Die jüngst von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) in der Bild -Zeitung vorgetragene Attacke gegen Arbeitslose: "Es gibt kein Recht auf Faulheit in dieser Gesellschaft" bildet den Auftakt für einen grundlegenden Angriff auf Sozialleistungen und Löhne. Es ist die erste deutliche Reaktion der rot-grünen Bundesregierung auf Anzeichen einer weltweiten Wirtschaftskrise.
In dem Zeitungsinterview forderte der Kanzler die Arbeitsämter dazu auf, noch rigoroser als bisher den Arbeitslosen die Unterstützung zu entziehen, wenn diese nicht bereit seien, jede Stelle annehmen, die ihnen angeboten wird. Schröder wörtlich: "Wer arbeiten kann, aber nicht will, der kann nicht mit Solidarität rechnen."
Nicht nur Arbeitsloseninitiativen reagierten empört auf Schröders Attacken. Besonders in Ostdeutschland, wo die Arbeitslosenquote mehr als doppelt so hoch ist wie im Westen, wächst die Wut. "Fehlende Jobs kann man nicht ablehnen," betonte sogar der Hauptgeschäftsführer der Industrie und Handelskammer Südwestsachsen, Wolfram Hoschke. Viele Menschen hätten Arbeit weit unter tariflicher Bezahlung angenommen und seien sogar bereit, unter dem Sozialhilfesatz zu arbeiten, "weil sie Arbeitslosigkeit als Schande empfinden", berichtete er der Süddeutschen Zeitung. Obwohl viele von ihnen trotzdem bereits mehrmals arbeitslos wurden, sei es nicht fair, diese Menschen als Drückeberger zu bezeichnen.
Schröders Tiraden gegen die Arbeitslosen klingen vertraut. 16 Jahre lang hatte die Kohl-Regierung die Arbeitslosen in ähnlicher Weise beschimpft. 1993 rief der damalige Kanzler Helmut Kohl (CDU) im Bundestag: "Wir können die Zukunft nicht dadurch sichern, dass wir einen kollektiven Freizeitpark organisieren." Bereits damals wurden die "Zumutbarkeits-Richtlinien", das heißt, die Bedingungen, unter denen Arbeitslose gezwungen werden können, Billiglohnjobs anzunehmen, deutlich verschärft und die Sperrfristen bei Verweigerung einer "zumutbaren" Arbeit erhöht.
Nach seinem Wahlsieg erklärte Gerhard Schröder, er werde nicht die Arbeitslosen angreifen, sondern die Arbeitslosigkeit senken. Der Abbau der Massenarbeitslosigkeit sei sein vorrangiges Ziel. An diesem Ziel solle der Erfolg oder Misserfolg seiner Regierung gemessen werden. Seitdem ist die Arbeitslosigkeit im Bundesdurchschnitt nur geringfügig gesunken. In mehreren Gebieten Ostdeutschlands hat sie sogar deutlich zugenommen.
Schröder machte seine anfänglichen Versprechungen in der Erwartung eines starken Wirtschaftswachstums. Aber die wirtschaftliche Belebung in den ersten beiden Jahren der rot-grünen Koalition führten nicht zu mehr Beschäftigung, sondern zu verstärkter Arbeitshetze und Mehrarbeit. Im letzten Berichtsjahr 1999 stieg die Zahl der Überstunden auf 3,6 Milliarden, die Hälfte davon war unbezahlt.
Die zunehmenden Anzeichen einer Wirtschaftsrezession in den USA und Japan haben auf die stark exportabhängige deutsche Wirtschaft unmittelbare Auswirkungen. Nach den negativen Prognosen mehrerer Wirtschaftsinstitute, hat auch Finanzminister Hans Eichel (SPD) das erwartete Wirtschaftswachstum nach unten korrigiert. Angesichts dieser Situation beginnt Schröder eine gezielte Offensive, die darauf ausgerichtet ist, die Massenarbeitslosigkeit zu nutzen, um das traditionelle Lohngefüge aufzubrechen und amerikanische Verhältnisse von Billiglohnarbeit und "hire and fire" durchzusetzen.
Kanzler Schröder macht damit deutlich, dass er keine anderen Antworten auf die wachsenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten hat, als sein Vorgänger Helmut Kohl. Der einzige Unterschied besteht darin, dass in den Jahren der Kohl-Ära die SPD im Bundestag aus wahltaktischen Überlegungen die Kürzungen teilweise blockierte. Heute setzt sie genau die Angriffe durch, die sie vor einigen Jahren verhindert hat und übernimmt genau die Begründungen, die sie früher als inakzeptabel bezeichnete.
Die Rechtswende der SPD hat dazu geführt, dass im Bundestag nun eine große Koalition des Sozialabbaus besteht und Kürzungen vorbereitet werden, die alles bisherige in den Schatten stellen. Schröder entfachte mit seinen Äußerungen sofort einen Jubelchor unter den konservativen Parteien CDU/CSU und natürlich der FDP. Der neoliberale FDP-Generalsekretär Guido Westerwelle bescheinigte dem Kanzler einen "begrüßenswerten Gesinnungswechsel". Dem schlossen sich auch die Wirtschaftsverbände an.
Ein Blick auf die Einzelheiten zeigt deutlich den völlig unsozialen Charakter der rot-grünen Regierung. Die demagogische Behauptung, die Mehrheit der Arbeitslosen ruhe sich in einer "sozialen Hängematte" aus und habe kein ernsthaftes Interesse, Arbeit aufzunehmen, zielt darauf ab, den bisher bestehenden Rechtsanspruch auf Arbeitslosengeld abzuschaffen.
Um dies zu erreichen, wird in der gegenwärtigen Regierungs- und Medienkampagne die Tatsache ignoriert, dass es sich beim Arbeitslosengeld um Auszahlungen aus einer Versicherung handelt, in die Arbeiter und Angestellte oft Jahrzehnte lang einbezahlt haben. Wer nicht gearbeitet und nicht einbezahlt hat, hat auch bereits jetzt keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld. Nicht die Arbeitslosen haben widerrechtlich Gelder ihrer eigenen Versicherung beantragt, sondern die Regierung hat in der Vergangenheit immer wieder Milliardenbeträge aus der Arbeitslosenversicherung abgezogen und für andere, sachfremde Zwecke verwendet.
Vorbereitet wurden die gegenwärtigen Angriffe auf die Arbeitslosen von dem Flügel der SPD, der den Gewerkschaften am nächsten steht. Eine Schlüsselrolle dabei spielt der nordrhein-westfälische Arbeitsminister Harald Schartau (SPD), der bis zu seiner Ernennung zum Minister Bezirksleiter der IG-Metall in Nordrhein-Westfalen war.
Schartau hatte kürzlich in der Berliner Zeitung einen grundlegenden Umbau der Arbeitslosen- und Sozialkassen gefordert. Mit äußerst provozierenden Worten und unverhohlener Verachtung gegenüber den vier Millionen Arbeitslosen stellte er sein Konzept vor: "Es wird kein Geld gezahlt, weil jemand arbeitslos ist. Es wird Geld gezahlt, damit derjenige einen neuen Job bekommt. Wir sichern nicht in erster Linie die Existenz, sondern wir helfen, auf die eigenen Beine zu kommen. Das kann ich mit der Arbeitslosenhilfe so machen, aber auch mit der Sozialhilfe." Die reine Geldleistung trete dann in den Hindergrund. "Wir stellen gewissermaßen damit das Arbeitsförderungsgesetz vom Kopf auf die Füße."
Dass ehemalige Gewerkschaftsbürokraten wie er, oder der jetzige Bundesarbeitsminister Walter Riester, ehemals Zweiter Vorsitzender der IG-Metall, jetzt an der Spitze stehen beim Abbau von sozialen Rechten, spricht Bände über die Verwandlung der Gewerkschaften in Organe des betrieblichen Co-Managment und Stützen der Regierung beim Sozialabbau.
Bereits Anfang März hatte das Bundesarbeitsministerium entschieden, dass die Arbeitsämter ab Januar 2002 für jeden Arbeitslosen einen konkreten Plan mit speziellen Stellen- und Bildungsangeboten erarbeiten sollen. Was hier als "Bildungsoffensive" oder als "individuelles Vermittlungsangebot" daher kommt, ist in Wirklichkeit ein Programm von Zwangsmaßnahmen, um Arbeitslose zu zwingen, jede Art von Arbeit zu niedrigsten Löhnen anzunehmen.
Der Staatssekretär des Bundesarbeitsministerium, Gerd Andres (SPD) machte gegenüber der Hannoverschen Allgemeinen ziemlich offen, worum es der Bundesregierung geht. Er hatte ein "neues Verhältnis zwischen Sozialpflichten und Sozialrechten" angekündigt. Danach sehen Pläne des Ministeriums erweiterte Sperrfristen beim Arbeitslosengeld für Arbeitslose vor, falls sie ihren "konkreten Plan" nicht einhalten. Im Bundestag tönte er letzte Woche: "Niemand solle sich in der Arbeitslosigkeit einrichten". Im Sommer will die rot-grüne Koalition eine diesbezügliche Reform der Arbeitsförderung verabschieden.
Im Sozialgesetzbuch (SGB) sind bereits jetzt drakonische Strafen für denjenigen festgelegt, der eine "zumutbare Arbeit" oder Umschulung und Fortbildung ablehnt. Nach einer Statistik der Bundesanstalt für Arbeit (BA) wurde im vergangenen Jahr aus derartigen Gründen bei 74.000 Arbeitslosen die Unterstützung für drei Monate gesperrt und bei 17.000 vollständig gestrichen. Nach Paragraf 121 SGB gibt es für Arbeitslose keinen Berufsschutz mehr und jeder ist verpflichtet, berufsfremde Arbeit anzunehmen.
Bereits nach bestehendem Recht gilt in den ersten drei Monaten der Arbeitslosigkeit ein um 20 Prozent schlechter bezahlter Job als zumutbar. Nach vier bis sechs Monaten müssen Lohneinbußen von 30 Prozent hingenommen werden. Vom siebten Monat Arbeitslosigkeit an gilt jede angebotene Tätigkeit als zumutbar. Bei der täglichen Fahrzeit zum Arbeitsplatz soll die Zumutbarkeit von zweieinhalb auf drei Stunden erhöht werden. Sehr oft sind die neuen Arbeitsplätze befristet und nach kurzer Zeit beginnt das Spiel von neuem. So befinden sich viele Arbeitslose auf einer endlosen Abwärtsspirale.
Aber die neuen Pläne des Arbeitsministeriums richten sich nicht nur gegen die Arbeitslosen, die immer schneller in soziale Not abrutschen. Die hohen Verluste an den Aktienbörsen, die alleine am sogenannten Neuen Markt in den USA in den vergangenen zwölf Monaten 4,6 Billionen Dollar erreichten, haben die Hoffnungen auf eine ansteigende Konjunktur stark erschüttert. Angesichts des stärker werdenden internationalen Konkurrenzkampfs wird das relativ hohe deutsche Lohnniveau als nicht mehr zu akzeptierendes Wettbewerbshindernis betrachtet.
In dieser Situation benutzt die rot-grüne Bundesregierung die Massenarbeitslosigkeit als Brechstange gegen hohe Löhne. Indem Arbeitslose gezwungen werden, jede Art von Arbeit zu niedrigsten Löhnen anzunehmen, entsteht ein Heer von Billiglohnarbeitern, das dazu dient, die Tariflöhne auszuhebeln und eine deutliche Senkung des allgemeinen Lohnniveaus durchzusetzen.
Bisher hatte die Regierung versucht, viele Arbeitslose in Warteschleifen zu parken, in der Hoffnung auf ein Ansteigen der Konjunktur. Heute ist für jeden sichtbar, dass die verschiedensten Arbeitsbeschaffungs- (ABM), andere Strukturanpassungs- oder Qualifizierungsmaßnahmen nichts weiter waren, als ein Verschiebebahnhof in die Arbeitslosigkeit. Von den 650.000 Menschen, die sich im ersten Quartal 2001 arbeitslos gemeldet haben, kam die überwiegende Mehrheit aus ABM- oder Qualifizierungsmaßnahmen.
In diesem Zusammenhang lassen zwei Studien aufhorchen, die das Finanzministerium unter Hans Eichel (SPD) in Auftrag gegeben hat und die jetzt vorliegen. Beide Studien sollten sich die Maßnahmen für aktive Beschäftigungspolitik unter die Lupe nehmen. Sowohl das Gutachten vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung als auch das vom Institut für Wirtschaftsforschung in Halle kommen zu dem Ergebnis, das die 44 Milliarden Mark, die die Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg pro Jahr für ABM-Stellen, berufliche Weiterbildung und andere Maßnahmen ausgibt, nicht länger sinnvoll seien.
"Mittels aktiver Arbeitsmarktpolitik kann die Arbeitslosigkeit nicht entscheidend reduziert werden", heißt es in den Schlussfolgerungen. Derartige Maßnahmen würden die tatsächliche Arbeitslosigkeit nur verschleiern. So seien in Westdeutschland auf drei "offene Arbeitslose" noch ein "verdeckter" hinzugekommen; in Ostdeutschland betrug das Verhältnis gar drei zu zwei. Die Gutachten fordern die ABM-Löhne deutlich zu senken und den Anspruch auf Arbeitslosengeld nach einer ABM-Maßnahme ganz zu streichen. Auch hier ist die Stoßrichtung deutlich: das Heer der Arbeitslosen soll nicht länger verschleiert, sondern als Druckmittel eingesetzt werden, um einen Niedriglohnsektor zu schaffen.