Dutzende afrikanische Flüchtlinge sind am Sonntag bei drei verschiedenen Bootshavarien auf dem Mittelmeer ums Leben gekommen. Es war die höchste Zahl an einem einzigen Tag seit Oktober. Sobald die Temperaturen steigen, machen sich wieder Hunderttausende auf den Weg, um übers Mittelmeer nach Europa zu gelangen. Dort versuchen derweil immer mehr rechte Regierungen, ihre Einreise zu verhindern und die Abschiebungen zu beschleunigen.
Vor der Küste Tunesiens bargen Rettungstaucher die Wasserleichen von 48 afrikanischen Flüchtlingen. Sie waren in See gestochen, um die Insel Lampedusa zu erreichen.
Ein Überlebender sagte einer tunesischen Radiostation: „Wir waren etwa 180 an Bord des Bootes“, das etwa neun Meter lang war. Das Boot „sank wegen eines Lecks“, erklärte der Flüchtling. Er schilderte ein Schreckens- und Panikszenario, als das Boot und seine Insassen langsam im Meer versanken.
Ein anderer Geretteter sagte der Presse von seinem Krankenhausbett aus: „Ich habe überlebt, weil ich mich neun Stunden lang an ein Brett geklammert habe.“ Wie tunesische Regierungsvertreter berichten, sind 70 Immigranten gerettet worden, was bedeutet, dass das Schicksal von weiteren etwa 65 Menschen bisher ungeklärt ist.
Im östlichen Mittelmeer kenterte am selben Sonntagmorgen ein weiteres Schiff vor der türkischen Küste bei Demre. Dabei kamen neun Menschen ums Leben, darunter sechs Kinder. Sechs Überlebende berichteten, dass 15 Menschen an Bord gewesen seien.
Vertreter Spaniens meldeten ebenfalls, sie hätten am Sonntag 240 Flüchtlinge von elf Booten gerettet. 41 dieser Menschen wurden in letzter Minute von einem sinkenden Boot gerettet. Mindestens einer war tot.
Bis jetzt sind in diesem Jahr 660 Einwanderer bei der Überquerung des Mittelmeers nachweislich ums Leben gekommen. Das sind 2,8 Prozent der Gesamtzahl derjenigen, die sich auf den gefährlichen Weg machten.
Diese Todesopfer sind das Ergebnis der Politik der europäischen Regierungen. Diese setzen alles daran, Rettungsaktionen zu verhindern und Menschen von der Mittelmeerroute abzuhalten. Seit Anfang 2014 verfolgt die Europäische Union eine Politik, die dafür sorgt, dass Schiffe der Küstenwache sich von Gebieten mit häufigen Havarien fernhalten. Wie interne EU-Dokumente enthüllen, argumentieren Politiker, wenn mehr Menschen ertrinken, dann bedeute das insgesamt niedrigere Flüchtlingszahlen.
Im Jahr 2017 haben italienische Staatsanwälte die Polizei angewiesen, ein deutsches NGO-Rettungsschiff zu beschlagnahmen, damit das Schiff mit seinen Rettungsaktionen keine weiteren Flüchtlinge vor dem Ertrinken retten konnte.
Laut Intercept haben die Behörden verdeckte Ermittler mit Abhörgeräten eingesetzt, um zu „beweisen“, dass die freiwilligen Helfer heimlich mit Menschenschmugglern zusammenarbeiteten. Intercept berichtete, dass „vor einem Jahr fast ein Dutzend humanitäre Organisationen Rettungsschiffe betrieben“. Als Folge dieser Schikanen seien jetzt „nur noch einige wenige übrig“.
Die Flüchtlinge, die die gefährliche Reise überleben, werden von den extrem fremdenfeindlichen Regierungen Europas schikaniert, vernachlässigt und so rasch wie möglich wieder abgeschoben. Zurzeit sind so viele fremdenfeindliche Regierungen in Europa an der Macht wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr.
Matteo Salvini, Italiens neuer Innenminister von der rechtsextremen Lega, stattete am Sonntag Sizilien einen provokanten Besuch ab und erklärte vor der Zuhörermenge: „Wir haben es satt, dass Sizilien das Flüchtlingslager Europas ist. Ich werde nicht untätig zusehen, wie ein Boot nach dem anderen anlegt. Wir brauchen Abschiebezentren.“
Salvini sprach schon am Samstag auf einer Demonstration in Norditalien, wo er den Flüchtlingen drohte: „Seht zu, dass ihr eure Taschen packt.“ Die Lega und ihr Koalitionspartner in der Regierung, die Fünf-Sterne-Bewegung (M5S), haben angekündigt, dass sie 500.000 Flüchtlinge abschieben wollen. Das würde voraussetzen, dass über große Teile des Landes der Ausnahmezustand verhängt wird. Luigi Di Maio, Chef der M5S, hatte schon früher die NGO-Schiffe der Seenotrettung als „Meerestaxis“ bezeichnet.
Die faschistischen Drohungen gegenüber Immigranten durch Lega und Fünf Sterne haben zu einer zunehmend gewalttätigen Atmosphäre gegen Flüchtlinge geführt. In Vibo Valentia, in Kalabrien, tötete ein Italiener nur wenige Stunden nach Salvinis Rede am Sonntag einen 29jährigen Flüchtling aus Mali. Die Polizei gab eine Erklärung heraus, in der behauptet wird, der Flüchtling haben Material von einer Baustelle gestohlen.
In Deutschland hat die CDU und die SPD eine Koalitionsvereinbarung getroffen, die im Wesentlichen das ausländerfeindliche Programm der neofaschistischen AfD übernimmt. Die AfD-Abgeordnete Alice Weidel hat vor wenigen Tagen im Bundestag eine ausländerfeindliche Tirade gehalten, in der sie „muslimische Zuwanderer“ als „Burkas, Kopftuchmädchen, alimentierte Messermänner und sonstige Taugenichtse“ bezeichnete.
In Frankreich hat die Regierung von Emmanuel Macron letzte Woche die Bereitschaftspolizei eingesetzt, um ein Migranten-Camp in Paris aufzulösen. Dabei wurden 1.000 Menschen gewaltsam vertrieben und ihre Zelte zerstört. Die französische Regierung hat kürzlich ein Asylgesetz verabschiedet, mit dem Grenzübertritte kriminalisiert, das Recht auf Asyl eingeschränkt und die Abschiebeprozeduren beschleunigt werden.
In Spanien berichtete El País kürzlich, dass viele Einwanderer nach ihrer Einreise gezwungen sind, auf der Straße zu leben, und dass viele sich ausschließlich von Cracker ernähren. Der rechtsextreme ungarische Premierminister Viktor Orban erklärte im April, Europa sei eine „Einwandererzone“, und Masseneinwanderung bedeute, dass „unsere schlimmsten Albträume wahr werden können. Der Westen geht unter, wenn er nicht sieht, dass Europa überrannt wird.“
Wenn sich die Innenminister der Europäischen Union am Dienstag in Luxemburg treffen, um über die Flüchtlingsfrage zu diskutieren, dann werden sie sich auf ein noch härteres Vorgehen gegen Einwanderer einigen und damit den Weg für Massenabschiebungen auf dem ganzen Kontinent ebnen.
Gleichzeitig gibt es in der europäischen Arbeiterklasse eine breite Unterstützung für Flüchtlinge. Laut einer Eurobarometer-Umfrage von April fühlen sich 57 Prozent der Europäer mit den Einwanderern wohl und heißen sie als Nachbarn, Freunde und Arbeitskollegen willkommen. Nur jeder Dritte erklärte, er oder sie fühle sich im Umgang mit den Immigranten zumindest etwas unwohl. In Spanien, Großbritannien, Frankreich und Deutschland ist die Unterstützung für Flüchtlinge in der Bevölkerung sehr groß.
Die fremdenfeindliche Welle in Europa wird von rechtsextremen Elementen aus den Kreisen um Präsident Donald Trump unterstützt, zu denen sein ehemaliger faschistischer Berater Steven Bannon zählt, der am Freitag auf CNN aus Italien berichtete. Bannon lobte die immigrantenfeindliche Politik der neuen italienischen Regierung und stellte sie fälschlicherweise als Politik im Interesse der Arbeiterklasse dar: „Der Arbeiter wurde die ganze Zeit betrogen. Das ist die Revolte, die zu Donald Trump geführt hat, und das haben wir jetzt auch hier in Italien gesehen.“
Aber die Arbeiter haben kein Interesse daran, die fremdenfeindliche Politik ihrer herrschenden Klassen zu unterstützen. Die brutale Politik, mit der die Einwanderer angegriffen werden, wird sich gegen die Arbeiterklasse richten, wenn sich der Klassenkampf verschärft. Die Bemühungen der herrschenden Klasse, fremdenfeindliche Stimmungen anzuheizen, sollen die weit verbreitete Opposition gegen Krieg und gegen die Politik der sozialen Konterrevolution zum Schweigen bringen.
In sämtlichen Ländern, und speziell in Frankreich, Deutschland und Italien, benutzt die herrschende Klasse den Ausländerhass als Instrument, um die Arbeiter gegeneinander aufzuhetzen und damit die Aufmerksamkeit von den Angriffen auf Renten und Sozialleistungen abzulenken.