AfD-Politik in der Linkspartei

Der Parteitag der Linken, der am Wochenende in Leipzig stattfand, wurde von einer heftigen Auseinandersetzung über die Flüchtlingspolitik geprägt. Der Streit brach aus, nachdem die Bundestagsfraktionsvorsitzende Sahra Wagenknecht am Sonntag zum Parteitag gesprochen hatte. Mit der knappen Mehrheit von 250 zu 249 Stimmen beschlossen die Delegierten eine einstündige Debatte über Wagenknechts flüchtlingsfeindlichen Kurs, für die es rund 100 Wortmeldungen gab. Wer sprechen durfte, entschied schließlich das Los.

Wagenknecht, ihr Ehemann Oskar Lafontaine und deren Anhänger werben seit langem für eine restriktive Flüchtlingspolitik, die sich kaum von jener der rechtsextremen AfD unterscheidet. Immer wieder haben sie Flüchtlinge für soziale Probleme verantwortlich gemacht und versucht, sie gegen Niedrigverdiener und Hartz-IV-Empfänger auszuspielen.

So verteidigte Wagenknecht die Entscheidung der Essener Tafel, nur noch Deutsche in die Lebensmittelausgabe aufzunehmen. Sie tat dies mit der Begründung, sie möchte nicht, dass Menschen, die schon lange in Deutschland leben, in eine solche Konkurrenzsituation gebracht werden.

In der Parteipresse tobte seit langem eine Auseinandersetzung über Wagenknechts AfD-Kurs in der Flüchtlingsfrage. Im Parteiorgan Neues Deutschland erschienen zahlreiche Beiträge für und wider Wagenknechts Position. So veröffentlichte im Mai eine Gruppe aus dem Umfeld der Sozialistischen Linken, dem gewerkschaftsnahen Flügel der Partei, ein Papier über eine „regulierende linke Einwanderungspolitik“, das Wagenknechts Haltung unterstützt.

Das Papier, das unter anderem von den Bundestagsabgeordneten Fabio de Masi, Jutta Krellmann, Michael Leutert und Sabine Zimmermann sowie dem Vorsitzenden des Netzwerkes Kuba, Harri Grünberg, unterzeichnet ist, wendet sich gegen „eine unbegrenzte Einwanderung, die auch all diejenigen einschließen würde, die lediglich ein höheres Einkommen erzielen oder einen besseren Lebensstandard genießen wollen“. Ein Recht auf globale Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit sei „für eine realistische linke Migrationspolitik weder zielführend noch der breiten Bevölkerung vermittelbar“, heißt es darin.

Die Parteiführung um Katja Kipping und Bernd Riexinger weigerte sich, den ausländerfeindlichen Positionen in den eigenen Reihen offen entgegenzutreten und auf dem Parteitag eine Auseinandersetzung darüber zu führen. Der Leitantrag des Vorstands, der vom Parteitag verabschiedet wurde, bekennt sich zwar – wie schon das 2011 beschlossene Parteiprogramm – zu „offenen Grenzen“. Doch die Formulierung ist derart vage und unbestimmt, dass ihr auch Wagenknecht problemlos zustimmen konnte.

Erst als Wagenknecht dann in ihrer Rede darauf bestand, dass „es für Arbeitsmigration Grenzen geben sollte“, regten sich Buhrufe und Widerspruch. Doch kaum war die heftige Debatte vorüber, traten die beiden Vorsitzenden Kipping und Riexinger sowie die Fraktionsvorsitzenden Wagenknecht und Dietmar Bartsch gemeinsam vor den Parteitag und bekundeten ihre „Einigkeit“.

Es sei doch „super, dass wir hier zu viert stehen“, sagte Riexinger und verkündete, man werde eine Fachkonferenz zur Flüchtlingspolitik durchführen und die Fragen in einer gemeinsamen Klausur von Parteivorstand und Fraktion besprechen – sie also in den Parteigremien begraben. Wagenknecht kommentierte: „Konzentrieren wir uns auf das, was uns stark macht. Stellen wir das Gemeinsame in den Mittelpunkt.“

Dass die Linke nationalistische und ausländerfeindliche Standpunkte in ihren Reihen duldet, ist nicht nur dem Bemühen um „Einheit“ geschuldet. Vielmehr stimmen auch Wagenknechts Gegner mit ihrer Haltung weitgehend überein. Sie sind lediglich der Ansicht, dass man sie nicht derart laut in die Welt posaunen sollte, weil sie Wähler abstößt, die über die ausländerfeindliche Politik der Bundesregierung ehrlich entsetzt sind und Flüchtlingen mit offener Sympathie begegnen.

Es ist bezeichnend, dass der Angriff auf Wagenknecht auf dem Parteitag von Elke Breitenbach ausging. Sie trat nach der Rede der Fraktionsvorsitzenden mit gespielter Wut ans Mikrofon und rief: „Sahra, du zerlegst gerade die Partei. Du ignorierst die Position der Mehrheit dieser Partei. Ich bin nicht mehr bereit, das hinzunehmen.“

Breitenbach ist Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales in der Berliner Landesregierung und hat die Praxis, links zu reden und rechts zu handeln, zur Perfektion getrieben. So geißelt sie die Pläne von Bundesinnenminister Horst Seehofer, Asylbewerber in sogenannten Anker-Zentren zu kasernieren, während der Berliner Senat unter dem Namen Erstaufnahmeeinrichtungen (EAE) genau dasselbe tut und die Plätze darin in jüngster Zeit von rund 2000 auf 4000 verdoppelt hat.

Thüringen, das einzige Bundesland, in dem die Linke den Regierungschef stellt, nimmt bei der Abschiebung von Flüchtlingen einen Spitzenplatz ein. Der thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow verteidigte das auf dem Parteitag mit der üblen Ausrede, er führe lediglich Bundesgesetze aus.

„Für mich ist jede Abschiebung eine menschliche Niederlage“, beteuerte Ramelow. „Es sind Bundesgesetze, die zu vollziehen sind, und die werden so vollzogen, dass wir jedesmal gezwungen werden, auf der Ebene mit Polizeieinsätzen etwas zu machen, was ich erbärmlich finde.“ Das erinnert an alte Nazis, die ihre Verbrechen damit rechtfertigten, dass sie nur Befehle befolgt hätten.

In den heftigen Flügelkämpfen innerhalb der Linkspartei stehen sich nicht ein rechter und ein linker Flügel gegenüber, vielmehr kämpfen mehrere rechte Flügel gegeneinander. Sie tun dies in einer Partei, deren soziale Orientierung und Zusammensetzung sich rasch verändert.

Lafontaine und seine Anhänger hatten lange das Ziel verfolgt, mit der Linken eine Neuauflage der SPD zu schaffen, die nach den Hartz-Gesetzen der rot-grünen Regierung von Gerhard Schröder ihren Einfluss unter Arbeitern vollständig verloren hatte. Lafontaine, der bis 1999 selbst Vorsitzender der SPD war, hatte es stets als deren Aufgabe betrachtet, die Arbeiterklasse unter Kontrolle zu halten und den Klassenkampf zu unterdrücken.

Doch mit der Verschärfung der internationalen Konflikte und sozialen Spannungen nach der Finanzkrise 2008 erwies sich die Perspektive einer Wiederbelebung sozialdemokratischer Politik als aussichtslos. Lafontaine, Wagenknecht und ein Flügel der Gewerkschaftbürokratie, mit dem sie eng zusammenarbeiten, wandten sich einer offen nationalistischen Perspektive zu, die Ausländerfeindlichkeit mit dem Ruf nach einer starken Außenpolitik im deutschen Interesse verbindet.

Kipping orientiert sich dagegen auf städtische Mittelschichten, die der Arbeiterklasse distanziert bis ablehnend gegenüberstehen und durch die Rechtswende der Grünen heimatlos geworden sind. Auch unter diesen Schichten findet eine scharfe Rechtsentwicklung statt. Sie entwickelt sich allerdings über die Schiene der Identitätspolitik, der MeToo-Bewegung und ähnlicher Fragen, und weniger über die plumpen nationalistischen Parolen der AfD.

Die Mitgliederentwicklung widerspiegelt diese Neuorientierung der Linken. Die Mitgliederzahl der PDS, ihrer Vorgängerin im Osten, sank von 171.000 im Jahr 1991 auf 61.000 im Jahr 2005. Nach der Vereinigung mit der westdeutschen WASG stieg die Mitgliederzahl der Linken 2009 auf 79.000, um dann bis 2016 auf den Tiefststand von 59.000 zu fallen. Im vergangenen Jahr erhöhte sie sich wieder leicht auf 62.000, vor allem durch Neuzugänge aus den städtischen Mittelschichten und dem Westen. Erstmals hat die Linke in den westlichen Bundesländern mehr Mitglieder als in den östlichen.

Im Osten, wo sie in vielen Ländern und Kommunen an der Regierung war, hat die Linke zahlreiche enttäuschte Wähler an die AfD verloren. Die Mitgliedschaft ist überaltert. In Mecklenburg-Vorpommern sind 44 Prozent der Mitglieder über 75 Jahre alt. Ähnlich sieht es in Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Thüringen und Sachsen aus. Im Westen gibt es dagegen kaum Mitglieder in diesem Alter. Die neuen Mitglieder stammen nach Angabe des Parteivorstands vor allem aus einem Milieu, das „akademisch und links beziehungsweise linksgrün geprägt“ ist.

Dabei sind die Übergänge zwischen den verschiedenen Flügeln durchaus fließend. Auch die Parteiführung unterhält enge Beziehungen zur Gewerkschaftsbürokratie. So schickte der DGB-Vorsitzenden Reiner Hoffmann, der aus Gesundheitsgründen nicht persönlich kommen konnte, eine herzliche Grußbotschaft an den Parteitag, in der er die beiden Parteivorsitzenden mit Vornamen anspricht: „Liebe Katja, lieber Bernd, liebe Delegierte, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich danke Euch herzlich für die Einladung hierher nach Leipzig!“

Wohin die Linkspartei steuert, zeigte am deutlichsten der Beitrag von Gregor Gysi, des langjährigen Vorsitzenden der PDS und der Linken, der als Präsident der Europäischen Linken zum Parteitag sprach.

Gysi warnte vor Nationalismus und zitierte den Satz „Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“ aus dem Kommunistischen Manifest. Doch er verstand darunter nicht die internationale Einheit der Arbeiterklasse im Kampf gegen den Kapitalismus. Sein Beitrag gipfelte stattdessen in der Forderung nach „einer geschlossenen Antwort der Europäischen Union auf den Handelskrieg der USA“.

Einen engen Verbündeten und gefeierten Gast auf früheren Linken-Parteitagen erwähnte Gysi in seiner Rede mit keinem Wort: Alexis Tsipras, den griechischen Regierungschef und Vorsitzenden von Syriza. Tsipras hat praktisch gezeigt, was die Verteidigung der Europäischen Union und die Zusammenarbeit mit rechten Nationalisten – er führt eine Koalitionsregierung mit den rechtsextremen Unabhängigen Griechen (ANEL) – bedeutet: Die schärfsten Angriffe auf die sozialen Errungenschaften und demokratischen Rechte der Arbeiterklasse und die Unterstützung von Militarismus und Krieg. Auf eine solche Rolle bereitet sich auch die Linkspartei vor.

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