Sammelabschiebung nach Kabul am Tag der Deutschen Einheit

Je lauter die Proteste der arbeitenden Bevölkerung, desto zielstrebiger und gnadenloser die rechte Regierungspolitik. Ausgerechnet zum Tag der Deutschen Einheit wurde die jüngste Sammelabschiebung nach Kabul, in das kriegszerrissene Afghanistan, durchgeführt.

Am selben Tag, dem 3. Oktober, gingen in der bayerischen Landeshauptstadt 40.000 Menschen auf die Straße, um gegen die polizeistaatliche Aufrüstung und eine „Politik der Angst“ zu demonstrieren. Wenige Tage zuvor hatten in Hamburg über 30.000 Menschen demonstriert, und zuvor hatte es allein im September schon in Köln, Berlin, Frankfurt, Chemnitz und anderen Städten Massendemonstrationen gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit gegeben.

Dessen ungeachtet beschleunigt die Große Koalition von CDU/CSU und SPD das Tempo ihrer Abschiebemaschinerie. Auch Länderregierungen, in denen Grünen und Linke sitzen, schieben unvermindert weiter ab. Weil sie soziale Angriffe auf alle Arbeiter vorbereiten, greifen die Politiker zu dem scharfen Vorgehen gegen geflüchtete Menschen, um die Bevölkerung insgesamt zu spalten und einzuschüchtern.

Mit der neusten Sammelabschiebung wurden siebzehn Menschen nach Afghanistan ausgeflogen. Acht von ihnen kamen aus Bayern, die übrigen neun aus Baden-Württemberg, Hamburg, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und Sachsen. 63 Bundes- und vier bayerische Landespolizisten sollen sie begleitet haben.

Mit der Abschiebung in das Kriegsgebiet treten die Innenminister des Bundes und der Länder grundlegende demokratische Rechte wie das Asylrecht und die Genfer Flüchtlingskonvention mit Füßen. Afghanistan ist alles andere als ein sogenanntes „sicheres Herkunftsland“. Durchschnittlich sterben dort täglich rund 35 Sicherheitskräfte in Gefechten und durch Anschläge radikaler Islamisten, wie die NGO International Crisis Group berichtet hat. Im ersten Halbjahr 2017 sind bei gewaltsamen Konflikten fast 1700 Zivilisten gestorben, so viele wie seit 2009 nicht mehr. Insgesamt könnte die Zahl der gewaltsam getöteten Menschen in Afghanistan 2018 mit deutlich über 20.000 Toten einen neuen Höchststand erreichen.

Seitdem die USA und andere Nato-Mächte, darunter auch Deutschland, vor 17 Jahren das Land besetzten, herrscht in Afghanistan Krieg. Wenige Stunden vor dem Start der Maschine in München hatte es am 2. Oktober in der Provinz Nangarhar wieder einen blutigen Anschlag auf eine öffentliche Veranstaltung gegeben. Dabei waren mindestens dreizehn Menschen, darunter Kinder, ums Leben gekommen, über 30 wurden verletzt.

Laut der Einschätzung des Flüchtlingshochkommissariats der Vereinten Nationen (UNHCR) hat sich die Sicherheitslage in Afghanistan in letzter Zeit deutlich verschlechtert. Das UNHCR hat am 30. August 2018 in seinen neusten Richtlinien einen Abschiebestopp in dieses Land dringend als geboten bezeichnet. Kabul könne kein Schutzort für Betroffene sein, heißt es in den Richtlinien des UNHCR. „Angehörige der Zivilbevölkerung, die am alltäglichen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben in Kabul teilnehmen, sind dem Risiko ausgesetzt, der allgemeinen Gewalt, von der die Stadt betroffen ist, zum Opfer zu fallen“.

Hinzu komme, dass die Bevölkerung in Kabul immer schlimmer an Armut und Hunger leide. Diese Neubewertung durch den UNHCR hat bereits dazu geführt, dass Finnland Abschiebungen dorthin bis auf weiteres ausgesetzt hat. Nicht so die Bundesregierung.

Im Namen des Innenministers ließ Staatssekretär Helmut Teichmann verlauten, die Anweisung des Flüchtlingshochkommissariats stelle „eine bloße Empfehlung des UNHCR dar, beruhend auf der Auswertung verschiedener Quellen. Das BAMF vertritt hingegen weiterhin die Auffassung, dass Kabul als Ort internen Schutzes grundsätzlich in Betracht kommt.“

Mit welcher Brutalität und Rücksichtslosigkeit die Behörden vorgehen, zeigen die Fälle über die der bayerische Flüchtlingsrat und andere Stellen berichten. Demnach wurde in den frühen Morgenstunden des 2. Oktober ein junger Afghane in Nürnberg festgenommen, der schon seit acht Jahren in Deutschland lebt, eine eigene Wohnung hat und seit sieben Jahren in fester Beziehung mit einer Frau lebt. „Eine Lehrstelle als Gärtner wurde ihm gekündigt, weil er fortwährend zur Ausländerbehörde zitiert wurde“, schreibt der Flüchtlingsrat. „Ein neues Arbeitsangebot als Trockenbauer liegt vor, wird aber von der Ausländerbehörde nicht genehmigt. Der potentielle Arbeitgeber würde ihn sehr gerne einstellen – da er dringend engagierte Arbeitskräfte benötigt.“

In zwei weiteren Fällen wurde die Abschiebung in letzter Minute aufgrund von Protesten abgebrochen. Diese Fälle lassen nur erahnen, was für ein Schicksal denjenigen droht, die dennoch abgeschoben werden.

Der 18-jährige Berufsschüler Ahmed A. wurde am 27. September, fünf Tage vor dem Abschiebeflug, in Passau aus seiner Berufsschule heraus festgenommen und in Abschiebehaft gebracht. Am 1. Oktober sollte er eine Ausbildung beginnen. Der junge Mann stammt aus Ghazni, einer Stadt, die vor wenigen Wochen von den Taliban eingenommen worden war. Erst als Lehrer, Mitschüler und Freunde eine öffentliche Kampagne für ihn organisierten, wurde Ahmed kurz vor der Abschiebung wieder freigelassen.

Ähnlich war es bei Mujtaba A., einem 22-jährigen Afghanen, ebenfalls aus Passau. Er wurde am 18. September festgenommen und nach Bremen in Abschiebehaft gebracht. Auch er wurde erst aufgrund breiter öffentlicher Proteste wieder freigelassen. Mujtaba hatte ein Jahr Berufsschule erfolgreich abgeschlossen und danach ein sechswöchiges Praktikum als Koch in einer Gaststätte absolviert. Er hatte die Zusage desselben Betriebs, dort eine Koch-Lehre aufzunehmen. Was bisher fehlte, war allein die Arbeitserlaubnis der Zentralen Ausländerbehörde.

Der junge Mann, dem keinerlei Straftaten vorgeworfen werden, lebt in einer festen Beziehung mit einer Mutter zweier Kinder. Sie hat alles in ihrer Macht Stehende in Bewegung gesetzt und den Fall mit Erfolg in die bayerischen Medien gebracht, um ihren Lebensgefährten in letzter Minute vor der Abschiebung zu retten. Allerdings zeigen diese Fälle nur, wie willkürlich die Behörden vorgehen, und dass die offiziell behauptete Einzelfallprüfung eine Legende ist.

Mit den siebzehn Afghanen, die in der Nacht zum 3. Oktober nach Kabul ausgeflogen wurden, hat sich die Zahl der Menschen, die in das Kriegsgebiet Afghanistan abgeschoben worden sind, auf 383 erhöht. Allein in diesem Jahr waren es 228. Die mit 69 Menschen bislang größte Massenabschiebung nach Afghanistan fand Anfang Juli statt. Innenminister Horst Seehofer (CSU) hatte sie mit regelrecht sadistischer Genugtuung gefeiert: „Ausgerechnet an meinem 69. Geburtstag sind 69 – das war von mir nicht so bestellt – Personen nach Afghanistan zurückgeführt worden. Das liegt weit über dem, was bisher üblich war“. Wenige Tage später wurde bekannt, das sich einer der Abgeschobenen wenige Tage nach seiner gewaltsamen Rückkehr nach Kabul das Leben nahm.

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