New Yorker Polizei verhaftet über 100 Studierende der Columbia University, unterdrückt pro-palästinensische Proteste

Am Donnerstagnachmittag, den 18. April, kam es in New York zu einem brutalen staatlichen Übergriff auf pro-palästinensische Proteste. Mehrere Polizeihundertschaften des NYPD (New York Police Departement) stürmten den Campus der Columbia University in New York City und nahmen mehr als 100 friedlich protestierende Studierende fest. Es war das erste Mal seit über einem halben Jahrhundert, dass die Columbia University dem NYPD den Zutritt zum Campus gestattete, um Studierende zu verhaften.

Polizisten in Kampfmontur vor dem Universitätsgelände der Columbia University, während Studierende Parolen skandieren, Donnerstag, 18. April 2024 [AP Photo/Mary Altaffer]

Die Polizeistaatsaktion stand unter Leitung der Columbia-Präsidentin Dr. Minouche (Nemat) Shafik. Nur einen Tag zuvor hatte Shafik vor einer Kongressanhörung im McCarthy-Stil ausgesagt. Der Überfall markiert eine neue und gefährliche Etappe in den Angriffen auf demokratische Grundrechte in den USA und auf der ganzen Welt. Diese Angriffe richten sich im Wesentlichen darauf, den weit verbreiteten Widerstand gegen den Völkermord in Gaza zu unterdrücken.

Laut einer Pressemitteilung der Columbia Students for Justice in Palestine (SJP) vom Donnerstagabend wurden mehr als 120 Studierende verhaftet. In der Erklärung heißt es, dass die Wiese, auf der die Studierenden ein Zeltlager aufgestellt hatten, nach neuester Universitätspolitik ausdrücklich als „Zone der freien Meinungsäußerung“ ausgewiesen wurde.

In der SJP-Erklärung heißt es:

Das Gaza Solidarity Encampment wurde gegründet, um Druck auf die Columbia auszuüben, alle Gelder, einschließlich der Stiftungsgelder, von denjenigen Unternehmen abzuziehen [to divest], die von der israelischen Apartheid, dem Völkermord und der militärischen Besatzung in Palästina profitieren. Wir fordern eine bessere Rechenschaftspflicht mit vollständiger Transparenz für alle finanziellen Investitionen der Columbia.

Am Mittwoch frühmorgens um 04:00 Uhr hatten Columbia-Studierende das „Gaza Solidarity Encampment“ mit 50 Zelten auf dem South Lawn errichtet, um gegen die Anhörung vor dem Ausschuss des Repräsentantenhauses an diesem Tag zu protestieren, die sich insbesondere gegen die Columbia University richtete.

Initiiert wurde das Zeltlager von den Students for Justice in Palestine (SJP), der Jewish Voice for Peace (JVP) – beide seit vergangenen November an der Universität verboten – und von Columbia University Apartheid Divest (CUAD). Nach die Präsidentin Shafik vor den rechtsextremen Kongressvertretern bei der Anhörung einen Kotau vollzogen hatte, drohte die Universitätsverwaltung mit Massenausschlüssen und Verhaftungen. Daraufhin versammelten sich am Mittwochabend Hunderte Studierende und ihre Unterstützer auf dem Campus.

Wie die International Youth and Students for Social Equality (IYSSE) in einer Erklärung schrieben:

Die Anhörung im Kongress machte deutlich, dass es die herrschende Klasse in den USA auf nichts Geringeres abgesehen hat, als die Säuberung des Lehrkörpers und der Studentenschaft an den Universitäten, um die Hochschulbildung vollständig der Kriegsmaschinerie unterzuordnen. Wer es wagt, sich gegen die US-Außenpolitik auszusprechen, wird hinausgeworfen, auf eine schwarze Liste gesetzt und zur öffentlichen Zielscheibe von Angriffen durch Zionisten und Rechtsextreme gemacht.

Die Studierenden blieben von Mittwoch auf Donnerstag die ganze Nacht zur Besetzung im Zeltlager, und am Donnerstag nahmen die Proteste weiter zu.

Am frühen Donnerstagnachmittag ließ Shafik ihren Worten Taten folgen. Die Universitätspräsidentin schickte eine E-Mail an den gesamten Campus, in der sie mitteilte, dass sie die NYPD angewiesen habe, „mit der Räumung des Lagers zu beginnen“.

In einem separaten Schreiben richtete Shafik sich an die NYPD. Darin schrieb die Präsidentin:

Alle Studierende der Universität, die an dem Lager teilnehmen, wurden darüber informiert, dass sie suspendiert sind. Zu diesem Zeitpunkt sind die Teilnehmer des Lagers nicht berechtigt, sich auf dem Universitätsgelände aufzuhalten, und begehen Hausfriedensbruch.

NYPD-Busse vor dem Campus, bereit zur Verhaftung von Columbia–Studierenden, Donnerstag, 18. April 2024

Studentische Anführer der Campusbesetzung berichteten, dass sie am Donnerstagmorgen E-Mails erhalten hatten, in denen ihnen mitgeteilt wurde, dass sie suspendiert seien. Unter ihnen ist auch die Tochter der Minnesota-Abgeordneten Ilhan Omar, Isra Hirsi. Zuvor gab es schon eine Welle von Räumungen und Suspendierungen von Studierenden der New Yorker Universitäten Columbia und New York University.

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Schnell verbreitete sich die Kunde von den Verhaftungen in den sozialen Medien, und es wurde zu massenhafter Unterstützung und Verteidigung der Studierenden aufgerufen. Dies führte dazu, dass sich über 1.000 Studierende rings um die Zeltstadt auf dem Campus versammelten und Parolen skandierten.

Daraufhin sperrten hunderte Polizisten in Kampfmontur und Dutzende NYPD-Busse die an den Campus angrenzenden Straßen ab. Um 13:00 Uhr stürmte die Polizei das Lager, fesselte eine große Anzahl Studierender mit Kabelbindern und nahm sie fest.

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Aus einem NYPD-Lautsprecher dröhnte folgende Tonaufnahme: „Sie beteiligen sich derzeit an einem nicht genehmigten Lager. Sie werden verhaftet und wegen Hausfriedensbruchs angeklagt.“

Videoaufnahmen zeigen den NYPD-Kommissar Edward Caban, den Chef der Patrouille John Chell und den stellvertretenden Kommissar Kaz Daughtry (Leiter des NYPD-Drohnenprogramms), wie sie den Angriff leiten. Nach Angaben der SJP befanden sich nachweislich die NYPD Technical Assistance Response Unit, die Strategic Response Group und die Anti-Terrorism Unit auf dem Campus.

Unter den Massenverhaftungen waren auch jüdische Studierende und Assistenten. Nachdem das Lager platt gemacht worden war, verlegten Hunderte protestierender Studierende ihre Aktion an einen andern Ort und begannen, eine andere Rasenfläche des Campus zu besetzen, während sie pro-palästinensische und Anti-NYPD-Sprechchöre skandierten. Hunderte von Studierenden und Unterstützer setzten ihre Proteste außerhalb des Hauptcampus von Columbia fort.

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Joseph Kishore, Präsidentschaftskandidat 2024 der Socialist Equality Party (SEP), veröffentlichte am Donnerstagnachmittag eine Erklärung auf X/Twitter, in der es heißt:

Die Verhaftung von Studierenden an der Columbia University ist Teil des Angriffs auf Gegner des Gaza-Völkermords. Die Biden-Regierung und sowohl die Demokraten als auch die Republikanern unterstützen dies. Die Verhaftungen folgen auf die Aussage der Präsidentin der Columbia University, Nemat Shafik, vor dem Kongress unter dem falschen Vorwand, die Universitäten seien von „Antisemitismus“ überschwemmt – eine ungeheuerliche Verleumdung, die sich gegen die Gegner des Völkermords in Gaza richtet.

Shafik gab eine Erklärung ab, in der sie sagte, sie habe die NYPD-Gestapo auf den Campus eingeladen, weil die Gegner des Völkermords „für viele unserer Studierenden ein belästigendes und einschüchterndes Umfeld“ geschaffen hätten.

Lügen!

Alle Studierenden, die gegen den Völkermord protestiert haben, müssen freigelassen werden! Hinter Gitter gehören vielmehr all diejenigen, die den Völkermord durchführen und ihn bewaffnen und finanzieren, d.h. die Netanjahu-Regierung und ihre Komplizen in der Biden-Regierung.

Studierende, Dozenten an der Columbia und Anwohner äußern sich angesichts des gewalttätigen staatlichen Übergriffs auf friedliche Demonstrierende mit Schock, Wut und Trotz. Eine studentische Organisatorin schrieb auf X:

Gerade aus dem Gefängnis entlassen, nachdem die Columbia die NYPD eine Massenverhaftung von über 100 Studenten durchgeführt hat. Ich wurde von Barnard suspendiert und aus meiner Wohnung verwiesen. Dies hat mein Engagement für die Bewegung zur Befreiung Palästinas nur noch verstärkt, und ich verspreche, weiter für Divestment zu kämpfen.

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Ein Columbia-Ehemaliger sprach am Donnerstagabend bei einer Demonstration in der Nähe des Campus mit der World Socialist Web Site, prangerte die Kongress-Anhörung und das harte Vorgehen gegen die Demonstrierenden an und bezeichnete sie als „neuen McCarthyismus“. Er sagte: „Meiner Meinung nach ist das verabscheuungswürdig und richtet sich wirklich gegen die Grundsätze der Universität, sowohl gegen die Rede- und Meinungsfreiheit als auch gegen die Gedankenvielfalt.“

Außer Frage steht, dass die Verwaltung der Columbia University die Polizeirazzia in enger Abstimmung mit dem Demokratischen New Yorker Bürgermeister Eric Adams und dem Weißen Haus inszeniert hat. Adams gab am Donnerstagabend eine kurze Pressekonferenz, flankiert von hochrangigen NYPD-Beamten, um die Razzia zu verteidigen.

Die Botschaft ist klar: Jeder, der es wagt, öffentlich gegen einen Genozid zu protestieren, der durchgeführt wird mit Drohnen, Panzern und Flugzeugen, die von den Vereinigten Staaten hergestellt und bezahlt werden, kann verhaftet und von seiner Schule oder seinem Arbeitsplatz verwiesen werden und gerät ins Visier öffentlicher Schikanen und Angriffe.

Einen Tag vor der Polizeirazzia in Columbia wurden neun Google-Beschäftigte verhaftet, weil sie gegen die Beteiligung ihres Unternehmens am israelischen Völkermord protestiert hatten, und insgesamt 28 wurden entlassen. Die Razzia an der Columbia findet weniger als eine Woche nach der Razzia und Unterdrückung des Palästina-Kongresses in Berlin durch 900 deutsche Polizisten statt, bei der ebenfalls jüdische Aktivisten verhaftet und Einreiseverbote für prominente Politiker und Akademiker ausgesprochen wurden, selbst wenn sie sich online an das deutsche Publikum wandten.

Die IYSSE fordern ein sofortiges Ende der Unterdrückung der freien Meinungsäußerung an Universitäten und in den Betrieben. Alle verhafteten, suspendierten und ausgeschlossenen Studierenden, Dozenten und Organisationen müssen sofort freigelassen und wieder eingesetzt werden. Der Angriff auf die demokratischen Rechte der Studierenden ist ein Angriff auf die gesamte Arbeiterklasse.

Arbeiterinnen und Arbeiter in New York, in den USA und auf der ganzen Welt müssen sich für die Verteidigung dieser Studierenden gegen den staatlichen Angriff einsetzen.

Wir unterstützen Aufrufe zu Arbeitsniederlegungen von Studierenden und Lehrkräften, um gegen diesen ungeheuerlichen Angriff auf demokratische Rechte zu protestieren und ein Ende des Völkermords in Gaza und der Komplizenschaft der Universitäten zu fordern.

Bei der Entwicklung und Ausweitung der Proteste müssen Studierende und Jugendliche klar verstehen, was hinter den Angriffen steckt und wer ihre Feinde und Verbündeten sind.

Die Studierenden der Columbia University sehen sich mit der vollen Härte des Staats konfrontiert, weil sie sich gegen eine staatliche Politik des Völkermords in Gaza wehren, die inzwischen offen als solche bezeichnet wird. Doch dieser Völkermord kann nicht losgelöst von einer imperialistischen Neuaufteilung der Welt verstanden werden. Diese richtet sich nicht nur gegen Russland und den Iran, sondern auch gegen China. Die Fortführung dieses Kriegs ist mit der Aufrechterhaltung bürgerlich-demokratischer Herrschaftsformen unvereinbar.

Die Verwaltung der Columbia University ist durch tausend Fäden mit der Wall Street und der Demokratischen Partei verbunden. Deshalb geht sie auch so rücksichtslos gegen ihre eigenen Studierenden vor.

Daraus ergeben sich zwei grundlegende politische Schlussfolgerungen. Erstens: Appelle an die Demokratische Partei führen in die Sackgasse. Sie können nur zu einer Demoralisierung und Isolierung der Proteste führen. Zweitens: Der Kampf für die Verteidigung demokratischer Rechte und gegen imperialistischen Krieg und Völkermord kann nicht auf die Universitäten beschränkt werden. Er muss in der Arbeiterklasse verwurzelt sein, mit den Mitteln des Klassenkampfes geführt werden und sich auf ein revolutionäres sozialistisches Programm stützen.

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