EU-Gipfel: Wut über Trump verdeckt europäische Spannungen

Zentrales Thema des Gipfeltreffens der Europäischen Union, das am Samstag in Sofia stattfand, sollte die weitere Integration von sechs Westbalkan-Staaten in die EU sein. Doch dann beherrschte der Konflikt mit den USA das Treffen der Staats- und Regierungschefs.

Die Verhängung von Strafzöllen auf Stahl und Aluminium und die Kündigung des iranischen Atomabkommens durch US-Präsident Donald Trump wird von den europäischen Mächten als schwerer Schlag gegen die eigenen Interessen empfunden. Sie ließen ihrem Ärger freien Lauf.

„Mit solchen Freunden kann man sich fragen, wer Feinde braucht“, sagte EU-Ratspräsident Donald Tusk. Der französische Finanzminister Bruno Le Maire hatte schon vor dem Gipfel gefragt: „Wollen wir die Vasallen der Vereinigten Staaten sein, die mit der Hand an der Hosennaht gehorchen?“

Für die europäischen Mächte ist die Kündigung des Iranabkommens, das sie maßgeblich mit ausgehandelt haben, nicht nur ein politischer Affront, sondern auch ein ökonomischer Schlag. Von den verschärften US-Sanktionen, die am 6. August in Kraft treten sollen, sind nämlich kaum amerikanische Firmen, umso mehr dagegen europäische betroffen.

Der Handel der USA mit dem Iran war mit 170 Millionen Dollar im vergangenen Jahr verschwindend gering, während europäische Unternehmen im selben Zeitraum Irangeschäfte im Wert von 25 Milliarden Dollar tätigten und milliardenschwere Aufträge in ihren Büchern stehen haben. Ihnen drohen in den USA empfindliche Strafen, wenn sie sich nicht an die von Washington verhängten Sanktionen halten.

Gelingt es den USA, die Ölausfuhr des Iran einzuschränken, untergräbt dies auch dessen Zahlungsfähigkeit. Bei der derzeitigen Fördermenge von 2,6 Millionen Barrel pro Tag und einem Ölpreis von 75 Dollar nimmt das Land im Jahr rund 70 Milliarden Dollar aus Energieexporten ein. Das entspricht zwei Dritteln des Staatshaushalts.

Deutschland, Frankreich und Großbritannien fürchten außerdem, dass ihnen Russland und China, die weniger anfällig für US-Sanktionen sind, im Iran den Rang ablaufen. So hat der russische Staatskonzern Sarubeschneft bereits im März einen Auftrag über 750 Millionen Euro zum Ausbau zweier iranischer Ölfelder unterzeichnet. Moskau erwägt Investitionen von bis zu 50 Milliarden Dollar.

Was China betrifft, so hat der Iran angekündigt, den Milliarden teuren Ausbau eines Gasfelds im Golf mit dem chinesischen Konzern Petrochina allein fortzuführen, falls sich der französische Energiekonzern Total wegen der US-Sanktionen aus dem Projekt zurückzieht. Für China ist der Iran sowohl als Energielieferant wie als Glied seines „One Belt, One Road“-Projekts von hoher strategischer Bedeutung.

Der EU-Gipfel hat deshalb feierlich verkündet, er werde am Iran-Abkommen festhalten und sich dem Druck aus Washington nicht beugen. Es gehe „um die ökonomische Souveränität“ Europas, erklärte der französische Präsident Emmanuel Macron. EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker sprach von einer „Frage der Ehre“. Der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz sagte: „Das können, das wollen wir uns so nicht bieten lassen.“

Bundeskanzlerin Angela Merkel, Präsident Macron und die britische Premierministerin Theresa May, die seit dem Brexit-Entscheid ein eher gespanntes Verhältnis verbindet, demonstrierten den Schulterschluss und ließen sich bei einem gemeinsamen Spaziergang über die „Brücke der Liebenden“ in Sofia ablichten.

Auf Vorschlag von EU-Kommissionspräsident Juncker beschloss der Gipfel, eine alte EU-Verordnung wieder in Kraft zu setzen. Sie verbietet es Unternehmen aus der EU, sich US-Sanktionen zu unterwerfen, und ersetzt ihnen entstandene Schäden aus US-Vermögen, das die EU beschlagnahmt. Diese Verordnung war 1996 erlassen worden, als die USA Sanktionen gegen Kuba verhängten. Sie diente als Druckmittel und kam nie zur praktischen Anwendung. Die EU einigte sich anschließend mit der Administration von US-Präsident Bill Clinton.

Auch jetzt dient die Verordnung als Drohgebärde, wobei es wenig wahrscheinlich ist, dass US-Präsident Trump darauf eingehen wird. Vor allem größere Unternehmen wie Autoproduzenten, Ölkonzerne oder der Flugzeugbauer Airbus werden nicht das Risiko eingehen, wegen dem Iran ihr Geschäft mit den USA zu gefährden.

Bundeskanzlerin Angela Merkel gab nach dem Gipfel denn auch zu, dass die EU Großkonzerne nicht schützen könne. „In einer umfassenden Weise die gesamte Wirtschaft zu entschädigen bei entsprechenden Maßnahmen der Vereinigten Staaten von Amerika – da können und dürfen wir keine Illusionen schüren“, sagte sie. Erleichterungen für kleine und mittlere Unternehmen würden hingegen geprüft.

Noch offener äußerte sich die Frankfurter Allgemeine Zeitung, das Sprachrohr der Frankfurter Börse. „Die Empörung vieler Europäer über Trump wird nur noch übertroffen durch die Ohnmacht, die manchen EU-Begeisterten richtig wütend macht,“ schrieb sie. „Wer glaubte, die europäische Gemeinschaft bringe genug Gewicht auf die Waage, um auf Augenhöhe mit den Vereinigten Staaten Weltpolitik betreiben zu können, wurde … eines Besseren belehrt.“

Der Konflikt mit den USA verschärft auch die Spannungen innerhalb der EU. Einige Regierungen, darunter die ungarische und womöglich bald auch die italienische, plädieren für eine engere Zusammenarbeit mit Russland. Auch in der Öffentlichkeit gibt es dafür Unterstützung. So sehen laut einer Forsa-Umfrage 79 Prozent der Deutschen den Weltfrieden durch US-Präsident Trump gefährdet und nur 13 Prozent durch den russischen Präsidenten Putin.

Andere Regierungen, insbesondere die polnische, und auch die Mehrheit der herrschenden Klasse in Deutschland, Großbritannien und Frankreich betrachten Russland dagegen als Gegner und lehnen eine Annährung strikt ab.

Vor einem ähnlichen Dilemma steht die EU hinsichtlich des Westbalkans. Bis auf Albanien sind die sechs Westbalkan-Staaten, die sich nun der EU anschließen wollen (Serbien, Montenegro, Bosnien-Herzegowina, Kosovo und Mazedonien), aus dem Zerfall Jugoslawien hervorgegangen. Die europäischen Mächte hatten diesen Zerfall in den 1990er Jahren gemeinsam mit den USA mit diplomatischen und militärischen Mitteln befördert, um ihre Vorherrschaft über den Balkan zu sichern.

Doch die Regime, denen sie damals an die Macht verhalfen und die sie seither unterstützen, sind derart zerstritten, korrupt und mit der organisierten Kriminalität verbunden, dass ihr Beitritt zur EU diese weiter destabilisieren würde. Bleiben sie dagegen außerhalb der EU, könnten sich Russland, die Türkei und China auf dem Balkan festsetzen. „Wenn es keine europäische Perspektive auf dem Balkan gibt, wird hier der türkische Einfluss und anderer Einfluss immer stärker. Das wollen wir nicht,“ sagte der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz.

Der EU-Gipfel bekräftigte schließlich seine „uneingeschränkte Unterstützung für die europäische Perspektive“ – d.h. für eine EU-Mitgliedschaft der sechs Westbalkan-Staaten in ferner Zukunft – ohne sich aber auf konkrete Schritte festzulegen.

Als sich 2003 der Konflikt über den Irakkrieg zuspitzte, schrieb die WSWS über das „Dilemma der Europäer“:

„Vom Standpunkt Frankreichs und Deutschlands aus gesehen ist das Verhalten der USA in höchstem Maße verantwortungslos und beschwört die Gefahr herauf, dass die letzten Reste des gesamten rechtlichen und institutionellen Rahmens, in dem sich der Weltkapitalismus bisher bewegte, in sich zusammenbrechen. Wenn sich die Westeuropäer den Diktaten der USA beugen, dann nehmen sie, um mit der konservativen französischen Tageszeitung Le Figaro zu sprechen, ihre Verwandlung ‚in ein bloßes Protektorat der Vereinigten Staaten‘ in Kauf. Offener Widerstand birgt jedoch das Risiko einer wahrscheinlich katastrophalen militärischen Konfrontation mit den USA. Jede dieser Alternativen, oder auch irgendein Mittelweg zwischen beiden, würde die Beziehungen zwischen den europäischen Ländern selbst erheblich destabilisieren. Darüber hinaus würden die sozialen Folgewirkungen des Konflikts zwischen den USA und dem ‚alten‘ Europa zwangsläufig die inneren Klassenspannungen verschärfen.“

15 Jahre später hat sich dieses Dilemma noch viel weiter zugespitzt. Die einzige Antwort, die alle Flügel der herrschenden Klasse, ob pro- oder antiamerikanisch, darauf kennen, ist selbst massiv aufzurüsten, um sich in zukünftigen Konflikten und Kriegen behaupten zu können. Sie bewegen sich immer offener auf einen dritten Weltkrieg zu. Nur eine internationale, sozialistische Bewegung der Arbeiterklasse, die den Kampf gegen Krieg mit dem Kampf gegen den Kapitalismus verbindet, kann diesen Wahnsinn stoppen.

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