Arbeiter in Deutschland solidarisieren sich mit Massenprotesten in Frankreich

In deutschen Betrieben treffen die Massenproteste der Gelbwesten in Frankreich auf große Sympathie. Viele Arbeiter sehen, dass sie mit der gleichen Politik im Interesse der Reichen konfrontiert sind und haben selbst die Faust in der Tasche. Das erlebten Kandidaten der Sozialistischen Gleichheitspartei (SGP) für die Europawahl 2019, als sie am Freitag an zahlreichen Orten mit Arbeitern diskutierten.

Im Industriepark Höchst im Frankfurter Westen sind seit dem Niedergang der einstigen Farbwerke Hoechst rund 90 Unternehmen mit über 20.000 Beschäftigten tätig. Hier verfolgen viele Arbeiter die Geschehnisse in Frankreich mit großer Aufmerksamkeit.

Eric, der eine Ausbildung als Chemiefacharbeiter macht, findet die Proteste in Frankreich berechtigt. „An den Gelbwesten können sich die Arbeiter in Deutschland ein Beispiel nehmen“, sagt Eric gegenüber Marianne Arens, die für die SGP bei den Europawahlen kandidiert. „Sie lassen sich nicht alles gefallen.“ Er berichtet, dass er ihre Bewegung über Facebook verfolgt: „Die Nachrichten bei uns sind nicht objektiv. Die sind nur darauf aus, die Gelbwesten schlecht zu machen, weil sie fürchten, dass es hier auch zu Protesten kommt.“

Auch im Industriepark gibt es Grund genug zu Protesten: Sanofi ist gerade dabei, über 300 Arbeitsplätze abzubauen. Auch bei Bayer AG sind die Arbeitsplätze nicht sicher. Der Konzern, der in Frankfurt eine Produktionsstätte für Pflanzenschutzmittel und eine Forschungsabteilung betreibt, hat angekündigt, 12.000 Arbeitsplätze zu vernichten. Fast jeder, der das Tor Ost passiert, kennt irgendwelche Kollegen bei Bayer und weiß, dass sie sich Sorgen um ihre Zukunft machen. „Die Arbeiter müssen nun dafür bezahlen, dass sich Bayer mit Monsanto verspekuliert hat“, sagt ein Chemiearbeiter.

„Die Franzosen machen es genau richtig“, findet Jörg, der als Zeitarbeiter im Industriepark arbeitet. Vor Jahren hatte er bei der Hoechst AG als Festangestellter angefangen, doch als Sanofi die Pharmasparte aufkaufte, nahm er die angebotene Abfindung und ging raus. Jörg erklärt: „In Deutschland wird zwar auch geschimpft, aber am Ende wird alles abgenickt. Die Franzosen gehen auf die Straße und wehren sich. Wenn es nötig ist, schließen sie sich zusammen und demonstrieren, das finde ich richtig. Man muss sich nicht alles gefallen lassen.“

Als Beispiel weist Jörg darauf hin, dass die Regierung das Rentenalter auf 67 angehoben hat. „Dabei weiß jeder, dass es für Arbeiter, die mit 15 anfangen und über vierzig Jahre Schichtarbeit leisten, meist gar nicht möglich ist, bis 67 durchzuhalten. Im Endeffekt läuft das Ganze auf eine Rentenkürzung hinaus!“ Jörg war sehr von der Bewegung in Frankreich angetan und trat dafür ein, dass sich deutsche Arbeiter solidarisieren und ebenfalls streiken sollten, um etwas zu erreichen: „Sonst kann man nicht erwarten, dass sich die Dinge ändern.“

Auch am BMW-Werk in Berlin-Spandau reagieren viele Arbeiter ausgesprochen positiv auf die Proteste in Frankreich. Sie halten die Daumen hoch oder rufen „So müssen wir es auch machen!“, wenn sie auf die Gelbwesten angesprochen werden. Einige reagieren zunächst aber auch etwas distanziert, weil sie vor allem von Ausschreitungen gelesen haben.

„Das liegt daran, dass in vielen Medien ein völlig falsches Bild gezeichnet wird“, sagt Benni, der im BMW-Werk Gabelstapler fährt. „Es wird überhaupt nicht gesagt, wofür die Bewegung steht. Es geht ja mittlerweile nicht mehr nur um Spritpreise, sondern um die Erhöhung der Löhne und der Renten und gegen die soziale Ungleichheit.“

Diese Fragen seien auch in Deutschland sehr relevant, sagt Benni. „Eigentlich müsste ein Generalstreik ausgerufen werden. Es bewegt sich erst etwas, wenn alle zusammen streiken. Die Bewegung in Frankreich müsste zu einer europäischen Bewegung werden.“

Der 27 Jährige hatte jahrelang in verschiedenen Leiharbeitsfirmen gearbeitet, obwohl er eine Ausbildung zum Lebensmitteltechniker abgeschlossen hat. Vor zwei Jahren wurde er dann als Leiharbeiter in einem Subunternehmen im BMW-Werk angestellt und vor einem Jahr dort übernommen – allerdings befristet. „Jetzt haben sie mich gerade um ein weiteres Jahr verlängert. Trotz sehr guter Leistungen und geringem Krankenstand erhalte ich keine unbefristete Stelle.“

Auf dieser Grundlage könne er keine Zukunft planen. Er ist seit drei Jahren mit seiner Freundin zusammen und sie wünschen sich Kinder. „Aber Kinder sind heute ein Luxusgut geworden, das wir uns nicht leisten können“, meint Benni. Die Kosten würden jedes Jahr steigen, aber sie bekämen nur ihren Niedriglohn.

Benni hat schon in den Tagen zuvor den Wahlaufruf der SGP gelesen und meint, dass die Partei gute Ansätze habe. Soziale Gleichheit müsse das Prinzip sein, nach dem die Gesellschaft organisiert ist.

Auch Michael findet die Bewegung in Frankreich gut und wünscht sich, dass sie ausgeweitet wird. „Wenn alle streiken würden, ein Generalstreik, dann würde sich etwas ändern!“ Er ist 48 Jahre alt und arbeitet bei Edeka. Er berichtet, wie die Mitarbeiter dort immer schärfer kontrolliert und unter Druck gesetzt werden. Er selbst wurde teilversetzt und muss jetzt jeden Tag zwei Stunden pendeln. Eigentlich will er umziehen, aber daran ist angesichts der steigenden Mieten nicht zu denken. „Das wird hier immer mehr wie in den USA. Du brauchst drei Jobs, um dich über Wasser zu halten.“

Besonders bemerkenswert an den Gelbwesten in Frankreich findet er, dass sie unabhängig von den Gewerkschaften stattfinden, denn mit diesen hat er schlechte Erfahrungen gemacht. „Die reden nur blabla, machen ein bisschen was und hören gleich wieder auf.“

Diese Erfahrung haben auch die Beschäftigten der Berliner Feuerwehr gemacht, die vor sehr ähnlichen Fragen stehen, wie die Gelbwesten. Seit Jahren sind mit ständig schlechter werdenden Arbeitsbedingungen konfrontiert und stehen dabei in direkter Konfrontation mit dem rot-rot-grünen Berliner Senat und der Gewerkschaft Verdi.

Seit vergangener Woche protestieren Feuerwehrleute, die sich in dem Verein BerlinBrennt e.V. zusammengeschlossen haben, für bessere Arbeitsbedingungen. Sie fordern eine deutliche Erhöhung von Zulagen, Regelbeförderung und flexiblere Dienstplangestaltung. Die Berliner Feuerwehr sei „personell am Boden“ erklärt Reinhard Hampel, vom Vorstand des BerlinBrennt e.V. Durch 12 Stunden-Schichten bei einer 44 Stunden-Woche und in ständiger personeller Unterbesetzung seien die Kollegen extrem belastet. „Seit 1995 wird ständig gespart“, so Hampel. Gerade unter der Koalition von Linkspartei und SPD wurde die soziale Infrastruktur der Hauptstadt radikal ausgedünnt. Heute setzen beide Parteien diesen Kurs mit Unterstützung der Grünen fort.

Bereits im März und April dieses Jahres protestierten hunderte Feuerwehrleute gegen die miserablen Arbeitsbedingungen, die letztlich das Leben der Bevölkerung gefährden. Dann vereinbarte Verdi mit dem Senat geringfügige Verbesserungen, für die es aber nicht einmal feste zeitliche Zusagen gibt. Selbst wenn die versprochenen Stellen und neue Ausrüstung kommen sollten, wäre das nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein.

Deshalb haben sich die Arbeiter unabhängig von den Gewerkschaften und gegen deren massiven Widerstand erneut für ihre Proteste ans Rote Rathaus begeben. Dort stehen sie nun vor einer brennenden Tonne und tragen wie die Demonstranten in Frankreich Warnwesten, manche davon gelb.

Hampel erklärt, dass dies allerdings keinen direkten Bezug zu Frankreich habe. Es sei eher durch ein Verbot der Feuerwehrleitung bedingt, die das Tragen von Dienstkleidung bei den Protesten unter Androhung arbeitsrechtlicher Maßnahmen untersagte. Also wichen die Arbeiter auf die Warnwesten aus.

Tatsächlich besteht aber ein direkter Zusammenhang zwischen dem Protest der Berliner Feuerwehr und den Gelbwesten in Frankreich, erklärte Markus Klein, Kandidat der Sozialistischen Gleichheitspartei (SGP) für die Europawahlen im nächsten Jahr, im Gespräch mit Hampel. „So wie in Frankreich sind Arbeiter nicht nur mit den Angriffen der Regierung, sondern auch der Gewerkschaften konfrontiert“, so Klein. „Arbeiter in ganz Europa sind mit den gleichen Problemen konfrontiert und deshalb ist die Bewegung in Frankreich ganz objektiv Ausdruck einer europäischen Bewegung.“

Die zentrale Frage sei daher, die Arbeiter des Kontinents auf der Grundlage eines sozialistischen Programms zu vereinen. Für diese Perspektive kämpft die SGP gemeinsam mit ihren Schwesterparteien in Frankreich und Großbritannien in den kommenden Europawahlen.

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