Der Verrat des französischen Eisenbahnerstreiks und die Rolle der LCR

Die erste Machtprobe zwischen Präsident Nicolas Sarkozy und der französischen Arbeiterklasse hat mit einer bitteren Niederlage geendet. An dieser Tatsache kommt man nicht vorbei. Die Streikenden sind nach zehn Tagen an die Arbeit zurückgekehrt, ohne dass die Regierung die Reform ihrer Renten, der régimes spéciaux, zurückgenommen hätte. Die Gewerkschaften verhandeln nur noch um den Preis ihrer Kapitulation.

Die französische und die internationale Wirtschaftspresse triumphieren. Die Reform der régimes spéciaux, die "Mutter aller Reformen", habe die öffentliche Meinung überzeugt, "dass sich in diesem Land alles verändern muss", jubelt der Figaro. Als nächstes stünden nun "die Abspeckung des öffentlichen Sektors sowie die Verringerung der Defizite des Haushalts und der Sozialkassen" auf dem Programm.

Die Streikenden sind in diesem Kampf nicht besiegt, sondern verraten worden. Die erste Pflicht besteht darin, sich über die Tatsache und das Ausmaß dieses Verrats Rechenschaft abzulegen. Eine schonungslose Analyse seiner Ursachen ist die Voraussetzung, um zukünftige Kämpfe vorzubereiten und weitere Niederlagen zu vermeiden.

Wer - wie Olivier Besancenot von der Ligue Communiste Révolutionnaire - behauptet, es sei "Nicolas Sarkozy nicht gelungen, die soziale Bewegung zu brechen", es handle "sich weder um eine moralische Niederlage noch um eine Niederlage in der Sache", deckt die reaktionäre Rolle der Verantwortlichen des Verrats - der Gewerkschaften, der linken Parteien, Lutte Ouvrières und der LCR selbst -, die alle bewusst darauf hingearbeitet haben, den Streik zu isolieren und in eine Niederlage zu führen.

Die Bourgeoisie versteht sehr genau, was geschehen ist. Was immer das Ausmaß zukünftiger Kämpfe sein mag, sie verlässt sich darauf, dass dieselben Kräfte ihr Äußerstes tun werden, um sie erneut zu verraten

Der Verrat des Eisenbahnerstreiks zeigt bereits jetzt schwerwiegende politische Folgen. Kaum waren die Streikenden an die Arbeit zurückgekehrt, entbrannten in den Vorstädten gewaltsame Jugendproteste. Beide Ereignisse stehen in unmittelbarem Zusammenhang. Das Abwürgen des Streiks hat die Isolation der unterdrücktesten Schichten der Gesellschaft verschärft, deren Zukunft untrennbar mit jener der Arbeiterklasse verbunden ist. Angesichts des Fehlens einer Perspektive macht sich die Wut und Frustration der Jugendlichen nun in gewaltsamen Vandalenakten Luft. Der Staat reagiert darauf, indem er massiv aufrüstet und die demokratischen Rechte aller Arbeiter angreift.

Alles hängt jetzt davon ab, dass die Lehren gezogen und eine politische Alternative zu den Organisationen aufgebaut wird, die für den Verrat verantwortlich sind.

Der Verrat der Gewerkschaften

Präsident Nicolas Sarkozy hat sich seit dem Frühjahr sorgfältig auf die Auseinandersetzung über die régimes spéciaux vorbereitet. Er wollte nicht dasselbe Schicksal erleiden wie Alain Juppé, der 1995 als Regierungschef einen ersten Anlauf unternommen hatte und durch den massiven Widerstand zu einem Teilrückzug gezwungen worden war, der ihn schließlich das Amt kostete.

Bereits vor seiner Amtsübernahme hatte sich Sarkozy mit den Führern der drei wichtigsten Gewerkschaftsverbände, Bernard Thibault (CGT), François Chérèque (CFDT) und Jean-Claude Mailly (FO), getroffen und ihnen eröffnet: "Ich will Ihnen Eines sofort sagen: Diese Reform (der régimes spéciaux) werde ich machen. Der Rest ist Verhandlungssache." (le monde 26. November ) Seither ließ er den Gesprächsfaden nicht mehr abreißen. Mal öffentlich, mal unbemerkt traf er sich mit Gewerkschaftsführern zu Gesprächen und zum Essen. Mit dem CGT-Führer im Energiesektor, Frédéric Imbrecht, ist Sarkozy mittlerweile auf Du.

Auch Arbeitsminister Xavier Bertrand umgarnte die Gewerkschaftsführer. In seinem Amtssitz an der Rue de Grenelle empfing er sie regelmäßig zum Apéro in ungezwungener Atmosphäre. Insgesamt hat er nach eigenen Angaben rund 80 Stunden in Gesprächen mit ihnen verbracht. Als Sarkozy und Bertrand schließlich den régimes spéciaux den Kampf ansagten, konnten sie sich der Unterstützung der Gewerkschaften absolut sicher sein.

Die letzten Zweifel beseitigte Bernard Thibault am Vorabend des Streiks, als er dem Arbeitsminister die Aufnahme von Verhandlungen auf Branchenebene anbot. Thibaults Botschaft war unmissverständlich: Er hatte sich mit den Kernpunkten der Reform abgefunden und war bereit, über deren Ausgestaltung zu verhandeln.

Thibault war allerdings nicht in der Lage, den sofortigen Abbruch des Streiks herbeizuführen. Der Widerstand an der Basis war zu groß. Daher verlegte er sich auf eine Ermattungsstrategie. Man ließ den Streik ohne Unterstützung von oben weiterlaufen, bis er sich von selbst erschöpft hatte. Trotz der hohen Kosten für die Wirtschaft unterstützte Sarkozy diese Strategie. "Man muss den Soldaten Thibault retten", zitiert ihn le monde (26. November ). Man müsse "ihm die Zeit geben, seine Mitglieder zu überzeugen, dass sie in einem langen Konflikt nichts zu gewinnen haben."

Sarkozy wusste, dass er die Gewerkschaften auch in Zukunft noch brauchen wird, wie ein Kommentar des Figaro vom 22. November deutlich machte: "Der Staatschef will den Ton gegenüber den Gewerkschaften, die Schwierigkeiten mit ihrer Basis haben, nicht verhärten. Er weiß, dass er sie für die Fortsetzung der Reformen benötigt: Arbeitsrecht, Fusion von Arbeitsvermittlung und Arbeitslosengeld, Renten im Privatsektor, Berufsbildung. ‚Die régimes spéciaux sind nur der Aperitif, für die anderen Reformen brauchen wir verantwortliche Gewerkschaften’, rechtfertigt dies Elysée-Sprecher David Martinon."

Einen Tag nach den Großdemonstrationen vom 20. November war es dann so weit. Die Gewerkschaften setzten sich an den Verhandlungstisch. Am folgenden Morgen erzwangen ihre Vertreter in den Generalversammlungen den Streikabbruch. Mit am Tisch saß auch der Vertreter der Gewerkschaft SUD (Solidaires, Unitaires, Démocratiques), die sich bisher als besonders energische Gegnerin von Verhandlungen ausgegeben hatte.

Wer die Entwicklung der Gewerkschaften während der letzten drei Jahrzehnte verfolgt hat, kann über das Verhalten der CGT und von SUD nicht überrascht sein. Der Übergang der Gewerkschaften ins Lager des Klassengegners ist ein internationales Phänomen, das sich direkt aus dem Charakter und der Perspektive dieser Organisationen ergibt. Da die Anstrengungen der Gewerkschaften darauf ausgerichtet sind, mit den Unternehmen Löhne und Arbeitsbedingungen auszuhandeln, sind sie an einer reibungslosen Funktion der kapitalistischen Wirtschaft interessiert und nehmen gegenüber dem Klassenkampf - d.h. dem politischen Kampf gegen den Kapitalismus - eine organisch feindliche Haltung ein. Nationalistisch bis ins Mark, sind sie überzeugt, dass Sarkozys "Reformen" notwendig sind, um Frankreichs Rang in der Weltwirtschaft und der Weltpolitik zu vereidigen.

Die Geschichte der CGT ist in dieser Hinsicht symptomatisch. Schon 1953 und 1968 nutzte sie ihre Macht, um zwei Generalstreiks mit großem revolutionärem Potential unter Kontrolle zu bringen und abzuwürgen. Beide Male ließ sie sich den Ausverkauf mit großen materiellen Zugeständnissen an die Arbeiter vergüten. Unter den Auswirkungen der Globalisierung schmolz dann der Spielraum für soziale Kompromisse dahin. Nun ist die CGT völlig ins Lager der konservativen Regierung übergelaufen. Anders lassen sich die stundenlangen Techtelmechtel mit Sarkozy und Bertrand nicht interpretieren.

Wie LCR und LO den Ausverkauf unterstützt haben

Die Gewerkschaften waren bereits zu Beginn des Streiks stark diskreditiert. Auf den Streikversammlungen herrschte offenes Misstrauen. Die meisten Diskussionen drehten sich um die Frage, wie ein Ausverkauf durch die Gewerkschaftsapparate verhindert werden könne. Resolutionen, die vor einem Abschluss ohne vorherige Konsultation der Basis warnten, fanden rege Zustimmung.

In den vergangenen zwölf Jahren haben die französischen Arbeiter reichhaltige Erfahrungen damit gemacht, wie die Gewerkschaften den großen sozialen Kämpfe die Spitze brachen und diese schließlich ausverkauften.

1995 war nicht der Erfolg, als der er heute dargestellt wird. Damals streikten Hunderttausende Arbeiter dreieinhalb Wochen lang für die Verteidigung von Sozialleistungen, Renten, Krankenversicherung und Arbeitsplätzen. Millionen beteiligten sich an Demonstrationen. Die Gewerkschaften achteten sorgfältig darauf, dass die rechte Regierung nicht in Gefahr geriet, und erstickten schließlich die Bewegung, indem sie einen faulen Kompromiss vereinbarten. Der umstrittenste Teil des Plans wurde zurückgenommen, während alles andere in Kraft blieb. Premierminister Alain Juppé konnte vorerst im Amt bleiben, und Präsident Jacques Chirac erhielt die nötige Zeit, um einen geregelten Regierungswechsel vorzubereiten.

2003 unternahm dann die Regierung einen erneuten Angriff auf die Renten und setzte sich trotz massiver Proteste durch. Die CFDT unterstützte die Pläne der Regierung offen, während CGT und FO eine Taktik der verzettelten Streiks verfolgten und explizit erklärten, es sei nicht ihr Ziel, die Regierung zu stürzen. François Fillon, damals noch Arbeitsminister, dankte Bernard Thibault hinterher ausdrücklich für seine "verantwortungsbewusste Haltung".

An der Bewegung gegen den Ersteinstellungsvertrag CPE im Frühjahr 2005 beteiligten sich die Gewerkschaften dann nur noch, um sie zu drosseln und unter Kontrolle zu halten.

Ebenso diskreditiert wie die Gewerkschaften sind die Sozialistische und die Kommunistische Partei. Von der Niederlage Lionel Jospins, der 2002 nach fünf Jahren an der Regierung in der Präsidentenwahl vom rechtsextremen Jean-Marie Le Pen geschlagen wurde, haben sie sich nie wieder erholt. Seither sind sie immer weiter nach rechts gerückt.

Bei der diesjährigen Präsidentenwahl versuchte die Sozialistische Partei sogar, Sarkozy rechts zu überholen. Nach der Wahlniederlage wechselten führende Mitglieder direkt in Sarkozys Lager. Im Eisenbahnerstreik versucht die Sozialistische Partei noch nicht einmal mehr den Anschein zu erwecken, sie verteidige die Interessen der Arbeiter. Sie unterstützt den Kernpunkt von Sarkozys Reform, die Anhebung der Lebensarbeitszeit von 37,5 auf 40 Jahre. Parteichef François Hollande kritisierte nur Sarkozys "konfrontativen Stil", nicht aber den Inhalt seiner Politik. Er rief die Streikenden eindringlich auf, möglichst schnell an den Verhandlungstisch zurückzukehren.

Die Diskreditierung der Gewerkschaften und der offiziellen linken Parteien hat der radikalen Linken eine außergewöhnliche Stellung eingeräumt. Lutte Ouvrière, und in jüngster Zeit verstärkt die Ligue Communiste Révolutionnaire, sind fester Bestandteil des offiziellen politischen Lebens geworden. 2002 stimmten fast zehn Prozent der Wähler für ihre Präsidentschaftskandidaten Arlette Laguiller und Olivier Besancenot. Und auch in diesem Jahr votierten 1,5 Millionen Wähler für Besancenot.

LO und LCR haben ihre Autorität eingesetzt, um den Verrat der Gewerkschaften und der offiziellen Linken abzudecken und eine Rebellion gegen diese Organisationen im Keim zu ersticken. Sie tragen die Hauptverantwortung für den Ausverkauf des Streiks. Hätte sie ihren Einfluss genutzt, um dem Verrat der Gewerkschaften entgegenzutreten, die Arbeiter zu warnen und zum Widerstand aufzurufen, hätte dies zweifellos Wirkung gezeigt. Doch nichts lag ihnen ferner. Sie bemühten sich gezielt, jede Rebellion gegen die bürokratischen Apparate zu unterdrücken.

In den Verlautbarungen von LCR und LO sucht man vergebens nach Kritik an den Gewerkschaften oder nach Initiativen, die den lähmenden Einfluss dieser Organisationen überwinden könnten. Ihre Mitglieder vor Ort gebärdeten sich als loyale Gewerkschaftsmitglieder. SUD, in der die LCR über einigen Einfluss verfügt, verlieh dem Ausverkauf mit der Teilnahme an den Verhandlungen den Stempel der Legitimität. Olivier Besancenot richtete mehrere Appelle an die Sozialistische und die Kommunistische Partei, gemeinsam mit der LCR den Streik zu unterstützen, obwohl er wusste, dass diese Parteien auf der Seite der Regierung stehen.

LO setzte dem ganzen die Spitze auf, indem sie mitten im Streik ankündigte, sie werde in den kommenden Kommunalwahlen erstmals in ihrer Geschichte gemeinsame Listen mit der Sozialistischen Partei aufstellen. Während die Streikenden täglich mit der Feindschaft der Sozialistischen Partei konfrontiert waren, sprach ihr LO das Vertrauen aus!

Wie zynisch und bewusst die LCR die Bürokratie verteidigte, zeigte eine öffentliche Versammlung der Partei am 22. November in Paris. Das Treffen mit Olivier Besancenot als Hauptredner war von langer Hand vorbereitet worden. Schließlich kamen etwa 2.000 Teilnehmer in den großen Saal der Mutualité im Quartier Latin.

Am Tag zuvor hatten sich die Gewerkschaften an den Verhandlungstisch gesetzt, am selben Tag die meisten Generalversammlungen den Abschluss des Streiks beschlossen. Doch Besancenot ging mit keiner Silbe auf den Verrat der Gewerkschaften ein und versuchte die Niederlage als Erfolg darzustellen. Er feierte den Streik als Ausdruck einer unaufhaltsamen Bewegung, die weiter anwachsen und Sarkozy zum Rückzug zwingen werde. Die soziale Bewegung sei nicht zu Ende, sie gehe weiter und sei permanent, verkündete er. Nun gelte es, "die Kräfte zu sammeln, damit die Macht der Straße noch stärker werde, um die Reformen rückgängig zu machen".

Diese Art hohler Siegesrhetorik gehört zum Standartrepertoire eines jeden Gewerkschaftsbürokraten. Sie dient dazu, von der eigenen Verantwortung abzulenken, den Blick auf die politischen Schlussfolgerungen zu vernebeln und den nächsten Verrat vorzubereiten. Die LCR ist Expertin in dieser Art Demagogie.

Kleinbürgerliche Parteien

LCR und LO werden in den Medien als "extreme Linke" und als "Trotzkisten" bezeichnet. In Wirklichkeit sind sie kleinbürgerliche Parteien. Ihr Trotzkismus hat rein fiktiven Charakter. Mit dem theoretischen und politischen Erbe der trotzkistischen Bewegung haben sie nicht das Geringste gemein.

40 Jahre nach den Mai-Juni-Ereignissen von 1968 sind sie fester Bestandteil des bürgerlichen Politikbetriebs. Sie verfügen über Verbindungen in alle Winkel von Politik und Gesellschaft. Ihre Weltanschauung, ihr Lebensstil und ihre gesellschaftlichen Interessen binden sie durch tausenderlei Fäden an die Bourgeoisie und ihre Institutionen. In den politischen Parteien, der Wirtschaft, der Kultur und den Universitäten gibt es Hunderte ehemalige LCR-Mitglieder, die große Karriere gemacht und dabei die Verbindung zur Partei ihrer Jugend nie ganz abgebrochen haben.

Wer von Deutschland oder Amerika nach Frankreich kommt, ist überrascht, mit welcher Zuvorkommenheit Besancenot von den Medien behandelt wird. Als er am 19. November, mitten im Eisenbahnerstreik zur besten Sendezeit eine Dreiviertelstunde lang von den Sendern France Inter und i>Tele interviewt wurde, schaltete le monde eigens eine dreispaltige Anzeige, um auf den Auftritt des LCR-Stars aufmerksam zu machen.

Die herrschende Elite ist sich des Vakuums bewusst, das der Niedergang der Gewerkschaften und der offiziellen Linksparteien hinterlassen hat. Sie muss es unbedingt ausfüllen, um einer revolutionären Entwicklung zuvorzukommen. Diese Aufgabe erfüllen LO und LCR. An ihrem Verhalten ist nichts Zufälliges. Sie sind kein zentristischer Ausdruck der Linksentwicklung von Arbeitern und Jugendlichen. Sie haben bewusst zur Isolation und Niederlage des Streiks beigetragen. Ihre Rolle war von vornherein einkalkuliert.

LO ist der Vierten Internationale, der von Trotzki gegründeten Weltpartei der Sozialistischen Revolution, nie beigetreten. Sie sah darin stets ein Hindernis für ihre Anpassung an das nationale Milieu der Gewerkschaften.

Das pablistische Vereinigte Sekretariat, dem die LCR als französische Sektion angehört, hat 1953 mit dem Programm der Vierten Internationale gebrochen. Es betrachtete die Arbeiterklasse nicht mehr als revolutionäre Kraft und wandte sich stalinistischen und kleinbürgerlichen nationalistischen Bewegungen zu - der algerischen FLN, Fidel Castro, den nicaraguanischen Sandinistas und - heute - Hugo Chavez und Evo Morales. In Frankreich hat sich die LCR jahrelang um ein Bündnis mit der Kommunistischen Partei bemüht. So hat sie sich darauf vorbereitet, in die Bresche zu springen, die die Sozialistische Partei hinterlassen hat.

Im Januar will die LCR eine neue "antikapitalistische Partei" gründen, die explizit nicht revolutionär, sondern reformistisch ist. Die neue Partei werde eine "kämpferische" Partei sein, aber "keine elitäre Avantgardepartei", erläuterte Besancenot in der Mutualité. Sie werde nicht trotzkistisch sein, sondern das Positive aller Traditionen - libertärer, trotzkistischer, guevaristischer, kommunistischer - aufnehmen. Die Periode, die mit der Oktoberrevolution von 1917 begonnen habe, sei mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion endgültig abgeschlossen worden. Nun gelte es einen "Sozialismus des 21. Jahrhunderts" zu entwickeln. Wir lebten in einer neuen Periode, die ein neues politisches Programm und neue Methoden erfordere.

Deutlicher könnte man die Absage an den Marxismus nicht formulieren. Besancenots "antikapitalistische Partei" erinnert stark an die deutsche Linkspartei, die italienische Rifondazione Comunista und die brasilianische Arbeiterpartei Lulas. Alle drei wurden als Reaktion auf die Linksentwicklung der Arbeiterklasse gegründet. Alle drei fielen der Arbeiterklasse in den Rücken und übernahmen Verantwortung in bürgerlichen Regierungen. Und an allen drei Parteien hatten sich die örtlichen Gesinnungsgenossen der LCR beteiligt.

Besancenot, der der neuen Partei als Aushängeschild dient, ist die lebendige Verkörperung ihres betrügerischen Charakters. Er soll das Bild des jugendlichen, unverbrauchten Arbeiters projizieren, der seinen Lebensunterhalt durch das Austragen von Briefen verdient. Schon daran ist nichts wahr. Der 33-jährige Familienvater verfügt über ein Universitätsdiplom als Historiker und hat zwei Jahre lang als Assistent Krivines im Europaparlament gearbeitet. Sein Teilzeitjob als Postbote dient vor allem Image-Zwecken. Den Lebensunterhalt seines Sohnes muss er von dem mageren Postgehalt jedenfalls nicht bestreiten. Seine Lebensgefährtin verdient als literarische Direktorin eines großen Verlags ein Vielfaches.

Besancenot ist eine typische Medienfigur, die ihre Unwissenheit, Ignoranz und Oberflächlichkeit durch Redegewandtheit überdeckt. Für die Traditionen der trotzkistischen Bewegung hat er nur Verachtung übrig. Der Jugend preist er Che Guevara als Vorbild an, einen politischen Opportunisten und Abenteurer, der zahlreiche Jugendliche bewogen hat, der Arbeiterklasse den Rücken zu kehren und sich auf einen aussichtslosen Guerillakrieg einzulassen.

Eine internationale Perspektive

Die Arbeiterklasse ist und bleibt die entscheidende revolutionäre Kraft in der bürgerlichen Gesellschaft. Die Streiks und Proteste in Frankreich kündigen heftige Klassenkämpfe in ganz Europa an. Wachsende Teile der Arbeiterklasse und der Jugend haben die Hoffnung auf eine friedliche Verbesserung ihrer Lage aufgegeben. Der Mut und die Hartnäckigkeit, mit denen die französischen Bahnarbeiter ihren Streik eine Woche lang gegen massiven öffentlichen Druck und die Sabotage der Gewerkschaften aufrechterhalten haben, zeigen dies.

Doch das zentrale Problem bleibt die Frage der politischen Führung. Solange die Arbeiterklasse von Karrieristen und Opportunisten beherrscht wird, die nach einem festen Platz im bürgerlichen Politikbetrieb streben, sind weitere Niederlagen unvermeidlich.

Die soziale und politische Lage spitzt sich rasch zu. Irakkrieg, globale Finanzkrise und verschärfte internationale Spannungen treiben die herrschende Klasse dazu, in ganz Europa amerikanische Verhältnisse einzuführen. Großmachtpolitik und Militarismus vertragen sich nicht mit staatlich finanzierten Sozialprogrammen, der globale Wettbewerb nicht mit hohen Steuer- und Sozialabgaben. Alle Hindernisse, die der ungehemmten Vorherrschaft des Profitprinzips im Wege stehen, sollen aus dem Weg geräumt, die elementarsten gesellschaftlichen Bedürfnisse - Arbeit, Bildung, Kranken- und Altersversorgung und vernünftige Löhne - den Gesetzen der Profitmaximierung und der Bereicherungssucht einer kleinen Elite untergeordnet werden.

Diese Angriffe lassen sich nicht im nationalen Rahmen abwehren. Die Arbeiterklasse muss sich europa- und weltweit zusammenschließen. Sie ist überall mit denselben Problemen und denselben Gegnern konfrontiert.

In Deutschland kämpfen die Lokführer seit einem halben Jahr um bessere Arbeitsbedingungen und Löhne. Sie werden dabei nicht nur von der Regierung und der Unternehmensleitung attackiert, sondern auch von den großen Gewerkschaften, der SPD und der Linkspartei, die gegen die Forderungen der Lokführer hetzen und offenen Streikbruch organisieren.

Eine neue politische Führung muss auf der Grundlage einer wirklich europäischen und internationalen Perspektive aufgebaut werden. Die herrschende Klasse hat sich längst international organisiert. Hinter Sarkozy stehen die Europäische Union und die europäischen Regierungen. Die Arbeiterklasse braucht ihre eigene internationale Organisation, Sie darf sich nicht länger von Land zu Land auseinanderdividieren lassen. Sie muss der Europäischen Union der Banken und Konzerne die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa der Arbeiter entgegenstellen.

Das Anwachsen von Arbeitslosigkeit und sozialer Ungleichheit kann nur durch eine sozialistische Politik überwunden werden, die die menschlichen Bedürfnisse über das Profitprinzip stellt und die großen und lebenswichtigen Konzerne in gesellschaftliches Eigentum überführt.

Die Partei für Soziale Gleichheit in Deutschland und die Socialist Equality Party in Großbritannien appellieren an alle Arbeiter und Jugendlichen in Frankreich, wendet Euch den Perspektiven des Internationalen Komitees der Vierten Internationale (IKVI) zu und baut eine Sektion in Frankreich auf. Das IKVI wurde 1953 gegründet, um das trotzkistische Erbe gegen den Opportunismus von Pablo und Mandel zu verteidigen. Die PSG ist seine deutsche, die SEP seine britische Sektion.

Siehe auch:
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