In Wisconsin kämpfen weiterhin Arbeiter, Angestellte und Jugendliche gegen die Gesetzespläne von Gouverneur Scott Walker, mit denen massive Kürzungen im öffentlichen Dienst durchgesetzt und die Rechte der Beschäftigten stark beschnitten werden sollen. Am vergangenen Samstag fand die bislang größte Demonstration statt.
In Madison demonstrierten 70.000 bis 100.000 Menschen trotz bitterer Kälte und Schneefällen. Im Protestzug herrschte Entschlossenheit vor, die Angriffe des republikanischen Gouverneurs auf die Arbeiterklasse zurückzuschlagen.
Doch auch wenn die Arbeiter vor dem Parlamentsgebäude des Bundesstaates machtvoll und solidarisch auftraten, mehren sich die Zeichen, das sich die Gewerkschaftsbürokratie auf eine Beendigung des Kampfes einstellt. Die Vorsitzenden der beiden größten Gewerkschaften – des Wisconsin Education Association Council und der Wisconsin Public Employees Union – haben den geplanten Lohnkürzungen schon zugestimmt.
Die Gewerkschaftsfunktionäre wollten von Anfang an nur einige republikanische Abgeordnete dazu zu bringen, Walker im Stich zu lassen und einem “Kompromiss”-Gesetz mit den Demokraten zuzustimmen, nach dem die Löhne und Sozialleistungen der öffentlich Beschäftigten gekürzt, und die Gesundheitsversorgung, Bildung und andere staatliche Dienstleistungen ausgehöhlt werden. Den Gewerkschaften ging es vorrangig darum, ihren rechtlichen Status nicht zu verlieren. Walkers Gesetzentwurf sieht nämlich ebenfalls vor, die Rechte der Gewerkschaften stark zu beschneiden – so sollen sie künftig nicht mehr die Mitgliedsbeiträge bei der Lohnauszahlung einbehalten dürfen, zudem sollen sie ihren Einfluss auf Verhandlungen über Arbeitsplätze, weitere Leistungen und Arbeitsbedingungen weitgehend verlieren.
Auf dieser Grundlage beendete die Lehrergewerkschaft die Arbeitskampfmaßnahmen ihrer Mitglieder als “Zeichen des guten Willens” gegenüber den Republikanern. Gewerkschaftsfunktionäre haben sich öffentlich gegen die Forderung nach einem Generalstreik gestellt. Arbeiter berichteten der World Socialist Web Site am Samstag auf der Demonstration, die Gewerkschaften verlangten gemeinsam mit Walker, dass die Demonstranten die Besetzung des Kapitols beendeten.
Zuletzt befanden sich noch immer mehr als 800 Besetzer im Kapitol und widerstanden den Drohungen und dem Druck von Demokratischer Partei und Gewerkschaftsfunktionären. Diese drängten sie, die bereits zwei Wochen andauernde Besetzung des Gebäudes aufzugeben, während die Behörden eine Frist zur Räumung des Gebäudes bis Sonntag 16 Uhr setzten. Wer sich danach immer noch dort aufhalte, werde festgenommen. Ein Beobachter sagte, ein örtliches Kongresszentrum stehe bereit, um eine große Zahl Festgenommener aufzunehmen. Doch Bilder von Demonstranten, die von Polizisten weggezerrt werden, könnten noch größere öffentliche Empörung hervorrufen und noch mehr Demonstranten vor das Parlament in Madison bringen, sorgten sich die Behörden und gaben schließlich kurz vor 19 Uhr bekannt, dass die Protestierenden noch über Nacht bleiben könnten.
Die Bemühungen der Gewerkschaftsführer, die Bewegung zu stoppen, entlarvt die Behauptung kleinbürgerlicher ex-radikaler Gruppen wie der International Socialist Organization (ISO), die Gewerkschaften wären angesichts der Angriffe zu kämpfen „gezwungen“. Die Gesetzespläne zum Scheitern zu bringen, erfordert nicht nur große Demonstrationen, die die Gewerkschaftsbosse sowieso zu stoppen versuchen, sondern eine Mobilisierung der gesamten Arbeiterklasse für Streiks und einen politischen Kampf gegen beide Parteien – Republikaner wie Demokraten. Die Arbeiterklasse muss den Plänen der herrschenden Klasse und der beiden großen Parteien entgegentreten, die die Verarmung und Entrechtung großer Bevölkerungsteile betreiben.
Die Gewerkschaften sind gegen eine solche Mobilisierung. Nach Jahrzehnten der Sozialpartnerschaft und der Verteidigung des kapitalistischen Systems sind sie unfähig, auch nur die Zerstörung ihrer eigenen Organisationen zu verhindern.
Wenn sich die Gewerkschaftsfunktionäre nun so schnell und übereinstimmend für ein Ende der Demonstrationen stark machen, so wohl weil sie zur Kenntnis nehmen, dass die Forderung nach einem Generalstreik bei den Arbeitern zunehmend Anklang findet. Dem wollen sie unter allen Umständen zuvorkommen.
Der Gewerkschaftsrat von South Central Madison hatte vergangene Woche einen Generalstreik befürwortet – allerdings gleichzeitig betont, es stände ihm nicht zu, einen Streik auszurufen. Während die Gewerkschaft also keine Anstalten machte, für den Generalstreik zu mobilisieren, war dies doch ein deutliches Signal, dass die Forderungen nach Massenstreikaktionen in Wisconsin zunehmen.
Der Madison Capital Times war zu entnehmen, dass die Initiative des Gewerkschaftsverbands eine Scheinforderung war, um das Volk zu beruhigen. „Örtliche Gewerkschaftsführer weisen nachdrücklich darauf hin, es sei zu keinen Streiks aufgerufen worden, der Verband habe nicht die Vollmacht einen Streik auszurufen und mehrere Gewerkschaftsführer hätten betont, dass Streikaktionen in der Verantwortung des einzelnen Arbeiters lägen.“
Der Artikel zitiert als ein Beispiel den Vorsitzenden des Ortsverbands der Elektrikergewerkschaft David Poklinkoski: “Unser Ortsverband ruft nicht zu einem Generalstreik auf – das wäre jeweils die Entscheidung des einzelnen Arbeiters”.
Ein örtlicher Funktionär der Teamster-Gewerkschaft schloss eine Beteiligung ebenfalls aus. Gene Gowey sagte, die Teamsters, die nicht dem örtlichen Gewerkschaftsrat angehörten, „versuchen Fragen friedlich und gesetzestreu zu regeln.“
Demokratische Abgeordnete werden von den Gewerkschaften gerne als Freunde der Arbeiter dargestellt, doch auch sie erwecken nicht länger auch nur den Anschein von Opposition gegen das Gesetzesvorhaben. Letzte Woche haben die Demokraten im Abgeordnetenhaus eine Vereinbarung mit den Republikanern ausgearbeitet, wonach das Gesetz mit Ergänzungen das Unterhaus nach einer verkürzten Debatte passieren kann. So wird auch die Rückkehr der vierzehn Demokratischen Senatoren vorbereitet, die den Bundesstaat verlassen haben, um die Beschlussfähigkeit des Senats zu untergraben.
„Offenbar wollen die Menschen einen Schritt voran machen und eine Übereinkunft finden, um die Rechte der Arbeiter zu schützen und den Haushalt zu sanieren“, sagte Mark Miller, Sprecher der Fraktion der Demokraten im Senat des Bundesstaates gegenüber dem Wisconsin State Journal.
Der Präsident des Gewerkschaftsdachverbandes AFL-CIO in Wisconsin, Phil Neuenfeldt, wandte sich gegen jeden Sympathiestreik von Arbeitern in der Privatwirtschaft, die sich massenhaft an den Solidaritätsdemonstrationen mit den öffentlichen Bediensteten beteiligt haben. Er forderte Arbeiter auf, sich stattdessen an „ihre Senatoren und Abgeordneten in Wisconsin zu wenden und von ihnen zu verlangen, die Rechte der Arbeiter zu verteidigen.“
Nachdem sie in der vergangenen Woche die Arbeitskampfmaßnahmen der Lehrer beendet hatten, tun sich die Gewerkschaften jetzt mit Walker zusammen, um das Kapitol in Madison von Demonstranten zu räumen. Die Bereiche, die den Demonstranten zur Verfügung standen, sind peu a peu verkleinert worden, und am Samstag war nur noch eine kleine Tür offen, durch die Arbeiter das Gebäude betreten konnten. Arbeiter berichten, dass die Gewerkschaften ihnen geraten haben, das Kapitol bis Sonntag zu verlassen, damit es „gereinigt“ werden könne.
Damit der Kampf der Arbeiter und Jugendlichen in Wisconsin weiter geht, müssen sie unbedingt mit der Demokratischen Partei und den verrotteten Gewerkschaften brechen und unabhängige Basiskomitees gründen, um einen Generalstreik vorzubereiten. Gleichzeitig müssen die Kämpfe gegen Kürzungen sowie zur Verteidigung von Arbeitsplätzen und sozialen Errungenschaften im ganzen Land vereint werden.
Die Kapitulation der Gewerkschaften ermutigt Walker und die politischen Kräfte, die er repräsentiert. Sie betrachten den Kampf in Wisconsin als historische Gelegenheit, den Angriff auf den Lebensstandard der Arbeiterklasse zu beschleunigen.
In dieser Frage gibt es absolut keinen Unterschied zwischen den Gewerkschaften und den Demokraten auf der einen und den Republikanern und ihren Milliardärsfreunden von der Tea Party auf der anderen Seite: Alle stimmen darin überein, dass die Arbeiterklasse für die Krise des amerikanischen Kapitalismus bluten muss, damit die herrschende Elite sich weiter berauschen kann. Differenzen gibt es höchstens in Bezug auf die Mittel und Wege: nämlich darüber, ob die Gewerkschaften noch gebraucht werden, um die Kürzungen durchzusetzen, oder ob man ganz auf sie verzichten kann.
Die Arbeiter in Wisconsin können nach Jahren von Lohn- und Sozialleistungskürzungen und Zwangsurlaub nicht mehr weiter zurückweichen. Ihr Kampf hat sie in Konflikt mit dem gesamten politischen Establishment gebracht, inklusive den Gewerkschaften und dem Profitsystem, das diese verteidigen.