Ankerzentren: Bund und Länder dehnen Lagersystem auf ganz Deutschland aus

Seit dem 1. August gibt es in Bayern und Sachsen offiziell acht Ankerzentren, in denen geflüchtete Menschen kaserniert werden. Nach dem Willen der Bundesregierung sollen die Lager auf ganz Deutschland ausgedehnt werden. Mehrere Bundesländer verwahren sich offiziell dagegen, betreiben aber bereits ähnliche Einrichtungen.

Der Bau von Ankerzentren mit jeweils 1000 bis 1500 geflüchteten Menschen hatten CDU/CSU und SPD bereits im Koalitionsvertrag festgeschrieben. Der Name „AnkER“ steht für Ankunft, Entscheidung, Rückführung. Bund und Länder errichten damit ein abgeriegeltes und bewachtes Lagersystem, in dem zehntausende Menschen ohne Gerichtsurteil weggesperrt werden.

Der bayrische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) behauptet zwar, die Ankerzentren seien „keine Hafteinrichtungen“, hier werde „niemand eingesperrt“. Doch das ist eine Lüge. Die Lager sind mit Mauern und Stacheldraht abgeriegelt und die Zugänge durch Security-Personal gesichert; sie können jederzeit verschlossen werden, wie es in Ellwangen bei einer Polizeirazzia geschehen ist.

Die in den Lagern lebenden Menschen dürfen diese zwar mit einem besonderen Ausweis verlassen und wieder betreten, unterliegen jedoch der „verschärften Residenzpflicht“. Das bedeutet, dass sie den Kreis, in dem ihre Einrichtung steht, bei Strafe der Aussetzung ihres Asylverfahrens nur mit behördlicher Zustimmung verlassen dürfen. Sollten sie spontan irgendwo anders übernachten, verlieren sie sämtliche Rechte und Ansprüche und gelten als „untergetaucht“ und als Freiwild für die Polizei.

Hinzu kommt, dass die Lager entweder einen integrierten geschlossenen Gefängnisbereich aufweisen – wie das Ankerlager in der Hamburger Straße in Dresden, wo gerade eine streng abgeriegelte Abschiebehaftanstalt entsteht – oder mit einem Abschiebegefängnis kooperieren. Fast alle Landesregierungen betreiben Abschiebehaftanstalten, wie die nordrhein-westfälische in Büren. Oder sie sind, wie die rot-rot-grüne Landesregierung in Berlin, gerade dabei, solche aufzubauen.

Auch die Bundesländer, die sich offiziell noch gegen Ankerzentren verwahren, betreiben längst ähnliche Einrichtungen, die leidglich anders heißen. Der Masterplan von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) sieht insgesamt 40 Ankerzentren verteilt auf alle Bundesländer vor.

Ursprünglich sollten im Rahmen des „Pilotprojekts Ankerzentrum“ ab dem 1. August elf Lager an den Start gehen. Das geht aus einer internen Stellenausschreibung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge hervor. Darin wurden „interessierte“ BAMF-Mitarbeiter gesucht, die „im Rahmen eines Pilotprojekts“ bereit sind, ab dem 1. August in einem Ankerzentrum zu arbeiten.

Neben den bekannten Zentren in Bayern (Bamberg, Deggendorf, Donauwörth, Manching, Regensburg, Schweinfurt und Zirndof) und dem sächsischen Zentrum in Dresden nannte das BAMF in der Ausschreibung auch Heidelberg (Baden-Württemberg), Gießen (Hessen) und Lebach (Saarland). Als zwölfter Einsatzort wird außerdem Augsburg, die BAMF-Außenstelle von Donauwörth, erwähnt.

Öffentlich legen die Landesregierungen von Baden-Württemberg und Hessen Wert darauf, Distanz zu den Ankerzentren zu wahren. Im schwarz-grün regierten Hessen erklärte Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU): „Es bleibt dabei: Wir haben hier einen hessischen Weg.“

Worin dieser hessische Sonderweg besteht, zeigt die Hessische Erstaufnahmeeinrichtung (HEAE) in Gießen. Die Stadtverordneten aller Parteien, einschließlich der Linken, beschlossen dort am 21. Juni auf Antrag der AfD (!), Seehofers Ankerzentren mit der Begründung abzulehnen: Wir haben ja schon das „in Gießen erfolgreich funktionierende Modell des Erstaufnahmezentrums“, da erübrigt sich das Ankerkonzept.

Die HEAE mit 800 Plätzen ist der Mittelpunkt eines weitverzweigten hessischen Lagersystems, in dem der Umgang mit den Geflüchteten ebenso unmenschlich ist wie in Bayern. Das zeigt sich schon daran, dass allein aus Hessen in den ersten vier Monaten 2018 knapp 600 Männer und Frauen – doppelt so viele wie im Vorjahr – abgeschoben wurden.

Auch der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hat sich offiziell vom Konzept der Ankerzentren distanziert und versprochen, mit den Grünen werde es in Baden-Württemberg kein Ankerzentrum geben. Sein Stellvertreter, Innenminister Thomas Strobl (CDU), präzisierte, Baden-Württemberg verfüge bereits über ein „erfolgreiches Modell“ in Heidelberg, das die Registrierung und Anhörung beschleunige und „die Flüchtlinge ohne Bleiberecht möglichst schnell“ zurückführe.

Laut Markus Rothfuß, dem Leiter des „Ankunftszentrums Patrick Henry Village“ in Heidelberg, besteht der einzige Unterschied zu den Ankerzentren darin, dass „nur selten“ Abschiebungen direkt aus dieser Einrichtung erfolgen.

Allerdings hat die grün-schwarze Landesregierung allein im Jahr 2017 fast 3500 Menschen abgeschoben, wie der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg schreibt. „Neben der hohen Zahl schockieren immer wieder drastische Einzelfälle“, heißt es dort. „Familien werden getrennt, Menschen in Ausbildung in Abschiebehaft genommen, und auch Menschen, die seit Jahrzehnten in Deutschland leben, will die Landesregierung hier wohl nicht mehr haben.“

Diese Entwicklung zeigt, dass keine der im Bundestag und in den Landtagen vertretenen Parteien elementare demokratische Grundrechte verteidigt. Das gilt auch für die Grünen und die Linke. Sie beteiligen sich alle daran, Menschen ohne Gerichtsurteil wegzusperren und von der Bevölkerung zu isolieren, nur weil ihnen bestimmte deutsche Papiere fehlen.

Die SPD hat den Ankerzentren im Koalitionsvertrag zugestimmt und Anfang Juli Seehofers „beschleunigtes Grenzverfahren“ abgesegnet. In Brandenburg hat sich der sozialdemokratische Ministerpräsident Dietmar Woidke bereits im Frühjahr 2018 für die Einrichtung eines Ankerzentrums stark gemacht. In Hamburg ist die Heuchelei atemberaubend: Während der Innensenator Andy Grote (SPD) das Konzept in der Öffentlichkeit kritisiert, wird das Ankunftszentrum im Hamburger Stadtteil Rahlstedt gerade zur Abschiebe-Haftanstalt für Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein ausgebaut, mit Plätzen für über 2000 Menschen.

Im rot-rot-grün regierten Berlin sind Innensenator Andreas Geisel (SPD) und die Integrationsbeauftragte Elke Breitenbach (Die Linke) gemeinsam für das Ankunftszentrum Zentralflughafen Tempelhof zuständig. Die wohl bundesweit größte Einrichtung und ihre Strukturen sind den Ankerzentren ähnlich, was Breitenbach nicht daran hindert, zu behaupten, in Berlin werde es keine solchen Zentren geben.

In Thüringen, wo die Linke mit Bodo Ramelow den Ministerpräsidenten stellt, gehen die Behörden mit großer Brutalität gegen die Menschen in den Lagern vor. So können die Bewohner der Sammelunterkunft Rudolstadt keine Nacht mehr durchschlafen, weil die Behörden Zimmerkontrollen angeordnet haben. Nacht für Nacht wird um 23 Uhr und um 5 Uhr früh kontrolliert, ob die Menschen tatsächlich anwesend sind.

Natürlich befürchten diese jedes Mal, dass es die Polizei sein könnte, die sie abschieben will. Laut Thüringischem Flüchtlingsrat hat der Landkreis Geflüchteten, die sich dieser zermürbenden Taktik entzogen und an einem sicheren und ungestörten Platz außerhalb der Unterkunft schliefen, sofort die Bezüge gekürzt.

Nächtlicher Terror und ständig drohende Abschiebungen sind auch in den bayrischen Lagern nicht unbekannt. Die Mutter einer Roma-Familie aus Serbien, die gezwungen wurde, in das Ankerzentrum Bamberg umzuziehen, berichtete dem bayrische Flüchtlingsrat: „Letzte Woche erst war die Polizei da und hat unsere Nachbarn abgeholt. Seitdem schlafen wir nicht mehr, sondern haben nur noch Angst.“

In dem Lagersystem, das derzeit in Deutschland aufgebaut wird, werden die Menschen von der übrigen Bevölkerung isoliert und vom normalen Leben abgeschnitten. Der Zugang zu neutraler Rechtsberatung und medizinischer Hilfe wird ihnen stark erschwert und der Schulbesuch der Kinder sowie soziale Kontakte zu deutschen Kindern praktisch unterbunden. Offiziell ist vorgesehen, dass Familien mit Kindern bis zu sechs Monaten in den Lagern bleiben.

Laut Unicef sind fast ein Drittel der Flüchtlinge in Deutschland Minderjährige, laut einem Offenen Brief von 24 Verbänden und Organisationen waren es im vergangenen Jahr sogar 45 Prozent. In dem Brief, den der Berliner Tagesspiegel veröffentlicht hat, heißt es: „Ankerzentren sind keine geeigneten Orte für Kinder und Jugendliche.“

Auch für Erwachsene ist ein menschenwürdiges Leben in den Lagern unmöglich, vor allem, weil sie nicht arbeiten dürfen und über Monate hinweg zum Nichtstun verdammt sind. Einkaufszentren und Plätze des öffentlichen Lebens sind oft meilenweit entfernt. Und umgekehrt wird der Zugang zum Lager für Freunde, freiwillige Helfer, Mediziner und private Rechtsberater massiv eingeschränkt.

„Wir leiden alle unter den Verhältnissen“, berichtete Jennifer, eine Sprecherin der Frauen im Bamberger Zentrum, dem Studentenradio Uni-Vox. Vier Familien teilten sich eine Wohnung mit einer Toilette und einer Küche. Es gebe keine Privatsphäre. Die Wachen behandelten die Menschen wie Müll. Einer habe ihren Freund angeschrien: „Ihr seid Sklaven, und so behandeln wir euch.“

Am Schlimmsten ist aber laut Jennifer das untätige Eingesperrt-Sein. „Die Regierung entzieht uns die Ausweise, so dass wir uns nicht frei bewegen können, und wir dürfen nicht arbeiten.“ Mitten in der Nacht würden Menschen deportiert.

Das Lagersystem zielt auf „beschleunigte Asylverfahren“ ab. Sämtliche staatlichen Behörden sind vor Ort vertreten, von der Justiz und dem BAMF über das Jugend- und Arbeitsamt bis hin zur Gesundheitsbehörde. Den Insassen werden jedoch grundlegende Rechte aberkannt.

Das Lagersystem ist nicht auf Deutschland beschränkt. Zu Seehofers Masterplan gehört neben dem „Pilotprojekt Ankerzentren“ auch die Entwicklung eines „Hotspot-Standardmodells“ für den EU-Raum und für Nordafrika. Auch solche „Hotspots“ gibt es teilweise schon – in Libyen, im Süden der Sahara oder an der Grenze zwischen Eritrea und Sudan. Brutale Diktatoren und Bürgerkriegsmilizen, die wegen ihrer Menschenrechtsverletzungen berüchtigt sind, übernehmen dort die Aufgabe, mit finanzieller Unterstützung Deutschlands und der EU Flüchtlinge festzuhalten.

Dieses gigantische Lagerprojekt richtet sich gegen die gesamte Arbeiterklasse. Es schafft einen Präzedenzfall. Als erstes werden zehntausende Geflüchtete in Lager gepfercht, die sich nichts haben zuschulden kommen lassen. Wer ist als nächstes dran? Demonstranten, streikende Arbeiter, rebellierende Jugendliche, Gegner der Regierung?

Wenn ein flächendeckendes, potentiell abgeriegeltes Lagersystem entsteht, in dem völlig unbescholtene Menschen „konzentriert“ werden, richtet sich das längerfristig gegen jeden klassenbewussten Arbeiter. Mit dem „Pilotprojekt Ankerzentrum“ reagieren die Herrschenden auch auf die Massendemonstrationen gegen die AfD und gegen Flüchtlingshetze, Armut und Krieg.

Loading