Asylbewerber stirbt im Polizeigewahrsam in Dessau

Sechs Wochen nachdem in Dessau ein Asylbewerber im Polizeigewahrsam bei lebendigem Leibe verbrannte, hat die Staatsanwaltschaft nun Ermittlungsverfahren gegen drei Polizisten eingeleitet. Gegen den Dienstgruppenleiter der wachhabenden Schicht wird wegen Körperverletzung mit Todesfolge ermittelt, weil er mehrmals den Feueralarm ignorierte. Gegen zwei seiner Kollegen besteht der Verdacht der fahrlässigen Tötung.

"Die Polizei hat viele Fehler gemacht. Sie haben zum Tod von Oury Jalloh geführt," gestand Staatsanwalt Folker Bittmann auf der Pressekonferenz am vergangenen Dienstag ein. Aber eine strafrechtliche Bewertung wollte er damit noch nicht abgeben. Bittmann hält an der Darstellung der Polizisten fest, dass der Tod des 21-jährigen Oury Jalloh aus Guinea-Bissau ein Unglücksfall oder eine Selbsttötung war. Der Fall weist jedoch einige Ungereimtheiten auf.

Laut der Version der Polizei wurde der junge Afrikaner am Morgen des 7. Januar einer Personenkontrolle unterzogen, weil er angeblich Frauen belästigt haben soll. Als er sich weigerte, seine Papiere vorzuzeigen, kam es zu einem Handgemenge, bei dem der Asylbewerber mit Schlägen malträtiert wurde. Er wurde auf das Dessauer Polizeirevier geschleppt, gründlich durchsucht und in eine Zelle im Keller des Gebäudes verbracht. In dem voll verfliesten Raum wurde Oury Jalloh mit ausgestreckten Armen und Beinen mit Handschellen an eine Pritsche gefesselt.

Nach den Ermittlungsergebnissen der Staatsanwaltschaft brach in der Zelle etwa zwei Stunden später ein Feuer aus. Der Rauchmelder in der Dienststube schlug an, doch der Dienstgruppenleiter schaltete den Alarm aus. Angeblich weil es in letzter Zeit häufiger zu Fehlalarm gekommen war. Tatsächlich war die Anlage aber Ende 2004 repariert worden, was den Beamten bekannt gewesen sein muss.

Der Rauchmelder war nicht das einzige Warnsignal, das die Polizisten geflissentlich ignoriert haben. Aus der Gegensprechanlage zu der Zelle, die zudem gegen jede Vorschrift zeitweilig leise gestellt war, konnte man das Prasseln des Feuers deutlich vernehmen. Gegenüber dem Staatsanwalt gaben die Polizisten jedoch an, dass sie die Geräusche für "plätscherndes Wasser" hielten. Kurz danach waren neben dem "Plätschern" auch noch eindringliche Rufe des in der Zelle liegenden Oury Jalloh zu hören und der Rauchmelder schlug ein zweites Mal an. Doch wieder wurde der Alarm einfach ausgeschaltet.

Erst als auch der Lüftungsschalter Alarm schlug, bequemte sich der Dienstgruppenleiter zu dem im Keller liegenden Zellentrakt. Doch jede Hilfe kam hier bereits zu spät. Der Qualm war so stark, dass die Polizisten nicht mehr zum gefesselten Afrikaner vordringen konnten. Oury Jalloh verbrannte qualvoll bei lebendigem Leib.

Fraglich ist aber nicht nur, warum die Beamten durch ihr ignorantes Verhalten das Leben des afrikanischen Asylbewerbers aufs Spiel setzten, sondern vor allem, wie das Feuer überhaupt ausbrechen konnte.

Unmittelbar nach dem Brand bezichtigte die Polizei den verbrannten Asylbewerber, selbst das Feuer gelegt zu haben. In ihrer Version war jedoch noch nicht die Rede davon, dass Oury Jalloh mit ausgestreckten Armen und Beinen an die Pritsche gefesselt worden war. Die Selbsttötungsthese stützte sich vor allem darauf, dass ein Unfall in dem gefliesten Raum auszuschließen war und in der ausgebrannten Zelle Überreste eines Feuerzeuges gefunden wurden.

Doch warum hatte der junge Afrikaner trotz der gründlichen Durchsuchung noch ein Feuerzeug? Und wie hätte er trotz seiner Fesselung an ein vermeintlich in der Kleidung verstecktes Feuerzeug herankommen und die Matratze in Brand stecken können?

In einer Videorekonstruktion der Ereignisse versuchte die Staatsanwaltschaft nun zu zeigen, dass Oury Jalloh noch ausreichend Bewegungsfreiheit gehabt hätte, um ein Feuerzeug aus seiner Hosentasche zu ziehen und den Brand zu legen. Aber dieser Akt hätte erstens einem Houdini zu Ehren gereicht und zweitens einen ungeheuren Willen vorausgesetzt, sich selbst zu verletzen oder gar zu töten.

Aber "das Motiv für eine Selbstentzündung bleibt unklar", wie Staatsanwalt Bittmann zugeben musste. Auch hatten die Beamten mehrmals am fraglichen Morgen die Zelle von Oury Jalloh kontrolliert, der dabei ganz offen und normal mit den Polizisten sprach. Bei seinen Bekannten galt Oury Jalloh zudem als lebensfroher, lustiger Mensch.

Die Matratze, die Oury Jalloh entzündet haben soll, bestand überdies aus feuerfestem Material und war praktisch nicht entflammbar. Die Staatsanwaltschaft geht nun davon aus, dass die Matratze beschädigt gewesen sein muss und deswegen Feuer fing.

Trotz dieser mehr als merkwürdigen Verkettung von Zufällen - die schlampige Durchsuchung, eine beschädigte Matratze, das Herankommen an ein Feuerzeug trotz der stark eingeschränkten Bewegungsfreiheit, das fehlende Motiv für eine Selbsttötung, das Ignorieren des Rauchmelders, das Verwechseln der Geräusche aus der Gegensprechanlage - schließt Staatsanwalt Bittmann weiter ein Fremdverschulden kategorisch aus. "Es gibt keinerlei Anzeichen für die vorsätzliche Tat eines Dritten", so Bittmann auf der Pressekonferenz.

Die weiteren Ermittlungen werden sich auch nur auf die minutiöse Rekonstruktion der Ereignisse zwischen dem Ausbruch des Feuers und dem Tod Oury Jallohs beschränken. Laut Obduktionsbericht starb Oury Jalloh sechs Minuten nach Ausbruch des Feuers an einem Hitzschlag in der auf über 350 Grad Celsius erhitzten Zelle. Sollten die Ermittlungen ergeben, dass eine Rettung ohnehin unmöglich gewesen sei, würden sie eingestellt. Der Frage, wer den Brand eigentlich gelegt hat, wird sich die Staatsanwaltschaft nicht mehr widmen, obwohl die vorgelegten Untersuchungsergebnisse die Zweifel an der Selbsttötungsthese noch vermehrt haben.

Dass die Behörden überhaupt tätig wurden, ist nach Informationen des Tagesspiegels nicht zuletzt der Beratungsstelle für Opfer rechtsextremer Gewalt in Dessau zu danken, deren Nachbohren den Fall vor den Innenausschuss des Landtages von Sachsen-Anhalt gebracht hat. Erst auf der Sitzung des Ausschusses am 2. Februar, vier Wochen nach dem Tod Oury Jallohs, wurde die Öffentlichkeit darüber informiert, dass der Afrikaner fixiert war und dass Zweifel an der von der Polizei vertretenen Selbsttötungsthese bestehen.

Vor dem Innenausschuss soll auch erklärt worden sein, dass die Handgelenke des Asylbewerbers gebrochen waren. Der Obduktionsbericht wurde jedoch weiter zurück gehalten, und Staatsanwalt Bittmann dementierte nun entsprechende Berichte. Die Justizbehörden halten auch in diesem Fall ihre schützende Hand, so weit es geht, über die beschuldigten Polizisten.

Der Justiz hatte es der nun beschuldigte Dienstgruppenleiter schließlich auch zu verdanken, dass er überhaupt noch im Dienst war. Vor zwei Jahren hatte es unter seiner Aufsicht bereits einmal einen Todesfall im gleichen Zellentrakt des Dessauer Polizeireviers gegeben. Opfer war damals ein 36-Jähriger, der an inneren Verletzungen verstarb. Ein Arzt hatte ihm zuvor Gewahrsamstauglichkeit bescheinigt. Die Polizei gab an, den Mann bereits verletzt aufgegriffen zu haben. Woher die Verletzungen aber tatsächlich stammen, wurde nie geklärt, das Ermittlungsverfahren eingestellt.

Dass die Polizei in Dessau gerade gegen Ausländer sehr resolut vorgeht, ist unter Migranten ebenfalls wohl bekannt. Im Zuge des Prozesses gegen Neonazis, die vor viereinhalb Jahren den Mosambikaner Alberto Adriano ermordet haben, kam heraus, dass die Polizei im Stadtpark regelrecht Jagd auf Schwarzafrikaner gemacht hatte. Unter Verdacht des Drogenhandels wurden die Afrikaner öffentlich nackt ausgezogen und durchsucht. Schon damals hatte es ein Ermittlungsverfahren gegen drei Polizisten gegeben, die auf der Wache einen 18-jährigen Afrikaner geschlagen und getreten hatten.

Die Polizeigewalt ist aber ebenso wenig auf Dessau beschränkt wie die Kumpanei zwischen Justiz und Polizei. Die Behörden reagieren bundesweit mit einer "erschreckenden Kontinuität" auf Vorwürfe gegen Polizeigewalt, wie amnesty inernational in einer Dokumentation zur Polizeigewalt im letzten Jahr feststellen musste. Ermittlungsverfahren gegen Polizisten werden regelmäßig eingestellt oder gar nicht erst eröffnet, dafür diffamieren Polizei- und Justizvertreter die Opfer.

Der Berliner Innensenator stellte im November 2000 in einer Antwort auf eine kleine Anfrage fest, dass gegen Polizisten eingeleitete Ermittlungsverfahren "Ergebnis eines bei den von polizeilichen Maßnahmen Betroffenen vorliegenden Fehlverständnisses polizeilicher Arbeit" seien. Der Innensenator stellte den Polizisten mit diesen Äußerungen praktisch einen Freibrief aus, Gewalttaten als "polizeilich notwendige Maßnahmen" zu betrachten und dementsprechend auch zu vollziehen.

Oury Jalloh hat diese "polizeilich notwendigen Maßnahmen" mit dem Leben bezahlt. Sollte er tatsächlich selbst das Feuer gelegt haben, ist hierfür die völlig überzogene Reaktion der Beamten auf die Weigerung des Asylbewerbers, seine Papiere vorzuzeigen, ursächlich. Welche Notwendigkeit bestand darin, den 21-jährigen mit Schlägen zu malträtieren und im Gewahrsam mit Stahlfesseln auf die Pritsche zu "fixieren"? Durch diese Fesselung saß er nach Ausbruch des Feuers in einer tödlichen Falle, aus der es kein Entrinnen mehr gab.

Es ist auch kein Zufall, dass es mit Oury Jalloh einen Asylbewerber traf, der polizeilichen Maßnahmen zum Opfer gefallen ist. In den Jahren 1993 bis 2003 sind nach Informationen der Antirassistischen Initiative Berlin 15 Flüchtlinge durch Misshandlungen und Zwangsmaßnahmen der deutschen Polizei zu Tode gekommen, 543 erlitten zum Teil schwere Verletzungen. Davon starben bei abschiebe-unabhängigen Maßnahmen zumeist in Polizeigewahrsamen zehn Flüchtlinge, 309 wurden ernsthaft verletzt.

Immer wieder sind es gerade die Schwächsten der Gesellschaft, wie Behinderte, Obdachlose und eben Asylbewerber, die unter polizeilicher Gewalt zu leiden haben. Die Diskriminierung dieser Personengruppen ist längst auch offizielle Politik der rot-grünen Bundesregierung geworden. Sie sind besonders vom Sozialabbau der Regierung Schröder und der forcierten Politik der Flüchtlingsabwehr von Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) betroffen. Ihrer sozialen und demokratischen Rechte immer mehr beraubt, sind sie gewissermaßen zu Freiwild der staatlichen Sicherheitsbehörden geworden.

Siehe auch:
Afrikaner erleidet Tod nach Brechmitteleinsatz der Bremer Polizei
(12. Januar 2005)
Die Polizei schlägt und der Staat schaut weg
( 5. Februar 2004)
Mildes Urteil für Polizisten in Köln
( 7. August 2003)
Kein Verfahren gegen Polizisten
( 4. Januar 2002)
Urteil im Frankfurter Folterprozess: Polizeivizepräsident Daschner wird nur verwarnt
( 22. Dezember 2004)
Loading