Ein Sprecher der Kommission, die die Ereignisse vom 11. September 2001 untersucht, gab am 10. August zu, dass sich am 12. Juli 2004 Kommissionsmitglieder mit einem uniformierten Offizier getroffen haben und dieser sie informiert habe, dass eine Gruppe von Geheimdienstleuten bereits im Sommer 2000 Mohammed Atta als Teilnehmer einer Al-Qaida-Zelle identifiziert hatte, die in den USA operierte. Atta gilt als der Anführer der Flugzeugentführer, die die Angriffe vom 11. September 2001 durchführten.
Dieses Eingeständnis widerspricht vollkommen früheren Erklärungen des Vorsitzenden der Untersuchungskommission Thomas Kean und seines Stellvertreters Lee Hamilton, dass die Kommission niemals Informationen des militärischen Geheimdienstes über Atta erhalten habe.
Nach einem Artikel in der New York Times vom 11. August warnte der Offizier die Kommissionsmitglieder, dass "der Bericht" (der Kommission) ohne Einbeziehung der Erkenntnisse der Geheimdienstgruppe "unvollständig sein würde".
In dem Kommissionsbericht, der am 22. Juli 2004 veröffentlicht wurde - zehn Tage nach dem Treffen, auf dem Kommissionsmitglieder über Atta informiert worden waren -, gab es keinerlei Hinweise auf die Informationen, die von der Geheimdienstgruppe mit dem Namen Able Danger (wörtlich etwa: Potente Gefahren) gesammelt worden waren.
Dem republikanischen Kongressabgeordneten Curt Weldon und einem nicht genannten früheren Geheimdienstoffizier zufolge waren Mitglieder von Able Danger vom Kommando des Pentagon für besondere Operationen im Sommer 2000 daran gehindert worden, die Informationen, die sie über Atta und drei der anderen späteren Flugzeugentführer gesammelt hatten, an das FBI weiterzugeben. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich Atta und die anderen in den Vereinigten Staaten und nahmen Flugstunden.
Der Sprecher der Kommission Al Felzenberg gab zu, dass das Treffen mit dem Offizier am 12. Juli 2004 erst stattgefunden habe, nachdem Weldon den Kommissionsmitgliedern einen Brief geschickt hatte, in dem er mitteilte, dass er über dieses Treffen informiert sei. Weldon hatte zuvor aufgedeckt, dass sich Mitglieder der Kommission im Oktober 2003 mit Offizieren von Able Danger getroffen hatten.
Am 9. August gaben Kean und Hamilton zu, dass die Kommissionsmitglieder bei dem Treffen im Jahre 2003 über Able Danger informiert wurden, behaupteten aber, sich nicht daran erinnern zu können, dabei die Namen einzelner Personen, darunter Atta, erfahren zu haben, die die militärische Geheimdienstgruppe im Jahr 2000 identifiziert hatte. Jetzt, nur einen Tag später, war Felzenberg gezwungen, einen Rückzug zu machen und zu erklären, dass die Kommission im Juli 2004 von den Geheimdiensterkenntnissen über Atta informiert worden war und sich entschieden hatte, sie nicht in ihren Schlussbericht aufzunehmen.
Weldons Brief an Kean, Hamilton und die anderen Kommissionsmitglieder drückte aus, dass er "aufs höchste enttäuscht sei über die jüngsten und falschen Behauptungen der 9/11-Kommission und darüber, dass diese angeblich niemals Zugang zu irgendwelchen Informationen von Able Danger erhalten habe. Die Mitglieder der 9/11-Kommission erhielten nicht nur eine, sondern zwei Informationen über Able Danger von ehemaligen Mitgliedern des Teams, verfolgten die Spur jedoch nicht weiter. Darüber hinaus antworteten die Kommissionsmitglieder nicht auf Anrufe von einem militärischen Geheimdienstangehörigen, der Kontakt mit ihnen aufgenommen hatte, um die Angelegenheit weiter zu besprechen, über die sie bei einem früheren Treffen informiert worden waren."
Weldon gehört dem rechten Flügel des Kongresses an und wurde zu einem Spezialisten für das Aufspüren von Daten über Geheimdienstoperationen wie denen von Able Danger. Er setzt sich für größere Befugnisse der Geheimdienste ein. Wie auch immer, die Information über Able Danger bestätigt frühere Erkenntnisse, dass US-Geheimdienste und Sicherheitsagenturen den Flugzeugentführern vom 11. September auf der Spur waren, aber nichts unternommen haben, um sie an ihrem Vorhaben zu hindern.
Obwohl Felzenberg am Mittwoch zugab, dass die Kommissionsmitglieder über Geheimdienstinformationen über Atta unterrichtet waren, versuchte er die Bedeutung der Tatsache herunterzuspielen und die Entscheidung der Kommission, jede Erwähnung dieser Information auszuschließen, als unbedeutend und Routineangelegenheit darzustellen, die damit zu tun hatte, dass sie bei der Vorbereitung der Veröffentlichung unter Zeitdruck gekommen seien.
Wahr ist aber das Gegenteil. Die Tatsache, dass der militärische Geheimdienst Atta und drei andere spätere Flugzeugentführer als Mitglieder einer Al Qaida Zelle in den USA mehr als ein Jahr vor den Terrorangriffen des 11. September identifiziert hatte und dass die vier trotzdem in der Lage waren zu kommen und zu gehen, wie es ihnen beliebte und in einigen Fällen sogar das Land verlassen und wieder einreisen konnten und dass sie den größten Terrorangriff auf die USA der Geschichte planen und ausführen konnten, ohne daran vom FBI oder der CIA oder irgendeiner anderen Geheimdienstagentur gehindert zu werden oder dass diese eingegriffen hätten, ist eine höchst explosive Information mit äußerst weitreichenden Implikationen.
Sie untergräbt auf verhängnisvolle Weise die entscheidenden Feststellungen der 9/11-Kommission und alle anderen offiziellen Vertuschungsmanöver bezüglich der Ereignisse um die Terrorangriffe auf New York und Washington: Die "Fehler der Geheimdienste", die die Durchführung der Angriffe möglich gemacht hätten, seien im schlimmsten Fall auf Inkompetenz bzw. innerorganisatorische Hindernisse zurückzuführen, die die Geheimdienste daran gehindert hätten, die "Fäden zu verknüpfen".
Stattdessen stützen die jüngsten Enthüllungen eine ganze Reihe von Erkenntnissen, die nahe legen, dass einer oder mehrere Geheimdienste oder Sicherheitsorganisationen und hohe Regierungs- und/oder Militärangehörige zusammengearbeitet haben, um die Flugzeugentführer zu schützen und ihnen zu erlauben, einen terroristischen Angriff auf amerikanischem Boden durchzuführen. Zu welchem Zweck? Um Bedingungen zu schaffen, die öffentliche Meinung zu beeinflussen und zu manipulieren, damit sie eine massive Ausdehnung des amerikanischen Militarismus und nie dagewesene Angriffe auf demokratische Rechte akzeptiert.
Die ungeheure Bedeutung der Able Danger betreffenden Informationen und ihre höchst gefährlichen politischen Implikationen für die Bush Regierung und das gesamte amerikanische politische Establishment liegen darin, dass sie die Erklärung dafür liefern, warum die Kommission es ausschloss sie zu erwähnen.
Die Rechtfertigung, die die Kommission dafür gibt, dass sie die Information über Atta und Able Danger unterdrückt hat, ist ebenso absurd wie die früheren Behauptungen, dass der Name Atta den Kommissionsmitgliedern niemals genannt worden war. Bezug nehmend auf den Militäroffizier, der im Juli 2004 mit einigen der Kommissionsmitglieder gesprochen hatte, erklärte Felzenberg der New York Times : "Wir haben ihn nicht abblitzen lassen. Die Information, die er uns gegeben hat, passte nicht in den Zusammenhang der Schlussfolgerungen, die wir gezogen hatten."
Die Times schreibt: "Mr. Felzenberg sagte, die Ermittlungsbeamten der Kommission hätten vorsichtig auf den Offizier reagiert, weil er behauptet hatte, Able Danger habe angegeben der Ägypter Mr. Atta habe sich seit 1999 oder Anfang 2000 in den USA aufgehalten. Die Beamten wussten, so erklärte Felzenberg, dass dies unmöglich war, weil die Aufzeichnungen über die Einreisenden ergeben hatten, dass er nicht vor Juni 2000 in die USA eingereist sei."
Russel Caso, der Büroleiter des Kongressabgeordneten Weldon beantwortete dieses Ablenkungsmanöver von Felzenberg und erklärte der New York Times. "Obwohl die Daten vielleicht nicht ganz [mit den Informationen der Kommission] zusammenpassen", war doch die zentrale Aussage des Offiziers, dass "Mohammed Atta als jemand identifiziert worden war, der mehr als ein Jahr lang vor dem 11. September mit Al Qaida und einer Zelle in Brooklyn in Verbindung stand und dass die Kommission zu weiteren Ermittlungen veranlasst gewesen sein musste." Caso fügte hinzu: "Wenn Mohammed Atta vom Able Danger Projekt identifiziert worden war, warum hat dann das Verteidigungsministerium diese Information nicht an das FBI weitergegeben?"
Außerdem, selbst wenn die 9/11-Kommission Fragen bezüglich der Glaubwürdigkeit der Information des Offiziers gehabt hat, rechtfertigt oder erklärt dies noch nicht, weshalb sie keinerlei Notiz von dieser Information genommen hat. Der 585 Seiten umfassende Bericht mit Tausenden von dazugehörigen Anhängen mit den Berichten der Ermittler, Interviews etc. enthält viele Hinweise auf Behauptungen, Theorien und angenommene Tatsachen, die sich auf die Anschläge vom 11. September beziehen, die die Kommission nicht für glaubwürdig gehalten oder für die sie keine Bestätigung gefunden hat. Weshalb sollte gerade eine so wichtige Angelegenheit wie frühere geheimdienstliche Erkenntnisse über Atta und drei andere Attentäter keine Erwähnung in einem dieser Dokumente gefunden haben, selbst wenn es mit einem Hinweis der Kommission versehen gewesen wäre, der sie widerlegt oder in Frage stellt?
In einem Absatz gegen Ende des Artikels in der New York Ti mes heißt es: "Mr. Felzenberg bestätigte einen Bericht von Mr. Weldons Büro, aus dem hervorgeht, dass bei dem Informationsgespräch (mit dem uniformierten Offizier) im Büro der Kommission in Washington Dietrich L. Snell, einer der führenden Ermittler des Gremiums, anwesend gewesen sei. In seiner Begleitung befand sich ein Angehöriger des Pentagon, der als Beobachter des Verteidigungsministeriums fungierte. Als die Kommission deshalb protestierte, bestand die Bush-Regierung darauf, dass der Aufpasser’ der Regierung bei allen wichtigen Interviews mit Vertretern der Exekutivorgane anwesend zu sein habe."
Was diesen Absatz angeht, sind einige Anmerkungen zu machen. Erstens wird darin aufgedeckt, dass von der sogenannten Unabhängigkeit der 9/11-Kommission nicht die Rede sein konnte. Keine wirklich unabhängige Kommission hätte der Regierung erlaubt, ihre Interviews mit wichtigen Quellen und Zeugen zu beaufsichtigen. Außerdem wirft dies ein Licht auf die grundlegende Feindseligkeit der Bush-Regierung bezüglich der Untersuchung und auf ihre Angst, was diese zu Tage fördern könnte. Was hatte das Weiße Haus zu verbergen?
Zweitens zeigt sich, dass die Regierung das Interview vom 12. Juli 2004 mit dem Militäroffizier für ein "wichtiges Interview" hielt, wichtig genug, einen Beobachter zu entsenden, der es überwachen sollte.
Drittens widerspricht die Tatsache, dass ein Beobachter des Verteidigungsministeriums bei dem Interview anwesend war, einer Erklärung von Verteidigungsminister Donald Rumsfeld vom 9. August, der über Able Danger gesagt hatte, "ich habe bis heute morgen nie davon gehört".
Schließlich ist die Tatsache entlarvend, dass das Interview von Snell geführt worden war. Snell war der Chefankläger im Prozess gegen Abdul Hakim Murad, der 1996 wegen seiner Rolle in dem sogenannten "Bojinka-Plan" verurteilt wurde.
Murad war angeblich in eine Verschwörung mit Ramzi Yousef verwickelt, der wegen des Bombenanschlags auf das World Trade Center 1993 verurteilt worden war, sowie mit Kahlid Shaikh Mohammed, von dem angenommen wird, dass er in die Planung der Anschläge vom 11. September verwickelt war. Sie hätten geplant, 11 Flugzeuge über dem Ozean explodieren zu lassen. Murad bot an, mit der Anklage zusammen zu arbeiten, um im Gegenzug eine ermäßigte Haftstrafe zu erhalten, was jedoch abgelehnt wurde. Murad hatte 1995 philippinischen Ermittlern gegenüber ausgesagt, dass eine Version des Planes war, die Flugzeuge in Gebäude, darunter das World Trade Center, zu steuern, obwohl das Hauptziel die CIA-Zentrale gewesen sei.
Der Bojinka-Plan ist einer der wichtigsten Beweise dafür, dass die amerikanischen Polizei und Geheimdienste sehr wohl über Pläne informiert waren, dass Flugzeuge in Gebäude gesteuert werden sollten, was im Gegensatz zu Aussagen von Angehörigen der Bush-Regierung nach dem 11. September steht.
Bis heute haben sich viele, die in die Enthüllungen von Able Danger verwickelt sind, geweigert, sich dazu zu äußern - darunter auch Snell und der Oberbefehlshaber für besondere Operationen Philip Zelikow, der jetzt ein ranghoher Berater von Außenministerin Condoleezza Rice ist. Auch der leitende Ermittler der Kommission, der sich im Oktober 2003 mit Mitgliedern von Able Danger getroffen hat, verweigert bisher jede Aussage.
Die amerikanischen Medien unterdrücken diese Enthüllungen weiterhin. Nach dem Artikel auf der ersten Seite der New York Times am 9. August, der die Story herausbrachte, werden die Folgeartikel auf den Innenseiten der Zeitung versteckt. Der Artikel am 10. August befand sich auf Seite 13 und der vom 11. auf Seite 14. Andere Zeitungen haben die Sache kaum erwähnt. Der einzige Artikel, der bisher in der Washington Post erschienen ist, war eine fünf Absätze umfassende Agenturmeldung von Associated Press am Mittwoch. Die Abendprogramme der Radio- und Fernsehanstalten ignorieren die Geschichte weiterhin.