbe es eine Masse von Bedingungen, die Grund zur Besorgnis böten. Wir würden versuchen, ein Programm mit Minimalforderungen zu formulieren, um die Lebensbedingungen der Armen und Ausgebeuteten weltweit zu verbessern. Dies wäre jedoch zumindest teilweise ein Akt sozialer Philanthropie. Denn die ehemaligen Marxisten wären gezwungen, den utopischen Charakter des revolutionären Projekts anzuerkennen - der ihm zumindest in der absehbaren Zukunft anhaften würde. Und sie wären dazu gezwungen, ihr Verständnis der Vergangenheit einer umfassenden Revision zu unterziehen.
Doch ist diese Hypothese eines globalen Triumphes des Kapitalismus realistisch? Ist es angesichts aller vorausgegangener historischen Erfahrung vernünftig, sich eine Konstellation von Bedingungen vorzustellen, die es dem weltweiten kapitalistischen System ermöglicht, die zahlreichen potenziell explosiven Probleme zu lösen oder doch zumindest in den Griff zu bekommen, die bereits am ökonomischen oder politischen Horizont sichtbar sind, noch bevor sie die Existenz der herrschenden Weltordnung selbst bedrohen?
Halten wir es für wahrscheinlich, dass geopolitische und wirtschaftliche Konflikte zwischen den Großmächten im Rahmen des imperialistischen Systems auf der Grundlage von Verhandlungen und multilateralen Abkommen gelöst werden, bevor diese Auseinandersetzungen einen Punkt erreichen oder gar überschreiten, an dem sie die internationale Politik nachhaltig aus dem Gleichgewicht bringen?
Ist zu vermuten, dass Auseinandersetzung über den Zugang zu und die sichere Versorgung mit Rohstoffen, die für die wirtschaftliche Entwicklung von höchster Bedeutung sind - besonders, aber nicht ausschließlich, Öl und Erdgas - ohne einen gewalttätigen Konflikt gelöst werden können?
Werden die unzähligen Konflikte um regionalen Einfluss - wie beispielsweise zwischen China und Japan oder China und Indien um die Vorreiterrolle in Asien - ohne den Rückgriff auf Waffen zu klären sein?
Ist es wahrscheinlich, dass die Vereinigten Staaten weiterhin Defizite in Billionenhöhe anhäufen können, ohne dadurch die Weltwirtschaft in ihren Grundlagen zu destabilisieren? Und kann die Weltwirtschaft ohne bedeutende finanzielle Turbulenzen die Folgen einer größeren Wirtschaftskrise in den Vereinigten Staaten verkraften?
Werden die Vereinigten Staaten bereit sein, ihre hegemonialen Ansprüche aufzugeben und eine gleichmäßigere Verteilung der globalen Macht unter den Staaten akzeptieren? Werden sie bereit sein, auf der Grundlage von Kompromissen und Zugeständnissen Boden an ihre wirtschaftlichen und potenziell auch militärischen Rivalen abzutreten, sei es in Europa oder in Asien?
Werden sich die Vereinigten Staaten großzügig und friedlich mit dem wachsenden Einfluss Chinas abfinden?
Und was die soziale Frage betrifft: Wird das rasante Anwachsen der sozialen Ungleichheit in ganz Nordamerika, Europa und Asien weiter anhalten, ohne bedeutende und auch gewaltsame soziale Konflikte hervorzubringen? Lässt sich aus der politischen und sozialen Geschichte der Vereinigten Staaten ableiten, dass die amerikanische Arbeiterklasse für weitere Jahre und Jahrzehnte ohne erheblichen und erbitterten Protest die anhaltende Abwärtsspirale bei den Löhnen und Lebensbedingungen hinnehmen wird?
Solche Fragen müssten beantwortet werden, bevor man zu der Schlussfolgerung gelangen kann, dass der Weltkapitalismus in ein neues Goldenes Zeitalter der Ausdehnung und Stabilität eingetreten ist.
Diejenigen, die alle oben gestellten Fragen bejahen, vernachlässigen sträflich die Lehren aus der Geschichte.
Im Laufe der kommenden Woche werden wir uns diesen Fragen widmen. Es gibt jedoch in Bezug auf den Zustand des Weltkapitalismus einen Indikator, dem wir besondere Aufmerksamkeit schenken müssen. Der Kapitalismus war in seiner historischen Entstehung mit dem Aufkommen der bürgerlichen Demokratie verbunden. Geschichtlich betrachtet existiert eine eindeutige Beziehung zwischen dem Aufstieg des Kapitalismus und der Verbreitung demokratischer Rechte. Die Entstehung der Vereinigten Staaten ist untrennbar mit der Verkündung der "unveräußerlichen Rechte" und der Grundrechtecharta verbunden. Wenn sich der Kapitalismus historisch immer noch im Stadium seines Aufstiegs befindet, warum ist dann der Zustand der politischen Demokratie so gefährdet, allem voran in den Vereinigten Staaten?
Am Gedenktag für Martin Luther King hielt Al Gore - der ehemalige Vizepräsident der Vereinigten Staaten und der Präsidentschaftskandidat, der bei den Wahlen im Jahr 2000 die meisten Stimmen erhielt - eine Rede, in der er den Zustand der amerikanischen Demokratie beschrieb. Über die Rede wurde nur sehr oberflächlich berichtet, die großen amerikanischen Zeitungen würdigten sie kaum eines Kommentars. Doch das Bild, das er vom Zustand der Demokratie in den Vereinigten Staaten zeichnete, war erschütternd. Gestattet mir, nur die wichtigsten Passagen zu zitieren. Er sagte:
"Wie Sie wissen, hat der Präsident beispielsweise auch erklärt, dass er über die bis zu diesem Zeitpunkt nicht anerkannte Machtbefugnis verfügt, einen jeglichen amerikanischen Bürger festzunehmen und inhaftieren zu lassen, den er allein als Gefahr für unsere Nation ausgemacht hat. Und dass diese verhaftete Person trotz ihrer amerikanischen Staatsbürgerschaft nicht das Recht besitzt, mit einem Anwalt zu sprechen - selbst wenn sie darlegen möchte, dass der Präsident oder seine Beauftragten einen Fehler gemacht und die falsche Person verhaftet haben.
Der Präsident behauptet, dass er diesen amerikanischen Bürger - nach Gutdünken jeden amerikanischen Bürger - ohne zeitliche Begrenzung und für den Rest seines Lebens inhaftieren kann, ohne dass ein Haftbefehl vorliegen, ohne dass der Inhaftierte über die ihn betreffenden Vorwürfe informiert werden, ohne das sogar die Familie über die Inhaftierung informiert werden muss. Eine solche Befugnis existiert nicht in dem Amerika, dass Sie und ich kennen und lieben. Sie ist mit unserer Verfassung nicht vereinbar. Sie muss zurückgewiesen werden.
Gleichzeitig nimmt die Exekutive auch die zuvor unbekannte Machtbefugnis für sich in Anspruch, Gefangene in ihrem Gewahrsam auf eine Weise zu misshandeln, die schlicht Folter darstellt und die in einem weit verbreiteten Muster in amerikanischen Einrichtungen in verschiedenen Ländern der Welt als schlichte Folter umfassend dokumentiert worden ist.
Über 100 dieser Gefangenen sind Berichten zufolge gestorben, während sie von Vernehmungsbeamten der Regierung gefoltert wurden, und viele weitere sind gebrochen und erniedrigt worden. Und in dem berüchtigten Gefängnis Abu Ghraib stellten Ermittler, die das Muster der Folter dokumentierten, fest, dass mehr als 90 Prozent der Opfer vollkommen unschuldig waren und kein Verbrechen irgendeiner Art begangen hatten. Dies ist ein schändlicher Missbrauch der Macht und verstößt gegen die Prinzipien, die unsere Nation befolgt hat, seit sie erstmals von General George Washington während des Revolutionskriegs formuliert wurden. Seit dieser Zeit sind sie von jedem Präsidenten befolgt worden - bis jetzt. Sie verletzen die Genfer Konventionen und die Internationale Folterkonvention und unsere eigenen Gesetze gegen Folter.
Der Präsident nimmt auch für sich die Autorität in Anspruch, Individuen auf den Straßen ausländischer Städte zu entführen und sie in unserem Interesse zur Inhaftierung und Vernehmung an autokratischen Regimes in Nationen auszuhändigen, die für die Brutalität ihrer Foltertechniken berüchtigt sind. Einige unserer traditionellen Alliierten sind zutiefst geschockt von diesem neuen, untypischen Muster auf Seiten der Amerikaner. Der britische Botschafter in Usbekistan - das zu den Nationen mit dem übelsten Ruf bezüglich der Folter in ihren Gefängnissen gehört - beschwerte sich bei seinem Innenministerium über die Grausamkeit und Sinnlosigkeit der neuen amerikanischen Praktiken, deren Zeuge er war: ‘Das Material, das wir erhalten, ist nutzlos’, schrieb er und fuhr fort, ‘Wir verkaufen unsere Seelen für Schrott. Tatsächlich schadet das Material.’
Kann es wahr sein, dass irgendein Präsident nach unserer Verfassung wirklich über solche Machtbefugnisse verfügt? Wenn die Antwort Ja’ lautet, wie diejenigen behaupten, die jetzt diese Taten begehen, dann muss die Frage gestellt werden, ob es noch irgendwelche Handlungen geben kann, die per se verboten sind. Wenn der Präsident qua Amt die Befugnis hat, amerikanische Bürger ohne richterlichen Beschluss überwachen zu lassen, amerikanische Bürger nach eigenem Gutdünken festnehmen, entführen und foltern zu lassen - was darf er dann nicht tun?
Der Dekan der Jurafakultät an der Universität Yale, Harold Koh, sagte bezüglich der außergewöhnlichen Inanspruchnahme dieser zuvor unbekannten Machtbefugnisse durch die Exekutive: ‘Wenn der Präsident mit der Macht des Obersten Befehlshabers Folter anordnen kann, dann hat er auch die Macht Völkermord anzuordnen, Sklaverei zu erlauben, für Apartheid einzutreten und Massenhinrichtungen zu gestatten.’
Die Tatsache, dass unsere normalen amerikanischen Schutzmechanismen bislang versagt haben, um diese beispiellose Vergrößerung der exekutiven Macht einzudämmen, bietet selbst großen Anlass zur Sorge. Das Versagen lässt sich teilweise auf die Tatsache zurückführen, dass die Exekutive eine entschlossene Strategie verfolgt hat, zu verschleiern, zu verschleppen, Informationen zurückzuhalten, so zu tun, als wolle man kooperieren, sich aber dann zu verweigern und Absichten zu verbergen, um die Bemühungen der Legislative und Judikative, eine gesunde und verfassungskonforme Balance wiederherzustellen, ins Leere laufen zu lassen."
Die Situation, die Al Gore beschreibt, ist nichts Geringeres als der Zusammenbruch der verfassungsmäßigen Demokratie und das Abrutschen der Vereinigten Staaten in eine Diktatur. Die Zustandbeschreibung ist zutreffend, doch in Gores Rede fehlt jegliche Erklärung, warum und wie es zu dieser schrecklichen Situation kommen konnte.
Wenn der Kapitalismus gesund und kräftig ist und einen Aufschwung erlebt, wie seine Freunde und Verteidiger gerne behaupten, warum befinden sich dann die Institutionen der Demokratie und der angeblich vom Volk bestimmten Regierung in den Vereinigten Staaten im Zustand einer beispiellosen Krise?
Die Hauptaufgabe, der wir uns in der kommenden Woche widmen, besteht darin, die wichtigsten Bestandteile der sich rasch entwickelnden Krise des weltweiten kapitalistischen Systems zu umreißen und zu beschreiben.
Lenin schrieb im Jahre 1914: "Spaltung des Einheitlichen und Erkenntnis seiner widersprechenden Bestandteile [...] ist das Wesen (eine der ‘Wesenheiten’, eine der grundlegenden, wenn nicht die grundlegende Besonderheit oder Seite) der Dialektik." [1]
In Übereinstimmung mit dieser theoretischen Herangehensweise werden die Berichte, die wir hören, die Entwicklung der globalen Krise von verschiedenen Seiten und Blickwinkeln aus beleuchten. Mit folgenden Themen werden wir uns unter anderem befassen: Der Zustand der Weltwirtschaft; die politische, wirtschaftliche und soziale Krise in den Vereinigten Staaten; die Auswirkungen und Konsequenzen der kapitalistischen Expansion in China; der Kampf um wichtige Ressourcen und die Intensivierung der innerimperialistischen Konflikte zwischen den Großmächten; die Krise auf dem indischen Subkontinent, mit besondere Betonung der Gefahr eines erneuten Bürgerkriegs in Sri Lanka; die gegenwärtige Situation im Irak und die Zukunft des amerikanischen "Kriegs gegen den Terrorismus"; die verzweifelte Situation in Afrika; die politischen und gesellschaftlichen Spaltungen in Israel; die Bedeutung der jüngeren "linken" Trends in der lateinamerikanischen Politik. Wir widmen zudem einen Teil unserer Zeit einer Untersuchung der gegenwärtigen Krise in der internationalen Kultur.
Wir hegen die Hoffnung und Erwartung, dass diese Berichte zu einer Entwicklung der internationalen Perspektive beitragen, auf der die tägliche analytische Arbeit der World Socialist Web Site beruht.
Quelle:
[1] Lenin, Zur Frage der Dialektik, in: Werke, Bd. 38, S. 338.