Sechs Tage lang haben die Arbeiter des Opel Werks in Bochum dem Druck von Politik, Medien und eigener Gewerkschaft standgehalten und aus Protest gegen die angekündigten Massenentlassungen die Arbeit verweigert. Am gestrigen Mittwoch gaben sie schließlich nach und beschlossen mit 4.600 von 6.400 abgegebenen Stimmen, die Arbeit wieder aufzunehmen. 1.700 stimmten für eine Fortsetzung des Ausstands.
Die Entscheidung fiel auf einer von der IG Metall und den Opel-Betriebsräten organisierten Belegschaftsversammlung in der RuhrCongress-Halle. Gewerkschaft und Betriebsrat gingen dabei mit undemokratischen Methoden und bürokratischen Tricks vor, die alles bisher Bekannte in den Schatten stellen.
Obwohl die Arbeitsniederlegung von der Belegschaft ausgegangen war und gegen den Willen der IG Metall erfolgte, erhielten die 8.000 anwesenden Belegschaftsmitglieder auf der Versammlung Sprechverbot. Es fand weder Aussprache noch Diskussion statt. Reden durften nur drei ranghohe Funktionäre: Der Betriebsratsvorsitzende Dietmar Hahn, sein Stellvertreter Rainer Einenkel und der langjährige Bochumer IG-Metall-Bevollmächtigte Ludger Hinse, die sich alle drei für den sofortigen Abbruch der Arbeitsniederlegung einsetzten. Sie beschworen die Arbeiter, ihre "Verantwortung" wahrzunehmen. Es gehe jetzt nur darum, ob die Arbeit wieder aufgenommen werde oder nicht. Alles andere sei nicht Gegenstand der Diskussion.
Um das Diskussionsverbot durchzusetzen, die drei Funktionäre zu schützen und zu verhindern, dass sich ein Belegschaftsmitglied des Mikrofons bemächtigte, wurde das Podium vom konzerneigenen Werksschutz bewacht. Die Redebeiträge dauerten insgesamt nur etwa 20 Minuten. Anschließend vergingen noch etwa zwei Stunden für die Abstimmung und Auszählung.
Nachdem den Streikenden tagelang in einem öffentlichen Trommelfeuer der Bundesregierung, der Landesregierung, der SPD, der IG Metall und der Betriebsräte vorgeworfen worden war, sie gefährdeten die "Verhandlungen" des Betriebsrates mit General Motors, mussten sie sich schließlich für eine Suggestivfrage entscheiden. Zu Beginn der Versammlung bekamen sie einen Stimmzettel in die Hand gedrückt, auf dem es hieß: "Soll der Betriebsrat die Verhandlungen mit der Geschäftsleitung weiter führen und die Arbeit wieder aufgenommen werden?"
Befürworter des Streiks wurden damit von den Betriebsräten als Gegner von Verhandlungen dargestellt - wie dies auch das Unternehmen tagelang getan hatte. In einer anschließenden Pressekonferenz stellte der Betriebsratsvorsitzende Hahn unter Hinweis auf die Verknüpfung der beiden Aspekte klar, dass die Frage vom Betriebsrat und nicht vom Management formuliert worden sei.
Ein großer Teil der Versammlungsteilnehmer war angesichts des öffentlichen Drucks bereits in Erwartung auf einen Abbruch des Streiks zur RuhrCongress-Halle gekommen. Den meisten Arbeitern war klar, dass sie bei einer Fortsetzung des Streiks nicht nur das Unternehmen als Gegner haben würden, sondern auch die Gewerkschaft. Doch was sie dann auf der Versammlung erlebten, übertraf die Erwartungen der meisten doch bei weitem.
Uli Schreyer ist seit 1987 Vertrauensmann und Mitglied der Vertrauenskörperleitung. Er arbeitet seit 1983 im Opel-Werk I. In Dauernachtschicht ist er in der Fertigmontage eingesetzt. Er machte zunächst seinem Unmut über das Vorgehen der IG Metall und der Betriebsräte Luft:
"Ich habe noch nie so eine Veranstaltung erlebt. Am Eingang mussten nicht nur die Werksausweise vorgezeigt werden. Auch wurden die Fotos mit den Gesichtern verglichen, die Taschen kontrolliert. Beim Hineingehen wurde jedem Kollegen ein Stimmzettel in die Hand gedrückt. Das wurde als breite Demokratie verkauft. Gesprochen haben dann aber nur der Betriebsratsvorsitzende, sein Stellvertreter und der IG-Metall-Bevollmächtigte von Bochum.
Als dann Kollegen sprechen wollten, war die Demokratie zu Ende. Der Werksschutz hat die Bühne abgesperrt und die Arbeiter daran gehindert, an die Mikrofone zu kommen. Üblicherweise stehen im Saal auch Mikrofone, damit sich die Kollegen dorthin begeben und mit diskutieren können. Aber heute gab es nur das Mikrofon auf der Bühne, auf der die Betriebsräte saßen.
Von den Kollegen ist keiner zu Wort gekommen, obwohl gestern im Werk gesagt wurde, es gibt eine breite Diskussion. Deshalb ist das ja hier in der großen Kongresshalle gemacht worden. Was soll dann so eine Veranstaltung? Den Stimmzettel hätte ich auch am Meisterpult abgeben können. Nur die Streikgegner konnten reden, also der Betriebsrat und die Gewerkschaft. Das Angebot welches sie gemacht haben, ist keines. Sie haben gesagt, dass wir wettbewerbsfähiger sein müssen. Zu der Umsetzung haben sie sich ausgeschwiegen und wollten dies auch nicht diskutieren. General Motors war da mit seinen Forderungen offener. Die Gewerkschaften und Betriebsräte versuchten von Anfang an, die Aktion abzuwürgen. Und auf die Wortführer wurde ein enormer Druck ausgeübt."
Auf die Frage nach der Stimmung in der Halle sagte Uli Schreyer: "Es gab verschiedene Reaktionen. Als die Kollegen die Fragestellung gesehen hatten, waren sie total enttäuscht. Einer hat da gesessen und geweint. Es herrscht eine ziemliche Anspannung in der Belegschaft, wir machen alles selbst. Unterstützung erhalten wir von der Bevölkerung, die uns verpflegt. Die Gewerkschaften und Betriebsräte arbeiten gegen uns.
Die Androhungen der Entlassungen werden mit Harz IV, Karstadt, Siemens und DaimlerChrysler in Verbindung gebracht. Egal wie die Entscheidung heute ausgeht, die Belegschaft geht als Gewinner da heraus. Wie haben denen gezeigt, was eine Harke ist und dass wir das jederzeit wieder machen können. Die Gewerkschaft nimmt gar nicht mehr wahr, was in der Belegschaft los ist."
Zur Haltung der Gewerkschaften und Betriebsräte sagte er: "Es gibt eine Spaltung zwischen den Gewerkschaften und Betriebsräten einerseits und den Arbeitern andererseits. Die Kluft ist objektiv da und wird durch deren Verhalten immer tiefer. Die hohen Gewerkschaftsführer haben z. B. Interviews vor dem Werk gegeben, sind jedoch nicht zu den Arbeitern am Eingang oder ins Werk gegangen. Und die IG Metall hätte die Aktion unterstützen können, doch es ist nichts gekommen - weder Geld noch Verpflegung."
Andreas Felder, 45 Jahre, ist ebenfalls Mitglied der Vertrauenskörperleitung. Bei der Betriebsratswahl 2002 war er einer der Kandidaten der betrieblichen Oppositionsgruppe GOG (Gegenwehr ohne Grenzen). Er forderte den Rücktritt des Betriebsrats:
"Der Betriebsratsvorsitzende und der Betriebsratsausschuss haben den Stimmzettel entworfen. Davon sind wir, die Belegschaft, enttäuscht. Es ist keine legitime Sache, was da abgelaufen ist. Ein,Nein‘ würde unter diesen Umständen bedeuten, dass die Belegschaft keine Verhandlungen aufnehmen will. Wir haben ganz klar gesagt, dass wir Verhandlungen aufnehmen und nur darüber entscheiden wollen, ob wir die Arbeit wieder aufnehmen oder die Informationsveranstaltung weiterführen. Einigen Kollegen war erst im Nachhinein klar, welchen wirklichen Inhalt die Frage hatte. Ein Betriebsratsvorsitzendender, der so etwas Undemokratisches zulässt, muss zurücktreten."