Wie der Opel-Vorstand Anfang September mitteilte, wird sich im Forschungs- und Entwicklungszentrum ITEZ in Rüsselsheim der französische Ingenieurdienstleister Segula Technologies einkaufen und einen Großteil der Einrichtungen und „bis zu 2000 Beschäftigte“ übernehmen. Damit gehen der Kahlschlag und die schrittweise Demontage des Opel-Konzerns in die nächste Runde.
Im ITEZ, Adam-Opel-Haus und Design-Zentrum und auf der Teststrecke Dudenhofen arbeiten heute noch fast 8000 Ingenieure, Entwickler, Designer und andere Angestellte. Hier wurde bisher sowohl für Opel, als auch für den früheren Besitzer General Motors geforscht und die Technologie für das Elektromodell Ampera entwickelt.
Wie Opel-Vorstandschef Michael Lohscheller am 5. September mitteilte, schlägt die Direktion des neuen Besitzers PSA (Peugeot, Citroën, DS) den Verkauf an Segula als beste Lösung „vor dem Hintergrund des drastischen Rückgangs an Arbeitsaufträgen“ im Entwicklerzentrum vor. Wie es heißt, sei das Zentrum schon seit einiger Zeit nur zu 40 Prozent ausgelastet.
Wie der Vorgang klar macht, ist das Schicksal der Entwickler und Forscher in Rüsselsheim längerfristig völlig ungeklärt. Der Auto-Dienstleister Segula hat weltweit 11.000 Beschäftigte und ist in Frankreich schon für PSA tätig. Nun will das Unternehmen in Rüsselsheim seine Nordeuropa-Zentrale aufbauen und dafür von Opel Anlagen aus der Fahrzeug- und der Antriebsentwicklung übernehmen.
Segula wäre, wie es heißt, zur Übernahme von bis zu 2000 Ingenieuren und Entwicklern bereit und würde ihnen auch den bei Opel vereinbarten Kündigungsschutz bis 2023 garantieren. Allerdings kann das nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die Bedingungen dieser Angestellten generell verschlechtern würden. Da ihr Hauptkunde natürlich der PSA/Opel-Konzern sein wird, werden die zu Segula verschobenen bisherigen Opel-Mitarbeiter voraussichtlich die Tätigkeit fortsetzen, die sie auch bisher für Opel oder PSA gemacht haben – allerdings für deutlich weniger Gehalt und schlechtere Konditionen, denn nun will zusätzlich Segula Profit machen.
Der Deal folgt einem bekannten Muster. Immer häufiger lagert die Autoindustrie Teile von Forschung und Entwicklung an Dienstleister aus, damit sie die Risiken auffangen. Diese Risiken sind sowohl mit der neuen Elektro-Technologie, wie auch mit der wachsenden weltweiten Konkurrenz, die mehr und mehr die Form eines Handelskriegs annimmt, verbunden. Der Brexit und die jüngste Lira-Krise in der Türkei (wohin Opel exportiert) steigern diese Risiken erheblich. Unter solchen Bedingungen sind Dumpinglöhne und Zeitarbeit auch im Ingenieursberuf auf dem Vormarsch, und der Druck auf feste Arbeitsverhältnisse und Errungenschaften steigt.
Schon im Juli hatte Le Monde bekanntgemacht, dass intensive Verkaufsgespräche über das Entwicklerzentrum mit Segula und drei weiteren Auto-Dienstleistern (Altran, Akka, Bertrandt) geführt würden. Diese Gespräche sind Bestandteil des so genannten Sanierungsprogramms PACE!, dem der Opel-Betriebsrat und die IG Metall schon letztes Jahr, kurz nach der Übernahme von Opel und Vauxhall durch den PSA-Konzern, zugestimmt haben.
Nach einer Art Salamitaktik werden seither die vereinbarten Sozialkürzungsmaßnahmen und Grausamkeiten Schritt für Schritt bekanntgegeben und umgesetzt. Wie der Auto-Experte Ferdinand Dudenhöffer im Juli im ZDF bemerkte, hätten Vorstand und Gewerkschaften „bewusst nicht alles auf einmal bekannt gemacht“, denn sonst „hätte man Angst gehabt, eine Revolution oder einen Streik auszulösen“.
Stolz verkündeten PSA- und Opel-Management Ende Juli, Opel habe im ersten Halbjahr 2018 erstmals, seit fast zwanzig verlustreichen Jahren, einen Gewinn von über 500 Millionen Euro erwirtschaftet. Grund dafür ist indessen keine Ausweitung der Verkaufszahlen, im Gegenteil. Die europäischen Marktanteile von Opel schrumpfen weiter und betragen heute noch gut die Hälfte von 2010. Hatte Opel damals einen Marktanteil von 10,2 Prozent, so sind es heute noch 5,6 Prozent.
Grund für den Gewinnanstieg sei, so wurde berichtet, im Wesentlichen eine Senkung der Fixkosten um 28 Prozent in zwölf Monaten. Dieser „Erfolg“ ist voll und ganz auf den Knochen der Arbeiter und Angestellten erwirtschaftet. Er stützt sich auf die verschärfte Ausbeutung der Opel-Belegschaften und auf Angriffe auf die Leiharbeiter und Beschäftigten von Zuliefer-Firmen.
In den Opel-Werken außerhalb Deutschlands werden rund 17.000 Arbeiter regelrecht erpresst, und ihre Arbeitsplätze werden systematisch dezimiert. Mit Hilfe der jeweiligen nationalen Gewerkschaften setzten PSA und Opel/Vauxhall in Großbritannien, Polen, Spanien, Ungarn und Österreich Lohnsenkungen mit der Drohung durch, die Werke sonst zu schließen. Doch alle Zugeständnisse retten nicht die Arbeitsplätze. Den Belegschaften droht weiterhin Arbeitsplatzverlust, wie im Opel-Werk in Wien-Aspern, wo bis Ende nächsten Jahres 600 von 1400 Arbeitsplätzen abgebaut werden.
In den Opel-Werken in Deutschland werden schon seit dem Jahreswechsel 2017/2018 die Verträge für Hunderte Leiharbeiter gekündigt. An den Fließbändern wurde Kurzarbeit eingeführt, und die IG Metall unterstützt den schrittweisen Stellenabbau und Lohnsenkungen.
Im Mai 2018 hat die Gewerkschaft einem Eckpunktepapier über die Vernichtung jedes fünften festen Arbeitsplatzes zugestimmt. Bis 2019 sollen 3700 der heute rund 18.500 Beschäftigten über Altersteilzeit, Vorruhestand und Abfindungen „freiwillig“ ausscheiden. Diese Stellen sind dadurch für die nachfolgende Generation als vernünftig bezahlte, sichere Arbeitsplätze verloren.
Außerdem haben die Gewerkschaftsvertreter weitere Senkung der Lohnkosten vereinbart. Die Opelbeschäftigten werden gezwungen, auf die im Februar in der Metall- und Elektroindustrie vereinbarten Lohnerhöhungen zu verzichten. Der faule Deal wurde in den Belegschaften mit einer der von der IG Metall hochgelobten Arbeitsplatzgarantie bis 2023 schöngeredet. Was diese Garantie wert ist, zeigt nun sehr deutlich der jüngste Ausverkauf im Rüsselsheimer Entwicklerzentrum: Es muss überhaupt kein Arbeitsplatz beim Opel-Konzern sein, sondern die Beschäftigten können im Zweifel auch zu Dienstleistern mit schlechteren Konzessionen verschoben werden.
Auch die Zusage von PSA, dass „in alle Standorte weiter investiert“ werde, sind durchwegs an die Aussage gekoppelt: „… wenn diese Werke wettbewerbsfähig bleiben“. Besonders unsicher ist dabei die Lage des Produktionswerks in Eisenach. Dort werden von 1300 Stellen 450 abgebaut, das ist jeder dritte Arbeitsplatz. Völlig ungewiss ist auch die längerfristige Fortsetzung des Zweischichtbetriebs in Eisenach.
Hinter der schrittweisen Zerschlagung des Opel-Konzerns steht die angespannte Lage auf dem gesamten europäischen Automarkt. Zu dem Rückgang der Absatzzahlen kommt die bevorstehende Umstellung zum Elektroauto hinzu. Laut einer Studie des Fraunhofer-Instituts von Juni 2018 könnte diese Umstellung in den nächsten Jahren zur Vernichtung von bis zu 100.000 Arbeitsplätzen in der deutschen Industrie führen. In der Antriebstechnik würde fast jeder zweite Arbeitsplatz wegfallen.
Dies hat die Lage nicht nur bei Opel, sondern auch in anderen Autokonzernen verschärft. So wird zum Beispiel bei Ford schon über das weitere Schicksal des Produktionswerks in Saarlouis spekuliert, und das Entwicklerzentrum von Ford in Köln ist ebenfalls gefährdet.
In dieser Situation können Autoarbeiter ihre Interessen nur verteidigen, wenn sie international gemeinsam den Kampf für ein sozialistisches Programm aufnehmen. Vor allem müssen sie unabhängig von den Gewerkschaften vorgehen und Arbeiterkomitees aufbauen, die der Kontrolle der IG Metall entzogen sind. Die World Socialist Web Site und die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) setzen sich dafür ein, den Aufbau solcher unabhängiger Arbeiterorganisationen zu unterstützen.
Mit der IG Metall machen die Autoarbeiter in allen Betrieben dieselbe bittere Erfahrung: Während die Konzernleitung fordert, das die Arbeitsplätze massiv abgebaut, die Löhne gesenkt und die Bedingungen für die Beschäftigten verschlechtert werden, arbeiten die so genannten „Sozialpartner“ in der IG Metall und den Betriebsräten eng mit dem Management zusammen und sabotieren jeden ernsthaften Widerstand. Sie spielen einen Standort gegen den anderen aus, unterdrücken Arbeiter, die sich den Angriffen widersetzen, und organisieren eigenhändig die Entlassungen und den Sozialabbau.
Wie zur Bestätigung dieser Erfahrung teilte die Leitung im Entwicklerzentrum Rüsselsheim Anfang September mit: „Wie genau die Auswahl der Mitarbeiter [die zu Segula wechseln] erfolgen würde, wollen wir nun u.a. mit unseren Sozialpartnern diskutieren.“