Korrespondenz

Zur Besprechung des Films "Der Soldat James Ryan" von Steven Spielberg

An den WSWS-Herausgeber,

normalerweise betrachte ich mich als Liberalen und Sozialisten, aber Ihre Besprechung des Spielberg-Films fand ich beschämend. Sie bestätigen damit alle Vorurteile über liberale Ideologen im Elfenbeinturm, die jeden Anlaß nutzen, um ihre immer gleiche Botschaft loszuwerden, und die bloß deshalb, weil man ihnen noch nicht den Himmel auf Erden beschert, auf Leute spucken, die für das Volk unseres Landes alles geopfert haben.

Ihre beiläufige Abwertung der Landungsszene an der Omaha-Küste als etwas, "was er [der Zuschauer] schon wußte oder ahnte", verblüfft mich. Ich kenne niemanden, abgesehen von den Veteranen dieser Schlacht, dessen Vorstellung eines Infanterie-Vormarsches nicht durch diese Szene gründlich verändert worden wäre. Die Art und Weise, wie Sie die menschlichen Opfer der Invasion zugunsten einer historischen Analyse der deutschen versus der russischen versus der amerikanischen Truppenstärke unter den Tisch wischen, ist ebenso befremdend. Anscheinend wollen Sie von Ihrem hohen politischen Roß nicht herunterkommen, um einmal darüber nachzudenken, was diese Leute durchgemacht und geleistet haben. Ihre offenkundige Verachtung für jene amerikanischen Soldaten, die in Ihren Augen wohl nur für die amerikanische Weltherrschaft und die Propagierung von Klassengegensätzen kämpfen wollten, ist die schlimmste Sorte Arroganz - Arroganz von jemanden, der nicht dabei war, nichts weiß und denkt, er könne Leute herunterputzen, die mehr gewagt und geopfert haben, als er es jemals tun wird.

Ich bin nicht gerade mit allem, was dieses Land im Zweiten Weltkrieg getan hat, einverstanden. Mit Sicherheit lehne ich praktisch alles ab, was dieses Land in Vietnam getan hat. Aber für die Soldaten, die gekämpft, ihr Leben geopfert und den Wahnsinn des Schlachtfelds durchgestanden haben, ganz gleich um welche Politik es ging, hege ich den größten Respekt. Einen solchen Mut hätte ich selbst niemals aufbringen können. Es ist ihre Geschichte, die Spielberg erzählt: die Geschichte von Männern, die deshalb kämpften, weil es ihr Job war, weil nicht zu kämpfen bedeutet hätte, daß deine Freunde sterben. Für sie ist diese Erfahrung so nachhaltig und persönlich, daß sie nicht über Politik nachdenken, wenn sie zurückblicken. Sie fragen sich vielmehr, ob sie persönlich ein Leben geführt haben, das das Opfer ihrer Kameraden gerechtfertigt hat.

Mich würde interessieren, wie Sie diesen Männern Ihre Kritik vorlesen und dabei noch in die Augen schauen wollen.

Mit freundlichen Grüßen

AC

David Walsh antwortet:

Lieber AC,

ich habe Ihre Antwort auf meine Filmkritik von Saving Private Ryan mit Interesse gelesen, muß aber gestehen, daß ich sie befremdlich fand.

Sie deuten an, daß sie sich "normalerweise" als Liberalen und Sozialisten betrachten. Abgesehen davon, daß der Liberalismus eine Ideologie ist, die sich immer selbst betrügt, bin ich versucht zu fragen, als was Sie sich ansonsten betrachten und welchen Schuh Sie sich angezogen hatten, als Sie die Antwort an unsere Web Site schrieben. Ich habe jedenfalls recht wenig in Ihrer Antwort entdecken können, was man als links oder radikal bezeichnen könnte.

Zunächst einige zusätzliche Bemerkungen über Saving Private Ryan.

Sicherlich will Steven Spielberg bedeutende Filme drehen. Aber um dies erfolgreich zu tun, fehlt ihm meiner Meinung nach das historische und gesellschaftliche Verständnis. Wenn ich seine etwas gehaltvolleren Filme vergleichen wollte, würde ich Schindlers Liste als den besten bezeichnen. In diesem Fall ging er mit einem durchdachten Drehbuch, einer historisch bemerkenswerten Figur und einem besseren "Gespür" an die Sache heran. Doch auch dieser Film litt an Schwächen, weil Spielberg intellektuell und künstlerisch nicht in der Lage war, die Probleme des Holocaust, seine Ursachen und Konsequenzen zu erfassen. Amistad war meiner Ansicht nach eine Katastrophe. Ich würde Private Ryan irgendwo zwischen beiden platzieren.

Ich glaube nicht, daß die Probleme, die sich mit einem Film über den Zweiten Weltkrieg stellen, in Saving Private Ryan auf ernsthafte Weise aufgearbeitet wurden. Mein Hauptvorwurf gegen den Film lautet nicht, daß er von Patriotismus oder amerikanischen Nationalismus erfüllt sei. Das glaube ich gar nicht. Aber ich werfe ihm vor, daß er keine glaubwürdigen Charaktere und keine emotional bewegende Geschichte enthält.

Konkret gehören die Soldaten des Zweiten Weltkriegs einer Generation an, die die stürmischen Ereignisse der großen Depression erlebt hat. Ist davon etwas in dem Film zu spüren? Ohne einen Augenblick lang das Niveau des Bewußtseins in dieser Zeit zu idealisieren, ist es doch klar, daß solche Soldaten mehr oder weniger genaue politische Vorstellungen hatten. Eine gemeinsame Sorge der Soldaten war beispielsweise die Frage, ob sie nach dem Krieg einen Arbeitsplatz haben würden. Spielbergs Soldaten haben keinerlei soziale Identität. Sie sind unwirklich. Seine Charaktere sind nicht Männer der 40er oder der 70er Jahre (Vietnam); Spielberg und sein Drehbuchautor haben ihre Figuren nach den gängigen Vorurteilen modelliert. In Wirklichkeit stellen sie Pappfiguren dar.

Wenn man dagegen manche Kriegsfilme oder Western von John Ford ansieht, so ist hier geschichtliche Qualität als Teil einer einheitlicheren künstlerischen Konzeption nicht zu verkennen. Ford war glühender Anhänger des amerikanischen Kapitalismus, der für ihn das Land der unbegrenzten Möglichkeiten und der Freiheit war. Er glaubte an seine militärischen und anderen Institutionen. Natürlich teile ich diese Auffassung nicht. Aber Ford hat einige wesentliche Züge der wiederkehrenden Probleme und sogar der Persönlichkeiten der amerikanischen Geschichte eingefangen.

Spielberg und einige Kritiker bezeichnen Saving Private Ryan als Antikriegsfilm. In meiner Rezension habe ich gewisse Vorbehalte gegen diese Charakterisierung angemeldet. Lassen Sie mich einen weiteren hinzufügen.

Was zeichnet einen Kriegsgegner aus? Daß er nicht nur ablehnt, was ihm selbst und der Armee seines Landes angetan wird, sondern genauso, was dem Feind angetan wird und was man selbst dem Feind antut. Dieser Standpunkt beinhaltet eine moralische Selbstkritik. Sehen Sie sich beispielsweise King Vidors The Big Parade (1925) und Lewis Milestones All Quiet on the Western Front (Im Westen nichts Neues, 1930) an. Der Kritiker Andrew Sarris beschreibt die Schlüsselszenen in beiden Filmen: "In Vidors Film verfolgt ein amerikanischer Soldat einen deutschen bis in einen Bombentrichter. Als der Amerikaner sieht, daß der Deutsche verwundet ist, bringt er nicht fertig, sein blutiges Werk zu vollenden. Er reicht dem Feind statt dessen eine Zigarette. In Milestones Film durchbohrt ein deutscher Soldat einen Franzosen mit dem Bajonett und bittet sein Opfer dann um Vergebung."

Gibt es irgend etwas Vergleichbares in Saving Private Ryan? Der deutsche Soldat, der aufgrund von Tom Hanks' Entscheidung nicht erschossen wird, kommt zurück und tötet brutal einen seiner Leute. Was soll dies aussagen?

Ein Antikriegsfilm bedeutet, die moralischen und psychologischen Opfer eines Kriegs aufzuzeigen. Inwieweit kommt Spielberg diesem Anspruch nahe? Das einzige, was er zu bieten hat, ist die zitternde Hand von Tom Hanks und seine Äußerung, je mehr Menschen er töte, desto weiter fühle er sich von zu Hause entfernt. Dieses Gefühl wird jedoch durch den Film in keiner Weise untermauert.

Der Inhalt Ihres Briefs enthält meiner Meinung nach eine Menge Verdrehungen, ja sogar Beschimpfungen, die Sie anscheinend für notwendig halten. Wo habe ich "offenkundige Verachtung" für amerikanische Soldaten zum Ausdruck gebracht oder behauptet, daß sie für die amerikanische Weltherrschaft kämpfen wollten? Damit wollen Sie nur als Volksredner irgend ein imaginäres Publikum beeindrucken. Ich habe das Gegenteil gesagt. Die bewußtesten Soldaten waren deshalb in der Lage, große Opfer zu bringen, weil sie den Krieg als Kampf auf Leben und Tod gegen den Faschismus auffaßten. Die Tatsache, daß viele ihn als echten Kampf für Freiheit ansahen, ändert jedoch nichts daran, daß vom Standpunkt der Regierungen und herrschenden Klassen der Krieg hauptsächlich ein Kampf um ökonomische und politische Herrschaft war.

Der Wunsch, die Nazis zu bekämpfen, spielte keine geringe Rolle. Sie aber sagen, sie respektieren die Tapferkeit der Soldaten "ganz gleich, um welche Politik es ging". Bezieht sich das nur auf die amerikanische Armee? Die Deutschen hatten 1944 an vielen Fronten große Verluste. Sie kämpften verbissen und mit beträchtlicher Tapferkeit. Mit Sicherheit gab es SS-Einheiten, die mutig kämpften.

Bedenken Sie folgendes: während viele Filme der 20er und 30er Jahre über den Krieg von 1914-18 alle Seiten verurteilten und das Schicksal aller beteiligten Truppen mit Leidenschaft darstellten, hat es nach dem Zweiten Weltkrieg relativ wenige Filme gegeben, die Sympathien mit den deutschen Truppen bekundeten. Warum? Zumindest teilweise deshalb, weil man die Ablehnung der Sache, für die deutsche Soldaten freiwillig oder unfreiwillig kämpften, schwer beiseite schieben konnte. Wenn Sie die "Politik" in dieser Diskussion weglassen, was bleibt dann übrig? "Im Zweifel für das Vaterland..."

Noch einmal, worin besteht eigentlich Ihr "Liberalismus" und "Sozialismus"? Wahrscheinlich soll die Bemerkung, Sie lehnten "praktisch alles ab, was dieses Land in Vietnam getan hat", einen Hinweis darauf liefern. Entschuldigen Sie, daß mich das nicht besonders beeindruckt. Selbst die meisten bürgerlichen Politiker äußern sich heute kritisch über die Ereignisse in Vietnam.

Wenn Sie sagen, ich könne nicht wagen, meine Rezension den Veteranen vorzulesen und ihnen dabei in die Augen zu schauen, dann verrät dies einiges über Ihre eigene politische Einstellung. Unsere politische Bewegung paßt ihre Ansichten nicht an die augenblicklichen Bedürfnisse oder das momentane Publikum an. Trotzkisten wurden in die US-Armee eingezogen und kämpften als Teil der Arbeiterklasse im Zweiten Weltkrieg. Aber sie gaben niemals ihre Opposition zu diesem Krieg auf, den sie als imperialistischen Krieg charakterisierten. Sie kämpften in der Armee für ihre Politik, unter anderem für die Forderung nach der Wahl der Offiziere und um andere Fragen, die die Soldaten betrafen. Ich hatte das Privileg, einen dieser Menschen zu kennen, der im übrigen während des Kriegs auch das Leben eines deutschen Soldaten gerettet hatte.

Ich will Sie nicht beleidigen, aber Ihre Kritik an der bestehenden Gesellschaftsordnung wirkt auf mich bestenfalls unbeständig. Ich hoffe, Sie versuchen nicht wie etliche andere heutzutage, Ihr "schlechtes Gewissen" wegen Ihrer Opposition gegen den Vietnamkrieg dadurch zu beruhigen, daß Sie Vergangenheit und Gegenwart der US-Armee glorifizieren.

Mit freundlichen Grüßen

David Walsh

Siehe auch:
"Der Soldat James Ryan" - ein neuer Spielberg-Film
(19. August 1998)

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