Während die US-Regierung unter dem Vorwand, Bagdad bedrohe die Welt mit Massenvernichtungswaffen, einen Krieg gegen den Irak vorbereitet, nährt ein Dokumentarfilm des Ersten Deutschen Fernsehens den Verdacht, dass die US-Regierung eigene biologische Waffenprogramme vor der Weltöffentlichkeit verbirgt und 1952 im Koreakrieg selbst biologische Waffen zum Einsatz brachte.
Der Film mit dem Titel "Deckname Artischocke - Die geheimen Menschenversuche der CIA" wurde am 12. August von der ARD ausgestrahlt. Kurz danach erschien ein gleichnamiges Buch. Die Autoren von Film und Buch, die Fernsehjournalisten Edmond R. Koch ("Seveso ist überall") und Michael Wech, rollen den Fall des Biochemikers Dr. Frank Olson auf, der am 28. November 1953 nach einem mysteriösen Sturz aus dem 13. Stock des New Yorker Pennsylvania Hotels starb.
Olson galt als Geheimnisträger ersten Ranges. Er gehörte zu den führenden B-Waffen-Forschern der USA und arbeitete seit 1943 in Camp Detrick (heute Fort Detrick), dem Biowaffenlabor der US-Armee in Frederick bei Washington. Er war Experte für die Freisetzung biologischer Kampfstoffe.
Gleichzeitig war er in leitender Funktion an der Operation "Artischocke" beteiligt. Unter diesem Decknamen koordinierte die Abteilung für schmutzige Tricks der CIA seit Anfang der fünfziger Jahre alle Projekte von Army, Navy und CIA, die sich mit bewusstseinsverändernden Drogen, tödlichen Giften und ähnlichen Substanzen befassten. Für das Projekt arbeiteten auch deutsche Ärzte, die in den Konzentrationslagern der Nazis Erfahrungen mit Menschenversuchen gesammelt hatten.
Im Rahmen von "Artischocke" wurden Menschen unter Folter und Drogeneinfluss verhört, die Wirkung von Rauschgiften wie LSD, Heroin, Marihuana an ahnungslosen menschlichen Versuchkaninchen getestet und Möglichkeiten für den Einsatz psychologisch wirksamer Substanzen in der Kriegsführung untersucht. Die CIA war damals besessen von der Vorstellung, Sowjets und Chinesen könnten mittels Gehirnwäsche Agenten umdrehen oder die Bevölkerung ganzer Länder manipulieren. Auch schnellwirkende Gifte, die später bei Attentatsversuchen gegen ausländische Staatschefs - wie Abdul Karim Kassem (Irak), Patrice Lumumba (Kongo) und Fidel Castro (Kuba) - zum Einsatz kamen, wurden im Rahmen von "Artischocke" entwickelt.
Bevor Frank Olson 1953 aus dem Fenster des Pennsylvania Hotels stürzte, zeigte er deutliche Symptome eines gestörten Verhaltens. Freunde, Familienangehörige und Mitarbeiter, die in Film und Buch zur Sprache kommen, gehen davon aus, dass er Dinge gesehen und erlebt hatte, die ihm zu weit gingen, und dass er deshalb die Arbeit mit der CIA beenden wollte. Vor seinem Tod hatte er, ständig von einem CIA-Aufpasser begleitet, mehrmals einen Psychiater aufgesucht. Er sollte am folgenden Tag in eine psychiatrische Klinik eingewiesen werden.
Olsons Tod wurde offiziell als Selbstmord infolge von Depressionen dargestellt. Erst Mitte der siebziger Jahre, als unter den Nachwirkungen des Watergate-Skandals die geheimen Aktivitäten der CIA durchleuchtet wurden, bekannte sich die Regierung zu einer Mitverantwortung. Die CIA hatte Olson zehn Tage vor dem Fenstersturz ohne sein Wissen LSD verabreicht. Präsident Gerald Ford entschuldigte sich bei der Familie und die CIA sorgte für eine Entschädigung.
Die Dokumentation hält dies für ein weiteres Vertuschungsmanöver. Sie geht dem Verdacht nach, dass der Biochemiker nicht Selbstmord beging, sondern ermordet wurde. Frank Olsons Sohn Eric ist überzeugt, dass dies so war. Er bemüht sich seit Jahrzehnten um die Aufklärung des Tods seines Vaters und hat zahlreiche Indizien für die Mordthese gesammelt, die er den Autoren der Dokumentation zur Verfügung stellte.
1994 ließ er die Leiche Frank Olsons exhumieren und von einem renommierten Rechtsmediziner untersuchen. Dieser gelangte zu dem Schluss, dass Olson mit hoher Wahrscheinlichkeit im Hotelzimmer bewusstlos geschlagen und anschließend aus dem offenen Fenster geworfen wurde und nicht - wie die offizielle Version lautet - selbst durch das geschlossene Fenster sprang.
Nach der Veröffentlichung des Obduktionsberichts leitete die Staatsanwaltschaft von Manhattan ein Ermittlungsverfahren wegen Mordes gegen unbekannt ein. Sie verlor aber das Interesse, als sich die CIA massiv in die Vernehmung des wichtigsten Zeugen einschaltete, des CIA-Agenten Robert Lashbrook, der Olson vor seinem Tod ständig begleitete hatte und sich im Zimmer befand, als dieser aus dem Fenster stürzte.
Dass es im Fall Olson etwas zu verbergen gibt, beweist ein Memorandum vom 11. Juli 1975, das im Buch abgebildet ist. Das Memo wurde für den Stabschef des Weißen Hauses erstellt und rät dringend dazu, durch eine offizielle Entschuldigung des Präsidenten einem Gerichtsverfahren oder einer öffentlichen Anhörung über den Fall Olson zuvorzukommen. Die CIA könnte sonst gezwungen sein, "streng klassifizierte Informationen der nationalen Sicherheit" preiszugeben, heißt es in dem Memo. Zehn Tage später empfing der Präsident die Familie Olson im Weißen Haus.
Adressat und Autor dieses Memos führen direkt in die Gegenwart. Es handelt sich um den heutigen Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, damals Stabschef des Weißen Hauses, und den heutigen Vizepräsidenten Dick Cheney, damals Rumsfelds Stellvertreter. Als sich ein Jahr später die versprochene Entschädigung an die Familie hinauszögerte, schaltete sich eine weitere bekannte politische Figur ein: CIA-Direktor George Bush, der spätere Präsident und Vater des heutigen Amtsinhabers.
Was soll verheimlicht werden?
Cheney, Rumsfeld und Bush Senior waren also Mitte der siebziger Jahre daran beteiligt, eine Aufklärung von Olsons Tod zu unterbinden, weil sie die Offenlegung von "streng klassifizierten Informationen der nationalen Sicherheit" befürchteten. Das wirft die Frage auf, um welche Informationen es sich handelt?
Die Autoren der Dokumentation gehen einer Vielzahl von Spuren nach, die sich angesichts des umfangreichen Faktenmaterials oft nur schwer entwirren lassen. Olson wusste ohne Zweifel über viele Dinge Bescheid, deren Bekanntwerden die US-Regierung schwer diskreditiert hätte, und die es ratsam erscheinen ließen, ihn aus dem Verkehr zu ziehen.
Da waren die KZ-Ärzte, die nach dem Krieg eiligst entnazifiziert und in den Dienst der amerikanischen B- und C-Waffenforschung gestellt wurden. Da waren die großangelegten Feldversuche mit bakteriologischen Waffen, die Olson und seine Mitarbeiter durchführten. In einem Fall nebelten sie die Bucht von San Francisco mit - ihrer Auffassung nach harmlosen - Bazillen ein, um den biologischen Großangriff auf eine Millionenstadt zu proben.
Da waren die grauenhaften Verhöre, denen tatsächliche und vermeintliche Agenten im Rahmen von "Artischocke" unterzogen wurden und die Olson - so schließen die Autoren aufgrund zahlreicher Indizien - zum Teil persönlich miterlebt hatte. Zumindest in einigen Fällen endeten diese Verhöre tödlich. Das geht unter anderem aus einem streng geheimen Telegramm von 1954 hervor, in dem sich der CIA-Direktor nach der "Verfügbarkeit von Objekten für terminale Versuche" erkundigt. ["bodies available for terminal experiments"]
Und da waren schließlich die Versuche, die mit LSD, Meskalin, Morphium, Seconal, Atropin und anderen Drogen an mehreren Tausend Menschen ohne deren Kenntnis oder Einwilligung durchgeführt wurden. Die CIA betrieb sogar eigene Bordelle, um die Opfer zu ködern. Aber auch "in Universitäten, Krankenhäusern und Forschungseinrichtungen" wurde "eine unbekannte Zahl von Chemikalientests und Experimenten (...) an gesunden Erwachsenen, psychisch kranken Menschen und Gefängnisinsassen" durchgeführt, wie der Inspector General der Armee später im Bericht für einen Senats-Ausschuss feststellte.
Die meisten dieser Machenschaften wurden bereits in den siebziger Jahren aufgedeckt, als sich zwei Kongressausschüsse - die Rockefeller- und die Church-Kommission - mit den geheimen Aktivitäten der CIA beschäftigten. Eine weitere Untersuchung veröffentlichte John Marks, ein früherer Beamter des Außenministeriums, der sich gestützt auf den "Freedom of Information Act" den Zugang zu mehreren Tausend Seiten geheimer CIA-Akten erstritt. Dieses Material wird von den beiden Autoren ausgiebig verwertet.
1969 stellten die USA ihre B-Waffen-Programme offiziell ein. Fort Detrick wurde aufgelöst. Heute beherbergt das Gelände das US Army Medical Research Institute for Infectious Diseases (USAMRIID), das biologische Kampfstoffe ausschließlich zu Verteidigungszwecken erforscht - zumindest nach offizieller Lesart. 1974 traten die USA der internationalen Konvention über die Ächtung biologischer Kampfstoffe bei.
B-Waffeneinsatz in Korea?
Die fortdauernde Geheimnistkrämerei um Olsons Tod muss Gründe haben, die über das hinaus gehen, was in den siebziger Jahren bekannt wurde. Eine wichtige Spur führt nach Korea - und zu den Milzbrand-Anschlägen vom vergangenen Jahr, die sich gegen führende demokratische Politiker richteten und fünf Menschen das Leben kosteten.
Während des Korea-Kriegs hatten Pjöngjang und Peking die USA wiederholt des Einsatzes bakteriologischer Waffen beschuldigt. Diese Beschuldigungen wurden durch Augenzeugenberichte, Fotos, Laboranalysen und Trümmer von biologischen Bomben untermauert. 1952 untersuchten zwei internationale Kommissionen mit sowjetischer und chinesischer Unterstützung das Kriegsgebiet und kamen zum Ergebnis, dass die US-Streitkräfte tatsächlich bakteriologische Kampfstoffe eingesetzt hatten. Auch 36 US-Piloten, die sich in koreanischer Kriegsgefangenschaft befanden, räumten dies in schriftlichen Erklärungen ein. Einige von ihnen wurden der internationalen Presse vorgeführt, wo sie ihr Geständnis wiederholten.
Von amerikanischer Seite wurden die Anschuldigungen kategorisch bestritten. Bei den vorgelegten Beweisen handle es sich um Fälschungen, die internationalen Kommissionen seien Werkzeuge kommunistischer Propaganda und die Geständnisse der Soldaten das Ergebnis von "Gehirnwäsche". CIA-Direktor Allen W. Dulles hielt im Frühjahr 1953 sogar eigens eine Rede zum Thema "Gehirnwäsche", in der er Nordkorea beschuldigte, "eine beträchtliche Anzahl unserer eigenen Jungs" umgepolt zu haben.
Als die Kriegsgefangenen, die Geständnisse abgelegt hatten, im Sommer 1953 aus Korea zurückkehrten, wurden sie vom "Artischocke"-Team verhört. Das Team hatte schon Wochen zuvor entsprechendes Interesse bekundet. In einem Memorandum an die CIA-Spitze begründet es das mit den Worten, es wolle die Soldaten, "die der kommunistischen Indoktrination Folge geleistet haben, (...) als einzigartiges Forschungsmaterial für die Artischocke’-Arbeit" nutzen. Unter anderem sollten Hypnose, Narkosemittel und LSD gegen die ehemaligen Kriegsgefangenen aus der eigenen Armee zum Einsatz kommen. Durch den Einsatz dieser Mittel sollte Einblick in gegnerische Verhörmethoden gewonnen und verhindert werden, dass Kriegsrückkehrer für die Gegenseite arbeiteten.
In erster Linie ging es aber nach Ansicht der Autoren Koch und Wech um die Geständnisse der Air-Force-Piloten. Sie vermuten, dass diese Geständnisse nicht völlig aus der Luft gegriffen waren und zumindest einen wahren Kern enthielten. "Sollte ihr Wille durch LSD gebrochen werden? Sollten sie durch künstliche Amnesie vergessen, was sie gesehen, was sie getan hatten? Biologische Kriegsführung? Experimente mit Anthrax und anderen tödlichen Seuchen?" fragen sie.
Frank Olson war vermutlich bei Verhören von Korea-Rückkehrern zugegen. Die Autoren schließen dies aus einer sorgfältigen Rekonstruktion seiner Reisen. Als führender Experte der Armee für die Freisetzung biologischer Kampfstoffe dürfte er außerdem von B-Waffen-Einsätzen in Korea gewusst haben, falls diese tatsächlich stattfanden. Wurde er deshalb zum Schweigen gebracht, als er begann, sich von der CIA zu distanzieren?
Ein glaubwürdiger Zeuge bestätigt diesen Verdacht. Norman Cournoyer war in den Anfangsjahren von Camp Detrick enger Mitarbeiter von Frank Olson und bis zuletzt sein bester Freund. Er wusste von Olsons Absicht, aus der CIA auszusteigen.
Im April 2001 meldete sich Cournoyer, aufgeweckt durch einen Artikel des New York Times Magazines über den Fall, bei Eric Olson, um ihm die Wahrheit über den Tod seines Vaters zu erzählen. "Korea ist der Schlüssel", sagte er. "Und dann bestätigte Norman Cournoyer, dass die amerikanische Air Force tatsächlich B-Waffen während des Koreakrieges getestet hatte." Frank Olson habe davon erfahren, und das habe ihn an seinem Job verzweifeln lassen. Cournoyer schloss: "War das der Grund für die CIA, deinen Vater zu töten? Wahrscheinlich schon."
Diese Aussage deckt sich laut Eric Olson mit Bemerkungen seiner Mutter, die zu sagen pflegte: "Korea ließ Deinem Vater keine Ruhe!"
Koch und Wech sind der Ansicht, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen der Verschleierung des Falls Olson und der schleppenden Aufklärung der Milzbrandanschläge vom Oktober letzten Jahres gibt. Der Mordanschlag auf zwei der höchsten Vertreter des amerikanischen Staates ist bis heute nicht aufgeklärt. Obwohl alle Spuren nach Fort Detrick führen und ein Hauptverdächtiger namentlich feststeht, sind die Ermittlungen immer wieder verzögert worden.
In beiden Fällen, glauben die Autoren, könnten durch eine Aufklärung Dinge an die Öffentlichkeit gelangen, die dem Ansehen der Vereinigten Staaten schweren Schaden zufügen würden. Der Anthrax-Attentäter wisse Dinge, die ihn für das FBI unberührbar machten.
Sie vermuten, dass es sich dabei um geheime B-Waffenprogramme handelt. "Könnte die US Army nach dem offiziellen Ausstieg aus offensiven B-Waffen-Projekten im Jahr 1969, trotz bindender internationaler Verträge, heimlich weitere Forschungen mit biologischen Kampfstoffen durchgeführt haben?" fragen sie. Es gebe "sehr konkrete Verdachtsmomente, dass sich das Pentagon einen Teufel um die internationalen Verpflichtungen zur biologischen Kriegsführung" schere.
Sie führen mehrere solche Verdachtsmomente an: Die Herstellung einer gentechnisch verbesserten Version der Anthraxbakterie durch CIA und DIA, über die die New York Times am 11. September 2001 berichtete; die Pläne von Militär-Instituten, neuartige, materialzersetzende Mikroben zu entwickeln; und die hartnäckige Weigerung der Bush-Administration, ein Zusatzprotokoll zur internationalen Biowaffenkonvention zu unterschreiben, das Expertenteams der Vereinten Nationen den Zugang zu amerikanischen Militärlabors erlauben würde. Am Rande der Genfer Verhandlungen sei bekannt geworden, dass Verteidigungsminister Donald Rumsfeld solche Inspektionen unter allen Umständen verhindern will.