Gemeinsamer Ryanair-Streik in sechs Ländern

An dem bisher größten Streik gegen die Billiglohnpolitik von Ryanair beteiligten sich am gestrigen Freitag gleichzeitig Kabinenpersonal und Piloten aus sechs europäischen Ländern: In Belgien, Italien, den Niederlanden, Portugal, Spanien und Deutschland ruhte 24 Stunden lang die Arbeit.

Europaweit wurden über 240 Flüge gestrichen, deutlich mehr als das Ryanair-Management erwartet hatte. Von und nach Deutschland fielen 140 Ryanair-Flüge oder 40 Prozent der Flüge aus. Am Berliner Flughafen Schönefeld wurden 52 von 90 Starts und Landungen gestrichen, in Hamburg waren es 15, in Köln/Bonn 19 und in Frankfurt 21 Flüge. Die Ryanair-Flüge, die stattfinden konnten, hatten zumeist stundenlange Verspätung.

„Low Fares, No Cares“ (Niedrige Preise, keine Fürsorge), und „No Rights – No Flights!“ (Keine Rechte – keine Flüge!) – unter solchen und ähnlichen Slogans demonstrierten in Berlin und Frankfurt mehrere hundert zumeist junge Stewardessen und Stewards.

Erst am Donnerstagabend hatte die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi auch die in Deutschland stationierten Crews zum Streik aufgerufen. Mit großer Nervosität achteten sie jedoch darauf, die Kontrolle zu bewahren. In Frankfurt mischten sich Verdi-Funktionäre mehrmals in die Gespräche ein, die Ryanair-Beschäftigte mit der World Socialist Web Site führten, und bestanden darauf, dass keinerlei Interviews gegeben werden dürften, nicht einmal ohne Namensnennung.

Allerdings waren die jungen Flugbegleiter begierig, über ihre Bedingungen zu berichten, die wirklich menschenverachtend sind.

In Berlin trat eine Stewardess namens Laura, die an den Verhandlungen teilgenommen hatte, ans Mikrophon und schilderte die Nöte des Kabinenpersonals. „Wir sind Menschen mit Rechten, die für dieses Unternehmen und für alle Passagiere jeden Tag in ganz Europa arbeiten. Wir kommen aus verschiedenen Ländern, sprechen verschiedene Sprachen, haben unterschiedliche kulturelle Hintergründe und arbeiten jeden Tag als Team zusammen.“

Unter starkem Beifall beschrieb Laura, dass es für die Crews unmöglich sei, sich an Bord auf Verkaufsziele der Waren zu konzentrieren. Schließlich seien sie ausgebildet, um die Passagiere zu betreuen und im Notfall zu sichern. „Aber unsere Firma erkennt das nicht an“, erklärte Laura.

In Frankfurt versammelten sich am Terminal 2 Flugbegleiter und Piloten aus Griechenland, Italien, Bulgarien, Frankreich und Deutschland. Im Gespräch mit der WSWS sagte ein Steward aus Italien: „Wir müssen einfach zu viel arbeiten für zu wenig Geld. Wir sind oft stundenlang am Flughafen in Bereitschaft, ohne dass wir dafür bezahlt werden. Die Bezahlung setzt erst ein, wenn der Flieger abhebt. Das ist total ungerecht.“

Eine Flugbegleiterin aus Griechenland bestätigte die schlechten Arbeitsbedingungen, den übermäßigen Druck und fehlende Krankenversicherungen. Dann sagte sie, sie finde vor allem die Unsicherheit der befristet eingestellten Kollegen schlimm. Ein großer Teil des Personals sei nur über Zeitfirmen, nicht aber fest bei Ryanair beschäftigt. „Die meisten von ihnen trauen sich gar nicht, mit uns zu streiken. Sie haben Angst, ihre Arbeit zu verlieren.“

Ryanair-Vorstandschef Michael O’Leary hatte wiederholt damit gedroht, Flugzeuge von den Standorten abzuziehen, an denen die Belegschaften streiken. Das Management des Billigfliegers, der mit seinen Maschinen mehr als 215 Flughäfen in 37 Ländern anfliegt und von 86 Basen in Europa und Nordafrika operiert, drohte den Streikenden mit Lohnkürzungen, Abmahnungen, Versetzungen an andere Standorte oder gar Kündigung.

Umso mehr stellte der Streik, der Ryanair am Freitag in sechs Ländern gleichzeitig lahmlegte, das enorme Potential unter Beweis, das in einem international gemeinsam geführten Arbeitskampfs liegen würde.

Allerdings sind die Gewerkschaften nicht bereit, internationale Streiks zu organisieren. Sie bestehen im Gegenteil darauf, dass die Gewerkschaften unter allen Umständen an jedem nationalen Standort eigene Verhandlungen, getrennt von allen andern, mit der Geschäftsleitung führen. Zum Teil spalten sie die Belegschaften noch zusätzlich nach unterschiedlicher Gewerkschaftszugehörigkeit auf, wie in Deutschland, wo die Gewerkschaft Ufo sich weigerte, am gestrigen Streik teilzunehmen, weil sie noch am Donnerstagnachmittag Verhandlungen mit dem Ryanair-Management führte.

Die Vereinigung Cockpit und Verdi boten am Freitag eine Reihe prominenter Politiker der SPD, der Grünen und der Linken auf, um von der Bühne zu den Streikenden zu sprechen. In Berlin traten neben dem Verdi-Chef Frank Bsirske auch Hubertus Heil (SPD), Bundesminister für Arbeit und Soziales, Michael Kellner, Bundesgeschäftsführer der Grünen, sowie die Landesvorsitzende der Linken, Katina Schubert, auf. In Frankfurt waren es die Spitzenkandidaten Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD) und Janine Wissler (Linke), welche die Gelegenheit für ihren Wahlkampf zur Hessenwahl in vier Wochen nutzten.

Diese Politiker sind samt und sonders für den rechten Kurs der Bundesregierung mitverantwortlich, entweder als Minister oder als „loyale“ Opposition im Bundestag und in den Landtagen. Ihre Parteien haben massive Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen und extrem arbeiterfeindliche Maßnahmen durchgesetzt, von der Agenda 2010 und Hartz IV über das Tarifeinheitsgesetz bis hin zur Ausbreitung von Leiharbeit, um nur einige Beispiele zu nennen. Bei der Pleite von Air Berlin haben sie mit den Gewerkschaften einen üblen Ausverkauf organisiert.

An dem Streik gegen Ryanair haben die Politiker aus zwei Gründen ein besonderes Interesse: Zunächst nehmen sie dabei implizit für Lufthansa Partei, den größten deutschen Luftkonzern, der Ryanair als bedrohlichen Konkurrenten betrachtet. Vertreter von Verdi, Ufo und Cockpit sitzen im Aufsichtsrat von Lufthansa; Verdi-Chef Frank Bsirske war jahrelang stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender, und seinen Platz nimmt heute das Verdi-Vorstandsmitglied Christine Behle ein.

Der zweite Grund besteht darin, dass sie Angst haben, die brutalen und konfrontativen Ausbeutungsmethoden von Ryanair könnten das korporatische Modell in Deutschland untergraben, mit dem alle sozialen Angriffe „sozialpartnerschaftlich“, das heißt in enger Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften, durchgesetzt werden.

Buchstäblich bis zur letzten Minute hatten Verdi und die Vereinigung Cockpit versucht, von O’Leary die Zustimmung zu einem Separatabschluss oder einer Schlichtung zu erhalten. Bedauernd schreibt die Vereinigung Cockpit auf ihrer Website, O’Leary habe „seit dem letzten Arbeitskampf am 12. September 2018 kein verbessertes Angebot gemacht. Zudem konnte bislang keine Schlichtungsvereinbarung zwischen Ryanair und VC erzielt werden.“

Diese nationalistische und kapitalistische Politik der Gewerkschaften wird natürlich auch von den Vertretern von SPD, Grünen und Linkspartei geteilt. Doch diese Politik stößt mehr und mehr auf Ablehnung und Widerstand.

Bezeichnend war ein Gespräch in Frankfurt mit griechischen Flugbegleitern. Als die Rede am Freitag auf Syriza kam, die Verbündete der Linkspartei in Griechenland, erklärte eine Flugbegleiterin entschieden: „Von Syriza halte ich nichts. Seitdem sie an der Regierung sind, haben sie für die Arbeiter keinen Finger gerührt. In Griechenland sind heute viel mehr Leute arbeitslos als zuvor.“

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