Am 4. Februar unterzeichneten CDU und Grüne in Köln einen Koalitionsvertrag für die laufende Wahlperiode des Stadtrates bis Ende 2004. Damit wird zum ersten Mal eine deutsche Großstadt mit mehr als einer Million Einwohner von einer schwarz-grünen Koalition regiert. Vieles deutet darauf hin, dass damit die politische Annäherung zwischen Grünen und CDU/CSU auf Landes- und Bundesebene beschleunigt wird.
Die Grünen erhalten das neugeschaffene Dezernat "Soziales, Wohnen und Beschäftigungsförderung". Ihr Eintritt in die Stadtregierung ist direkt damit verbunden, Kürzungen durchzusetzen, wie sie Köln bislang noch nicht gesehen hat. Grünen-Fraktionsvize Jörg Frank spricht von einem "schwarz-grünen Notstandsregime". Das Bündnis werde den "härtesten Sparkurs seit dem Zweiten Weltkrieg" bewältigen müssen. Proteste aus der Bevölkerung würden nicht ausbleiben, so Frank.
Wie viele andere Großstädte wurde auch Köln - die viertgrößte deutsche Stadt - jahrzehntelang von der Sozialdemokratie regiert. Doch die Stadt am Rhein geriet in die Schlagzeilen, als der auch sonst in Großstädten übliche sozialdemokratische Filz - in Köln "Klüngel" genannt - mafiöse Ausmaße annahm. 1999 verlor die SPD aufgrund der aufgedeckten kriminellen Machenschaften die Mehrheit im Stadtrat. Fortan regierte eine CDU/FDP-Koalition die Stadt, unterstützt durch die Grünen, die damals 16 Prozent der Stimmen erhalten und ihr Entgegenkommen in einem "Kooperationsvertrag" schriftlich fixiert hatten.
Köln ist eine stark polarisierte Stadt, deren soziale Probleme mit Händen zu greifen sind. In den vergangenen Jahren wurden traditionsreiche Industriezweige weitgehend stillgelegt. Große Konzerne - insbesondere der Maschinenbauindustrie - schlossen ihre Fabriken in Stadt und Region. Die alten Lager- und Fabrikhallen wurden in Kulturzentren und Veranstaltungshallen umgewandelt. Neben dem alteingesessenen Westdeutschen Rundfunk (WDR) fanden zahlreiche private TV- und Radioanstalten in Köln ihren Sitz.
Die Arbeitslosigkeit ist mit einer Quote von nahezu 12 Prozent oder fast 60.000 Menschen überdurchschnittlich hoch. Nochmals fast die gleiche Anzahl Sozialhilfeempfänger steht einer kleinen Schicht von Reichen gegenüber.
Die CDU/FDP-Koalition begann in den letzten zwei Jahren mit drastischen Sozialkürzungen. Bekannt wurden - allerdings schon von den Sozialdemokraten eingeführte - Maßnahmen, die darauf abzielen, arbeitslose Jugendliche in Billiglohnarbeit zu zwingen oder aus der Sozialhilfe zu drängen, wie etwa die "JobBörse Junges Köln". Dennoch wuchs das städtische Haushaltsloch auf jetzt weit über 500 Millionen Euro.
Um den Stadtsäckel zu füllen gedachten CDU und FDP Ende vergangenen Jahres, die stadteigene GAG Wohnungsbaugesellschaft und ihre 42.000 Wohnungen für den Preis von 420 Millionen Euro an einen privaten Investor zu verkaufen. Doch der Ratsbeschluss für den Verkauf scheiterte zweimal an internen Streitigkeiten und neuen Bestechungsvorwürfen.
Nun haben die Grünen, die zwar seit 19 Jahren im Stadtrat sitzen, aber noch nie an der Stadtregierung direkt beteiligt waren, ihre Bereitschaft erklärt, mitzuarbeiten um Kürzungen durchzusetzen.
Die geplanten Kürzungen
Der Koalitionsvertrag listet die einzelnen Kürzungsmaßnahmen konkret, wenn auch nicht verbindlich auf. Über 180 Millionen Euro sollen kurzfristig durch den Verkauf der städtischen RWE-Aktien, Wohnungsbaudarlehen und Erbbaurechte sowie Gesellschaftsanteile der Grund und Boden GmbH in die Stadtkasse fließen.
Von den Stadtwerken wird verlangt, in diesem Jahr ungefähr 75 Mio. Euro Gewinn zusätzlich an die Stadt zu überweisen. In den Jahren 2004 bis 2006 fordern CDU/Grüne von den Stadtwerken und der GAG-Wohnungsgesellschaft je 25 Mio. Euro mehr jährlich. Die neue Koalition erwartet von der GAG zusätzliche Erlöse, unter anderem durch eine Forcierung und Modifizierung des Programms "Mieter werden Eigentümer". Bis zu 5.000 Wohneinheiten ohne Sozialbindung sollen bis spätestens 2007 veräußert werden. Der Verkauf von weiteren Wohnungen an Wohnungsgenossenschaften wird geprüft.
Auch das Aushängeschild der Stadt, das reiche Kulturangebot, soll zumindest für das Gros der Bevölkerung eingeschränkt werden. Die Bühnen der Stadt Köln sollen privatisiert und in eine GmbH überführt werden. "Ziel ist die Verschlankung im nichtkünstlerischen Bereich und damit einhergehend eine beachtliche Kostenreduzierung." Auch die Umwandlung des Gürzenich-Orchesters in eine GmbH wird "geprüft".
Den städtischen Museen werden Einsparungen verordnet, während gleichzeitig "verbesserte Einnahmen durch die Erhöhung der Eintrittspreise zu erzielen" sind. Und weiter: "Die Betriebsform der Stadtbibliothek wird überprüft."
Viele Kunst- und Kulturstätten müssen zukünftig durch "Einbeziehung privaten Kapitals" ihr Überleben sichern, so beispielsweise das Hänneschen-Theater, ein beliebtes Puppenspieltheater. Zusätzlich sollen "durch Ausweitung des Spielplans und Erhöhung der Eintrittspreise - vor allem der Karnevalsaufführungen" die Einnahmen erhöht werden.
Weitere Einsparungen von jährlich ungefähr 55 Mio. Euro im städtischen Haushalt werden insbesondere die städtischen Beschäftigten und die ärmeren Einwohner Kölns treffen. Alle freiwerdenden Stellen werden zunächst für die kommenden 12 Monate nicht neu besetzt. Lediglich die gesetzlich geregelten Bereiche Kindertagesstätten und Berufsfeuerwehr bleiben ausgespart.
In einer Sparliste, die der CDU-Oberbürgermeister Fritz Schramma der städtischen Verwaltung verordnet hat, werden die sozialen Auswirkungen der Einsparungen aber deutlicher. So soll geprüft werden, welche Dienststellen zusammengelegt oder aufgelöst werden können. Schramma nannte u. a. Erziehungsberatungsstellen, den Schulpsychologischen Dienst und das Interkulturelle Referat. Nach seinen Vorstellungen sollen Schwimmbäder ebenso wie die Kultur-Spielstätten Schlosserei und Halle Kalk (eine ehemalige Halle der Motorenfabrik Deutz) geschlossen werden.
Schramma hat angekündigt, vor allem gegen die Ärmsten der Gesellschaft vorzugehen. Er wolle "den Missbrauch von Sozialhilfe massiv bekämpfen" lassen. Bei den Sozialausgaben sieht der Oberbürgermeister "ein riesiges Potenzial" für Sparmaßnahmen. Die Verwaltung werde deshalb noch mehr Antragsteller zu Hause aufsuchen und kontrollieren.
Stadtkämmerer Michael Soénius brachte zudem als Einnahmequelle die Zweitwohnsitzsteuer wieder ins Gespräch, die vor allem viele der 63.000 Studenten an Deutschlands größter Universität treffen würde.
CDU, Grüne und die Wirtschaft
Sobald die beiden Parteien in Köln über eine Koalition nachgedacht hatten, meldeten sich all diejenigen Christdemokraten und Grünen zu Wort, die schon seit längerer Zeit mit einer gegenseitigen Annäherung geliebäugelt oder diese offen gefordert hatten. Der Vorsitzende der CDU-Sozialausschüsse (CDA) und Landtagsabgeordnete Hermann Josef Arentz erklärte, es müsse dazu kommen, "dass für die Union Bündnisse mit den Grünen grundsätzlich ebenso denkbar sind wie Bündnisse mit der FDP".
Die politischen Gemeinsamkeiten zwischen CDU und Grünen würden "auch in den nächsten Jahren schrittweise anwachsen", sagte Nordrhein-Westfalens CDU-Chef Jürgen Rüttgers der Frankfurter Rundschau. Er hatte schon früher die vielen Gemeinsamkeiten seiner Partei mit den Grünen betont, ähnlich wie der rheinland-pfälzische CDU-Chef Christoph Böhr.
Für die Grünen äußerte der Münchner Bürgermeister Hep Monatzeder deutliche Sympathien für Schwarz-Grün auf Landes- oder gar Bundesebene. Neben Kommunalpolitikern (in zwölf Städten und Gemeinden NRWs regieren schwarz-grüne Koalitionen) hat sich insbesondere der ehemalige haushaltspolitische Sprecher der grünen Bundestagsfraktion, Oswald Metzger, zu Wort gemeldet. Er forderte seine Partei in einem Beitrag der Frankfurter Allgemeinen Zeitung unter der Überschrift "Schluss mit der Nibelungentreue" offen dazu auf, im Bund eine Koalition mit der CDU zu schließen.
Beide Parteien verbinde der Reformgedanke, dass "Sozialstaat und Eigenverantwortung neu justiert" werden müssen. Wie die Grünen glaubten auch die Konservativen an den Satz: So wenig Staat wie möglich, so viel Staat wie nötig, schreibt Metzger und folgert: "Wer in unserem vermachteten Parteienstaat Veränderungen will, wem es um die Sache, nicht um taktische Sperenzchen geht, für den birgt eine schwarz-grüne Allianz mehr Charme, kreative Veränderung und gesellschaftliche Modernisierung als alle anderen aktuellen politischen Farbkonzepte."
Dass es sich beim schwarz-grünen Regierungsbündnis in Köln nicht um eine lokalpolitische Posse handelt, sondern um einen politischen Trend, bei dem die Grünen die Rolle der FDP übernehmen und als Garant für Sozialkürzungen und Wirtschaftsliberalismus auftreten, zeigt sich auch in Österreich. In Wien haben die Grünen Verhandlungen über eine gemeinsame Bundesregierung mit Kanzler Schüssel und seiner konservativen Österreichischen Volkspartei (ÖVP) begonnen und dabei weitgehenden Sparmaßnahmen zugestimmt. Dass sie dabei den Platz der rechten Freiheitlichen einnehmen, mit denen zusammen Wolfgang Schüssel in den vergangenen Jahren regiert hat, ficht sie nicht an.
Nicht wenige Politiker und Journalisten sind begeistert über diese Entwicklung der Grünen. Christoph Keese, Chefredakteur der Financial Times Deutschland, sprach sich in einem Gastbeitrag für Spiegel Online gegen jegliche Form des sozialen Ausgleichs aus und griff die SPD an, weil sie angeblich an Lohnerhöhungen, Flächentarifverträgen, Steuererhöhungen und starren Ladenschlusszeiten festhalte. "Wer bietet die Alternative?" fragt Keese, um zu antworten: "Es sind allein die Grünen... Sie sollten die unselige Koalition [mit der SPD] lösen und zur Union wechseln. Gemeinsam mit den Pragmatikern in der Union könnten die Grünen jene Nachhaltigkeit in der Wirtschaftspolitik umsetzen, die ihr neues Markenzeichen geworden ist."