Mit einem weiteren dramatischen Absturz der Wall Street hat die amerikanische und globale Wirtschaftskrise gestern ein neues Stadium erreicht. Sie breitet sich nun vom Finanzsystem in die Realwirtschaft aus, und neben den Bank- und Versicherungswerten sind auch Aktien im industriellen Sektor hart betroffen. Auch Ikonen des amerikanischen Kapitalismus, wie beispielsweise General Motors und Ford, blieben gestern nicht verschont. Verkäufe gingen zurück, die Kreditklemme hielt an und die Furcht vor einer langen, globalen Rezession nahm zu.
Ein hektischer Tag an der New Yorker Börse schloss mit panischen Verkäufen in der letzten Handelsstunde. Der Dow Jones fiel zum ersten Mal seit 2003 unter die Neuntausender-Marke und noch tiefer, und er sorgte für zahlreiche Schlagzeilen. Er schloss schließlich mit 679 Punkten oder 7,3 Prozent im Minus.
Der Aktienindex Standard & Poors 500 fiel sogar noch stärker, verlor 7,6 Prozent und endete bei 910 Punkten. Auch der Technologie-Index Nasdaq wurde hart getroffen, fiel um 5,6 Prozent auf 1.645 Punkte. Auf eine im Wert steigende Aktie kamen zwanzig fallende. Fast 900 Milliarden Dollar an amerikanischen Aktienwerten wurden vernichtet.
New York Times Analyst Floyd Norris nannte den Absturz der vergangenen Woche "den Zusammenbruch 2008" und verglich ihn mit dem Kollaps vom 19. Oktober 1987, als der S&P Index um 20,5 Prozent fiel. "Bis jetzt ist der S&P im Oktober - nach nur sieben Handelstagen - schon um 22 Punkte abgeschmiert", schrieb er. "Seit der großen Depression gab es erst einmal einen so großen Verlust innerhalb von sieben Tagen, und das war 1987."
General Motors stand an der Spitze der Verlustliste der großen Industriewerte und verlor 31 Prozent. Die Aktie fiel auf 4,76 Dollar. Das ist der niedrigste Stand seit 1950. Ford-Aktien fielen um 22 Prozent. Ein weiterer Industriegigant, Alcoa, fiel um 15,3 Prozent zurück. General Electric gaben 7,9 Prozent ab, und es wird erwartet, dass sie heute weiter fallen, weil die Profiterwartung für das dritte Quartal und für das Gesamtjahr nach unten korrigiert werden mussten.
Der Zusammenbruch der amerikanischen Autoaktien fällt mit einem insgesamt schrumpfenden globalen Markt zusammen. GM berichtete am Mittwoch über einen Rückgang der Verkäufe in Europa in den ersten neun Monaten des Jahres. Der Marktforscher J.D. Power & Associates schätzt, dass der Absatz von Autos und leichten LKWs in den USA in diesem Jahr auf 13,6 und im nächsten Jahr auf 13,2 Millionen zurückgehen werde. Das ist die niedrigste Zahl seit 1992. Im vergangenen Jahr wurden insgesamt 16,1 Millionen Einheiten verkauft.
GM und Ford, einst Symbole der industriellen Macht der USA, laufen Gefahr, Bankrott zu gehen. Die Agentur Standard & Poors warnte gestern, sie müsse möglicherweise die Bewertung beider Konzerne und ihrer angeschlossenen Finanzabteilungen herabstufen, die schon jetzt nur noch bei B-Minus stehen, d.h. sechs Stufen unterhalb einer Kauf-Empfehlung.
S&P-Analyst Robert Schulz sagte gegenüber Bloomberg.com: "Diese Konzerne werden sicher nicht freiwillig Konkursantrag stellen, aber sie können an den Punkt gelangen, an dem ihre Liquidität ihnen nicht mehr erlaubt, die Geschäfte fortzuführen. Wir halten eine solche Entwicklung für möglich."
Bei den Finanzaktien ging der Zusammenbruch ungebremst weiter. Morgan-Stanley-Aktien fielen ungefähr 22 Prozent. Es gibt inzwischen Befürchtungen, dass der Einstieg der japanischen Top-Bank Mitsubishi UFJ Financial Group mit neun Milliarden Dollar bei Morgan Stanley scheitern könnte. Bank of Amerika und Citigroup verloren je ca. zehn Prozent, und JPMorgan Chase verlor 6,7 Prozent. American Express notierte 11,5 Prozent schwächer.
Insgesamt fiel der S&P Financial Index um zwölf Prozent auf seinen tiefsten Stand seit Oktober 1996. Große Versicherer wurden ebenfalls bestraft. XL Capital ging um 54 Prozent zurück, und der zweitgrößte amerikanischen Lebensversicherer, Prudential Financial, verlor 23 Prozent.
Der Crash an der Wall Street ereignete sich nur einen Tag, nachdem viele der wichtigsten Zentralbanken in einem beispiellosen Schritt koordiniert die Leitzinsen gesenkt hatten, um die Kreditklemme zu lösen.
Gerade mal vor einer Woche hatte der Kongress die 700 Mrd. Dollar Rettungsaktion der Bush-Regierung für die Wall Street beschlossen. Das Gesetz wurde gegen den Willen der Bevölkerung mit der Begründung durchgesetzt, es sei unverzichtbar, um einen Zusammenbruch der Börsen und eine wirtschaftliche Depression zu verhindern. Seitdem hat die Federal Reserve bekannt gegeben, dass sie Banken, Unternehmen und Kommunen Finanzmarktpapiere abkaufen werde, um einer Kettenreaktion von Zusammenbrüchen vorzubeugen. Das Finanzministerium hat bestätigt, es ziehe in Betracht, mit Steuergeldern Bankaktien aufzukaufen, um diese zu stützen.
Keine dieser Maßnahmen hat die eingefrorenen Kreditmärkte wieder flüssig gemacht, denn fehlendes Vertrauen in das Finanzsystem hat dazu geführt, dass die Finanzinstitute Kredite nur noch äußerst zögerlich vergeben. Der entscheidende Libor-Zinssatz - der Zinssatz, zu dem sich Banken gegenseitig Geld leihen - steht immer noch auf Rekordhöhe.
George W. Bush, Finanzminister Henry Paulson, Zentralbankchef Ben Bernanke, die Kongressführer beider Parteien und die Präsidentschaftskandidaten der Demokraten und Republikaner, Barack Obama und John McCain, haben behauptet, der 700 Milliarden Dollar schwere Rettungsplan für die Banken werde ein Abgleiten der Börse verhindern und eine Rezession abwenden. Diese Behauptung hat sich als falsch erwiesen. Seit der Verabschiedung des Gesetzes am vergangenen Freitag ist der Dow Jones um 1.700 Punkte gefallen, und die Panik an den Finanzmärkten hat auf die Industrie übergegriffen.
Am Freitag treffen sich die Finanzminister und Zentralbankpräsidenten der G-7-Länder, um die Krise zu diskutieren. Finanzminister Paulson hat außerdem ein Dringlichkeitstreffen der G-20-Gruppe für das Wochenende einberufen. Dazu gehören auch China, Indien und Südkorea.
Trotz Rettungsprogrammen der Regierungen in Europa und weiterer Zinssenkungen gestern in Asien hält die Panik auf den internationalen Aktienmärkten an. Die großen europäischen Börsen gaben gestern weiter nach, und heute früh, zu Handelsbeginn, fielen sie auch in Asien scharf ab, wo sie gestern uneinheitlich waren. Der japanische Nikkei-Index fiel um 11,28 Prozent, der südkoreanische Kospi um 7,5 Prozent, und der australische S&P/ASX 200 fiel um mehr als sieben Prozent.
Jeder fordert heute "internationale Zusammenarbeit", aber kein einziger führender Politiker kann mit einem Plan gegen die Krise aufwarten. Der Kommentator der New York Times, Floyd Norris, wies auf einen wichtigen Unterschied zwischen den Börsencrashs an der Wall Street von 1987 und dem von 2008 hin: "Sofort nach dem Krach von 1987 senkte die Fed massiv die Zinsen und stattete die Banken mit Kapital aus", schrieb er. "Das konnte die Panik eindämmen. Dieses Jahr hat die Fed das alles und noch viel mehr getan, noch ehe der Absturz einsetzte."
Wenn die offizielle Politik überhaupt von einer Theorie angeleitet wird, dann von der Vorstellung, dass für die Große Depression, die auf den Wall Street Krach von 1929 folgte, bestimmte politische Entscheidungen verantwortlich waren. Besonders Zentralbankchef Bernanke zog aus seinem Studium der 1930er Jahre den Schluss, dass der Zusammenbruch die Folge der Hochzinspolitik der Fed war, und dass man ihn hätte vermeiden können, wenn genug Geld in das Finanzsystem gepumpt worden wäre. Die Tatsache, dass eine solche Politik in der aktuellen Krise tatsächlich angewandt wurde, aber gescheitert ist, weist auf eine tiefe historische Krise des amerikanischen und Weltkapitalismus hin.
Jahrzehnte der Spekulation an der Wall Street, von der Niedrigzinspolitik der Fed noch angeheizt, und die Aufhebung von Regulierungen gingen mit der systematischen Unterhöhlung der amerikanischen verarbeitenden Industrie einher. Finanzmanipulationen und -Parasitismus sind gerade deshalb jetzt geplatzt, weil die Schaffung von Reichtum von der Schaffung realer Werte im Produktionsprozess völlig losgelöst wurde. Das neue Stadium der Weltwirtschaftskrise, das auch die verarbeitende und die Verbrauchsgüterindustrie ergriffen hat, enthüllt den wahren Grund der Finanzkrise: Den bis ins Mark verrotteten Zustand des amerikanischen Industriekapitalismus’.
Alle Maßnahmen, die in den USA und weltweit erwogen werden, um die Krise zu lösen, haben eins gemeinsam: Sie alle gehen davon aus, die Interessen der Finanzaristokratie zu sichern. Niemand hat einen Plan, wie die soziale Krise zu lösen sei, die Hunderte Millionen Arbeiter in den USA und weltweit betrifft. Und diese Krise wird immer schärfer. Die Arbeitslosigkeit steigt in den zweistelligen Bereich, Rentenersparnisse werden vernichtet, Armut und Zwangsversteigerungen nehmen zu, und die Fälle mehren sich, wo Strom und Gas abgeschaltet werden.
Die einzige rationale Antwort auf dieses Chaos und das soziale Elend besteht darin, das bankrotte Profitsystem durch den Sozialismus zu ersetzen. Die Banken und Finanzhäuser müssen den Händen der Finanzelite entrissen und in öffentliche Versorgungsunternehmen verwandelt werden, die von der arbeitenden Bevölkerung kontrolliert werden. Auch die großen Industriekonzerne müssen enteignet werden. Nur auf dieser Grundlage kann der von der Arbeiterklasse geschaffene Reichtum dazu dienen, die Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen, statt den unersättlichen Profithunger und das Streben nach persönlicher Bereicherung der herrschenden Elite zu stillen.
Die globale Wirtschaft muss auf einer progressiven Grundlage tatsächlich integriert werden. Dazu müssen die irrationalen und destruktiven Beschränkungen beseitigt werden, die das veraltete Nationalstaatensystem der Menschheit auferlegt. Dann erst ist eine gesellschaftliche und ökonomische Entwicklung möglich, die auf weltweiter Planung beruht.
Das erfordert die Vereinheitlichung der Kämpfe der internationalen Arbeiterklasse, die politische Unabhängigkeit der Arbeiterklasse von den Parteien und politischen Repräsentanten der Wirtschaft und die Bildung einer Arbeiterregierung.
Das ist die Politik der Socialist Equality Party und ihrer Präsidentschafts- und Vizepräsidentschaftskandidaten, Jerry White und Bill Van Auken. Wer die Notwendigkeit für diese sozialistische Alternative sieht, sollte unseren Wahlkampf unterstützen und Mitglied der SEP werden.