Peer Steinbrück wird Finanzminister

Eine Weichenstellung in Richtung mehr Sozialabbau

Die Nominierung des ehemaligen nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Peer Steinbrück (SPD) für das Amt des Bundesfinanzministers in einer künftigen Großen Koalition ist eine Weichenstellung in Richtung mehr Sozialabbau und weitere Umverteilung von unten nach oben.

Steinbrück ist nicht nur ein enger politischer Vertrauter des scheidenden Bundesarbeits- und Wirtschaftsministers Wolfgang Clement (SPD), sondern ein kühl kalkulierender Apparatschik, der sich vor allem an den wirtschafts- und finanzpolitischen Richtlinien der Arbeitgeberverbände orientiert und an den sozialen Implikationen seiner Entscheidungen wenig Interesse hat. Er hätte seine politische Karriere eben so gut in der CDU machen können.

Bekannt ist vor allem, dass er gerade die schlimmste Wahlniederlage der SPD in NRW zu verantworten hat. Darin ähnelt er seinem Vorgänger Hans Eichel (SPD). Auch der war nach einer katastrophalen Wahlniederlage in Hessen zum Bundesfinanzminister befördert worden.

Ein Blick in seine politische Biographie macht deutlich, dass Steinbrück den, von den Jungsozialisten in den siebziger Jahren propagierten, "Marsch durch die Institutionen" sehr wörtlich nahm. Während seines Volkswirtschaftsstudiums wurde er 1969 Mitglied der SPD. Fünf Jahre später war er bereits im Bundesbauministerium für Raumordnung und Regionalplanung zuständig.

Anschließend arbeitete er in der Planungsgruppe des Bundesministeriums für Forschung und Technologie, um 1977/1978 Persönlicher Referent der Bundesminister Hans Matthöfer und Volker Hauff (beide SPD) zu werden. Von Mitte 1978 bis Anfang 1981 war er im Bundeskanzleramt tätig und zeitgleich (1981) in der Ständigen Vertretung der BRD in Ostberlin, hier in der Abteilung Wirtschaft.

Danach arbeitete er wieder als Persönlicher Referent, diesmal von Bundesforschungsminister Andreas von Bülow. Es folgten zwei Jahre als Mitarbeiter der SPD-Bundestagsfraktion, bevor er 1983 nach Nordrhein-Westfalen (NRW) ins Ministerium für Umwelt, Raumordnung und Landwirtschaft wechselte. In der zweiten Hälfte der achtziger Jahre leitete Steinbrück vier Jahre lang das Büro des damaligen Ministerpräsidenten Johannes Rau (SPD).

Im Mai 1992 ging er nach Kiel als Staatssekretär im Ministerium für Wirtschaft, Technik und Verkehr von Schleswig-Holstein und wurde ein Jahr später Minister. Ende der neunziger Jahre kehrte er zurück nach NRW, wurde Wirtschaftsminister in Düsseldorf und übernahm schließlich das Amt des Ministerpräsidenten von Clement, als dieser 2002 nach Berlin wechselte und Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit wurde.

Schon bei seinem Dienstantritt als Wirtschaftsminister Schleswig-Holsteins im Jahre 1993 versprach Steinbrück eine Politik "der Kontinuität und Verlässlichkeit ohne ideologische Scheuklappen" sowie eine "Wirtschaftspolitik ohne Fördermittel".

Steinbrück hat sich seitdem als Interessensvertreter der Wirtschaft einen Namen gemacht und seine politische Nähe zur FDP und CDU nie verheimlicht. Er ist ein Finanz-Administrator für den die Zahlenkolonnen seiner Bilanzen weit wichtiger sind als der Zustand der Gesellschaft. Er selbst nennt diese Politik "geradlinig" und bezeichnet sich oft als "Mann der Exekutive".

Steinbrück verteidigt ausdrücklich die Hartz-Reformen und die darin beinhalteten Angriffe auf Arbeitslose. Schon 1999 in seiner Funktion als NRW-Wirtschaftsminister ließ er in einem Pilotprojekt außertarifliche Niedriglöhne zur "wirksamen Bekämpfung der Arbeitslosigkeit" prüfen.

In Finanzfragen ist Steinbrück ein Verfechter drastischer Kürzungen. Ihm geht die Haushaltssanierung über alle sozialen Verpflichtungen. Nach dem Motto, der Staat könne nicht mehr ausgeben als er habe, steht bei ihm nicht die Erhöhung der Einnahmen durch Steuererhöhungen bei Wirtschaft, Unternehmen und Reichen im Vordergrund, sondern die Kürzung der Ausgaben.

So hat Steinbrück als Ministerpräsident von NRW das umfangreichste Sparpaket in der Geschichte des Landes zu verantworten. Der Doppelhaushalt von 2004 und 2005, den das NRW-Kabinett im September 2003 offiziell beschlossen hatte, beinhaltete Kürzungen von über zwei Milliarden Euro. In nahezu allen Ressorts ist es zu einschneidenden Einsparungen gekommen. Viele soziale Einrichtungen und Beratungsstellen erhalten seitdem weniger Zuschüsse. Der damalige NRW-Finanzminister unter Steinbrück, Jochen Dieckmann (SPD), der kurzzeitig ebenfalls als Bundesfinanzminister im Gespräch war und die politischen Auffassungen Steinbrücks teilt, räumte damals ein, dass dies auch zum Verlust von Arbeitsplätzen führen wird.

Dieckmann und Steinbrück verordneten auch den Landesbediensteten einen "Beitrag zum Sparen". Die Arbeitszeit wurde von 38,5 Stunden auf 41 Stunden pro Woche erhöht. Auch Kürzungen beim Weihnachts- und die Streichung des Urlaubsgeldes wurden beschlossen. Angesichts vielfältiger Proteste bezeichnete Steinbrück die Kürzungen immer als "ohne Alternative".

Die Koch/Steinbrück-Kommission

Für seinen kommenden Posten als Bundesfinanzminister einer Großen Koalition hat sich Steinbrück nicht nur durch seine Unnachgiebigkeit gegenüber jedem Druck von unten qualifiziert, sondern auch durch seine Erfahrung in der Zusammenarbeit mit der CDU. Gemeinsam mit dem hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) arbeitete er das so genannte Koch/Steinbrück-Papier aus. Im Rahmen dieses Papiers mit dem Titel "Subventionsabbau im Konsens" hatten die beiden Ministerpräsidenten im September 2003 Vorschläge zum "größten Programm zum Subventionsabbau in der deutschen Nachkriegsgeschichte" über einen Zeitraum von 3 Jahren vorgelegt.

"In einer Phase, in der die Anstrengungen darauf gerichtet sein müssen, die hohen Defizite in den öffentlichen Haushalten wieder zu verringern", schreiben Steinbrück und Koch, "gehören daher vor allem auch die Subventionen auf den Prüfstand. Längst nicht mehr alles, was in Zeiten hoher Zuwächse des Steueraufkommens beschlossen wurde, ist heute noch finanzierbar."

Sie hatten daher vorgeschlagen, dass mit der so genannten Rasenmäher-Methode jährliche Kürzungen in Höhe von 4 Prozent bei fast allen Subventionen vorgenommen werden. Dieser Ansatz, so betonten sie, könne auch ausdrücklich über die dargestellte Periode hinaus angewandt werden.

Die "lineare Verringerung staatlicher Hilfen um jeweils 4 Prozent in den Jahren 2004 bis 2006, also insgesamt um 12 Prozent" sei notwendig, "um ein deutliches Signal zu setzen und einen großen Kreis staatlicher Hilfen zu erfassen", heißt es in dem Positionspapier. "Diese Vorgehensweise kann aber nur ein erster Schritt sein, dem weitere folgen müssen. Moderate, schrittweise Kürzungen staatlicher Hilfen und Vergünstigungen geben den Betroffenen Zeit, sich auf die veränderte Situation einzustellen. [...] Am Ende soll ein Teil der gegenwärtigen staatlichen Transfers und Vergünstigungen gänzlich entfallen."

Das Ergebnis wären Kürzungen um 15,8 Mrd. Euro allein in den angegebenen Jahren 2004 bis 2006. Andere Steuervergünstigungen mit einem Volumen von rund 6 Milliarden Euro stünden zwar "prinzipiell für einen Abbau zur Verfügung" (gemeint ist die Besteuerung der Lohnzuschläge für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit sowie die Abschaffung von Ökosteuer-Befreiungen für Teile des produzierenden Gewerbes). "Allerdings konnten wir bei diesen Maßnahmen kein Einvernehmen erzielen", schrieben Koch und Steinbrück vor zwei Jahren.

Dennoch ist die Liste lang, kaum ein Bereich bleibt ausgespart. Steuervergünstigungen wie die Entfernungspauschale (Einsparvolumen 5 Mrd. Euro), der Arbeitnehmer-Pauschbetrag (3,5 Mrd. Euro), Freibeträge für Abfindungen und Übergangsgelder (200 Mio. bzw. 55 Mio. Euro) oder für nebenberufliche Tätigkeiten als Übungsleiter, Altenpfleger etc. (2 Mrd. Euro) sollen verringert werden oder längerfristig "gänzlich wegfallen". Selbst die "Steuerbefreiung für ausländische Kulturorchester und Künstlervereinigungen" mit einem Einsparvolumen von 5 Mio. Euro in drei Jahren wird nicht vergessen.

Bei den Finanzhilfen handelt es sich unter anderem um die Subventionen des Steinkohlenbergbaus und der Werftindustrie sowie um Zuschüsse zu sozialen Einrichtungen und Beratungsstellen (Verbraucherschutzinstitutionen, Krankenhäuser, Rehabilitationseinrichtungen, Theater, Museen, das Bundesinstitut für Berufsbildung, die Unterstützung von Aus- und Fortbildungsträgern, Jugendhilfe- und Wohlfahrtsverbänden usw.). Insgesamt sollte in diesen Bereichen durch eine pauschale Kürzung über 1,5 Mrd. Euro pro Jahr (oder 4,6 Mrd. Euro in den angestrebten drei Jahren) eingespart werden.

Der "Handlungsspielraum" durch die Einsparungen soll "für eine zusätzliche Senkung der Steuern genutzt werden". Diese sei "zugleich ein unverzichtbarer Beitrag zur Stärkung von Wachstum und Beschäftigung". Mit anderen Worten: Das Kürzen in sozialen Bereichen soll der Wirtschaft und den Besserverdienenden zugute kommen.

Diese Kürzungen sollten auch gegen "Widerstand" durchgesetzt werden. Es zeige sich, "dass es dem organisierten Widerstand der betroffenen Gruppen und Verbände immer wieder gelingt, eigene Vorteile zu Lasten der Allgemeinheit zu bewahren". Aber: "Die aktuelle Situation der öffentlichen Haushalte ist Chance und Herausforderung zugleich, den Subventionsabbau gegen diese Widerstände durchzusetzen."

Dies ist die Politik, die von der Großen Koalition zu erwarten ist: Die Durchsetzung von sozialen Kürzungen und eine weitere Umverteilung des Reichtums von unten nach oben gegen den "organisierten Widerstand" der Betroffenen.

Siehe auch:
Große Koalition unter Kanzlerin Merkel
(11. Oktober 2005)
Steinbrück: "Ich verspreche keine Arbeitsplätze"
( 12. April 2005)
Kulturpolitik in NRW - die verheerende Bilanz der rot-grünen Koalition
( 18. Mai 2005)
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