Am 25. Oktober beschloss der UN-Sicherheitsrat, eine Übergangsverwaltung in Osttimor zu schaffen, angeblich um das kleine Territorium bei seinem Gang in die Unabhängigkeit zu unterstützen. Aber nicht anders als die Friedenstruppe INTERFET, die von 15 Nationen gestellt wird und gegenwärtig unter Australiens Führung in Osttimor operiert, hat auch diese neue Mission in Wirklichkeit den Auftrag, die Halbinsel für die Großmächte zu öffnen: Sie wird ihnen lukrative Investitionen sowie die Ausbeutung der Bodenschätze und der billigen Arbeitskräfte Osttimors erschließen.
Die UN-Übergangsverwaltung Osttimor (UNTAET) wird erst im nächsten Februar voll funktionsfähig sein. Sie wird das Gebiet uneingeschränkt kontrollieren. Ihr Bestand soll sich aus 8.950 "Friedenssoldaten", 200 militärischen Beobachtern, 1.649 Polizisten und Tausenden ziviler Verwalter zusammensetzen. Alle juristische, administrative und gesetzgeberische Gewalt wird bei einem einzigen Verwalter liegen, der direkt dem UNO-Generalsekretär Kofi Annan untersteht. Er wird über die gleiche Macht verfügen wie ein kolonialer Vizekönig oder Gouverneur und nur mit einem kleinen Komitee ernannter Funktionäre arbeiten: zwei Stellvertretern, einem Oberkommandierenden und einem Kommandierenden der Friedenstruppen.
Innerhalb der UNTAET ist schon ein Kampf um rivalisierende Interessen entbrannt. Australien, das bedeutende Investitionen und strategische Interessen in Osttimor hat, und die frühere Kolonialmacht Portugal kämpfen um die besten Positionen. Während Australien auf Grund seiner Führung der INTERFET und seiner 5.000 Soldaten vor Ort die Nase vorn zu haben scheint, ist Portugal an der diplomatischen Front in die Offensive gegangen.
Portugal hat seine Position dadurch verbessert, dass Annan Sergio Veirea de Mello, einen 51-jährigen Brasilianer, zum vorläufigen Chef der Zivilverwaltung ernannte. De Mello, einer der aufstrebenden UNO-Repräsentanten, hat bis zum Juli 1999 bereits die UNO-Zivilverwaltung im Kosovo aufgebaut. Vor allem aber spricht er portugiesisch. Seiner Ernennung ging ein wochenlanges Werben der portugiesischen Regierung um die Gunst des Nationalrats des timoresischen Widerstands (CNRT) und seines Führers Xanana Gusmao voraus.
Am 1. Oktober wurde Gusmao an Bord einer Maschine der portugiesischen Luftwaffe nach Lissabon geflogen und wie ein Held willkommen geheißen. Die nationalen Wahlen für das portugiesische Parlament wurden für eine parlamentarische Sondersitzung unterbrochen, vor der er eine Rede hielt. Er traf dann mit den Führern der aus sieben Ländern bestehenden Gruppe portugiesisch sprechender Nationen (CPLP) zusammen, die sich aus Portugal und seinen früheren Kolonien, darunter auch Brasilien, zusammensetzt. Auf der Grundlage dieser Diskussion drückte die CPLP die Hoffnung aus, "auf dem jährlichen Gipfel im nächsten Juni ein unabhängiges Osttimor willkommen heißen zu können".
In Lissabon gab Gusmao die Bildung einer bilateralen Kontaktgruppe der CNRT und der portugiesischen Regierung bekannt. "Ich freue mich, mit der portugiesischen Regierung zusammen den zukünftigen Weg Osttimors bestimmen zu können", erklärte er. Noch während seines Besuchs begannen Verhandlungen zwischen Petrogall, der portugiesischen Gasgesellschaft, und Mari Alcatiri, dem CNRT-Vertreter, über Timors Ölfelder. Vor seiner Abreise wurde Xanana noch einer der höchsten Orden Portugals verliehen.
Keine zwei Wochen später gab die portugiesische Regierung bekannt, sie habe angeboten, die Gehälter aller osttimoresischen Zivilangestellten der neuen Verwaltung zu bezahlen; diese sollten in portugiesischer Währung von der portugiesischen Banco Nacional Ultramarino (BNU) ausgezahlt werden.
Kurz danach bestätigte der CNRT, dass Portugiesisch zumindest vorläufig die Nationalsprache und der Escudo die nationale Währung sein würden. (Die endgültige Entscheidung in diesen Fragen wird jedoch nicht vom CNRT sondern von der UNO, dem IWF und der Weltbank getroffen werden. Vertreter letzterer bereisten in der vergangenen Woche die Region.) Ein ganzes Konsortium portugiesischer Firmen hat begonnen, Geschäftsbeziehungen mit der neuen "Nation" aufzubauen.
Australien unternimmt verzweifelte Anstrengungen, um seinen Rückstand wieder wettzumachen. Außenminister Alexander Downer versuchte in New York Druck auszuüben, um für Australien nach der Auflösung der INTERFET auch die Führung der "Friedenstruppe" UNTAET zu sichern. Downers Probleme wurden dadurch verschärft, dass sich in ganz Asien erhebliche Opposition gegen die Intervention Australiens ausgebreitet hatte, was ihn zwang, einigermaßen vorsichtig vorzugehen.
Australiens wichtigster Fürsprecher ist der CNRT-Führer, Nobelpreisträger und langjährige Einwohner Australiens, Jose Ramos Horta. Anfang November bestand er öffentlich darauf, dass Australien die Truppe führen müsse.
Auch Malaysia hat seinen Hut in den Ring geworfen, wurde aber von Horta rundheraus zurückgewiesen, angeblich wegen seiner früheren Rolle, als es Indonesiens Anwesenheit in Osttimor unterstützte. Warum jedoch Australien, das die Annexion des Gebietes durch Indonesien im Jahr 1975 anerkannt und 24 Jahre lang dessen Unterdrückung Osttimors unterstützt hatte, nicht genauso zu verurteilen sei, das erklärte der CNRT-Führer nicht.
Nachdem Portugal von der australisch geführten INTERFET Truppe ausgeschlossen war, besteht es jetzt mit Gusmaos Unterstützung auf einer starken militärischen Rolle in der neuen Verwaltung. Mindestens tausend portugiesische Soldaten werden auf ihren Einsatz vorbereitet, und die portugiesische Fregatte Vasco da Gama liegt mit einer 202-köpfigen Besatzung schon im Hafen von Darwin vor Anker, 600 km vor Osttimor, und wartet darauf, dem UNTAET-Kommando unterstellt zu werden.
Währenddessen versucht die australische Wirtschaft, auf den fahrenden Zug aufzuspringen. Mehr als 450 Firmenvertreter nahmen Ende Oktober an einem vom Handelsministerium gesponserten Forum in Canberra teil, um mit der Planung von Investitionen in Osttimor zu beginnen. Australiens Handelskommissar für internationale Projekte, Alistair Nicholas, wies warnend darauf hin, dass von den 3.700 Firmen, die sich bisher bei der UNO registrieren ließen, weniger als hundert aus Australien stammten. Er beschwor seine Zuhörer, aufgrund der Nähe zu Osttimor könne die australische Wirtschaft immer noch einen großen Teil der anstehenden Verträge an Land ziehen.
Die Australian Financial Revue berichtete, dass Miss Ene Juurma, eine Managerin des Unternehmerverbandes Australian Business Limited, auf dem Forum erklärt habe, "die australische Wirtschaft war noch nie in einer besseren Position, um auf den Markt für Hilfsprogramme vorzudringen".
Ein Dreistufen-Abkommen
Die Einsetzung von UNTAET bedeutet die Realisierung des Abkommens über die Zukunft Osttimors, das am 5. Mai diesen Jahres zwischen Indonesien, Portugal und den Vereinten Nationen abgeschlossen worden ist.
Dieses Abkommen legte drei Schritte fest. Erstens sollte mit Unterstützung der UNO ein Referendum abgehalten werden, in dem das Volk von Osttimor darüber abstimmen sollte, ob es als autonome Provinz innerhalb von Indonesien verbleiben oder eine "unabhängige" Nation werden würde. Zweitens sollte im indonesischen Parlament, dem MPR, das Ergebnis des Referendums ratifiziert werden. Drittens würde die UNO mehrere Jahre lang eine Übergangsverwaltung in Osttimor einrichten.
Vom Standpunkt der Unterzeichner dieses Abkommens haben sich die Ereignisse in bemerkenswerter Übereinstimmung mit ihrem Plan entwickelt. Im Referendum vom 30. August stimmte eine überwältigende Mehrheit der Bevölkerung für die Unabhängigkeit. Keine zwei Monate später ratifizierte das indonesische Parlament die Abstimmung, und fünf Tage danach beschloss der UN-Sicherheitsrat einstimmig die Resolution über den Einsatz von UNTAET. Die Resolution war in England entworfen worden und Portugal konnte seinen Segen dazu geben, ehe sie Anfang Oktober Kofi Annan unterbreitet wurde.
In dem Zeitraum zwischen dem Referendum und den Abstimmungen im MPR und dem UN-Sicherheitsrat wurden dann etwa drei Viertel der Bevölkerung Osttimors durch die indonesische Armee (TNI) und deren bewaffnete Banden gewaltsam aus ihren Häusern vertrieben. Der größte Teil der Infrastruktur des Landes wurde zerstört, einschließlich Stromversorgung, Wasser und Abwasser, Krankenhäuser, Schulen und sämtliche öffentlichen Einrichtungen. Die Todesschwadronen haben Hunderte, wenn nicht Tausende Menschen abgeschlachtet. Es wurden etwa 120 Leichen gefunden, Zehntausende aber gelten noch als "vermißt".
Was in den ersten drei Septemberwochen durchsickerte, läßt eine Tragödie von ungeheurem Ausmaß erkennen, die jedoch von sämtlichen Teilnehmern des Abkommens billigend in Kauf genommen worden war. Das ist eine Tatsache, die sich nicht bestreiten läßt.
Die australische Regierung, die in dem Abkommen nicht berücksichtigt wurde, bemühte sich, ihre Interessen in der Region zu wahren, und lauerte darauf, dass das Wüten der Milizen eine Gelegenheit zur Intervention böte. Da Australien seine Truppen gut vorbereitet hatte, gelang es ihm, der UNO sein Kommando über die INTERFET aufzudrängen.
Als die Soldaten am 20. September einmarschierten, war die Katastrophe schon angerichtet. Dili und die meisten Städte und Dörfer Osttimors waren zerstört und die Bevölkerung vollkommen traumatisiert.
Aber es war sowieso nie das Ziel der INTERFET gewesen, das Volk von Osttimor zu retten. Ihre Aufgabe bestand darin, die "Sicherheitslage" zu stabilisieren und den Beginn von Stufe zwei und drei des Abkommens vom 5. Mai zu ermöglichen. Nun kann die UNTAET - mit all ihren Absichten und Zwecken als neue koloniale Macht - ihre Arbeit beginnen.