"Jubilieren über die Unzerstörbarkeit des Geistes", so überschreibt Christine Brinck in der Süddeutschen Zeitung vom 6. April 1998 ihre Besprechung der Lebenserinnerungen Nadeschda A. Joffes. Unter dem Titel "Rückblende. Mein Leben, mein Schicksal, meine Epoche" erschienen sie im Herbst 1997 im Arbeiterpresse Verlag.
"Die schlicht geschriebenen Erinnerungen von Nadeschda Joffe gehören neben Solschenizyns ,Archipel Gulag‘ in jede Sammlung sowjetischer Geschichte," schlußfolgert Christine Brinck. Ausführlich schildert sie mit vielen Zitaten den Lebensweg Joffes, deren Vater Adolf A. Joffe der erste außenpolitische Kommissar der jungen Sowjetunion war. So traf sie in ihrer Kindheit und Jugend auf alle bedeutenden Marxisten dieser Zeit: Mehring, Liebknecht und vor allem Trotzki.
1927 erschoß sich ihr Vater vier Tage nach dem Parteiausschluß Trotzkis und sein Begräbnis wurde die letzte Demonstration der Linken Opposition.
Christine Brinck fährt fort: "Beim Tod ihres Vaters war Nadeschda Joffe 21 Jahre alt. Sie studierte Ökonomie am berühmten Plechanow-Institut und begann sich in der Opposition zu engagieren. Links hieß für sie antistalinistisch, antibürokratisch, das Ideal war die permanente Revolution Trotzkis: ,Die unversöhnlichsten Gegner des sich entwickelnden Stalinschen Regimes waren gerade junge Menschen.‘ Die aktivste innerparteiliche Opposition waren die Trotzkisten."
1929 wird Nadeschda Joffe das erste Mal verhaftet und für drei Jahre in die Verbannung geschickt. Doch 1936 folgt die Verurteilung wegen konterrevolutionärer trotzkistischer Aktivität (KRTD). In der Rezension heißt es: "Sie wurde zu fünf Jahren Zwangsarbeit in Kolyma, im unwirtlichen Nordosten Sibiriens verurteilt. Es sollte zehn Jahre dauern, bis sie es verlassen konnte... Das Verdienst der Memoiren von Nadeschda Joffe ist, daß wir von einer Gefangenen über das Leben in den sibirischen Lagern erfahren... Von all diesen Gruppierungen wurden die Trotzkisten am schlechtesten behandelt, das ,T‘ in ihrer Kategorie verhieß ,harte körperliche Zwangsarbeit‘. Entlassen wurde sie ,fünf Minuten vor dem Tod‘."
Doch 1949 wird sie als "Wiederholungstäter" noch einmal verhaftet. "Wieder hieß es Trennung von den Kindern, Ungewißheit, Verhöre, Entbehrungen. ,Zum ersten Mal in meinem Leben‘, schreibt Nadeschda, ,wollte ich wirklich nicht mehr leben.‘ Als man sie zum ersten mal verhaftet hatte, war sie 23, nun war sie 43 Jahre alt. ,Wieviel kann ich ertragen?‘ Nadeschda überlebte. Stalins Tod wendet nicht nur einen pogromähnlichen Antisemitismus ab, er bedeutet auch das Ende ihrer Leiden. Sie wurde vollständig rehabilitiert... Ihre Bindung an den Kommunismus blieb ungebrochen", bemerkt Christine Brinck.
Ihre Hochachtung für Nadeschda Joffe bringt sie mit einem Zitat zum Ausdruck, das von dem amerikanischen Historiker Theodore Draper stammt, der in seiner Besprechnung von "Rückblende" schreibt:
"Selten stößt man auf ein Buch, das einen so traurig macht, daß man weinen muß, und das einen gleichzeitig jubilieren läßt über die Unzerstörbarkeit des menschlichen Geistes."
Ebenso tief beeindruckt von der Unbeugsamkeit Nadeschda Joffes ist Katia Davis, die sie im Herbst 1997 in New York besuchte. In ihrer Rezension im Neuen Deutschland vom 11. Oktober 1997 schreibt sie:
"Die kleine zerbrechliche 91jährige Dame lächelt. Nadeschda A. Joffe ist optimistisch... ,Der Sozialismus ist ein Traum‘, erklärt die alte Dame mir im Gespräch. ,Vielleicht wird er eines Tages wahr.‘ Nein, sie bereue nichts. Sie hat gekämpft, sie könne mit reinem Gewissen aus dem Leben scheiden.
Nadeschda Joffe erinnert an die Juden aus biblischen Zeiten: Die saßen weinend an den Flüssen von Babylon und schworen, bis zum Erreichen ihrer Freiheit nicht mehr zu singen. Fern der Heimat sitzt mir Nadeschda Joffe gegenüber, summt eine Melodie vor sich hin und meint schließlich lächelnd: ,Doch, wir sangen - und wir waren nicht frei‘."
In der ersten Ausgabe dieses Jahres der Zeitschrift Internationale wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, die am Fachbereich Politik der Freien Universität Berlin herausgegeben wird, bespricht Carola Tischler Joffes Memoiren. Obwohl sie offensichtlich ein wissenschaftliches Werk erwartet hatte und bemängelt, daß "ihre Erinnerungen sehr dem Anekdotischen verhaftet sind", kommt sie zu dem Schluß:
"Es ist ein lesenswertes Dokument über den Lebensweg einer äußerst tapferen Frau, das das Schicksal so vieler Menschen während der sowjetischen Periode widerspiegelt."
In einer Kurzkritik in der Wochenendbeilage vom 1. November 1997 betont die Ostthüringer Zeitung:
"In ihren Erinnerungen... schildert Nadeschda Joffe nicht nur den durchlittenen Terror. Die Einmaligkeit und historische Bedeutung ihrer Memoiren sind ihre ungebrochenen politischen Anschauungen."
Für die Sendung "Meinungen über Bücher" am 21. Oktober 1998 im Westdeutschen Rundfunk hat Bernhard Bayerlein die Erinnerungen gelesen:
"Nadeschda Joffe gehört zu den ganz wenigen Mitgliedern der linken, trotzkistisch genannten Opposition in der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, die den Terror Stalins überlebt haben. Ihr Buch ist ein höchst menschliches Zeugnis über die physische Vernichtung derjenigen, die der ,konterrevolutionären trotzkistischen Tätigkeit‘ beschuldigt wurden. Es ergänzt die bekannteren Schilderungen von Frauenschicksalen im GULag, wie die von Susanne Leonhardt und Margarete Buber-Neumann und ist doch etwas besonderes."
Bernhard Bayerlein zieht folgendes Résumée:
"Trotz Verfolgung und Lagerhaft, trotz der (im Buch zu soziographischen Psychogrammen verdichteten) Leidenswege der Mitgefangenen in einem Universum der Vernichtung hat Nadeschda Joffe anscheinend nie an ihrem Ideal aus der Jugendzeit gezweifelt, was sie von den meisten unterscheidet. Der Humanist Lew Kopelew beispielsweise, der als Jugendlicher ebenfalls der trotzkistischen Opposition angehörte, wies den Glauben an ,die Weltrevolution und das Glück für alle‘ einer für ihn später abgeschlossenen, romantischen Lebensphase zu. Jedenfalls aber haben viele dafür gebüßt, ,daß sie verstanden hatten, daß der Sozialismus, der in der Sowjetunion aufgebaut wurde, nicht der Sozialismus war, von dem die besten Denker der Menschheit geträumt hatten‘.
Doch das Faszinierende an diesem Buch ist eine überall durchscheinende und unauslöschliche Überzeugung von der Möglichkeit der Freiheit des Menschen, die zugleich eine Kampfansage an jederart politischer Unterdrückung ist."