Der politische Krieg in Washington

Nach Clintons TV-Ansprache stehen härtere Gefechte bevor

In seiner bundesweit übertragenen Fernsehansprache am Abend des 17. August hat der amerikanische Präsident Clinton zum ersten Mal an die Öffentlichkeit appelliert, ihn gegen die Kampagne der äußersten Rechten zu verteidigen, die ihn mit Hilfe des Sonderermittlers Kenneth Starr aus dem Amt jagen will.

Er räumte ein, daß er seine Affäre mit Monica Lewinsky verschwiegen habe, erklärte, daß diese Beziehung seine Privatsache sei, die niemanden außerhalb seiner Familie etwas angehe, und bezeichnete das von Paula Jones angestrengte Verfahren als "politisch motiviert". Er bestritt, daß er Lewinsky oder irgend jemand anderen aufgefordert habe, zu lügen, Beweismaterial zu vernichten "oder auf andere Art illegal zu handeln".

Weiter warf Clinton Starr vor, in seinem Privatleben herumzuschnüffeln, und forderte ein Ende der Untersuchungen. Nachdem er vergebens ein zwanzig Jahre zurückliegendes Grundstücksgeschäft aufgerollt habe, so Clinton, weitete der Sonderermittler die Untersuchung "auf meine Mitarbeiter und Freunde aus, und dann auf mein Privatleben. Und nun wird die Untersuchung selbst untersucht. Das dauert schon zu lange, hat zuviel gekostet und zu viele unschuldige Menschen verletzt."

Clintons Rede unterschied sich deutlich vom bisherigen Verhalten des Präsidenten, der sich seit Januar darauf beschränkt hatte, mit rein juristischen Argumenten die unverfrorensten Vorstöße des Ermittlers in die Arbeit des Weißen Hauses zu begrenzen. Diese juristischen Manöver hatten wenig Wirkung gezeigt; die Bundesrichter und schließlich der Oberste Gerichtshof erteilten Starr die Erlaubnis, praktisch jede Person aus dem engsten Umkreis des Präsidenten zur Vernehmung vorzuladen.

Die Ansprache des Weißen Hauses folgte einer stundenlangen Befragung vor einer von Starr einberufenen Grand Jury, in deren Verlauf Clinton unter Berufung auf den Schutz seiner Privatsphäre die Antwort auf mehrere Fragen rundheraus verweigerte. Die Atmosphäre dieser Sitzung war derart aggressiv, daß Clinton in der Mitte eine einstündige Pause einlegte, um sich mit seinen Anwälten zu beraten, und dann Starrs Ansinnen ausschlug, die Befragung über die vereinbarten vier Stunden hinaus fortzusetzen.

Vieles ließ Clinton in seiner Rede unerwähnt. Er sprach nicht aus, daß Starr selbst von politischen Motiven geleitet wird, und verwies auch nicht auf die gut dokumentierte Tatsache, daß die Starr-Ermittlungen und das Paula-Jones-Verfahren hinter den Kulissen von rechten Kräften mit schmutzigen Tricks aufeinander abgestimmt worden waren.

Doch selbst der beschränkte Widerstand, den er in der kurzen, fünfminüten Ansprache im nationalen Fernsehen an den Tag legte, verschlug den Medienkommentatoren und den Führern der Republikanischen Kongreßabgeordneten schier die Sprache. Orrin Hatch, Vorsitzende des Justizausschusses des Senats, ereiferte sich über Clintons Kritik am Jones-Verfahren und an den Untersuchungen des Sonderermittlers: "Etwas Schlimmeres hätte er nicht tun können."

Die Republikaner im Justizausschuß, die im Falle einer Empfehlung zur Amtsenthebung seitens des Sonderermittlers als erste Stellung beziehen müßten, standen nach Clintons Ansprache vor den Kameras und Mikrophonen Schlange, um Clinton anzugreifen und die Fortführung der Starr-Ermittlungen zu fordern. William McCollum, der zweitwichtigste Republikaner in diesem Ausschuß, erklärte, daß ein Verfahren zur Amtsenthebung gegen Clinton eingeleitet werden solle, falls er unter Eid über seine Beziehung zu Lewinsky gelogen habe.

Die Fernseh- und Zeitungskommentare wandten sich beinahe ausnahmslos gegen den Ton, den Clinton in seiner Rede angeschlagen hatte. Das Spektakel von Clintons erzwungener Vernehmung vor der Grand Jury hatte den ganzen Tag eine aufgeregte Meute von Reportern vor das Weiße Haus gelockt; es folgte, in den Worten eines Beobachters, "der nächtliche Chor des Heulens, Zeterns und der wilden Spekulation", der die Fernsehberichterstattung über die Lewinsky-Affäre von Anfang an ausgezeichnet hat.

Die heftige Feindschaft der Medien gegen Clinton zeigt, wie äußerst empfindlich die herrschenden Kreise auf jeden Versuch reagieren, aus den engen Grenzen des offiziellen Washington herauszutreten und die Fragen, um die es in dieser Krise geht, vor das breitere Publikum zu bringen, das bislang weitgehend von der offiziellen Politik ausgeschlossen bleibt.

Nachdem die Presse geweissagt hatte, daß sich Clinton im nationalen Fernsehen erniedrigen und den Sonderermittler sogar ehrerbietig als "Richter Starr" anreden würde, wurde sie fuchsteufelswild, als er sich anders verhielt. Diese Reaktion entspringt ihrem schlechten Gewissen: Die Medien spielen eine wichtige Rolle in der Verschwörung zwischen Starr, den Bundesgerichten und den organisierten rechten Gruppen. Gemeinsam benutzen sie den Sexskandal, um ganz bestimmte politische Ziele zu verfolgen.

Worum geht es eigentlich? Im Gegensatz zur Darstellung der Medien dreht sich die Auseinandersetzung in Washington nicht um Sex, Lügen oder Behinderung der Justiz. Es handelt sich um einen politischen Kampf, in dem Clintons rechtsstehende Gegner mit den Methoden der Verschwörung und Provokation versuchen, die Ergebnisse der letzten beiden Präsidentschaftswahlen rückgängig zu machen.

In den Vereinigten Staaten nehmen politische Kämpfe oft geschmacklose - in diesem Falle äußerst geschmacklose - Formen an, weil es im offiziellen politischen Leben verpönt ist, die gesellschaftlichen Probleme und Klassenfragen klar auszusprechen. Clintons rechte Gegner wollen unter anderem die Sozialhilfe privatisieren, die letzten Überreste des Sozialstaats vernichten, jede Besteuerung der Reichen abschaffen - was beinahe zur Hälfte schon erreicht ist -, jegliche staatliche Vorschriften für Unternehmer streichen, das Militär aufrüsten und eine aggressivere Außenpolitik betreiben.

Clintons Methode bestand von Anbeginn seiner Präsidentschaft darin, sich mit seinen rechten Gegnern zu arrangieren und innerhalb des Rahmens, den sie vorgeben, eine Lösung zu finden. Daher arbeitete er bei dem Abbau der Sozialleistungen mit der republikanischen Mehrheit im Kongreß zusammen.

Ähnlich verhielt er sich gegenüber dem Sonderermittler, dessen Legitimität er nicht einmal in Frage stellte, als die Koordination zwischen Starrs Untersuchungen und dem Paula-Jones-Vefahren herauskam. Mit dieser außerordentlichen Passivität ermutigte er seine Gegner nur zu noch hinterhältigeren, nachhaltigeren Anstrengungen, ihn politisch zu vernichten.

Noch während der Vernehmung vor der Grand Jury bemühte sich Clinton, den Sonderermittler zu versöhnen. Berichten zufolge entschloß er sich erst während der Befragung durch Starrs Anwälte zu einer aggressiveren Antwort in seiner Fernsehansprache.

Mittlerweile scheint festzustehen, daß der Konflikt fortgesetzt wird. Dieser immer bösartigere Kampf innerhalb der herrschenden Eliten überschneidet sich allerdings mit breiteren gesellschaftlichen Fragen und weckt Sorgen und Befürchtungen in der breiteren Öffentlichkeit. Man kann davon ausgehen, daß die Zwischenwahlen zum Kongreß im Herbst von den dann bevorstehenden Anhörungen zur Amtsenthebung dominiert werden, und daß diese Anhörungen alle Versuche der amerikanischen herrschenden Klasse, mit den internationalen Krisen von Rußland über Irak bis hin zum Finanzcrash in Asien fertigzuwerden, überschatten werden.

Es geht um tiefgreifende historische Probleme. Clintons Gegner betreiben eine verdeckte, undemokratische und gegen die Verfassung gerichtete Kampagne, um weitreichende Veränderungen im politischen System Amerikas durchzusetzen. In der bizarren Form eines Sexskandals wird die traditionelle Gewaltenteilung zwischen den drei Säulen der Regierung durchgreifend geändert und die Stellung des Präsidenten stark unterhöhlt.

Die Angriffe auf frühere Sozialreformen, die Reagan begann und Bush sowie Clinton fortsetzten, sollen jetzt eine neue Qualität erreichen. Alle Hindernisse für das ungehemmte Wirken des kapitalistischen Marktes sollen niedergerissen werden, indem die Exekutive zumindest in der Innenpolitik auf ein rein zeremonielles Maß zurechtgestutzt und die Bundesregierung auf rein polizeilich-militärische Funktionen beschränkt wird.

Der Arbeiterklasse kann es nicht darum gehen, eine "starke" gegen eine "schwache" Präsidentschaft zu verteidigen. Die amerikanische Präsidentschaft ist eine Institution der kapitalistischen Herrschaft und wird unter allen Bedingungen die Macht des Big Business zur Ausbeutung der arbeitenden Bevölkerung verteidigen. Die demokratischen Grundrechte und die gesellschaftlichen Interessen der Arbeiter können nur durch einen politischen Kampf gegen das gesamte kapitalistische System verteidigt werden, der in der Schaffung einer neuen, wirklich demokratischen und egalitären politischen und wirtschaftlichen Ordnung gipfelt.

Doch insoweit der Angriff auf die Präsidentschaft von Rechten geführt wird und die Masse der arbeitenden Bevölkerung nur die Rolle eines politisch entrechteten und ausgeschlossenen Zuschauers spielt, können die Ergebnisse nur äußerst reaktionärer und undemokratischer Natur sein. Die Absetzung Clintons durch einen rechtsgerichteten, quasi-juristischen Staatsstreich würde viel drohendes Unheil mit sich bringen.

Allein schon die Schärfe dieser Krise spricht gegen die gängigen Behauptungen, daß die amerikanische Gesellschaft neue Höhen des Wohlstands und des Überflusses erklommen hätte. Wenn alles in Amerika zum Besten bestellt ist, weshalb tobt dann innerhalb der herrschenden Klasse ein so blutrünstiges Gemetzel?

Man kann die breite Sympathie für Clinton in der Öffentlichkeit auch nicht mit Hinweisen auf den boomenden Aktienmarkt und die niedrige offizielle Arbeitslosenrate erklären. Die Meinungsumfragen aus der Nacht nach Clintons Ansprache stürzten die Medienleute erneut in Verwirrung, da sich an der allgemeinen Ablehnung von Starrs Ermittlungen in der Bevölkerung wenig geändert hatte.

Es steht außer Frage, daß Clinton mit seinen ärgerlichen Vorwürfen an Starrs Adresse eine Saite im Herzen der öffentlichen Meinung zum Klingen gebracht hat. Das Recht auf eine Privatsphäre, in der man in Ruhe gelassen wird, wird allgemein als grundlegendes demokratisches Recht aufgefaßt. Immer häufiger trifft man in der Bevölkerung auf Mißtrauen gegenüber den Medien und auf Befürchtungen hinsichtlich der verdeckten politischen Ziele der Kampagne gegen Clinton. Nicht Gleichmut und Zufriedenheit, sondern Argwohn und skeptische Ablehnung kommen hier zum Ausdruck. Breite Schichten spüren offenbar intuitiv, daß die Betreiber der Sonderermittlungen nichts Gutes im Schilde führen.

Angesichts der Beschränkungen des politischen Systems in Amerika, in dem die beiden vorherrschenden Parteien beide vom Big Business kontrolliert werden und keine politische Partei wirklich die Interessen der arbeitenden Bevölkerung vertritt, finden diese Einstellungen gegenwärtig keinen eigenständigen und organisierten politischen Ausdruck. Aber das kommt noch.

Loading